in Sachen Politik (1797)

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flying theo

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Ich war bereits zehn Tage in Ansbach, als mir der Wirt nach einem Spaziergang ein versiegeltes Billet übergab. Es sei im Laufe des Nachmittags von einem Boten für mich abgegeben worden. Mit Mühe brachte ich die Geduld auf, die Nachricht erst in meinem Zimmer zu öffnen. ‘Bei vorhan-denem Interesse,’ so hieß es in dem Schreiben, ‘werdet Ihr gebeten Euch am Nachmittag des folgenden Samstag in der Dorfschänke von Kattenbach zu einem Gespräch einzufinden.’ Unterzeichnet war das Schreiben mit ‘Jakob Rivet - Sekretaris Graf Montgelas’.
Das war es. Meine Geduld hatte sich gelohnt. Kattenbach, das hatte ich schnell in Erfahrung gebracht, war ein Dorf außerhalb von Ansbach, gen Nordosten, also in Richtung Nürnberg gelegen. Die drei Tage bis zum Samstag zogen sich schrecklich. Nun hatte ich so lange geduldig gewartet, aber nun schien mir meine Ausdauer plötzlich verbraucht. Ich zwang mich zur Ruhe. Meine Vorbereitungen waren getroffen. Mehr konnte ich nicht tun. Mit gespielter Gelassenheit aß ich am Samstag in meinem Gasthof zu Mittag, bevor ich mit einem kleinen Einspänner hinaus fuhr nach Kattenbach. An der Dorfschänke angekommen wurde mir schnell klar, warum Rivet diesen Treffpunkt gewählt hatte. Eine ganze Reihe von Fahrzeugen stand vor dem Eingang und aus den Räumen erklang Musik und der Lärm eines Dorffestes. Ich zwängte mich durch den Eingang und fand eine Lücke am Tresen des Gasthauses. Ein Krug Bier wurde mir hingestellt, ohne bestellt zu haben. Auf meine Nachfrage sagte man mir, dass der Dorfschulze die Rechnung trüge. In diesem Trubel würde unser Treffen sicher nicht auffallen. Da ich den Sekretär Rivet nicht kannte, musste ich mich darauf verlassen, dass ich ihm - woher auch immer - bekannt sei. Nach etwa einer halben Stunde sprach mich jemand von hinten an: “ Monsieur ‘ainz, sil vous plait, venir avec moi.” ‘kommen sie bitte mit’ Ich drehte mich zu dem Sprecher um und schlängelte mich hinter ihm durch die Leute. Er ging zielstrebig auf eine Seitentüre zu. Ich folgte ihm durch die Türe und wir befanden uns in einem Nebenraum, der ebenfalls voller Menschen war. Kaum waren wir eingetreten, erhoben sich zwei Männer, die an einem Tisch saßen sichtlich mit der Absicht uns Platz zu machen.
Das war gut organisiert. Gute Organisation weiß ich zu schätzen. Denn das ist ein hervorragender Indikator der Qualität eines Unternehmens. “Monsieur ‘ainz” der Mann sprach weiterhin französisch. Sei es, dass er von den Dörflern nicht verstanden werden wollte, sei es, dass er selbst nicht deutsch sprach. “Mein Name ist Rivet. Freiherr von Cetto ließ uns wissen, dass ihr ein Mann seid, mit dem zu sprechen sich lohnen könnte. Was denkt Ihr, wie kommt er zu dieser Einschätzung?”
Ich musterte ihn. Rivet war ein schlanker Mann in den Dreißigern mit blasser Haut aber wachen, aufmerksamen Augen. “Wie der Freiherr von Cetto seine Meinung bildet entzieht sich meine Kenntnis. Er war der Auffassung ich sollte mit dem Grafen Montgelas sprechen, warum auch immer. Ich habe ein kleines Mémoire verfasst, das Ihr gerne dem Grafen überbringen könnt. Darin habe ich meine Gedanken zusammen gefasst, die ich auch mit Cetto besprochen habe. Sofern dem Grafen Montgelas nach dieser Lektüre noch immer an meiner Unterstützung gelegen ist, bin ich gerne dazu bereit.” Damit überreichte ich ihm meine schriftliche Ausarbeitung.
“Wie könnte eine solche Unterstützung aussehen?” Fragte er mich. “Es tut mir leid, das würde ich dann mit dem Grafen lieber selbst besprechen.” Er nickte Verständnis signalisierend. “Wir werden gegebenenfalls wieder auf Euch zukommen. Könnt Ihr noch eine Woche in Ansbach bleiben?” "Kein Problem." Er nickte und war mit einem kurzen “Au revoir” wieder durch die Tür verschwunden. Ich hielt mich noch an meinem Krug Bier fest, das übrigens ganz hervorragend schmeckte, und kehrte erst wieder nach Ansbach zurück nachdem ich mir einen zweiten Krug des Gerstensaftes genehmigt hatte. Ich durfte tatsächlich für das Bier nicht bezahlen, so überließ ich dem Schenkkellner ein paar Kupferpfennige als Trinkgeld.
Drei Tage später - ich hatte mir schon überlegt ob ich etwa Unsinn geschrieben hatte - wurde beim Wirt wieder ein Billet abgegeben. Darin wurde ich von Monsieur Rivet instruiert, dass ich mich am folgenden Tag gegen Neun Uhr am Vormittag bereit halten möge. Eine Kutsche würde mich abholen. Tatsächlich hielt diese, wie angekündigt vor der ‘Post’ und der Kutscher ließ mich holen. Ich eilte hinunter und fragte den Kutscher, wo es denn hingehen sollte. “Sie werden sehen,” war die kurz angebundene Antwort. Nun gut, wenn man so große Geheimhaltung für nötig hielt, ich konnte das nicht beurteilen.
Vier Tage waren wir unterwegs. Hielten und übernachteten in kleinen Gasthöfen und kamen schließlich am späten Abend des vierten Tages in Heidelberg an. Das hätte ich billiger haben können. Schließlich war ich vor zwei Wochen erst hier gewesen. Der Kutscher fuhr aber durch Heidelberg hindurch, um dann im Schritt -Tempo, inzwischen war es stockfinstere Nacht, weiter zu fahren bis zu einem kleinen Landschlösschen.
Zwei Bedienstete begleiteten mich hinein und in einen gemütlichen Schlafsalon. Ich wurde hier erwartet, denn die Bediensteten sprachen mich mit ‘Herr Hainz’ an. Also hatte das wohl seine Richtigkeit. Wenn ich die Heimlichkeiten auch akzeptieren konnte, so war ich doch nervös. Ich hatte beispielsweise meinem Wirt in Ansbach kein Wort davon gesagt, dass ich länger wegbleiben würde. So konnte unter Umständen unliebsame Aufmerksamkeit geweckt werden. Am nächsten Morgen überraschten mich die Bediensteten mit frischer Körperwäsche. Unvorbereitet wie ich war, hatte ich keinerlei Bekleidung zum Wechseln dabei. Aber in angenehmster Weise war diesbezüglich vorgesorgt. Nach dem Frühstück eröffnete mir der Majordomus - zumindest hielt ich ihn dafür -dass Graf Montgelas mich gerne gegen Zehn Uhr begrüßen würde.
Mir fiel auf, dass in dem Hause eine lebhafte Putz- und Räumaktivität festzustellen war. Weit über das übliche Reinemachen hinausgehend. Einer der Bediensteten, den ich fragte, teilte mir - voller Staunen über mein Nichtwissen –mit, dass seine Durchlaucht zwei Tage vorher im Schloss seine Vermählung mit Caroline von Baden gefeiert habe. Die frisch Vermählten seien aber bereits gestern nach Ansbach abgereist. Ich war schrecklich aufgeregt. Hatte ich doch seit einigen Wochen auf dieses Treffen hingearbeitet.
Graf Montgelas empfing mich in der Bibliothek. Er war eine bemerkenswerte Erscheinung. Wirklich klein von Wuchs und mit einem Prachtexemplar von Nase geschmückt. Aber über dieser Nase zwei hellwache Augen, denen nichts zu entgehen schien. Er begrüßte mich auf französisch, wie ich überhaupt nur französisch mit ihm gesprochen habe. Später habe ich in München Leute behaupten gehört, er sei der deutschen Sprache nur in beschränktem Maße mächtig. Das mag sein. Ich aber bin der Meinung Graf Montgelas dachte, fühlte und agierte französisch. Wenn er auch liberalem Gedankengut aufgeschlossen schien, so war er letztlich doch ein Kind des ‘ancién Regime’.
“Wahrlich Herr Hainz,” so seine Begrüßungsworte, “Ihr überrascht mich.” Ich rückfragte, während ich ihm die Hand drückte: “Auf welche Weise ist mir dies gelungen, Graf Montgelas?” Er wies auf meine schriftlichen Entwürfe, die neben ihm auf dem Tisch lagen. “Niemals habe ich jemanden kennen gelernt, der Machiavellist und Sozialreformer gleichzeitig war.” Unter dem Begriff Sozialreformer konnte ich mir noch etwas vorstellen. Aber den Begriff ‘Machiavellist’ hatte ich nie vorher gehört. Ich beschloss das nicht zu offenbaren. “Was ist daran denn so verblüffend?” Vielleicht sprang auch hier der Hase aus dem Busch! “Nun, was den Umgang mit Macht angeht, scheint Ihr ein Machiavellist reinsten Wassers zu sein. Wohingegen ihr bei der Innenpolitik gefährlich nahe an revolutionäres Gedankengut geratet.” Recht viel weiter hatte mich mein taktischer Winkelzug noch nicht gebracht. Mein Gegenüber war aber auch ein gewiefter Politiker, wenn meine Informationen zutrafen.
“Graf, wenn jemand etwas Gutes schlecht ausführt, dann wird es deswegen noch nicht als solches schlecht.” Graf Montgelas schmunzelte genießerisch. “Ich höre, ihr versteht euch auch auf Dialektik. Nun dann wollen wir untersuchen, was von Eueren Anmerkungen brauchbar sein könnte.”
Und so diskutierten wir die verschiedensten Methoden und Möglichkeiten wie Baiern für die Zukunft innen- und außenpolitisch gerüstet werden könnte. Wir versäumten das Mittagessen und hätten wohl auch auf das Dinner vergessen. Der Graf war ein umfassender Geist mit großem Wissen und noch mehr Erfahrung. Man hätte es nicht für möglich gehalten, dass dieser Mann erst Achtunddreißig Jahre zählte. Der Majordomus rief uns zum Abendessen, was wir - obschon hungrig - eher unwillig bestätigten. Als vorläufiges Résumée stellten wir gemeinsam fest, dass wir in wesentliche Fragen nicht so weit auseinander lagen. Wobei einige meiner Ideen bei näherem Hinsehen wohl interessant aber doch in der Praxis nicht durchführbar waren. Das große Wissen um Verwaltungsmechanismen und praktische Politik hatte Graf Montgelas mir alleine schon wegen seiner Laufbahn voraus. Ich meinerseits wiederum war in der Lage Lösungsvorschläge zu sehen, die Montgelas gar nicht in den Sinn kamen. Wir hatten beide Vergnügen am intellektuellen Diskurs, den wir nach dem Essen mit Vergnügen fortsetzten.
Spät abends fragte Graf Montgelas, mitten in ein strittiges Problem hinein: “Welche Position wollt Ihr in einer Verwaltung des Kurfürsten Max Joseph bekleiden?” Ich hatte, in die andere Thematik versunken, nicht auf die Frage geachtet und führte das Thema weiter aus.
“Monsieur ‘ainz, ich fragte mit welchem Amt ich euch in der Regierung von Max Joseph betrauen soll?” Ich schaute ihn an, als hätte ich ihn zum erstenmal gesehen. “Mit keinem, Graf Montgelas, mit keinem!” Ich hob beide Hände. “Alles das, was wir hier besprechen, berührt mich als Patriot. Aber ich will keinerlei Amt von ihnen. Ich habe andere Pläne.” Er blinzelte mit seinen gewitzten Augen. “Aber warum diskutieren wir hier dann die zukünftige Regierungspolitik?” Ich lachte. “Nicht, weil ich mich bei euch bewerben will, sondern weil wir beide Interesse an Baiern und einem guten Gespräch haben.” Graf Montgelas war noch nicht zufrieden. “Wenn ich mich recht erinnere, so war die Rede davon, dass Ihr der neuen Administration nützlich sein wolltet?!”
Ich schmunzelte. “Das ist offensichtlich falsch verstanden worden. Meine Absicht war eine Andere. Ich möchte euch, beziehungsweise Herzog Max Joseph ein zinsloses Darlehen anbieten. Ich habe gehört, dass es um die Finanzen von Herzog Max Joseph nicht zum Besten steht. Ich bin kein Krösus. Aber einen Betrag von Fünfundsiebzigtausend Gulden könnte und würde ich gerne zur Verfügung stellen.” Das Fragezeichen in Montgelas Gesicht war einer erheblichen Verblüffung gewichen. “Während ich gedachte euch zu examinieren, habt ihr dasselbe mit mir gemacht!” Er brach in schallendes Gelächter aus. “Das ist gut! Das ist ein Bonmot ersten Ranges! Darüber muss ich natürlich mit unserem Fürsten sprechen. Seine Redewendung ist:
‘Wichtiger, als wem man Geld gibt, ist die Frage von wem man Geld nimmt! ‘ Und da hat seine Durchlaucht sicher nicht unrecht. Wollen wir noch ein Glas von diesem ausgezeichneten Württemberger Wein trinken?!” Damit goss er uns beiden noch einmal nach. Eines musste ich noch anbringen: “Diese Summe gedachte ich auf eine Frist von zehn Jahren zu erlegen. Selbstverständlich ohne jegliche Verpflichtung. Ich hätte in diesem Zusammenhang nur eine Bitte.” Montgelas war hellwach: “Und das wäre?” Ich hatte von meinem Zusammentreffen mit Napoleon nichts erzählt und hatte auch nicht vor das zu tun. “Sofern in der Zukunft Napoleon Bonaparte eines Tages Gast in München ist, würde ich gerne davon erfahren. Wir sind einander einmal vorgestellt worden und der General hat den Wunsch geäußert mich wieder zu sehen, sofern er einmal nach Baiern käme.”
“Ich muss schon sagen”, meinte der Graf, “Ihr stürzt mich von einem Erstaunen in das Nächste. Ich wäre dankbar, wenn ihr davon lassen könntet. Mein Bedarf an Verwunderung ist für heute gedeckt. Aber ich denke, dass man diesem Wunsche problemlos nachkommen könnte.”
Er erhob sich zu einem Nacht Gruß, fragte aber noch beim Hinausgehen: “Was mich noch interessiert, ist der Inhalt Eueres Gespräches mit dem Herrn von Bleichsleben. Bis Morgen dann, Adieu” Nun war es an mir verblüfft zu sein. Dieser Mann hatte wohl überall seine Informanten. Aber vielleicht gehörte dies einfach zu seinem Geschäft. Nein, da blieb ich schon lieber beim ‘Glasmachen’!
Von Schlafen konnte nach diesen Gesprächen keine Rede sein. Was die Gedanken von Montgelas anging, so war er für mich zu sehr den Franzosen verbunden. Ich sah das nur als Zweckbündnis. Niemanden sonst konnten wir für unsere Absichten einspannen. Von Sprache und Kultur war mir naturgemäß Österreich näher. Aber so nahe auch wieder nicht, dass ich einen Großteil Baierns verschenken wollte. Die Österreicher hätten uns doch wieder nur zerstückelt. Denen war an Altbaiern bis zur Lech - Illerlinie gelegen. Dann konnten sie Ihre alpinen Gebiete Tirol und Vorarlberg großzügig sichern. Nein, Fußabstreifer vor der Türe nach Österreich sollten wir auch nicht sein. Die Möglichkeit der Konsolidierung Baierns sollten wir schon nutzen. Egal wer uns dazu die Schulter reichen würde. Der Krieg zwischen Österreich und Frankreich hat die baierische Bevölkerung schon soviel gekostet, dass auch endlich etwas für die Baiern herausspringen sollte. Ich für meinen Teil hätte keinerlei Skrupel fremde Mächte zu benutzen. Diese hatten Gleiches ja mit uns vor! Das Schlösschen Rohrbach, in dem wir uns befanden, gehörte zu den rechtsrheinischen Besitztümern des Kurfürsten in München. Dem Herzog hatte er es als Exil zur Verfügung gestellt. Das war aber recht riskant, weil der Rhein nur ein paar Meilen entfernt war und die französischen Truppen jederzeit hier einfallen konnten.
So wohnte der Herzog Maximilian zumeist in Ansbach. In dieser preußischen Enklave war er sicher. Dazu hatte er mit dem preußischen Gouverneur Hardenberg einen Gesprächspartner, der ihn, zusammen mit Montgelas auf seine Aufgabe in München vorbereitete.
Am nächsten Morgen kam Montgelas wieder auf seine Schlussfrage der vergangenen Nacht zurück. “Was verbindet euch mit dem Erzbistum Würzburg, Monsieur ‘ainz?” Ich zuckte die Schultern “Nichts, außer der Tatsache, dass der Herr von Bleichsleben für den Fürstbischof arbeitet. Mein Kontakt mit ihm hat rein private Gründe. Wir haben einen gemeinsamen Gegner, der euch aber in keinster Weise tangiert.” Er ließ es damit auf sich beruhen. Zurück nach Ansbach würde er mich begleiten und mich dem Herzog vorstellen. Danach könnten wir auch mein Angebot der finanziellen Unterstützung erörtern.
So rüsteten wir zur Rückreise. Die Tage waren höchst aufschlussreich. Der Graf interessierte sich natürlich für meine Zukunftspläne. Sagte mir aber voraus, dass mein Glashüttenprojekt für die fernere Zukunft keine allzu großen Chancen habe. Er hatte nicht unrecht darin, dass die Glasproduktion eine der wichtigsten Ressourcen zu schnell verbrauchte - und zwar das Holz. Eben wegen des Holzes, das in Hülle und Fülle vorhanden war, hatte man die Glashütten errichtet. Das Holz bildete den Grundstoff für die Pottasche und als Brennstoff für die Verhüttung. Würde das Holz knapp werden, oder zu teuer, dann hatten die Glashütten wirklich ein Problem. Aber vorerst war das noch nicht abzusehen und wer kann schon etwas für die Ewigkeit planen? Es war bezeichnend für das Universalinteresse des Grafen, dass er sich auch für die Probleme der Glasindustrie - obwohl das nun wirklich nur ein winziger Bruchteil der baierischen Wirtschaft war – interessiert hatte und deren Perspektiven betrachtete. Auch in allen anderen Gesprächen wurde ich in meiner Überzeugung bestärkt, dass ich mit dem Grafen Montgelas einen Mann kennengelernt hatte, der in der Zukunft Baierns eine große Rolle spielen würde. Das konnte mir und meiner Familie nur nützlich sein. Zumal wir, bei aller Zurückhaltung des Standes und der Position wegen, ein freundschaftliches Interesse füreinander entwickelt hatten.
In Ansbach konnte ich feststellen, das die Organisation des Herzogs funktionierte und meinen Gastwirt informiert hatte, dass und wie lange ich unterwegs sein würde. Kurz, ich hatte das Gefühl, Baiern würde nach der Ära des Kurfürsten Karl Theodor in gute, kompetente Hände kommen. Am folgenden Tag holte mich der Sekretär Rivet am Nachmittag bei der ‘Post’ ab und wir schlenderten zum ‘Wirt am Bach’ unter dem Markgrafen – Schloss. In der Gaststube gewahrte ich den Grafen Montgelas mit einem massigen, gemütlich wirkenden Manne. Vor sich ein Glas Wein, waren sie in einen angeregten Diskurs versunken, ehe sie auf mich aufmerksam wurden.
“Euer Durchlaucht, darf ich euch den Herrn ‘ainz vorstellen. Wir haben heute schon von ihm gesprochen.” Der Herzog musterte mich freundlich aber aufmerksam und reichte mir die Hand. Dabei erhob er sich, was mich schon wunderte. Ich dachte Herzöge dürften sitzen bleiben. Später hab ich erfahren, dass sie nach der Etikette wirklich sitzen bleiben dürfen.
Dass Herzog Max das aber nicht wollte, beschreibt seine Einstellung. “Durchlaucht,” ich wusste nun beim besten Willen nicht mehr was ich sagen wollte, sagen sollte.
“Durchlaucht, ich freue mich über diese Ehre,” würgte ich schließlich heraus. Sie müssen das verstehen. Treffen Sie öfter einen Herzog? Noch dazu einen der bald ganz Baiern regieren würde! Für mich war es jedenfalls das Erstemal. Der Herzog war überaus leutselig und überhaupt nicht ‘von oben herab´.
“Die Freude ist ganz auf meiner Seite,” meinte er “Setzen Sie sich doch zu uns, Wirtschaft, ein Glas Wein für den Herrn Hainz - Sie mögen doch ein Glas? Der Wein ist nicht schlecht hier!” Ich nickte nur, ich hätte in dem Moment auch ein Glas Essig getrunken. “Wie ich höre,” sagte der Herzog, “sind sie dabei für ihre Familie eine Glashütte aufzubauen.” Ich nickte erneut. “Das baierische Waldgebirg kann Unternehmer gebrauchen. Die Wirtschaft dort macht uns große Sorgen. Aber wie ihr wisst, sind das nicht unsere einzigen Sorgen.” Der Graf Montgelas mischte sich ins Gespräch: “ Wie ich euch schon sagte, Durchlaucht, möchte Herr ‘ainz euch mit einer erheblichen Summe unterstützen, ohne dies an irgendwelche Bedingungen zu knüpfen -ausgenommen die Tatsache, dass er den Betrag in Zehn Jahren wieder braucht.” Der Herzog wandte sich mir zu: “Nach menschlichem Ermessen sollte ich bis dann bequem in der Lage sein zurück zu erstatten. Eine Frage habe ich dazu: Können Sie auf ihre Ehre bestätigen, dass es sich um ehrlich erworbenes Geld handelt?” Ich schaute ihm geradewegs in die Augen. “Das schwöre ich, Durchlaucht!” “Gut, dann bedanke ich mich für Ihre Hilfe.” Er erhob sein Glas um mir zuzuprosten. Ich nutzte die Gelegenheit: “Darf ich Euer Durchlaucht zur Vermählung gratulieren und euch so wie der Herzogin alles Glück und Gottes Segen wünschen!” Er hob mir sein Glas entgegen. “Darauf trinke ich gerne mit Ihnen. Vielen Dank und auch für Sie und Euere Familie die besten Wünsche unseres Hauses.”
Er schwieg eine Weile und machte den Eindruck als sei er sich nicht sicher, ob er das, was er zu sagen vorhatte äußern sollte. Schließlich schien er sich einen Ruck zu geben. “ Herr Hainz, niemand den ich hier kenne hat mit Bonaparte persönlich gesprochen. Würden sie die Freundlichkeit haben, mir den Mann zu schildern?” Ich gab also meine Eindrücke von dem Treffen mit dem Mann aus Korsika wieder. Er hatte auf mich sehr souverän gewirkt. In gewisser Weise arrogant, aber in einer Art, die auf echte Überlegenheit schließen ließ. Keineswegs unsympathisch. Aber der Mann wusste was er wollte. Nach seinen Erfolgen zu schließen, war ihm auch klar wie er das erreichen konnte. Maximilian musterte mich neugierig. “Würden Sie gegebenenfalls für mich, für Baiern, Kontakt mit Bonaparte aufnehmen. Falls offizielle Termine gerade nicht opportun wären?” Ich deutete eine Verbeugung an. “Durchlaucht, verfügen Sie über mich!” Ich gebe zu, an diesem Tag hab ich mich ein paar Zentimeter größer gefühlt. Nach einer weiteren Viertelstunde zwangloser Unterhaltung verabschiedete sich Herzog Maximilian und wünschte mir Glück und Gottessegen. Graf Montgelas meinte, am Vormittag des nächsten Tages, würde der Sekretär Rivet mit mir zur Preußisch-Ansbacher-Bank gehen, wo wir die Details abwickeln könnten.
Am nächsten Morgen legte ich in der Bank, eine von den beiden Goldanweisungen der Bank of England vor und ließ diese dem Herzog gutschreiben. Danach überreichte mir des Grafen Sekretär einen entsprechenden Schuldschein mit dem Zeichen und Siegel des Herzogs.
Kaum in meiner Unterkunft zurück, erwartete mich im Gastraum ein Herr, der dringend um eine Unterredung nachsuchte. Sein Name täte nichts zur Sache, meinte er. Wichtig wäre einzig sein Anliegen. Da konnte ich ihm nicht zustimmen: “Verzeihen sie, wenn ich nicht weiß, mit wem ich spreche, kann ich auch nicht feststellen, wofür er spricht. Adieu!” Sprach’s und ging hinauf in mein Zimmer, wo ich bereits ein Billet des Grafen Montgelas vorfand. Er schrieb: “Achtung, die Habsburger Seite will mit Euch Kontakt aufnehmen.” Nun wenn das vorhin die ‘Habsburger Seite’ war, dann hatten sie sich nicht mit Ruhm bekleckert. Weil mir dieses politische Gezerre aber wirklich gegen den Strich ging, beschloss ich am nächsten Tag abzureisen. Das was ich erreichen wollte hatte ich bekommen - und mehr als das.
 



 
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