gekürzter Auszug aus einem Roman

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Fegefeuer II
Zu Weihnachten wurden alle Kranken, auch jene, die eine dauernde Pflege benötigten, entlassen, sofern sie nur jemanden hatten, der für sie über die Feiertage sorgen würde. Es blieben dann immer noch welche auf der Station, frisch operierte Kranke und solche, die nirgends hingehen konnten. Die Krankenschwestern saßen nach Möglichkeit ohne zu arbeiten in den überheizten Diensträumen, tranken Kaffee und rauchten.Es war eine Zumutung, an Feiertagen arbeiten zu müssen.Die PatietInnen lagen dann in ihren Betten, nachdem auch die letzten Besuch gegangen waren und weinten. Schwester Annemarie, die Krankenschwestern wurden ausschließlich mit ihren Vornamen angesprochen ob sie das passend fanden oder nicht und so hatte sie später, wenn man Frau S. zu ihr sagte, oft ein eigenartiges Gefühl, so , als ob man ein Schulkind plötzlich mit Frau und Nachnamen ansprechen würde und sie überlegte dann kurz, woher das wohl kam, denn sie war inzwischen nicht nur kein Kind mehr, sondern recht alt; trotzdem hatte man sie ein Leben lang mit dem Vornamen angesprochen, sodaß sie sich selbst nicht ganz ernst nehmen konnte, ihre Person; Schwester Annemarie hatte schon alle Medkamente hergerichtet, auch das Verbandzug.
Das mit dem Vornamen, ein flüchtiger Gedanke, den sie unlängst in der Apotheke gehabt und rasch wieder verscheucht hatte wie eine Unannehmlichkeit, mit der sie sich lieber nicht abgeben wollte. Aber da war was dran. Schwster Annemarie hatte nicht nur alles hergerichtet, sie ging jetzt von Zimmer zu Zimmer, von Bett zu Bett, teilte Beruhigungs,-Schmerz- und Schlaftabletten aus, tröstete, redete zu und verwünschte wie jedes Jahr dieses Weihnachtsfest, welches hierzulande, nachdem Ende September
schon die ersten Reklamsendungen auf buntem Glanzpapier an den Eingangstüren und in den Postkästen aufgetaucht waren, wie immer dieses Fest,wie es ablief mit seinen ansteigenden Tendenzen auf den Höhepunkt zu, wie immer, nachdem der allgemeine Kaufrausch, die kollektive Verrücktheit, wer wem was noch schenkn wollte, sollte, müsste, verflogen waren wie eine Krankheit, spitzte sich jetzt alles zu auf den 24. Dezember, auf Mittag, Nachmittag und Abend. Der Abend. Die Leute hatten alle Erwartungen an ihre Verwandten, Kinder, wen auch immer, sie wussten selber alle nicht, an wen, aber sie hatten Erwartungen und alls konzentrierte sich auf diesen Abend.
Am nächsten Morgen waren in den frisch gedruckten Zeitungen schon Berichte über die sogen. Familientragödien, also leicht vorhersehbare und so gesehen Ereignisse, die eigentlich verhindert hätten werden können. Aber wie, nachdem ja alle so versessen waren darauf, dass es sich so abspielen müsse , so und nicht anders...

Am nächsten Morgen auf dem Weg nach Hause, sah sie den frisch gefallenen Schnee, er war noch ganz unberührt, höchstns die Spur einer Krähe war zu sehen. Ganz unberührt war er wie ihr Herz nie mehr sein würde.
M.Sch.
 



 
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