geburtstagskaffe

barracuda

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Die Sonne entschied sich bleiern-gelb die Mauern der Stadt anzustrahlen, fegte die Dämmerung aus den Straßen, ließ lange Schatten stehen. Knud stand gähnend an der Kaffeemaschine, gab auf jede Tasse Wasser drei gehäufte Esslöffel Kaffeepulver in den Filterbeutel. Er kochte den Kaffe von dem seine Mutter erzählt hatte, dass sie ihn an ihren Geburtstagen getrunken hatte und der ihrer Aussage nach unheimlichen Tatendrang verlieh. Und genau das brauchte Knud heute an seinem neunundzwanzigsten Geburtstag.
Zucker rieselte in eine Tasse, erst ein Häufchen, dann ein zweites und darauf folgend noch ein drittes. Knud betrachtete die schimmernden Kristalle, wie sie mit ihren Ecken und Kanten scheinbar nahtlos ineinander griffen und sich zu einem Ganzen fügten, eine Masse aus vielen, die zusammen doch eins waren. Im Strudel des geschwärzten Wassers verloren sie sich dann kurz, nur um gleich danach als dessen Bestandteil wieder zueinander zu finden. Die Tasse mit der ölig, süßen Flüssigkeit trug Knud an den Küchentisch, wo Zigaretten und Zeitung bereits warteten. Zeitung gab’s nur ein Mal im Jahr, Zigaretten sechzig pro Tag. Immer am dritten September wurde von ihm eine Zeitung gekauft, durchgeblättert, ein paar Tage liegen gelassen um dann mit den anderen im Schuhkarton zu verschwinden. Dreißig Zeitungen waren es heute. Die Erste von seinem Vater mit stolz geschwellter Brust eine Stunde nach Knuds Geburt gekauft, sollte sich diese Tat die folgenden siebzehn Jahre wiederhohlen. Nachdem der Vater gestorben war und die Mutter aufgrund ihrer Verrücktheiten und Ausraster in eine Anstalt eingewiesen wurde, übernahm Knud diesen Brauch und besorgte sich jedes Jahr zu seinem Geburtstag eine Zeitung. Sonst interessierte ihn die Welt nicht. Sie interessierte ihn auch nicht an seinem Geburtstag, aber der Welt zumindest an einem Tag im Jahr eine gewisse Aufmerksamkeit vorzutäuschen, schien vertretbar zu sein. Das Besondere an diesem Tag war Knud immer verborgen geblieben, aber Geburtstage waren nun mal Geburtstage, wenn sie auch nur dazu dienten, den Eltern die Geburt zu danken. Nicht das Leben danken, nur die Voraussetzung dazu. Der Kaffee schmeckte grausam, nur die Zigaretten, die den festen Teil des Frühstücks darstellten, halfen dem Gebräu die Kehle hinunter. Bald hing die Küche voller Rauch, schwerelos, grau und blau. Trotz der Sonne die schon einige Zeit am Himmel stand, erhellte sich das Innere der Küche nicht. Mattes, fahles Licht ließ Schatten verschwimmen und Kontraste verblassen. Die Stille verbündete sich und setzte sich fest. Knuds Augen wanderten über die Seiten ohne dem Gehirn Zeit zu lassen, genaueren Aufschluss über den Inhalt des Geschriebenen zu bekommen. Er schenkte sich erneut die Tasse voll. Trank, verzog das Gesicht. Der Kaffe war mittlerweile nur noch lauwarm und bitterer als zuvor. Als Knud den Kopf hob und nach der Zigarettenschachtel griff, stachen ihm die Reflektionen der Sonnenstrahlen auf dem Blechdach des Schuppens im Hof ins Auge. Die Sonne tänzelte über das reflektierende Metall und ließ Knud an die Sommer seiner Kindheit zurückdenken. Voll wundersamer Entdeckungen und spannender Abenteuer, mit dreckigen Füssen und Händen und Würmern die in warmer Erde wühlten. Mit frischen Tomaten, Kirschen und Stachelbeeren die direkt von Baum oder Strauch gezupft im Mund verschwanden. Den schwülen Abenden ohne Fragen nach Morgen und warum. Er dachte an den Geruch eines sommerlichen Platzregens und wie er als Kind Barfuss über feucht warmen Stein und durch kleine Pfützen getappt war. Wie er mit seiner Mutter durch den warmen Schauer gerannt war um schnell die Wäsche von der Wäschespinne im Garten zu holen und wie die dicken Tropfen auf seiner Haut wohlig zersprangen. Wie ihn das wiederaufschwellen des Vogelgezwitschers nach einem Gewitter beruhigt und glücklich gemacht hatte. Und er schmeckte Erdbeerkuchen. Der Teig nicht zu dick aber saftig, halbierte und ganze Erdbeeren umgeben von einem Hauch Gelatine und obendrauf ein großer Batzen süßer Schlagsahne.
Eine Zigarette verglühte einsam im Aschenbecher, als Knud wieder in der Küche ankam. Die Zeit stand kurz still, der Sekundenzeiger der Küchenuhr misste ein paar Sprünge.
Knud stand auf und ging rauchend zum Fenster. Er blickte durch den Schmutz der auf der Scheibe klebte und betrachtete den Innenhof. Eine rostige Rutsche neben einem Sandkasten, bunte Schaufeln und Förmchen die sich deutlich vom Sand abhoben.
„Für sich allein sind Dinge Wertlos, erst wenn jemand kommt und sie benutzt machen sie Sinn“, dachte Knud und blies Rauch gegen die Scheibe.
Von seiner Wohnung aus, die im Erdgeschoss lag, sah Knud kein Stück des Himmels. Egal aus welchem Fenstern er schaute, nur Häuserwände, Fenster, Straße und Beton. Manchmal bekam Knud Angst vor all dem Stein der ihn umgab. Es schien kein Entkommen zu geben, keine Freiheit. Den Himmel wollte er sehen, aber nicht den von heute, den von früher, bevor er sich selbst seines Blaus beraubt hatte und nun selbst im Sommer farblos hing. Die Welt in der er heute lebte hatte sich die Farben gestohlen und schien keine Anstalten zu machen, sie jemals wieder rauszurücken. Knud beschloss sich anzuziehen. Das Koffein zeigte seine Wirkung, er wurde unruhig, musste sich bewegen, irgendetwas tun. Die Unterwäsche wurde erst gar nicht gewechselt, einfach die Hose und ein Hemd übergestreift. Fertig angezogen und frisiert ging er zurück in die Küche, steckte sich noch eine Zigarette an, wusste nicht wohin. Rauchend ging er durch die Wohnung, hielt einen Moment an, schaute, ging weiter. Durch den schmalen Flur ins Schlafzimmer, durch den schmalen Flur wieder in die Küche und zurück und wieder zurück. Eine Maus in Gefangenschaft. Irgendwann machte er vor der Wohnungstür halt, öffnete sie und schritt ins Treppenhaus. Sein Schlüssel blieb liegen auf der Kommode im Flur.
Obwohl es noch Vormittag war, brannte die Sonne auf die Stadt. Die Luft flimmerte nervös, alles Grün beugte sich ächzend unter der Hitze, Teerflecken auf den Straßen glitzerten, wurden weich und zeigten Abdrücke von Schuhen und Reifen. Selbst das Summen und Kriechen der Insekten blieb aus, die tummelten sich an den wenigen stehenden Wassern, welche die Stadt noch zu bieten hatte. Wer sich im freien bewegte, tat dies langsam und bedächtig, als würde eine all zu hastige Bewegung Verbrennungen hervorrufen. Nur Knud schritt, scheinbar ein genaues Ziel im Auge, mit langen Schritten durch die Straßen. Doch ein Ziel gab es nicht. Hätte sich jemand die Mühe gemacht, Knuds Weg nachzuvollziehen, wäre ihm die Sinnlosigkeit seiner Richtungswechsel wohl bald aufgefallen. So bog er viermal hintereinander nach rechts ab, nur um an der gleichen Ecke nochmals vorbeizugehen, er überquerte Fahrbahnen, um bei der nächsten Ampel wieder auf die vorherige Straßenseite zu wechseln.
Knuds Gedanken hingen fest, während sein Körper immer weiter ging. Die letzten Jahre schienen alles in allem keinen Sinn ergeben zu haben. Ein ständiges Leben im Leben gefüllt mit Vakuum. Ein Knopfloch dessen passender Knopf fehlte und dennoch war immer genug Hoffnung da gewesen um Morgens aufzustehen und alles hinzunehmen was geschehen mochte. Und Knud entschloss sich auf seinem Irrgang, dies zu ändern. Auf die unzähligen Komma und Bindestriche einen Punkt folgen zu lassen, der trennte, wenn auch nicht aufhob. Er war sich jetzt im Klaren wo er hin wollte. Nicht zurück.
Ohne recht zu wissen, was er damit anfangen sollte, hob Knud sein ganzes Geld ab. Überzog soweit es sein Dispo-Kredit zu ließ und wanderte fortan mit einer nicht gerade besonders großen, aber für seine Verhältnisse doch beträchtlichen Summe durch die Stadt. Die hochgezogene gläserne Wand eines Reisebüros, gespickt mit Namen von Orten und Plätzen die Knud bisher noch nie gehört hatte, weckte sein Interesse. Nachdem er sich einige Minuten vor dem Schaufenster herumgedrückt hatte, fand er den Mut hineinzugehen. Im Inneren surrte eine Klimaanlage, Monitore warfen blaues Licht auf konzentriert wirkende Gesichter und Wände. Stimmen kamen nur gedrückt aus Mündern die über Hochglanzprospekten kauerten. Jemand begrüßte ihn aus einer Ecke des Raumes, bat ihn doch bitte Platz zu nehmen.
Mit einem freundlichen, „Mein Name ist Berger, wie kann ich ihnen helfen“, setzte eine Frau, vielleicht in den Vierzigern an, nachdem Knud sich vor einen Schreibtisch gesetzt hatte. Knud fragte sich, wie ihm diese Frau Berger wohl helfen sollte, wenn er sich nicht mal selbst zu helfen wusste.
„Ich möchte weg fahren“, antwortete er, schaute auf seine im Schoß verschränkten Hände, „irgendwohin wo’s vielleicht schön ist.“
„Aha,“, Frau Berger betrachtete ihn kurz und fuhr schnippisch fort, „und wo ist es denn für sie vielleicht schön? Wissen sie, die Meinungen ob es irgendwo vielleicht schön ist gehen ziemlich auseinander.“ Knud wusste nicht, schwieg, schaute kurz hoch, dann wieder auf seine Hände die feucht und kalt wurden.
Ungeduld lag in ihrer Stimme als sie fortfuhr: „O.K., ich verrat ihnen mal wo ich’s schön finde. Italien finde ich wunderbar. Süditalien. Olivenhaine, Zitronenbäume und Pasta und Rotwein, das ist ein schönes Leben da unten. Was halten sie davon?“ Knud wusste zwar mit Olivenhainen und Pasta nichts anzufangen, es schien aber durchaus etwas Positives zu sein und so nickte er zustimmend. „Also“, fuhr Frau Berger fort, „Italien gefällt ihnen. Wann möchten sie denn fahren?“
„Jetzt gleich“, antwortete Knud, erschreckt von der Lautstärke und Konsequenz mit der er gesprochen hatte. Die Frau murmelte vor sich hin und tippte in ihren Computer. Ein paar Minuten lang gab sie sich ganz dem blauen Leuchten des Bildschirms hin, bis sie wieder zu Knud schaute und sagte: „Das Einzige das ich ihnen jetzt sofort anbieten könnte, wäre eine Busreise nach Mailand. Ist zwar nur Norditalien aber ein gutes Angebot. Vier Übernachtungen in einem drei Sterne Hotel, Halbpension. Abfahrt um 20.30 Uhr vom Hauptbahnhof. 465 DM. “ Knud willigte mit einem erneuten Kopfnicken ein und während die Angestellte das Telefon zu ihrer rechten nahm, eine Nummer wählte und seine Fahrt buchte, zog Paul sein Geld aus der Tasche bereit zu bezahlen.
Der Bus war nur halb besetzt. Eine Klimaanlage surrte leise, hatte aber dennoch genug Kraft die Stimmen der anderen Reisenden zu verzerren und verfremdet klingen zu lassen. Knud fand eine freie Sitzreihe, setzte sich ans Fenster und schaute hinaus auf den Busbahnhof in der Abendsonne. Er beobachtete die an- und abfahrenden Busse. Regionalbusse die Pendler aufsaugten oder aufgetakelte Jungen und Mädchen, die zum Feiern in die Stadt kamen, ausspuckten. Andere, verdreckte Reisebusse von weit her aus denen matte, erschlagene Menschen ausstiegen und riesige Taschen gefüllt mit kleinen Stücken Heimat aus dem Fond des Wagens in Empfang nahmen um diese in ihr selbst gewähltes Exil zu tragen. Dort würden sie dann in bittersüßen Erinnerungen schwelgen, von dem schönen Ort den sie verlassen mussten um hier Geld zu verdienen.
Als der Motor ansprang und ein Zittern durch seinen Sitz ging, bemerkte er, dass mittlerweile fast jeder Platz besetzt war. Die Türen des Busses schlossen sich und mit einem Zucken das den Wagen durchfuhr setzte er sich in Bewegung. Der Fahrer lenkte den Bus vorsichtig durch den kurvigen Parcours als er plötzlich laut fluchend aufschrie und den Wagen mit einem Ruck zum stehen brachte. Die Fahrgäste reckten ihre Hälse, standen auf um zu sehen was passiert war, flüsterten dabei aufgeregt. Der Fahrer war ausgestiegen, unterhielt sich aufgeregt mit jemandem und fluchte unverständlich. Nach wenigen Momenten schien sich der Fahrer beruhigt zu haben und an der Seite des Busses wurden die Klappen geöffnet in denen das Gepäck verstaut wurde. Eine Frau betrat den Bus, mit gebückter Haltung und unter den teils verächtlichen Blicken der restlichen Passagiere, schlich sie den Gang entlang um letztlich neben Knud Platz zu nehmen. Knud starrte weiter zum Fenster hinaus, versuchte sie zu ignorieren.
Der Bus fuhr aus der Stadt in den Abend und in die Nacht hinein, rollte bald geradlinig auf der Autobahn dahin, verschluckte langsam Kilometer um Kilometer in Richtung Süden. Mit trockenem Mund, Hunger und dem Verlangen nach einer Zigarette schreckte Knud hoch. Orientierungslos ließ ihn der Schlaf im Bus zurück, erst als der Nebel in seinem Kopf sich verzog, realisierte er wo er war und was er tat. Er sah sich um, hörte vereinzelt Stimmen durch das Brummen des Motors. Die Frau neben ihm saß aufrecht auf ihrem Platz, starrte ins Leere über der Rückenlehne vor ihr. Ihr Alter vermochte Knud nicht zu schätzen. Sie gefiel ihm nicht, saß ihm auch zu nah. Leicht roch er ihr blumiges Parfum, vermischt mit Schweiß. Angeekelt betrachtete er ihr schemenhaftes Spiegelbild in der Scheibe rechts von ihm. So war sie leichter zu ertragen, hier war sie nicht real, nur ein Abbild einer Person. Knud fragte sich, ob es nicht besser wäre, nur noch Spiegelbildern zu begegnen, die riechen nicht und wenn man die Augen schließt, sind sie weg.
An einer Raststätte machten sie halt. Die Mehrzahl der Leute ging zur Toilette, Knud rauchte hastig. Zündete sich eine an der anderen an, unterbrochen nur von einem kurzen Gang zum Kiosk, wo er sich etwas zu trinken besorgte. Auch die Frau rauchte, auch viel, auch hastig. Knud bemerkte, dass sie zu ihm schaute. Sie stand nur ein paar Meter entfernt, die Zigarette ständig am Mund. Knud wollte nicht mit ihr sprechen, musste nicht, konnte gar nicht mit ihr sprechen. Spiegelbild das sie war.
Obwohl er gern noch eine geraucht hätte, stieg er ein. Er wollte auf seinem Platz sein, bevor die Frau wieder saß. Hätte er sich doch sonst an ihr vorbei quetschen müssen, oder gar fragen, ob er denn bitte an seinen Platz dürfe. Im inneren des Busses war es kühl, vereinzelt brannten kleine Leselampen über den Sitzen, deren gelbes Licht dick wirkte. Langsam füllten sich die Sitzreihen wieder. Die Menschen kamen zurück, fröhlich plappernd, aufgeheitert durch die Bewegung und die Abwechslung in deren Genuss sie gekommen waren. Auch die Frau kam den Gang entlang, Knud mit den Augen suchend um ihren Platz zu finden. Der wand den Kopf wieder zu Seite, nur eine Spiegelung betrachtend wie sie sich auf einen Sitz setzte, den es ebenso wenig gab wie die Person. Schon seit geraumer Zeit rollten sie wieder über die Autobahn. Knud hatte die Fahrt in Abwesenheit verbracht, als er eine Stimme hörte. Näher als die anderen, fordernd, fragend. Irritiert sah er sich um. Es war die Frau neben ihm, die jetzt lächelte und wieder sprach, doch Knud hörte nur, verstand nicht. Es schien als wäre er so lange fort gewesen, dass er die menschliche Sprache verlernt hatte, musste sich erst wieder an sie gewöhnen, sie neu lernen.
„Will dich nicht stören,“ verstand er dann, „aber ich hab vergessen mir was zu trinken mit zu bringen. Könnte ich vielleicht einen Schluck von deinem Wasser haben?“
Knud zögerte, blickte auf die grüne Wasserflasche vor ihm und war außerstande einen klaren Gedanken zu fassen.
„Hast du dir denn nichts mitgebracht.“, sagte er mehr zu sich selbst und reichte ihr die Flasche, obwohl er selbst nicht verstand warum. Dankbar nahm sie ihm die Flasche ab und trank hastig in langen Zügen. Knud betrachtete sie beim trinken und ekelte sich mehr, als sie absetzte und sich ein langer Speichelfaden von der Flaschenöffnung bis zu ihrem Mund zog. Ihm wurde schlecht.
„Die Flasche können sie behalten. Ich will sie nicht mehr.“
„Hey, Hey! Ich wisch ja ab. Hab keine Krankheiten. Sei nicht so spießig.“, antwortete sie überheblich. Knud sagte nichts. Der Ekel vor dem Menschen war zu groß, als dass er sich hätte überwinden können sich weiter mit ihr abzugeben. Er wollte nicht mit dieser Person konfrontiert werden. Ihre Anwesenheit flößte ihm schon genügend Angst ein, dass sie so nah bei ihm saß, verstärkte das noch mehr. Nachdem sie die Öffnung an ihrem Kleid abgewischt und den Deckel aufgeschraubt hatte, hielt sie ihm die Flasche hin. Knud machte keine Anstalten das Wasser aus ihrer Hand zu nehmen, schaute geradeaus und hoffte, sie würde aufgeben und kapieren, dass er genug hatte. Von ihr und wahrscheinlich auch von allen anderen. Sie hielt weiterhin die Flasche hin, provozierte ihn, „Bist wohl was besseres, oder wie? Da hab ich mich ja neben den Richtigen gesetzt.“ Knud schwieg weiter.
„Nimm jetzt schon die beschissene Flasche, kann auf Almosen deinerseits verzichten.“, resolut fügte sie hinzu, „Ich geb’ dir das Geld“, und kramte in ihrer Handtasche bis sie ihr Portemonnaie gefunden hatte und es hervor zog.
„Können sie sich nicht wo anders hinsetzen.“, presste er immer noch starr nach vorn blickend zwischen den Lippen heraus. Die Frau stockte kurz, legte ein Zweimarkstück auf die Armlehne zwischen ihnen, blieb aber sitzen und trank laut schluckend die Flasche aus. Als sie absetzte rülpste sie leise und Knud roch ihren Magen. Die Säure und der Gedanke wo der Geruch her kam ließen ihn zusammenzucken. Mit Daumen und Zeigefinger hielt er sich die Nase zu, spürte wie der Brechreiz im Rachen sich ausweitete und gab nach. Knud kotzte sich über die Oberschenkel und obwohl er nicht viel gegessen und getrunken hatte spritzte noch eine beachtliche Menge unidentifizierbarer Pampe auf seine Sitznachbarin. Als er die Tränen aus den Augen bekommen hatte, sah Knud, dass etliche Passagiere um ihn herum standen und mit ihren Blicken durchbohrten. Irgendwo hörte er, dass sich ein oder zwei empfindliche Mägen ihm angeschlossen hatten. Die Frau neben ihm starrte auf die Flecken auf ihrem Kleid. Grünliche Schlieren klebten an ihren nackten Armen und stanken.
Knud stand auf dem Rastplatz isoliert von den Anderen. Die Hosenbeine hatte er notdürftig mit Klopapier, Wasser und Seife gereinigt. Den Gestank der Magensäure wurde er aber nicht los und da er nichts zum Wechseln bei sich hatte, fand er sich damit ab. Der Busfahrer hatte sich schnell beruhigt, als er gesehen hatte, dass nur ein paar Spritzer von Knuds Erbrochenem auf dem Boden des Busses gelandet waren. Die Anderen, die dem Geruch nicht standgehalten hatten, konnten rechtzeitig Tüten oder sonstige Behälter auftreiben um ihren Mageninhalt aufzufangen. Knud beschloss, einen kleinen Spaziergang zu machen um dem Geplapper der Leute zu entkommen. Er lauschte dem Rauschen der Bäume im Wind und störte sich nicht an den Geräuschen der gelegentlich auf der Autobahn vorbeirasenden Autos. Die Luft war warm und der Wind blies den Kotzegeruch seiner Hosen von ihm Weg. Es gefiel ihm in der Dunkelheit alleine zu stehen. Er atmete tief ein als er einen Pfiff hörte und sich umdrehte. Der Busfahrer gab ihm Zeichen, dass es an der Zeit wäre weiterzufahren und die unfreiwillige Pause schon lange genug dauerte. Nur widerwillig ging Knud zurück und als er an seinen Platz kam, stellte er erstaunt fest, dass die Frau wieder den Sitzplatz neben ihm eingenommen hatte. Sie stand wortlos auf und machte ihm Platz. Als er saß und verschämt versuchte sie nicht wahrzunehmen sah er, wie sie ihm etwas hinhielt. Das Zweimarkstück lag in ihrer flachen Hand, glänzte leicht. Knud nahm zögernd das Geld, schaute ihr Kurz in die Augen und sagte leise „Danke“, als der Motor ansprang und sich der Bus langsam in Bewegung setzte.
 



 
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