ist zwar nicht passend zur Jahreszeit, weil eine weihnachtliche Geschichte, aber egal

liveforever

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Der Vorweihnachtsengel !!!

"Haste mal né Mark ?" klang eine rauhe Stimme hinter Frau Wergel. Sie ging durch die Innenstadt und sah sich die Schaufenster an. Immer noch suchte sie nach einem passendem Weihnachtsgeschenk für Thomas, ihren 8 jährigen Sohn. Als sie die Stimme hinter sich hörte, fuhr sie erschrocken zusammen. Es war schon spät und der Betrieb auf den Straßen hatte nachgelassen. Der Penner, wie sie ihn abfällig bezeichnete, stand dicht hinter ihr. So was von aufdringlich, dieses Gesindel, dachte sie. Hilflos sah sie sich um. Es war niemand hier, den sie um Hilfe bitten, der ihr diesen häßlichen, schmuddeligen Kerl vom Leib halten konnte. Angewidert musterte sie ihn. Er trug eine, vor Schmutz stehende Jeans, die an vielen Stellen aufgerissen und kaputt war. Unter dem ausgefetzten Mantelkragen, lugte ein pinker Pulli, oder so etwas, hervor. Der Mantel hatte eine undefinierbare Farbe, die er wohl im laufe der Jahre angenommen hatte. Wie konnte ein Mensch, den Gott erschaffen hatte, sich nur so ungepflegt kleiden, und auch benehmen, schoß ihr durch den Kopf. Der Penner stand noch immer erwartungsvoll, wie es Frau Wergel schien, vor ihr. Als ob sie dem was geben würde.
"Was is´ nu´ ?" fragte er in seinem ungepflegtem Deutsch. Das war zu viel für die gute Frau. Entsetzt drehte sie sich auf dem Absatz um und lief die Straße hinunter. Sie sah kein einziges mal mehr zurück. Immer dieses Gesindel, sollte es doch jemanden anders anbetteln. Die sollten sich dahin zurück scheren, wo sie hergekommen waren.

Sprech’ ich sie an ? Sie gibt mir bestimmt was. Ich kann’s ja mal probieren ! Arnold stand am Straßenrand und zitterte vor Kälte. Es hatte zwar noch nicht geschneit, dieses Jahr, aber dennoch war es sausekalt. In seiner kaputten Jeans und dem dünnen Mantel von der Altkleidersammlung war ihm zwar schon wärmer als noch vor drei Tagen, als er hier nur im Pullunder und Stoffhose stand, aber immer noch fror er bis unter die Haut. Und diese Kälte, so schweiften seine Gedanken ab, würde wohl niemals mehr vertrieben werden. Denn, die Kälte, die man einmal erlebt hat, von den Menschen, seinen Mitmenschen, die ging nich´ raus aus´m Herzen.
"Was red´ ich da ?" rief er sich selbst zur Ordnung. Gleich war die Frau vorbei und von de´ schönen Gedanken wurd´ man auch nich´ satt.
Also raffte Arnold sich auf und lief hinter der Frau her. Die schaute sich grad´ die Schaufenster an. Das tat er jeden Abend, als Beschäftigung.
"Haste mal né Mark ?" fragte er. Die Frau zögerte. Die sah doch nett aus, die würde ihn doch bestimmt nich´ so wegjagen, mit Tritten und so, wie es vorgestern der Mann vor Karstadt gemacht hatte. Nein, die sah nich´ so aus. Die war bestimmt anders. Die Frau drehte sich um und plötzlich befürchtete Arnold doch, daß sie ihn davonjagen würde. Aber dennoch fragte er vorsichtig :"Was is´ nu´ ?"
Doch die Frau drehte sich auf einmal um und rannte die Straße runter.
Was hat die denn für né Tarantel gestochen ?
Arnold ging mit hängenden Schultern wieder zu seinem Lieblingsschaufenster zurück. Dort war eine Szene mit echten lebensgroßen Puppen dargestellt. Die Menschen dort saßen an einem gedecktem Tisch und aßen. Gänsebraten mit Rotkohl und Klößen. Und die Kinder saßen unterm Weihnachtsbaum und spielten mit der Eisenbahn. Die für 135,99 DM ! Alles so schön warm und froh im Herzen, dachte er.
Über die Frau dachte er jetzt nicht mehr nach, die war wie alle hier auf der Welt. Ängstlich !!!
Nach einer Weile legte sich Arnold zum schlafen, dicht an das Schaufenster gepreßt, hin.

"Hey, sie !" rief eine liebliche Stimme über ihm. "Was machen sie denn hier ?"
Arnold drehte sich ächzend um. Die lange Nacht auf dem harten Boden hatten seine Gelenke nicht grade beweglicher gemacht.
Über ihm gebeugt stand eine zierliche Frau, so Mitte zwanzig, Anfang dreissig, schätzte er sie. Sie hatte rote schulterlange Haare und eine Pudelmütze auf dem Kopf. Ihre ganze Gestalt war in einem Wollmantel gehüllt.
"Sie haben doch nicht etwa in dieser Kälte hier übernachtet ?" wollte die Frau wissen. Arnold lächelte verlegen und die Frau lächelte ihn zurück an. Vielleicht das einzig ehrliche Lächeln, das er je bekommen hatte.
"Nun stehen sie schon auf, sie holen sich ja den Tod !" rief die Frau.
Arnold stand, immer noch mit einem Lächeln auf dem Gesicht auf und sah die Frau erwartungsvoll an. "Sie kommen jetzt erst einmal mit rein, ich bin nämlich heute alleine im Laden !" sagte sie bestimmt. Mit einem Schlüssel eines großen Schlüsselbundes schloß sie die Tür zum Laden, vor dem Arnold genächtigt hatte, auf und deutete ihm hineinzugehen. Er folgte !
Drinnen war es muckelig warm und ein leichter Zimtgeruch breitete sich aus. Es war ein Spielzeugwahrenladen, hauptsächlich Holzsachen.
"Setzen sie sich !" schlug die Frau vor.
Arnold nahm auf dem gemütlichem Ohrensessel, im Wohnzimmer der guten Stube platz. Der Weihnachtsbaum stand mitten im Raum und um ihn herum wurde das fröhliche Lachen mehrerer Kinder laut. Am Eßtisch saßen Berti, Fritz und Lena, bei Gänsebraten und Rotwein. Arnold stand auf und setzte sich an den extra für ihn freigehaltenen Stuhl, an den Tisch. Vor ihm stand ein dampfender Teller mit lauter köstlichen Speisen. Ein Glas, mit dem besten Wein den er je zu sich genommen hatte, stand daneben. Er aß eine Weile, doch sein Teller und sein Glas schienen niemals leer zu werden. Und immer hatte er nur das beste vom besten darauf. Nach einiger Zeit wurde er des vielen Essens überdrüssig und stand schwerfällig auf, um sich den Kindern unterm Tannenbaum zu nähern. Sie spielten mit einer Holzeisenbahn und auch sonst lagen überall größere und kleinere Spielsachen herum. In der Ecke, unterm Baum, lag noch ein Geschenk, das noch nicht geöffnet war.
"Das ist für dich, Onkel Arnold !" rief ein kleines blondes Mädchen ihm zu.
Arnold lächelte sie an und ging zu dem Päckchen. Vorsichtig machte er es auf. Es enthielt einen dunkelblauen Strickpullover, der mollig warm aussah.
"Der müßte ihnen passen ! Damit sie nicht so frieren, in der Kälte da draußen." sagte die Frau. Arnold hielt noch immer den Pulli in beiden Händen. Sein Magen war gefüllt, er war ausgeruht, von seinen Gelenkschmerzen war nichts mehr zu spüren und, vielleicht das wichtigste für ihn, ihm war nicht mehr kalt. Die eisige innere Kälte war wie weggeblasen. Die Kälte in seinem Herzen, von der Verachtung der Menschen um ihn herum. Sie war einfach weg.
"Da-danke !" sagte er, lächelte und auf einmal war es ihm als ob er einen Engel vor sich hätte.
Dann ging er aus dem Spielzeugladen, hinaus in die Kälte. Doch sein neuer Pullover schützte ihn vor dieser Art von Kälte.
 

Anamida

Mitglied
allo live,
Wünderschönes Märchen.
Besonders gelungen fand ich die verschiedenen Sichtweisen der einen Situation.
Ein ehrlicher Appell an das Gebot der Nächstenliebe.
Habe auch ma versucht etwas über das Thema zu schreiben. Ist`n Gedicht (PENNER) Konfrontation eines in der Gesellschaft intregierten Menschen und einem außerhalb dieser.
lg
yasmin
 



 
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