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Aceta

Mitglied
Alt bin ich, unendlich alt -
mein Körper ohne Kraft,
mein Geist müde, aber klar.

Einsam bin ich, meine Freunde tot,
meine Familie auseinandergegangen,
mein Alltag leer.

Warten muß ich - auf die Pflegerin,
auf das Essen, Hilfe beim Kleiden,
Hilfe bei allem - selbst auf dem Klo -

rufe ich, weil es mich drängt,
haben sie keine Zeit
es ist schmerzhaft und demütigend

es schließlich nicht mehr halten könnend,
fluchen sie und schimpfen, und sagen:
"die Alte ist ja inkontinent!"

- ich bin es nicht - habe mich doch
bemüht und rechtzeitig vorher gerufen -
gejammert, geschrien - nur alles verhallt !!

Einsam bin ich, Tag für Tag,
sehe den einundneunzigsten Sommer
und spüre keine Wärme mehr.
 

Renee Hawk

Mitglied
Hallo Aceta,
konnte mich wieder mal nicht zurück halten. Diesmal habe ich dir meine Gedanken bzw. Gründe in der Klammer dazu geschrieben. Warum ich das tat, weil ich den Text wirklich für den reinen Horror halte und an Ralph denken mußte.
liebe Grüße
Reneè



Alt bin ich, unendlich Alt - (Zustand)
mein Körper ohne Kraft
mein Geist müde, aber Klar (Zustand)

Einsam bin ich, all meine Freunde tot
die Familie auseinandergegangen
mein Alltag leer

warten muß ich - auf die Pflege
auf das Essen, Hilfe beim kleiden (Tu-Wort)
Hilfe bei allem - selbst auf dem Klo -

rufe ich, weil es mich drängt
haben sie keine Zeit
es ist schmerzhaft und demütigend

habe ich es nicht halten können (Ryhthmus)
fluchen und schimpfen sie, und sagen:
"die Alte ist inkontinent!" (das ist eine Tatsache und somit nicht unbedingt demütigend, dass kannst du ruhig härter ausdrücken)

Einsam bin ich, Tag für Tag,
sehe den einundneunzigsten Sommer
und spüre keine Wärme mehr.
 

Aceta

Mitglied
Liebe Reneè,

vielen Dank für die Anmerkungen - bei den ersten drei Korrekturen komme ich allerdings nicht mit. Die Schreibweise (groß/klein) entspricht meinem Deutschverständnis, weil ich die "Zustände" für Adjektive halte, bei welchen ich Kleinschreibung wählen würde, hingegen: "beim Kleiden" wie "bei dem An- und Auskleiden" zu sehen, Substantiv - und damit m.E. groß geschrieben wird.

Dein "Rhythmus Einwand" ist richtig - an dieser Stelle gewinnt das Gedicht und ich habe die Änderung übernommen.

"Die Alte ist inkontinent" - das ist indes keine Tatsache: wenn aber ein Mensch äußert, er/sie müsse zur Toilette gebracht werden, und sie lassen den Menschen einfach warten - warten - warten, dann ist es eine demütigende Beleidigung, ihr/ihm anschließend Vorhaltungen dieser Art zu machen: Würden wir in einem Rollstuhl sitzen, unfähig alleine aufzustehen, hätten wir irgendwann auch die Hose voll, wenn niemand käme, dann, wenn wir um Hilfe bitten ...

Unter dieser Sicht finde ich es menschenunwürdig und demütigend - eben Horror ...


Damit die Leser Änderungen und Original noch erkennen können, füge ich nachfolgend das Original an (hoffe, das verstößt nicht gegen eine LL-Regel).

*lächel*

Aceta


Alt bin ich, unendlich alt -
mein Körper ohne Kraft,
mein Geist müde, aber klar.

Einsam bin ich, meine Freunde tot,
meine Familie auseinandergegangen,
mein Alltag leer.

Warten muß ich - auf die Pflegerin,
auf das Essen, Hilfe beim Kleiden,
Hilfe bei allem - selbst auf dem Klo -

rufe ich, weil es mich drängt,
haben sie gerade keine Zeit,
es ist schmerzhaft und demütigend.

Habe ich schließlich nicht halten können,
fluchen sie und schimpfen, und sagen:
"die Alte ist inkontinent!"

Einsam bin ich, Tag für Tag,
sehe den einundneunzigsten Sommer
und spüre keine Wärme mehr.
 

Aceta

Mitglied
zu blöd zum Scrollen ?

sorry, Gabi,

Klare Antwort: nein, ich halte Euch nicht für blöd. - Aber wenn der Anfang verändert wird, nach Vorschlägen der Kritikerin, dann interessiert möglicherweise, wie die Ur-Fassung ausgesehen hat - ich habe selbst bei anderen Autoren Veränderungen vorgeschlagen - als dann mein Text unter dem geänderten Text stand, wurde die Kritik schwer nachvollziehbar - das wäre unrecht gegen Kritiker(in), dachte ich, und deshalb also habe ich das Original nochmals eingestellt - so war das gemeint! Ich lasse mir da aber gerne andere Meinungen sagen!

Aceta
 

GabiSils

Mitglied
Okay - sorry, ich hatte nicht mitbekommen, daß du tatsächlich von den Änderungen etwas übernommen hast. (Das gibt Strafpunkte für ungenaues Lesen *schäm*)

Gabi
 

Renee Hawk

Mitglied
*strafpunkte* *gg*

Aceta, ganz wie du willst, es ist dein Gedicht und nur du entscheidest *gg*.

liebe Grüße auch an Gabi *wink*
Reneè
 

Aceta

Mitglied
Hallo Gabi,

von mir keine Strafpunkte - manchmal müssen Mißverständnisse einfach aufgeklärt werden. Insbesondere, wenn sich in kurzer Zeit die Antworten überschneiden, frau an der einen noch arbeitet ... während die Diskussion weiter läuft!
*lächel*

Aceta
 
Großeltern

Liebe Aceta,
mein DANKE für dies WICHTIGE GEDICHT!!!

Femi


Deine Welt, mein Kind

Die Welt in die du gehst
Mein Kind
Ich kenne sie nicht
Und ich fürchte sie
Ich wurde mit Nachkriegsidealen groß

Deine Großeltern
Waren sicher
Dass ihre Kinder
Es besser machen würden als sie
Wie Bäche die zu Flüssen werden...
Heute ist es umgekehrt

Die Welt in die du gehst
Mein Kind
Ich verliere mich in ihr

Eines Tages hinterlasse ich dir
Meine Gedichte, Bücher, Gedanken
Und ein hübsches Haus
Indem deine Eltern sich liebten

Versuch ein Mensch mit Idealen zu sein
Auf eigenes Risiko, auf eigene Gefahr
Binde deinen Wagen an einen Stern
Bewahre dir deine Träume
Oder zumindest einen Plan, ein Ziel

Die Welt in die du gehst
Mein Kind
Ich kenne sie nicht
Und ich fürchte sie
Ich wurde mit Nachkriegsidealen groß
 

Aceta

Mitglied
Liebe Eufemiapursche,

es ist Ohnmacht und Sorge und Not - und vielleicht habe ich noch Etliches vergessen ... es erfahrend und hilflos zuzusehen und ...
und verzweifelnd fragend ...

danke, daß Du es angenommen hast!

Dein Gedicht indes -
schäme Dich nicht,
sei nicht bestürzt
oder frustriert:

es ist wert, eigenen
Platz zu haben -
nicht nur hier -
bitte poste es extra!

("Top ware"!) - bitte gebe
und nehme eine eigene Chance!!

Aceta
 

Schakim

Mitglied
Meine Gedanken dazu:

Hallo, Aceta!

Ich empfinde das nicht als Horror, sondern als Tatsache!


Schön! Wir werden alle alt!
Manche lässt das kalt -
Manche aber überlegen,
Möchten sich gern regen
Und es geht nicht mehr
So wie früher in ihrem Leben.
Alles fällt ihnen schwer...

Sie sind angewiesen
Auf die Hilfe fremder Leute -
Wovor sich früher ein jeder scheute,
Gehört heute zum normalen Rahmen:
Man hilft ihnen
Beim Waschen, beim Ankleiden
Selbst beim Schreiben von ihrem Namen...

Einst waren sie jung,
Lachten vielleicht dumm -
Etwas einfältig war ihre Natur.
Heute ist diese Spur
Verwischt und weggeblasen.
Vielleicht denken sie manchmal nur,
Wenn sie so humpeln übern Rasen:
Ich bin alt - und brauche Halt!

Ein Stock und helfende Hände -
Sprechen bald schon Bände
Von den Wunden im Alter.
Es freut sich nur ein Falter,
Der jung und wunderschön
Sich in die Luft abhebt,
Der Sonne entgegenschwebt
Mit dem Gedanken:
Jeder muss geh'n, aber -
Er hat auch gelebt!


LG und einen schönen Sonntag!
Schakim
 

Aceta

Mitglied
Liebe Schakim,

dieses Gedicht habe ich geschrieben -
Spiegel des Herzens - für meine Oma.
Sie ist nicht böse, gewiß - hat gelebt,
lebt aber immer noch - und beschämend, wie!
Zahlt über 7000 Mark im Monat für "Pflege",
und verhungert am gedeckten Tisch, weil
niemand merkt, daß sie keine Bandnudeln
mehr manövrieren kann -
sorry - ich halte sehr viel von Dir -
aber hier - nicht mir sondern ihr -
tust Du unrecht.
Es ist Horror -
und ich bin entsetzt und hilflos,
und sie ist kein Einzelfall!

Aceta
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Es mag eine ganz entsetzliche Erfahrung sein (und niemand wird dies bestreiten ) – es ist dennoch literarisch gesehen kein Text des Genres Horror.
 



 
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