pilgern müssen

Bunzel

Mitglied
Es ist noch dunkel.
Die Berge, die sich schemenhaft vom schwarzen Nachthimmel abheben, liegen da, wie immer, Im ewigen Schlaf.
Die Steine reiben verhalten aneinander, als der erste Fuß auf ihnen aufzusetzen beginnt. Es ist ein Mädchen, kreidebleich, scheinbar dem Schatten des Berges entsprossen.
Auch, als sie den zweiten Fuß auf die Steine setzt, ertönt ein sanftes Knirschen. Ja, nur ein sanftes. Hätte eine Mannesgestalt an ihrer Stelle den Fuß aufgesetzt, hätten die Steine vor Schmerzen geschrien, nicht aber bei dem Mädchen. Tapfer setzt sie ihre Schritte fort, immer nach oben.
An den Rändern des Weges beobachten sie die Büsche, die leise tuscheln. Nicht oft finden Wanderer hier hinauf, erst recht nicht nachts, um diese Zeit – und erst recht nicht ein kleines Mädchen.
Schon kratzen die Schrammen an ihren Füßen wieder auf, die auf dem weichen Waldboden zu heilen begonnen hatten.
Schon taumelt sie, vor Erschöpfung.
Wieder und wieder streicht sie sich die Strähnen aus dem Gesicht, und sie schwitzt und friert im selben Moment.
Schließlich erreicht sie das hölzerne Kreuz auf dem Gipfel des Berges.
Auf die Knie fallend murmelt sie etwas.
Nein, sie wird ihren Bruder nicht noch einmal schlagen. Und sie wird nie wieder lügen.
Dieses Versprechen entrinnt ihren Lippen zwischen dem Schluchzen und den fließenden Tränen.

In der Ferne beginnt sich der Himmel zu erhellen.
Irgendwo zwitschert ein Vogel.
 



 
Oben Unten