gehirnwäsche

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M

margot

Gast
I

wir waren eine kleine gruppe. die anderen waren in
der überzahl. sowieso.
sie bezeichneten uns als konservativ und verkrustet.
wir stellten uns gegen die revolution. es hatte sich
schnell geändert. niemand wollte es so schnell.
ich konnte es damals nicht glauben und kämpfte.
inzwischen änderte auch ich mich.
eigentlich war es ein geschlechterkampf.
die frauen allein hätten uns nie besiegt, aber sie hatten
die meisten von uns auf ihrer seite.
auch wir bildeten eine gemischte gruppe. es war eine
zeit des übergangs. gleichheit zwischen den geschlechtern
gibt es nicht auf dauer. es war ein kampf, den wir verloren
hatten. viele von uns gingen in den untergrund mit ihrem
„frauen-haß“.
es hieß immer noch gleichheit, obwohl der kampf längst
entschieden war. nun hieß es auch für uns „kinder-kriegen“.
sie spritzten uns hormone und drogen. wir wurden zu
gebärmaschinen umgerüstet. es ist nicht lange her, da
wollten sie mich noch haben. sie hatten mich als tapferen
mitstreiter in erinnerung. magda besuchte mich in meiner
wohnung und sah das totale chaos. während ich mal
wieder richtig geil drauf war, eine frau im bett zu haben.
und magda gab sich wirklich mühe, mich zu befriedigen,
aber es klappte nicht. ich lag in ihren armen und heulte.
wir hatten keine chance. dann kam die gehirnwäsche.
es muß so richtig sein. sie hatte mitleid mit mir.

die frauen hatten uns geschafft. ich lebte mit einer zu-
sammen. christine. sie war ein hohes tier. direktorin oder
so in einer fabrik, in der damenunterwäsche genäht wurde.
ich hatte mich nie sonderlich für ihren beruf interessiert.
wir hatten zusammen eine 4-jährige tochter, und ich
musste mich um den haushalt kümmern. ich musste nicht
arbeiten. ich war nie wild auf arbeit gewesen. die haus-
arbeit konnte ich mir frei einteilen.
eines abends kam christine mal wieder erschöpft und
gereizt nach hause.
„ist immer noch kein essen auf dem tisch?! ich habe hunger!“
„ich weiß, mein schatz, aber der mann ist kein d-zug.“
„und du, patricia (unsere tochter), du starrst ja vor schmutz!“
und an mich gewandt: „paß doch ein bisschen besser auf die
kleine auf!“
es folgte betretenes schweigen unsererseits. ich rührte am
eintopf., während sich meine frau auf die eckbank fallen ließ
und in der zeitung blätterte.
„patricia, legst du schon mal das besteck zurecht.“
und meine frau motzte, was das zeug hielt.
„schon wieder eintopf – igittegitt!“
ich hatte mir weiß gott wie viel mühe gemacht, und das
war der dank. da konnte einem ja der appetit vergehen.
während des essens ging es mal wieder darum, wer von
uns das nächste kind gebären sollte. sie meinte:
„ich habe das erste kind ausgetragen – jetzt bist du dran!“
„du weißt, wie kompliziert eine bauchhölenschwangerschaft
ist“, erwiderte ich.
worauf christine mich anschnauzte: „ warum sollen nur die
frauen die qualen auf sich nehmen? ihr männer seid ein
feiges pack! beweist doch mal, dass ihr männer seid!“
„ich habe keine lust, das zu beweisen. das widerspricht doch
jeder natürlichen vorstellung.“
christine schaute nach meinen worten höhnisch in die runde,
als ob sie vor dem betriebsrat ihrer firma säße.
„natürliche vorstellung, was heißt denn das?! der mensch
ist kein affe. wir müssen von diesen animalischen praktiken
wegkommen. wenn alles so wäre, wie es von natur wegen
schon ist, das wäre doch todlangweilig. der mensch ist
sowas wie der gegenpol zur natur – der mensch bringt die
action!“
und nach einer kurzen pause des luftholens: „womit habe
ich nur einen solchen mann als schlappschwanz verdient?!“
patricia schaute unschuldig fragend zu uns rauf.
„mami, was ist ein schlappschwanz?“
ich deutete auf mich. „hier siehst du einen.“
patricia lachte: „papi, du bist ein schlappschwanz!“
unglaublich wie kinder ein verfahrenes gespräch unter
erwachsenen auflockern können.
„ist sie nicht zum schießen, unsere kleine?“ christine wirkte
entspannter. „papa ist sogar ein großer schlappschwanz ...“


II

nach dem abendessen brachte ich patricia zu bett.
sie war mir das teuerste, der einzige mensch, der mich nahm,
wie ich war.
„erzähle mir eine geschichte“, bettelte sie und schaute mit ihren
großen, unschuldigen augen in meine fratze.

„es war einmal“, begann ich, „ es war einmal eine kleine
prinzessin, die von einem wunderschönen prinzen träumte.
doch die böse, böse hexe wollte ihre träume stehlen!“
patricia schnitt eine grimasse.
„ohne träume sind kleine prinzessinnen nämlich aufge-
schmissen“, fuhr ich fort, „und die hexen haben ihre wahre
freude dran. so auch in unserer geschichte. wenn die kleine
prinzessin abends in ihrem bettchen lag und schlief, kroch die
böse hexe zu ihr durchs schlüsselloch ins zimmer. die hexe
konnte sich so dünne machen, dass es ihr sogar gelingen würde,
durch ein nadelöhr zu schlüpfen. aber einmal blieb sie
doch stecken, weil sie zuvor 7 hühner gefressen hatte.
stell dir nun die hexe vor, wie sie würgte und drückte und
schnaufte und schwitzte. dabei verzog sie ganz fürchterlich
ihr gesicht. schau! so ... und so!“ ich prustete, und mein gesicht
lief rot an. ich würgte und verdrehte die augen. patricia kicherte
und zog sich die steppdecke über den kopf.
„bumm! machte es. bumm! wie bein entkorken einer sekt-
flasche, und plötzlich verwandelte sich die hexe in ein geschoß!
durchschlug auf ihrem flug 3 kuhställe und 4 bauern, die auf
der stelle tot umfielen. schließlich blieb die hexe im hintern
eines ochsen stecken. und der rannte los, wie von der tarnatel
gestochen, indes die böse hexe in seinem allerwertesten
verweilte und sich die nase zuhob. der ochse rannte 2 tage und
2 nächte wie wild durch die gegend, bis er endlich erschöpft
zur ruhe kam – und einen höllischen furz ließ –
mit dem er die hexe freilich an die frische luft beförderte.
und die hexe, sie ist diesen gestank nie mehr ganz losgeworden.“
ich gähnte. erzählen machte müde.
„also, die kleine prinzessin lag in ihrem bettchen – völlig
ahnungslos, da verdunkelte ein schatten ihr vom mondlicht
angestrahltes haupt ...“ ich beugte mich über patricia.
„der schatten kam von der hexe!“ ich küsste patricia auf ihre
wange. „und morgen abend erzähle ich dir, was für einen
teuflischen plan die hexe ausheckte.“
„papi, du stinkst nach bier.“
ich wünschte patricia eine gute nacht, ging ins bad und
putzte mir die zähne.


III

unser sexualleben war auf dem nullpunkt angelangt.
das hatte 2 gründe: einen biologischen, denn ich brachte es
nicht mehr im bett – und einen seelischen, weil zwischen
unseren geistern eine tiefe gruft bestand. wir brachten es nicht
mal fertig, uns gegenseitig ein paar streicheleinheiten zu schenken.
banalitäten beherrschten unser zusammenleben, und als dauer-
gast im hintergrund die heuchelei.
vollgestopft mit psychopharmika durchstand ich irgendwie den
alltag. trug ich im grunde nicht selbst die schuld an meinem
schicksal? hätte ich mich damals während meiner „potenten“
zeiten nur nicht unsterblich in christine verliebt ..., und ich fragte
mich seitdem oft: warum bin ich ein mann? warum bin ich so
schwach?
der einzige trost, den ich mir geben konnte – war, dass die
meisten männer in derselben situation steckten wie ich.
ich wollte abhauen. in die türkei oder in ein anderes östliches
land. dort lachten sie uns aus. 3 milliarden lachten, als sie davon
hörten, das unmögliche in den zeitungen lasen. der dickarschige
amerikaner und der ach so fortschrittliche europäer waren dem
rest der welt immer ein stück an dekadenz und perversion voraus.
christine hatte einen liebhaber, einen aus dem untergrund im
vollen besitz seiner männlichkeit. ich musste schreien vor
lachen, als sie mich mit ihm neckisch verglich.
ich wollte abhauen. nichts ging mehr. da war nur patricia, und
ich erzählte ihr vor dem schlafengehen eine geschichte.

„gerade träumte die kleine prinzessin von ihrem märchenprinzen.
die hexe aber machte sich dünn, so dass sie durch das linke ohr
in das hirn der kleinen prinzessin schlüpfen konnte. und dort
entdeckte sie das liebespaar gleich – hand in hand gingen sie im
kopf der kleinen prinzessin spazieren.
eine gnadenlose verfolgungsjagd begann durch ein unübersehbares
wirrwarr von gängen. das prinzesschen suchte verzweifelt nach
einem ausweg und wälzte sich im schlaf hin und her. die hexe
hatte die beiden fast eingeholt. sie ritt auf einem mini-besen
und war viel schneller. auf den besen war sie ganz arg stolz.
sie hatte ihn in einem supermarkt gekauft mit der garantie:
überholt jeden düsenjet und lässt sich in beliebiger größe reiten.
er war noch nagelneu, und die hexe setzte ihn zum ersten mal
ein. die furcht der liebenden vor der herantosenden hexe ver-
wandelte sich im augenblick der höchsten not in ohnmächtige
wut, und sie schrieen so laut sie konnten: „du gemeine, blöde
hexe!!!“ so laut, dass das gehirn der kleinen prinzessin davon
aufwachte. wenn ein gehirn aufwacht, ist der teufel los.
tausende von gedanken fingen an sich zu regen. als die sahen,
was für eine abscheulichkeit sich in ihrem heiligtum abspielte,
fackelten sie nicht lange und prügelten die hexe da raus, wo
sie reingekommen war. ganz grausam richteten sie die hexe
zu, und ihren super-besen zerhieben sie zu kleinholz.
batsch, batsch, bumm!“


IV

am nächsten morgen besuchte mich jürgen. in viel zu weiten
cordhosen, ein erinnerungsstück seiner früheren körperfülle,
und mit einem schrägen grinsen humpelte er auf mich zu.
wir umarmten uns.
„komm, alter freund, setzen wir uns ins wohnzimer.“
in der wohnung sah es aus wie nach einer hausdurchsuchung.
schmutzige wäsche lag auf dem boden verstreut, alte zeitungen
lagen stapelweise in den ecken. eine mit geldnoten bedruckte
klopapierrolle war durch die ganze wohnung gerollt.
„ich wusste gar nicht, dass bei dir das geld auf dem boden
herumliegt“, jürgen kicherte.
„patricias werk. du weißt ja, wie das ist, wenn keine frau im
haus ist.“
wir räumten im wohnzimmer die bücher von den sesseln.
„sag mal, was machst – oder wo steckst du den ganzen,
lieben tag lang? hier ist ja alles zugebaut.“
„im bett.“
wir saßen uns noch eine weile schweigsam gegenüber.
ich holte bier.
„christine will sich scheiden lassen. sie hat einen anderen.
stell dir vor, der arbeitet in der redaktion der männerzeitung
„otto“. gegensätze ziehen sich wohl an. wahrscheinlich will
jeder den anderen umkrempeln.“
„bist du nicht froh, dass du sie endlich los bist?“
„sie nimmt patricia mit, und ich hänge an der kleinen.
ich hätte damals einer bauchhölenschwangerschaft zu-
stimmen sollen, dann könnten sie mir jetzt patricia nicht
ohne weiteres wegnehmen. als „mutter“ hätte ich bessere
chancen, das sorgerecht zu bekommen.“ hinter meinen
worten steckte zynismus. ich lächelte süß-sauer.
„mir kommt es manchmal vor, als hätte sich alles gegen
mich verschworen.“
jürgen räusperte sich in seinem sessel und hauchte über
die bierdose: „jaja ...“
wir saßen bis in den nachmittag zusammen, diskutierten
über das thuwabohu auf der welt und kamen wie immer
zu dem schluß, dass sowieso bald alles vorbei sein würde.
es sei nur eine frage der zeit und „blablabla“. als wir das
bier leer hatten, beendete ich das gespräch:
„patricia kommt gleich vom kindergarten. ich muß was
zu essen machen.“
wir verabschiedeten uns überschwänglich. jürgen klopfte
mir kameradschaftlich auf die schulter und rülpste:
„nimm`s nicht so schwer, alter. mach`s beste draus.“
ich grinste ihn breit an. „nett, dass du vorbeigeschaut
hast. besuche mich doch mal wieder. die wohnung ließ
mir cristine. also vorerst keine adressenänderung, klar?!“
ich knffte ihn in die seit und schmiß hinter ihm die tür
zu.
ravioli. patricia war in tränen aufgelöst. sie aß fast nichts.
„papi“, schluchzte sie, „da war ein böser junge, der ...
der ärgerte mich immer. der trampelte auf meinen sand-
kuchen rum.“ ich ahm patricia auf meinen schoß.
„alle jungs sind böse“, stammelte sie, „sie hänseln uns,
weil wir mit puppen spielen. sie bauen große sandburgen
und machen unsere kuchen kaputt!“
„die sind nur neidisch“, sagte ich ernst und strich über
ihr langes, blondes haar.
„deine haare sind ganz sandig. komm, wir gehen sie
waschen.“
ich wusch nicht nur den sand von ihrem kopf sondern
auch den ärger aus ihren kopf. gehirnwäsche. es war
ein riesenspaß.
am nächsten tag holte meine frau patricia vom kinder-
garten ab, und ich wartete vergeblich. ich durfte sie
so oft besuchen, wie ich wollte, vorausgesetzt ich
war nüchtern.



(1982)
 

Rainer

Mitglied
...flüssig und mit freuden zu lesen...

hallo margot,

kurze antwort weil in eile: leider steht dein text alleine etwas "verlassen" da, in einem (von dir ja angekündigten) roman wäre es eine nette episode (nicht abwertend gemeint). so herausgerissen verstehe ich ehrlich gesagt nicht ganz die zusammenhänge zwischen offensichtlicher fiction, gleichnishaften gedanken und dem "realteil".

grüße

rainer

p.s. scheiß..., flüssig und mit... beamt deinen text nur auf 5,79 - na so hatte ich das aber nicht gemeint (muß ich mal in mein profil schauen, wie weit ich schon wieder gesunken bin).
 
M

margot

Gast
rainer, ich veröffentliche nicht, um gute wertungen zu
bekommen. ich liebe diesen text, weil er einer meiner ersten etwas längeren prosa-texte war, und weil das thema
heute wie damals unwahrscheinlich präsent ist. aus verschiedenen perspektiven natürlich. den roman gibt
das leben. deins und meins.
drum keine fortführung in diesem falle. es käme nur
humbug heraus.

danke für deine antwort

ralph
 

Schakim

Mitglied
hi, margot!

Was mich bei Dir immer wieder erstaunt, wenn ich so "alte" Texte von Dir lese, ist, welche "Weisheit" Du damals schon an den Tag gelegt haben musst. Wenn ich denke, wie es wohl zwanzig Jahre spätern sein wird, dann höre ich auf mit Denken... habe längst Parkinson und realisiere nicht mehr viel... Du hättest damals schon veröffentlichen sollen! Vielleicht hast Du ja auch... Jedenfalls finde ich die story of the witch gut.

Gute Nacht!
Schakim
 
M

margot

Gast
schakim, die "hexe", wer ist sie?
ich habe angst, daß die hexenmeister in der heutigen zeit
immer unpersönlicher werden ...

mit frauen, die die männer hassen, hatte ich mitunter den
den besten sex. höre thin lizzy!
dann geht dir ein licht auf.

vielleicht.

ralph
 



 
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