in der bahnhofsgaststätte

M

margot

Gast
eine sehr nützliche einrichtung ist die eisenbahn.
arbeiter, die einen langen arbeitsweg haben, schüler,
studenten, die auswärts studieren, gebrauchen dieses
fortbewegungsmittel. so auch ich. es gibt viele
dinge, die für die eisenbahn sprechen. und es gibt
viele menschen, die mit dem auto fahren.
die züge halten an bahnhöfen. es gibt große- und
kleine bahnhöfe und auch winzig-kleine.
unser bahnhof ist klein und zudem schlecht beheizt.
bei sturm wippt die gläserne eingangstür wie eine
saloontür in ihren angeln. blätter werden hereinge-
wirbelt und das haar zerzaust. sturm ist interessant.
der bahnhof ist klein, trotzdem ist er nie überfüllt.
viele fahren mit dem auto. und autos sieht man genug
auf den straßen. jürgen und ich fahren mit dem auto
zum bahnhof. dort steht es den ganzen tag und
wartet auf unsere rückkehr. das machen viele so.
muß man eine längere wartefrist überbrücken, setzt
man sich auf die hölzerne wartebank und dreht
däumchen. ich warte ungern in schalterhallen.
selbst bei regem betrieb wirken sie hohl und leer.
die menschen darin sind flüchtig. und ihre blicke
sind wie laserstrahlen. der helle lärm ist ungemütlich.
das sind gründe, warum ich gerne die bahnhofsgast-
stätte aufsuche – auch um ein bier zu trinken.

der bummelzug fährt 40 minuten bis durlach.
er hält an jedem bahnhof. jürgen und ich sitzen uns
gegenüber im abteil. der schaffner kommt zur
kontrolle. wir kramen unsere brieftaschen aus
unseren jacken und schlagen sie auf. ein kurzes
nicken. sonst passiert nichts.
wir überlegen uns, ob wir nicht für ein bier in der
durlacher bahnhofsgaststätte verweilen wollen,
bevor wir in die straßenbahn umsteigen. denn die
ist um diese morgentliche zeit überfüllt. es ist eine
elende fahrerei bis zur uni.
als wir aussteigen und die strömende meute auf
dem bahnsteig sehen, steht unser entschluß fest.
statt dem menschenstrom nach draußen in die
dunkelheit zu folgen, schwenken wir nach links
zur eingangstür der gaststube.
außer uns sind da nur die 2 bedienungen und
wenige gäste: arbeiter, die in der nähe zu tun
haben und alkoholiker. die wirtschaft wird von
griechen geführt, und die kleine, rundliche bedien-
ung gehört dazu. jeden morgen fährt sie ihre beiden
kleinen töchter zur schule. von der anderen bedienung
weiß ich nichts. sie ist die freundin der kleinen griechin
und ist groß und hat dicke waden und einen dümm-
lichen gesichtsausdruck.. jetzt, wenige wochen vor
weihnachten ist es draußen gerade noch dunkel,
wenn wir an unserem 1. frühstücksbier sitzen.
ich liebe die atmosphäre, wenn es klar ist, und die
morgensonne über die dächer lugt. dann werden ihre
ersten strahlen sichtbar und fallen durch das hohe
fenster in die wirtsstube. es ist wie nebel im raum,
und alles ist in mattes licht getaucht. die staubteil-
chen tanzen in der luft. es macht spaß, in die sonne
zu blinzeln. das geht nur kurz, und die sonne ist über
dem fenster.

„noch eins?“ frage ich jürgen.
„trinken wir noch eins.“
„trinken wir halt noch eins.“
ich blicke zur uhr geradeaus.
„wir haben noch zeit.“
„noch 2 ex“, sage ich zur bedienung.
„2 halbe“, sagt die bedienung und schaut uns an.
ich nicke. ich frage jürgen nach einer zigarette.
der tut es ab mit einer handbewegung - „nimm nur“
und lacht. wir schweigen und rauchen. es riecht
nach farbe. das spielzimmer wurde frisch gestrichen.
...
die leiter des malers lehnte neben der tür an der wand
gerade hinter unseren stammplätzen an der theke.
wir steuerten wie gewohnt unsere stammplätze an.
der maler stand auf der leiter und werkelte rum.
wir sitzen immer auf diesen plätzen. seit einem halben
jahr. aber als wir uns an dem maler vorbeischieben
wollten, zuckten wir zusammen. die griechin herrschte
uns an, ob wir denn nicht sähen, dass der mann bei der
arbeit sei! das wäre doch unmöglich! also sowas!
und sie wurde gar nicht mehr ruhig darüber, so dass
ich sagte: „ja, ist das ein grund, so böse zu sein?“
verärgert setzten wir uns auf 2 andere plätze und
tuschelten über den vorfall. wir bestellten 2 kaffee.
der kaffee schmeckte grausam, und wir spülten den
schalen geschmack mit 2 pils herunter.
...
die kleine dicke und ihre freundin mag ich nicht.
aber das ist das wenigste. nachmittags bedient ein
kleiner, blonder „käfer“. oft verpasse ich meinen
zug, weil ich die abfahrtszeiten nicht im kopf habe.
dann setze ich mich in die bahnhofsgaststätte und
trinke ein bier. die blonde und ich tauschen blicke,
und ich fühle mich unsicher und beklommen.
ich habe nichts zu tun, als mein bier zu trinken und
in die runde zu schauen. immer wieder der blick zur
uhr, der blick zu der niedlichen blonden.
als ich bezahlte, sagte sie ganz lieb „tschüß“.
oder bildete ich mir das ein?
im spielzimmer spielten sie billard um geld, und ich
hörte ihre großen, lauten stimmen.
...
„ich geh` pinkeln“, sage ich zu jürgen.
wir gehen zusammen. für zechpreller eine ideale
gelegenheit auszubüchsen. der flur zu den toiletten
führt direkt weiter ins freie. jürgen lacht.
zurück in der kneipe kommen wir auf die idee, die
musikbox anzuwerfen. 2 mark – 8 titel. doch der
strom ist draußen, und die 2 mark sind drin.
„ich hab` mich schon gewundert, warum sie dunkel
ist“, sage ich. wir probieren herum. wir kichern ver-
legen. wo ist der schalter? die 2 mark sind jedenfalls
drin! endlich kommt die bedienung und fummelt den
stecker in die steckdose. „aaah, jetzt brennen auch die
lichter“, staune ich. „lasst euch die 2 mark von der
bedienung geben“, bemerkt ein kneipengast. so kommen
wir doch noch zu unserer musik.
wir sitzen und nippen an dem frisch gezapften bier.
ich spiele mit der feder im bein des barhockers. die feder
lässt den hocker immer wieder in die ausgangsposition
wippen. ich halte mich an der theke.
„spielen wir billard?“ frage ich jürgen. ich spiele recht
gut. es steht nur 1 tisch inmitten des spielzimmers.
es ist auch nur 1 stock da. ich verliere. 2 ausländer
schauen uns zu. wir vereinbaren ein doppel. wir spielen
um kleine bier. das 1. spiel gewinnen wir prompt.
jürgen versenkt die schwarze, dass es knallt. der einsatz
erhöht sich. nach 2 verlorenen spielen geht es in dem
letzten spiel um alles. der verlierer zahlt, was offen
steht. wir haben einen leichten schwips und verlieren.
zurück auf unseren stammplätzen bekommen wir zu
unserer überraschung 2 bier spendiert. vom automaten-
aufsteller.
an der durchreiche zum bahnsteig steht ein mann und
trinkt kaffee. diesen scheußlichen kaffee! das überlege
ich mir kurz. inzwischen marschieren die zeiger der
wanduhr auf 11. es wird zeit, dass wir gehen.
im bahnhofsklo stinkt es beißend nach urin und scheiße.
links an der wand der kondomautomat. wir witzeln
über die verschiedenen prädikate. ich lese die ordinären
sprüche auf dem fenstersims – in krakeliger kinder-
schrift. wir verlassen das bahnhofsgebäude.
das tageslicht blendet uns.



(1985)
 

Zefira

Mitglied
Liebe margot,
vor jedem Kommentar interessiert mich erst mal:

>inzwischen arschieren die zeiger der
wanduhr auf 11.<

Tippfehler oder Absicht? :D
Zefi
 



 
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