narkosearzt

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rosste

Mitglied
narkosearzt

ich betäube
die leute
und wecke sie
wieder auf
ohne gallenblase
versteht sich

wie geht es ihnen?
haben sie schon einmal
narkose gehabt?

der monitor leuchtet
und piepst
frau m. liegt still
wie ein stehengebliebener film

es geht ihr gut
den pharmaschlaf
hat sie gewollt

96% sauerstoffsättigung
blutdruck 111 zu 61
das sind lustige zahlen
denke ich
und weiβ genau
sie wird bald
munter ihr klinikmärchen
beenden

ich sehe sie nie wieder
und wünsche ihr
nur glück
 
D

Denschie

Gast
hallo rosste,
deine betrachtung ist gelungen.
eine paradoxe situation zwischen
der arbeit am menschen, die dennoch
den menschen außen vorlässt, oder der
umstände wegen außen vorlassen muss.
sprachlich hätte deine gedicht
teilweise deutlicher ausfallen können.
klarer.

"den künstlich`schlaf"
warum hier die "alte" form?
"frau m. liegt still wie ein bett"
ein merkwürdiger vergleich.

kleinigkeiten, die form an sich ist
stimmig.
viele grüße,
denschie
 

rosste

Mitglied
Hallo Denschie,
Danke für deine Kritik.
Der Mensch in Narkose wirkt "entrückt".
Die Schlaf- und muskelerschlaffenden Mittel geben ein ziemlich unnatürliches Bild. Das ganze erinnert an eine schwere Leichtigkeit, atmende Blässe... der Birkenstamm kommt mir in den Sinn.

LG, Stephan
 

Mirko Kussin

Foren-Redakteur
Hallo rosste,
auch mir gefällt dieser Text. Aber an zwei Stellen bin ich etwas gestolpert:
Zum einen der schon veränderte Birkenstamm. Warum jetzt gerade ein Birkenstamm? Du schickst den Leser damit in eine Richtung, die er nicht nachvollziehen kann. Den konkreten Ausdruck Birkenstamm, würde ich durch einen etwas allgemeineren Ausdruck ersetzen (vielleicht Baumstamm, aber das ist ziemlich abgegriffen). Mhh kann ich schwer erklären, aber ich stellte mir beim lesen sofort die Frage, warum denn jetzt gerade ein Birkenstamm, und nicht eine Buche, oder eine Eiche (und warum denn ein Birkenstamm jetzt so still ist)...
Und der zweite Punkt sind die lustigen Zahlen... warum sind 96% und 111 zu 61 lustige Zahlen? Das sind doch erstmal nur Ziffern, hinter denen zwar eine Menge steht und die viel über einen Menschen aussagen können, aber sind sie lustig?
Ansonsten wie schon geschrieben... schöner Text...
Gruß Mirko
 
M

mirami

Gast
hallo rosste,

da schließ ich mich mirko an. der birkenstamm gehört eher in ein naturgedicht als in den op. :D .
vielleicht hier etwas wie?:

der monitor leuchtet
und piepst
frau m. liegt still
ihr herz schlägt aus

(in bezug aufs ekg)

was ist denn an den zahlen 111 zu 61 so lustig? hm... das kann ich nicht recht nachvollziehen,
wohl aber das beruhigte gefühl des anästhesisten beim anblick der werte, das du vielleicht mit dieser aussage vermitteln möchtest. da würde ich, nur ein vorschlag, die “lustigen zahlen“ durch “stabile werte oder “gute werte“ ersetzen.

was mir sehr gut gefällt an deinem gedicht, ist die sicherheit des arztes, für den die situation routine ist, solange alles gut läuft. das liest sich sehr authentisch.

liebe grüße
mirami
 

rosste

Mitglied
Hallo Mirko,

Vielleicht habe ich hier oben schon eine Birkenmacke bekommen. Ich habe jedenfalls den Birkenstamm mit einem stehengebliebenen Film erstattet.
Zu den Zahlen: Früher haben wir den Blutdruck noch mit der Hand gemessen, dem Stethoskop und dem Ohr. Wir hörten nicht besser als z.B. 120 zu 80. Heute ist alles elektronisch.
Manchmal erscheint dann auf dem Monitor z.B. 123 zu 45.
Ob 111 zu 61 oder 109 zu 62 ist so gut wie egal. Die beiden Einsen am Schluss finde ich deshalb so witzig.

Hallo mirami,

der Birkenstamm ist weg.
"ihr herz schlägt aus" - finde ich nicht so gut - ist auch nicht üblich zu sagen. EKG - ausschlag dagegen schon.
"stabile werte oder gute werte" sind zwar übliche Begriffe, für das Gedicht aber zu langweilig.
Dass das Gedicht auf dich authentisch wirkt, hat mich sehr gefreut.

LG, Stephan
 
I

inken

Gast
hallo rosste,

gefällt mir, dein text, ich habe oft überlegt,
ob so ein narkosearzt auch empfindungen hat,
wenn er einen so selbstverständlich in die
empfindungslosigkeit schickt :) - nun weiß
ich es.

lg inken
 

rosste

Mitglied
Hallo inken,
Ja, ich schicke die leute in die empfindungslosigkeit...und hole sie wieder ab.
"Anästhesie" heiβt ja "ohne gefühl".
Ich arbeite mit der zeit viel nach gefühl.
Und wenn jemand ängstlich wegen der narkose ist, sage ich oft, dass ich ein gutes gefühl habe, was die kommende narkose betrifft. Das nimmt etwas die angst und erspart oft lange erklärungen.
LG, Stephan
 

Arezoo

Mitglied
Es hat mir gut gefallen, dein Gedicht.
Die Authentizität kann ich aus eigener Profession nur bestätigen.
Einzig das 'Klinikmärchen' kann ich nicht so recht einordnen.
Jeder Patient eine kurze Episode, aber sehen das die Patienten genauso?
Hmm... damit kann ich mich nicht anfreunden.
Ja, und das du die Leute auch wieder abholst aus ihrer Narkose - das will ich doch stark hoffen!

mit kollegialen Grüßen,
Arezoo :)
 

rosste

Mitglied
Hallo Arezoo!
Freut mich, wenn dir das Gedicht gefällt.
"sie wird bald
munter ihr klinikmärchen
beenden" ist etwas gewagt, gefällt mir selber aber ziemlich gut.
Es zeigt, dass im Krankenhaus viel passiert, was wir nicht erklären können - die Patienten werden trotzdem gesund.
Ich will aber auch andeuten, dass viele Menschen denken, wenn sie operiert sind, sind sie automatisch auch geheilt. Das ist etwas ganz anderes.
Etwas herausschneiden oder einsetzen ist selten eine kausale Therapie, oft eher eine "Symptombehandlung".
Die Gallenblase ist zwar raus, der ganze Patient bleibt aber auch "auβen vor".
Wenn etwas entfernt ist, hat der Mensch keine Gelegenheit der Selbstheilung mehr, wozu aber auch wieder die wenigsten Patienten Lust haben - Narkose und Operation ist doch viel "einfacher" - halt ein kurzes Märchen.
LG, Stephan
 

Arezoo

Mitglied
Lieber Stephan,
dank deiner Erklärung, kann ich 'Klinikmärchen' viel besser einordnen.
Ja, jetzt gefällt es mir richtig gut, unter deinen beschriebenen Gesichtspunkten.
Manchmal ist es tatsächlich so, dass die Patienten gesund werden und keiner kann sich erklären, wie das auch ohne unser Zutun möglich war...
(oder gerade deshalb?) Wie im Märchen.
Gallenblase weg - Beschwerden weg.
Und munter weiter Schmalzstulle...

Liebe Grüße,
Arezoo
 
Das Problem mit Frau M.

Ich hab schon verstanden, dass Frau M. in Narkose daliegt wie ****, wobei mir ein "Birkenstamm" noch irgendwie passend schien (Blässe, wie "ehern", "wachsig"), die arme Frau M. als ein stehengebliebener Film aber ???
Man könnte sie als "Standbild" labeln, aber da ist das Wort "Stand" natürlich dem Liegen im Weg.
Mein Erleben, dass solche Frau M.'s deutlich den Eindruck von schlichten Bewusstlosen ("Toten", Komatösen) machen, passt wohl nicht zum Textinhalt, ja, das wäre sogar textlich kontra-indiziert, soll doch alles an der unbedenklichen Oberfläche verbleiben.

Dass Frau M. "daliegt wie eingeschlafen", wäre leider im Textzusammenhang ebenfalls banal.
Ich würde den Satz lieber ganz nullen, und dafür noch eine Zeile "Technik" addieren: etwa Kerntemperatur, Atmung, Hautblässe oder sowas.
Aber wichtig ists natürlich nicht.


PS: Wenigstens hat Frau M. einen aufmerksamen Arzt, denn allzu viele Chef-/Betäuber sind allzu oft "spritig", und wenn man ihnen den Unterschied zwischen Anästhesie und Anästesiologie erklären will, reagieren sie unwirsch.
 
R

Richard von Lenzano

Gast
Hallo Stephan,

wie schade, daß Du mich nicht als Patient gehabt hast. Wahrscheinlich wärest Du dann um diverse "Talers" reicher.
Ich bin nicht Stolz darauf, aber ich hatte in meinem bisherigen Leben 24 Operationen - jeweils mit Vollnarkosen - hinter mir.
Nachdem "Wiedererwecken" war ich den "Narkotiseuren" dankbar, daß ich wieder auf der richtigen Seite des Lebens war.

Eine verantwortliche Arbeit, die man nicht genug würdigen kann. Ich sehe dies auch immer aus Erzählungen meines Sohnes, der als Anästhesiepfleger bei der UNI in Kiel ist.

Ich wünsche Dir immer eine 100%ige Aufwachquote deiner "Abgeschossenen"

Viele liebe Grüße nach Norge
Jürgen
 

rosste

Mitglied
@ waldemar
den stehengebliebenen film, der einst ein birkenstamm war, weglassen? ..ist geschmacksache
vergleiche hinken natürlich
frau m. liegt still
wie ein stehengebliebener film

ist nur ein versuch, einen teil der ganzen situation zu beschreiben
ich komme gerade wieder von einer narkose, habe dienst
der film geht ja weiter
die frau heute ist auch wieder aufgewacht - ihr fehlt halt nur ein stück film ...und der blinddarm (der blinddarmfortsatz)
noch mehr technik ins gedicht? ja, vielleicht
"ihr kohlendioxid in der ausatmungsluft zaubert schöne kurven auf den bildschirm..." z.b.

@ jürgen
ja, viele narkosen bei ein und demselben - ein stück leben auf dem op tisch

lg
 
R

Richard von Lenzano

Gast
Hallo Stephan,


es ist schon so, wie Du geschrieben hast, deshalb würde ich es auch nicht ändern.

frau m. liegt still
wie ein stehengebliebener film
Ich kann es bestätigen, denn es ist wirklich wie ein Filmabriß. Umsonst sagt man ja den Patienten nicht, träumen sie etwas schönes.
Hinterher kannst du dich an nichts mehr erinnern - denn geträumt, habe ich in 24 Narkosen nie


meint
Jürgen
 
@ rosste

Haha, vielleicht hab ichs? (oder es mich? hihi):

"Frau M. liegt (so) still wie (ein/e) XY im Film"
(und dann eine bekannte Filmszene nennen)

... aber, ok., ist nicht sooo wichtig.
 
R

Richard von Lenzano

Gast
Hi Stephan,

Du hast Deine Seite der Geschichte vorzüglich geschildert. Ich habe mir erlaubt, einen Text aus dem Jahre 1993 anzufügen, in dem ich Patient war.




Überflug




Dunkle Wolken schweben über mir
ich kann sie nicht ordnen.
Gewitterwolken ziehen auf
es donnert und blitzt. Regen fällt:
Was ist mit mir?

Schemenhaft sehe ich eine grelle Sonne.
Doch, ich kann ihre Wärme nicht spüren.
Tausend glühende Nadeln umschwirren
meinen Körper sie wollen mich stechen:
Wo bin ich?

Da, eine der Nadeln hat mich getroffen.
Ich schwebe empor, getragen von
ungeahnten Kräften. Sphärische Klänge
umschmeicheln meine Ohren.
Seele und Körper sind losgelöst
vom irdischen Dasein:
Was macht man mit mir?

Um mich herum herrscht Zufriedenheit und
absolute Stille. Gleichgültig lasse ich
meine Gedanken grenzenlos schweben.
Plötzlich erschrecke ich:
Dumpfes Gemurmel dringt an mein Ohr.
Ich kehre in irdische Gefilde zurück:
Wo war ich?

Die Sonne scheint - ein, es ist eine
Lampe, die über mir leuchtet.
Ich liege in weißen Linnen. Man sagt mir,
dass ich die Augen ruhig schließen könne
es sei alles wieder in Ordnung.

Friedlich lasse ich mich treiben.
Es wird wieder dunkel
meine Sinne ordnen sich:
Ich weiß, dass ich wieder
unter den
Lebenden
bin.


Liebe Grüße nach Norge
Jürgen
 

rosste

Mitglied
@ waldemar
jeder hat seinen eigenen lieblingsfilm, von dem er träumt, auch mitten am tag...
wie ein stehengebliebener film - ich lasse es erstmal so stehen, danke

@jürgen
danke für deinen teil
Um mich herum herrscht Zufriedenheit und
absolute Stille.
- du warst ein guter patient :)

lg
 
B

Burana

Gast
Hi rosste!
Lass Deinen Film... Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass 'mein' Narkosearzt mit dem Operateur Witze über Baden gemacht hat. Als ich denen das nach der OP erzählte, waren sie reichlich platt. (Mit Baden war das Bundesland gemeint - ich stamme aus Württemberg, daher wohl die Lust der beiden am Frotzeln...)
Liebe Grüße! Burana
 



 
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