kurzprosa?

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lilli

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Schattenspiel

Lilli war zornig und wütend, so sehr wie nicht mal vor drei Monaten.
Da ist er morgens zur Arbeit mit Kuss, Umarmung und Mittags kam die Mail:
Aus, kann nicht mehr, geht ihm zu schnell, überfordert ihn.
Damals hat es ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Damals hat sie plötzlich gespürt, wie es ist, wenn der ganze Tunnelblick auf die wunderschöne gemeinsame Zukunft sich plötzlich in Luft auflöst.
Ja, da war sie zornig.
Paul hat gemailt, manches erklärt, aber immer unter dem Motte: „ich weiß zwar viele Einzelheiten, eigentlich belangloses, aber nichts Klares“
Er hat ihr versprochen, dass nach einiger Zeit der Moment kommen wird, sich zusammenzusetzen, darüber zu reden, Aug in Aug.
Eigentlich nur deshalb, weil Lilli das so wollte, so brauchte, so erbeten hatte.
Drei Monate lang war sie in der Sonne, hat sich auf die Gegenwart konzentriert und auf die Zukunft gehofft.
Klar hat sie Paul losgelassen, meinte sie. Tatsache war, dass sie in jedem ruhigen Moment an ihn gedacht hat, beim Einschlafen, beim Aufwachen und überhaupt.
Hat daran gedacht, dass sie diese wundervolle Liebe nicht aufgeben will.
Sicher hat sie einige Nächte lang geweint. Die Wut war schnell verraucht. Immerhin hat sie ja eine ganze Reihe von Möglichkeiten mental und emotional ihr Unterbewusstsein zu stärken.
Hat sie auch gemacht, immer wieder und war deshalb in der Sonne.
Sie hat abgenommen, ist wieder strahlend geworden. Die Männer haben ihr bewundernd nachgeblickt und von den Freunden hat sie nur Bestätigung erfahren.
„Du hast sowieso einen besseren verdient. Einen, der besser aussieht und nicht so eine feige Sau ist.“
Der Familie hat sie vorgemacht, dass alles so in Ordnung ist. Dass es das Beste war und sicher vernünftig, dass er gegangen ist um sich klar zu werden, was er will. Besser jetzt, als wenn ihre Kinder geboren sind – die zwei Jungs, wie er immer so rührend sagt: Paul und Phillip.

„Wir sind in freundschaftlichem Mailkontakt“ – das war die Phrase, die sie gebrauchte, um den anderen diesen, seinen Schritt leichter zu machen.
Selber hat sie sich immer wieder gefragt, was das alles bedeutet, was sie daraus lernen sollte?
Nicht mehr an die Liebe zu glauben. Hat sie vorher nicht getan, dann durch Paul schon.
Immerhin hat er sie mit Zuversicht vom ersten Moment an mit seiner Liebe überrannt.
Dann hat sie sich hingegeben. Lilli hat gedacht alle Zeit der Welt zu haben um das ein oder andere mit ihm zu klären, zu besprechen.

Denn das konnte Paul nicht, hat sie hinterher erfahren. Er hat alles geschluckt, nichts ausgesprochen, nichts angesprochen und ihr keine Chance gegeben zu erkennen, was in seinem Kopf und Herz so vor sich geht.
Da hat sie entdeckt, dass er auch eine Schattenseite hat. Eine, die er mit dem gleißenden Licht der Diamanten, die er ihr immer wieder schenkte, überstrahlt hat.
Lilli dachte mit Schwermut daran, dass er ihr wohl besser weniger Schmuck, dafür mehr Vertrauen geschenkt hätte.
Wenn sie die Zeit danach trotzig die Ringe trug, war das für sie ein Anker. Ein Zeichen der wahren Liebe, strahlend hell und funkelnd mit allen Facetten der Diamanten. Sie hat es verdient, sie war dessen wert.
Lilli war schon gewachsen, hat schon auch erkannt, dass sie trotzdem die ist, die sie war. Trotzdem wert geliebt zu werden.
Also hat sie gewartet – drei Monate.

Die einzige, die von ihrem Leid wusste war Sara. Ihre Freundin Sara, die wusste, dass Lilli nicht so durch und durch gelassen war, wie sie tat und selber glaubte.

Und jetzt war Sara es, die ihr die Neuigkeit brachte.
Sara war im ersten Moment wütend, als Paul ihr sagte, dass es in Ordnung wäre, wenn sie Lilli davon erzählte. Davon, dass er mittlerweile mit einer anderen zusammen wäre. Fast gedrängt hat er sie, dass sie es Lilli sagt.
Sara meinte „eine totale Tussi – sonnenbankgebräunt, sieht älter aus als Paul, obwohl sie fünf Jahre jünger ist. Außerdem eine Stimme, die einige Oktaven zu hoch ist.“ – und Harry, Saras Mann hätte sie gefragt, ob diese Frau wohl dumm sei?
Oh, das tat Lilli gut, nachdem es ihr zuvor den Magen umgedreht hatte.
Und ganz schnell war sie wieder soweit zu glauben, dass das für Paul ja auch wichtig wäre, er müsste ja seine Erfahrungen machen, bevor er bereit wäre zu ihr zurück zu kommen.
Gleich wieder lief die Sonnenseite – alles in Butter.

Dann kam so langsam, schleichend der Verdacht, dass sie da vielleicht doch auch in den Schatten sehen sollte. Dahin, wo Paul war. Denn die Mails und vor allem die Inhalte waren immer dürftiger geworden. Auf für Lilli wichtige Erkenntnisse, die sie ihm mitteilte, kam seit zwei Wochen gar keine Antwort mehr.
Wo spielt er da im Schatten? Warum ist sie die letzten zwei Wochen immer wieder aufgewacht mit Atemnot, dass der Asthmaspray von letztem Jahr die einzige Hilfe war um wieder tief durchatmen zu können.
Warum kann sie nicht erkennen, dass seine Stille genau die gleiche Art war, wie sie im Zusammensein schon erlebt hat.
Lilli fing an zornig zu werden – wie zuvor hat er sich feige der Verantwortung entzogen. Deshalb hatte Sara auch im ersten Moment wütend reagiert. Er benutzte sie als Sprachrohr.

Nun, Lilli fing allmählich an hinzusehen. Sie erkannte die Wirklichkeit. Die, die sie glaubte in seinen Augen sehen zu können, wenn sie sich endlich wieder einmal treffen würden. Die, die sie glaubte in seiner Stimme erkennen zu können, wenn er endlich wieder einmal mit ihr sprechen würde.
Sie erkannte auch, dass die drei Monate ihr geholfen hatten, seine Stimme zu vergessen und seine Augen konnte sie auch nur mehr vor sich sehen, wenn sie die Fotos ansah. Die Fotos, als er noch glücklich lachend in die Kamera sah.

Lilli wurde zornig, sie fühlte langsam etwas vom Bauch herauf kriechen. Etwas, das immer schneller wurde. Plötzlich fing sie an zu schreien. Einen lauten, tiefen Schrei, wie ein überdimensionales Stöhnen. In ihm war alles an Wut und Zorn. All die Emotionen, die sie verdrängt hatte. Und all die Befreiung, auf die sie so lange gewartet hatte. Der Lärm der Motoren im Tunnel überdröhnte den Schrei. Lilli saß im Cabrio und schrie – aus Leibeskräften. Als sie verstummte hatte sie das Gefühl, dass alles still sei. Alles. Keine Motoren. Keine Lilli und vor allem kein Paul.
 



 
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