mama, nach dem anfall

3,50 Stern(e) 8 Bewertungen
S

samuel

Gast
gegensätzliche bewertungen

mich wundert die große unterschiedlichkeit der bewertungen; ich würde gern mal ein paar begründungen dafür lesen.
danke! lg samuel
 
D

Denschie

Gast
hi samuel,
ich habe noch gar nicht bewertet, aber heute mittag
gelesen und überlegt, ob ich es stinklangweilig oder
sehr ansprechend finden soll.
die ersten drei zeilen kann ich mir erklären. in kurzen
worten viel gesagt. das gefällt mir und ist richtig
unheimlich, wenn man sich vorstellt, was da alles so zum
vorschein kommt von innen.
die letzten beiden zeilen verstehe ich einfach nicht.
meinst du, wenn sie tot ist, schimpft sie nicht mehr?
warum schimpft sie jetzt? ist das das innere, das nach
außen getretene ist? eine cholerische persönlichkeit, die
sich richtig gehen lässt?
oder deutet die formulierung: "wenn sie erst asche ist"
auf einen ganz anderen zusammenhang hin? geht es gar nicht
um eine mütterliche person, die einen schlaganfall erlitten
hat und ich habe bloß alles zu wörtlich genommen?
in seiner gesamtheit für mich noch verwirrend.
keine ahnung, ob du licht ins dunkel bringen möchtest.
vg, denschie
 
S

samuel

Gast
hallo, denschie!
danke, dass du geantwortet hast! schön, dass dir die ersten drei verse auch gefallen. die waren, als ich das gedicht schrieb - mutter und tochter in einem restaurant beobachtend -zuerst da: situationsbeschreibung quasi, pointiert. dann folgten die nächsten zwei, die ich schon länger ähnlich in mir hatte und die sich mir jetzt ergänzend aufdrängten: "die asche schimpft nicht mehr" habe ich vor ein paar jahren gedacht - anlässlich der beerdigung einer frau, die ich gekannt hatte, die sehr unglücklich gelebt hatte und sehr unglücklich gestorben ist - und die immer, immer geschimpft hatte; ich dachte das, als ich, fast hinhorchend, auf die urne blickte.
soviel zur entstehung. mehr deuten und erklären möchte ich nicht. soll doch der text für sich selbst sprechen!
ich dachte (und meine es eigentlich immer noch), die beiden teile des gedichts zu einer einheit verbunden zu haben...mhh...
lg samuel
 

NewDawnK

Mitglied
Hallo Samuel,

die folgende mögliche Leseart hat zu meiner Wertung geführt:
Hier wird ein Mensch ähnlich wie ein Gegenstand aus der Beobachterperspektive "abgehakt".
"sie sitzt jetzt starr,
schlagartig
ist das innere nach außen getreten;"
... eine Beschreibung, die eine bildhafte Präzision vortäuscht, wo eigentlich keine sein kann. Was "sieht" das lyrische Ich wirklich?
"wenn sie erst asche ist,
schimpft sie nicht mehr."
... in Kombination mit dem ersten Abschnitt könnte das im schlimmsten Fall auch der Spruch eines Serienkillers sein.

Nachdem Du erklärt hast, wie dieses Gedicht entstanden ist, kann man sich sicher auch andere Lesearten einfallen lassen.
Ich denke nur, das wird an dem emotional distanzierten und in der Summe m.E. abwertenden Blick auf einen Menschen nicht viel ändern, den Dein lyrisches Ich hier transportiert.

Schöne Grüße, NDK
 
P

Prosaiker

Gast
äußerst gefühlvoll, wie das meiste von dir.
das geheimnisvolle an deinen texten interessiert mich immer wieder.
vg,
Prosa.
 
S

samuel

Gast
sie sitzt jetzt starr,
schlagartig
ist das innere nach außen getreten;
wenn sie erst asche ist,
schimpft sie nicht mehr.
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo samuel,

blieb zufällig an diesem Gedicht hängen, das ja schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat.
Die Kommentarlage hierzu empfinde ich als etwas dürftig und außerdem wollte ich dir von einer ganz anderen Leseerfahrung berichten, als es schon geschrieben steht.

emotional distanziert ist das Gedicht m.E. nur vordergründig und - oberflächlich betrachtet - mag es sich um einen abwertenden Blick auf einen Menschen handeln.

Gleich beim ersten Lesen empfand ich das Gedicht als ein sehr trauriges; die Mama zeigt an, das eine ganz starke emotionale Bindung gegeben ist.

Sehr schön das Bild der emotionalen Erstarrung, plötzlich nach außen gekehrt.

Der Schlusssatz ist ein Hammer! Kalt und abweisend. Ich übersetze ihn so:

Es wird der Tag kommen, da wird sie Asche sein. Und dann war es uns - Mama und mir - in diesem Leben nicht gegeben uns einander zu zeigen. Hilflosigkeit, Sprachlosigkeit, Ohnmacht, Nichtherausfindenkönnen aus der Erstarrung war das, was zu teilen uns vergönnt war; das ist verdammt wenig. Das tut verdammt weh. Vielleicht so weh, dass der Zynismus angerufen wird, um nicht zu verzweifeln.

lg wüstenrose
 
G

gitano

Gast
Hallo!
Ich lese aus diesen Zeilen ein Gefangensein in einer Beziehung die in eine wechselseitige Eskalation geglitten ist...daher auch der Eindruck der Distanzierung (der eher ein Selbstschutz in solchen Beziehungen ist...)
Solche Beziehungen gibt es nunmal...

Die fragamentarischen Bilder unterstützen diese Wirkung...und spitzen dies auch in den letzten Zeilen enorm zu...anscheinend gibt es keine andere Lösung als diese...(was natürlich eher erschütternd wirkt). ICH LESE KEINE Intuition vom LI heraus den Beziehungspartner zum Objekt zu stilisieren...eher die Unmöglichkeit sich aus der wechselseitigen Eskalation zu befreien...tragisch..

Handwerklich tragen diese Bilder zwar das Thema aber für mich etwas zu fragmentarisch. Der Zündstoff socher Themen gibt mehr her...und es gibt anscheinend Redebedarf dazu. Wer will dies "verbieten"?

Da nach meiner Ansicht das Thema und die handwerkliche Umsetzung noch nicht so gut getroffen sind kann ich keine hohe Bewertung vergeben...aber das Thema selbst ist wichtig!

...ich hoffe daß dies aureichend ist für die gewünschte Bewertungsbegründung. Der Text ist ok...mehr aber auch nicht..

Liebe Grüße
gitano
 
S

samuel

Gast
sehen/fühlen

Danke, wüstenrose!

Ich glaube, Du siehst viel, vielleicht sogar mehr als ich. Jedenfalls weiß ich, dass es ein Gedicht von fast unendlicher (Übertreibe ich?) Traurigkeit ist.

LG, samuel
 



 
Oben Unten