lichterloh-sonett

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Rhea_Gift

Mitglied
lichterloh

mein bein wird zu lahm für den fuß in der tür
und manchmal erscheinen die brücken als krücken
kein wort und kein blick kann mich heute entzücken
so leer scheint die welt, die ich einfach nicht spür -

nicht außen, nicht innen - nur stille und schweigen
die nerven verflattern ins nichtige weiß
bedeutungslos scheint, daß ich weiß, wie ich heiß
ein stummer, verwehender buchstabenreigen

was wartet darunter, es rührt sich, es zuckt
blassgrau ist der star, der den spiegel bespuckt
der matt wie mein auge nur nebel erzeugt

doch unter den schichten, da regt's sich, es glimmt
ein funke, noch schwach, und ein ton, leicht verstimmt
klingt an - längst mein ich - lichterloh sich ihm beugt.
 

JackoF

Mitglied
Hallo Rhea,

sprachlich finde ich dieses Sonett als gelungen !

Inhaltlich jedoch empfinde ich kausale Unstimmigkeiten - und zwar genau zu dieser geschichteten Reise in die innere Gefühleswelt.

Zum einen sehe ich den Titel „lichterloh“ zum Kontext nicht entdeckbar.

Mit S2 leitest Du die emotionale Ist-Ebene ein mit :
nicht außen, nicht innen - nur stille und schweigen
Also „innen" nur Stille und Schweigen !!

Und nun kausal mit S3 :
darunter, es rührt sich, es zuckt
Also noch tiefer als „innen“ ?, und dann doch eine Regung ????

Und nun kausal mit S4 :
doch unter den schichten, da regt's sich, es glimmt
ein funke, noch schwach...

Also nochmal tiefer als „innen/innen“, dann mehr/andere Regung ????

Und nun kausal mit S4/Z3 :
längst mein ich - lichterloh sich ihm beugt.
Und nun ist dieses „ich“ längst schon und alles parallel (also durchgehend) „lichterloh“ ergriffen ??? / und das mit der Vorgabe aus S2/S3/S4.

Rhea, ich hoffe, Du ahnst meine kausales Problem ;-))
Oder,
irgendwas lese ich hier ganz falsch ??

Wieder ein Tschüss, Jacko :)

--
 

kakadu

Mitglied
Hallo Rhea,
hallo Jacko,

also ich habe hier kein kausales Problem. Ich sehe hier einen nach und
nach erblindenden Menschen, der sich zunehmend von der Außenwelt
abgeschnitten fühlt, ja, sich sogar in der eigenen Wohnung nur noch
schwer zurecht findet. Visuelle Signale erreichen das LI kaum noch,
können daher auch nicht verarbeitet und der inneren Wahrnehmungsebene
zugänglich gemacht werden.

"Unter den Schichten" sind aber noch Erinnerungen wach, von denen das
LI zehrt.

ein funke, noch schwach, und ein ton, leicht verstimmt
klingt an - längst mein ich - lichterloh sich ihm beugt.
Ob der anmutende Dreivierteltakt (durchgehend auftaktige Daktylen)
in diesem doch recht traurigen Sonett so günstig ist, halte ich für
fraglich. Was mir wiederum richtig gut gefällt, ist der metrische
Bruch in der letzten Zeile. "- längst mein ich -", hier ein gewichtiger
Kretikus XxX, der gleichzeitig als Apokoinu wirkt und den Einschub
so zur zentralen Aussage macht.

Ich finde das Sonett gelungen, auch sprachlich mag es mir gefallen.:)

Liebe Grüße
Claudia
 
P

Pelikan

Gast
Hallo, Rhea, also mir gefällt Dein Sonett ausgezeichnet.
Ich habe da keinerlei Probleme mit dem Inhalt, denn es zeigt sich mir ein Mensch der gealtert ist und nun immer mehr Gebrechen spürt und zwar nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Er hat keinen Bezug mehr zur Außenwelt - diese berührt ihn weder außen noch innerlich, scheints hat sie seine Vorstellungen im Laufe der Zeit nicht erfüllen können und nun, im Alter, beibt auch nichts mehr was ihn erfreuen könnte. Es bleiben wohl nur noch Erinnerungen, die er spürt.
Ja und tief im Inneren, ganz tief, unter allem begraben, da können sich noch durchaus Reste von Leidenschaften, von Begierende, Träumen und Lebensfreude regen. Diese sind jedoch begraben, so dass solches Spüren auch nur noch wie eine Erinnerung ist - es kommt nichts mehr raus, weil zu viel Balast darauf liegt, Lebensbalast. Es ist auch keine Kraft mehr da umd diese Dinge auszugraben, auf dass sie nochmals lebendig, wirklich lebendig sein könnten. Umd diese vorhandenen Reste ausgraben zu können, müßte man noch Interesse an der Außenwelt haben, sonst gibt es keinen Grund etwas aus den Tiefen herauszuholen. Man würde das Herausgeholte in etwas entlassen/werfen das einem nichts mehr sagt, nichts mehr bedeutet (die Welt).Ich lese in diesem Gedicht einen Abschied von dieser Welt.
Mit herzlichen Grüßen, Pelikan :)
 

JackoF

Mitglied
Hallo Rhea,

möchte ganz kurz auf die Gedanken von Claudia und Pelikan eingehen - und klar, somit auch zu Dir :))

Hi Claudia und Pelikan,

habe sehr genau Eure Gedankenlinien miterlebt - und eigentlich bin ich ja genau auch auf dieser Schiene.

Es ist wohl meine dann eigene Bedeutungsbelegung zu :
nicht außen, nicht innen - nur stille und schweigen
Es klingt für mich zu absolut ! - könnte ich mit einem "scheinbar" schnell auflösen... :)
Dann
diese geschichteten inneren, lebendigen Ebenen im LI, die irgendwie doch da sind,
und dann plötzlich am Ende dieses dann doch daseiende "lichterloh" ???
längst mein ich - lichterloh sich ihm beugt.

Wie schon gesagt, liegt wohl an meiner Worte-Belegung :))

und wieder Euch Dreien ein sonntagsleuchtendes Tschüss, Jacko :)

--
 
P

Pelikan

Gast
@ JacoF
vielleicht brennt die Person lichterloh dem Tode entgegen?
Wenn einem das Leben/die Welt nichts mehr sagt/gibt,
dann könnte es doch sein? Als Erlösung und wenn gläubig/religiös sogar als ein Weiterleben in einer anderen,
für das Lyrich schöneren/erstrebenswerteren Welt?
 

JackoF

Mitglied
Pelikan,

als ich hier meinen Vor-Kommentar einstellte, und nochmal kurz das Gedicht überlas, huschte mir auch ein solcher Gedanke in den Sinn,
dass vielleicht dieses "lichterloh" gar nicht ein Fürsprechen für ein lebendiges ins Leben Zurückgehen bedeutet,
sondern gerade eine Art "Verbrennen"(figuriert) für ein Weiter hier.
Und dann sehr in Deine Richtung gehend.......

Bin echt auf Rheas Gedanken gespannt, wie sie es wohl meint :))

und wieder Tschüss, Jacko

--
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Rhea,

ein schöner amphybrachischer 14-Zeiler, wobei bei männlichen Reimen der letzte zu einem Trochäus mutiert.

Amphybrachen schwingen, fast wie im Walzer. Das steht im pointierten Gegensatz zu den Verfallsanzeichen, die das Alter mit sich bringt, passt aber zu den immer noch lebendigen Lebenszeichen, die subjektiv lichterloh lodern.

Gefällt mir!

lG

Herbert
 
Liebe Rhea,

was für ein Sonett! Du transportierst sehr viel Mutlosigkeit damit. Dann aber zum Schluss das Aufkeimen einer Hoffnung. Sehr gern gelesen.

Lieben Gruß,
Karin
 

Rhea_Gift

Mitglied
Wow, ich bin erfreut über die rege Auseinandersetzung mit meinem Text!!

JackoF und an alle andere sich Fragenden - kurze Anhaltspunkte - wenn man genau liest, sind einige "scheint" in diesem Text ;) die Welt wird nicht gespürt - doch unter den SchichtEN (Plural!!!) - was regt sich da im - wie sagt ihr so schön - Walzertakt?
Ich werde es nicht Wort für Wort aufdröseln, denn ihr liegt alle nicht falsch - erblinden trifft es recht gut, fühllos werden - altern - in gewisser Hinsicht auch - erblinden kann man auf vielerlei Weise... erlahmen auch... UND DENNOCH...fühlos ist man erst, wenn man tatsächlich tot ist/etwas tatsächlich abgestorben ist - man fühlt sich vielleicht manchmal tatsächlich WIE tot - aber das vergeht - denn immer noch wartet etwas unter den Schichten, das sich rührt - zusammenfassen würde den eigentlichen Inhalt dieser Aphorismus, der mir zuvor so in den Sinn kam:

Man meint nicht weiter zu wissen, doch ahnt man nicht oft schon, was man noch nicht weiß? -
und noch mehr: weiß man nicht längst, was man bloß zu ahnen scheint?


Auf eure durchaus auch möglichen Deutungsebenen bezogen:

Sieht man nicht immer noch etwas unter den Schleiern? Fühlt man im Erlahmen nicht schon das nächste Aufzucken? Fühlt man im Ruhen nicht immer noch irgendwo den Tanz? Brennt das Ich nicht längst lichterloh, sobald es nur einen Ton, eine Regung verspürt, obwohl das Auge noch Nebel sieht, das Ohr noch nichts hört oder nur ein leises Anklingen, die Nerven nur ein Zucken verspüren? Wenn man verzweifelt im Nichts steht, sich ohnmächtig fühlt - rührt sich nicht längst in tieferen Schichten das Aufbegehren, das in eine Richtung gezogen werden, auch wenn man oberflächlich noch wie tot ist, sich noch gelähmt fühlt?

Der graue Star ist natürlich in dreifacher Hinsicht deutbar - erblinden - kein Star mehr sein - altern, verfallen, veraltet sein... doch darunter leuchtet irgendwo noch ein "Star" bzw. Stern bzw. Funke... ;)

Ich meine genau diese tiefer und tieferen Schichten - kurz: wir sind Zwiebeln, die sich immer wieder mal häuten... ;)

LG, Rhea
 
Sieht man nicht immer noch etwas unter den Schleiern? Fühlt man im Erlahmen nicht schon das nächste Aufzucken? Fühlt man im Ruhen nicht immer noch irgendwo den Tanz? Brennt das Ich nicht längst lichterloh, sobald es nur einen Ton, eine Regung verspürt, obwohl das Auge noch Nebel sieht, das Ohr noch nichts hört oder nur ein leises Anklingen, die Nerven nur ein Zucken verspüren? Wenn man verzweifelt im Nichts steht, sich ohnmächtig fühlt - rührt sich nicht längst in tieferen Schichten das Aufbegehren, das in eine Richtung gezogen werden, auch wenn man oberflächlich noch wie tot ist, sich noch gelähmt fühlt?
Liebe Rhea,

wow! Darin verbirgt sich bereits ein neues Gedicht.

Anerkennende Grüße,
Karin
 

Rhea_Gift

Mitglied
Jo, liebe Estrella - das klänge dann wohl so:

Das wogende Leben
ein Tanz unter Schleiern
glücklich
wer fühlt all die Sterne darunter
wer Mut hat, auch blind
manchmal lahm und taub
dennoch
rauschende Hochzeit zu feiern -

Tag für Tag!

:)

LG, Rhea
 

JackoF

Mitglied
Hallo Rhea,

erst einmal vielen Dank für Deine Erklärung !

Und klar, so nahm ich es irgendwie auch an - habe hier halt diese Zeile
nicht außen, nicht innen - nur stille und schweigen
zu scharf empfunden :))))

Rhea,
möchte gerade nochmal zu Herberts Theorie-Analyse eingehen.

----------------
Hallo Herbert,

ich meine, dass Dir hier ein kleiner Verschreiber geglückt ist ;)
zu :
...ein schöner amphybrachischer 14-Zeiler, wobei bei männlichen Reimen der letzte zu einem Trochäus mutiert.
Hier mutiert doch dieser Amphybrachius-Versfuß mit männlicher Kadenz zu einem „Jambus“ / und nicht zu einem Trochäus :))

Und zu den letzten beiden Versen, bezüglich S4, hat doch Rhea sehr schön, wegen des betonend untermalenden Inhalts, gerade bewusst diesen Amphybrachius-Versfuß verlassen.

Beispiel letzte Strophe :

doch unter den schichten, da regt's sich, es glimmt
xXx | xXx,| xXx,| xX ..<= Jambus
ein funke, noch schwach, und ein ton, leicht verstimmt
xXx,| xX, x | xX, [blue]XxX[/blue] ..<= Jambus + Kreticus(mit Hebungsprall)
klingt an - längst mein ich - lichterloh sich ihm beugt.
xX - XxX - Xxx | XxX ..<= Kreticus
oder:
xX - XxX - XxX | xxX ..<= Kreticus


Was meint Du Rhea, und Du Herbert ? :)

So Rhea,
wieder ein Jacko-Tschüss / und wie ich ja schon im ersten Kommentar sagte, sprachlich wieder mal ein gelungenes Sonett :)

Übrigens,
habe gerade auch Dein abgeleitetes neues Gedicht aus diesem Gedichtskommentar gelesen.
Echt super, ......und spontan :)))))

--
 
H

Heidrun D.

Gast
Liebe Rhea,

ich mach es mal kurz ;) :Mir gefällt dein Sonett. Sehr sogar. Mit dem allerletzten Vers habe ich ein wenig Probleme, klanglich wie auch von der Logik her:

ein funke, noch schwach, und ein ton, leicht verstimmt
klingt an - längst mein ich - lichterloh sich ihm beugt.
Klanglich ist es dir ja selbst aufgefallen, deshalb wohl der Einsatz der beiden Gedankenstriche ... doch inhaltlich frage ich mich, wie aus der glimmenden Glut übergangslos (!) das Lichterlohe entstehen soll ... mir fehlt da die Zündung.

Mmmh.

Ansonsten entflammte Grüße
Heidrun
 

Rhea_Gift

Mitglied
Hallöchen,

also - ich bin ein Freund formaler Untermalung des Inhalts statt durchgehendem Gleichklang, das stößt nicht immer auf Gegenliebe - Jacko, du hast das fein herausgearbeitet - hier wird sowohl die Verstimmung wie die Aussage der letzten Zeile durch formale Brüche betont - und daher bin ich auch insgesamt vom sonst jambischen Schema (das sonst ja in meinen Sonetten auch üblich war) abgewichen. Ich weiß, das ist immer gewagt - aber für MICH macht's Sinn, auch wenns nicht jedem gefällt... die Kommentare zeigen aber auch erfreulicherweise, dass auch andere diese Vorgehensweise nachvollziehen und gar gut finden können :)

Heidrun - hast du meinen Erklär-Kommentar gelesen? Es geht darum, dass man eben einerseits den Funken sehen/spüren kann, in tieferen Schichten sich das Ich sich an diesem aber längst vollständig entzündet hat, längst lichterloh brennt, sich ihm beugt - auch wenn der Schicht darüber das Ganze noch als glimmender Funke erscheint... kennt ihr das nicht? Dieses "ach, eigentlich war mir das doch viel früher längst klar.../... zog mich längst alles dahin, obwohl sich noch was sträubte, man noch unsicher war/... ich habs eigentlich schon imer geahnt... etc." ??? Der Ton klingt leise an, vielleicht gar noch verstimmt - doch die innere Komposition steht längst... fliesst längst... in einer tieferen Schicht... sie muss sich nur nach oben kämpfen - a la im Keim ist längst die fertige Pflanze verborgen - sie muss nur noch rauskriechen... Aristoteles lässt grüßen... :D

LG, Rhea
 

Rhea_Gift

Mitglied
PS: an Jacko - die Kreticus-oder: Variante xxX am Ende hatte ich eher angedacht. :) das Ich beugt sich längst, auch wenns das ich scheinbar noch net weiß - aber eigentlich - naja, so'n Ich ist halt vielschichtig, da reicht ein sogenanntes "es" gar net aus... :D

LG, Rhea
 



 
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