Liebe Inu,
sobald ich in englischsprachigen Ländern bin, ärgere ich mich über Floskeln.
Ich weiß, das ist nicht unbedingt fair – doch so ein schnell hingeworfenes <how are you!?>, auf das bei Gott (!) keiner eine Antwort will, könnte von mir aus verboten sein.
Ich bin sicher, es tut dir nicht leid.
Muss es auch nicht.
Egal welche Assoziation ein Gedicht im Leser weckt – sie mag begründet sein. Für ihn. Das ist gerecht!
Wie soll ich erklären –
Gerade vollendete Gedichte haben eine so makellose äußere Gestalt, dass jeder Versuch, in sie einzudringen, an der dichtgefügten Oberfläche abgleitet. Deshalb behilft sich der ungeübte Interpret dann meist damit, dass er aus lauter Verlegenheit erst einmal das Evidente konstatiert.
Ein Vorschlag.
Statt mit der Aufzählung der Regelmäßigkeiten zu beginnen, könnte man das Gedicht erst einmal daraufhin untersuchen, ob sich nicht an irgendeiner Stelle eine Unregelmäßigkeit feststellen lässt. Dabei kann es sich um eine bloße Härte im Klangfluss, um ein Stolpern im Metrum, einen Bruch in der Gedankenfolge, eine Abweichung vom Reimschema oder um irgendeine Bruchstelle handeln, die man bei genauem Lesen so deutlich fühlt, wie man mit dem Finger den Sprung in einem Porzellangefäß spürt.
Da man grundsätzlich davon ausgehen muss, dass der Dichter das Gedicht bis ins Detail so haben wollte, wie es dem Leser vorliegt, ergibt sich bei einer ins Auge springenden Unregelmäßigkeit zwangläufig die Frage, was diese zu bedeuten habe.
Anzunehmen es müsse die eigene Assoziation sein, ist der leichtere Weg.
Doch auch dieser ist natürlich gestattet.
Lieben Gruß,
Gabi