planet der affen

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M

margot

Gast
eine frau, die sich im altenheim
verirrt
eine frau mit einem künstlichen darmausgang
die soße läuft ins bett, weil
uns das richtige material fehlt
ein debiler, der stundenlang schreit
ein beinamputierter mit chronischem durchfall
und eine frau, die uns regelmäßig in den unterzucker
rutscht
die infusionen laufen
und wir legen unsere dicken füße hoch
in einer heißen nacht
zwischendurch gabeln wir gefallene vom boden auf
schauen auf die klingeln
und windeln 50 menschen, die glauben, dass sie vom
schwitzen naß sind
meine kollegin und ich
schließen die fenster vorm gewitter
und diskutieren über unsere pflege
wir machen so viel falsch
wir reden auch über privates
und gucken nebenbei
den „planet der affen“
ich mag meine kolleginnen
wir wechseln uns ab im scheiße-weg-wischen
10 betten bezogen
und die restlichen stunden zum morgengrauen zählen
ich mag sie alle
ich nehme sie alle in den arm

das unsagbare passiert dauernd – im altenheim
aber kein schwein reflektiert diese
ebene
mit den aussortierten alten und uns
nach 15 jahren bin ich verschmolzen mit
allem
allem
allem

auf welchem planeten leben wir?
 

Schakim

Mitglied
Hi, margot!

Auf dem Planeten
Mit dem grossen Müll
Leben wir
Und verhüllen alles mit Tüll!
Auf dem Planeten
Der Gefühlsarmut
Leben wir - und trotzdem
Tut es scheinbar allen gut!
Auf dem Planeten,
Wo man Alte entsorgt in Heimen,
Denn man kann ihr Weinen
Nicht mehr hören.
Die Alten stören...
Auf dem Planeten
Der Jungen
Sind wir alle gesprungen,
Liessen unseren Gefühlen
Freien Lauf -
Einer hielt sie auf,
Hat uns Schranken gesetzt -
Und zuletzt
Enden wir dort bei den Alten,
Können das Wasser nicht mehr halten,
Nicht mehr essen,
Nicht mehr gehen,
Nicht mehr verstehen,
Was mit uns
Weitergeschehen wird...
Stirb!


HG
Schakim
 
M

margot

Gast
guten morgen

danke schakim für deine antwort in gedichtform.
leider spüre ich, daß ich trotz großen bemühens
an das wesentliche dieses themas nicht herankomme.
das scheitern der sozialgemeinschaft ist auch
mein scheitern. letzlich. mit dem unterschied, daß
ich an einem brennpunkt menschlicher ohnmacht vor
ort bin.

liebe grüße
ralph
 
M

margot

Gast
(kein persönlicher angriff)

den spruch höre ich oft. und er nervt.
warum bloß?

margot
 

GabiSils

Mitglied
(nervt)

Hallo Ralph,

den spruch höre ich oft. und er nervt.
warum bloß?
Ist das eine rhetorische Frage?
Wenn nicht:
Ich kann mir mehrere Gründe vorstellen.

Sicher hat der Spruch eine Alibifunktion. Ich selber habe das auch schon gesagt, ehrlich gemeint, aber im Grunde heißt das nichts als: *Ich* würde das niemals tun, nicht einmal für meine Eltern und schon gar nicht für Fremde, zum Glück gibt es Leute, die dafür bezahlt werden und ich kann das Thema aufatmend beiseite schieben, wenn ich diesen Menschen gebührend Respekt bezeige.

Es gibt auch eine persönliche Ebene, die hineinspielen kann. "Was machst du beruflich? Ach, Altenpfleger... aha.. ich bewundere etc.etc." (denkt: ein Jammer, bei seiner Begabung, was hätte er nicht alles erreichen können, Chefredakteur oder Bundeskanzler... na ja, diesen Stress erträgt nicht jeder, so hat er doch wenigstens eine sinnvolle Aufgabe...) beachte: diese Variante entspricht nicht meiner Einstellung, ich kenne das in ähnlicher Weise, weil ich *bloß* Buchhalterin bin, noch nicht mal mit Studium)

Fällt dir eine Lösungsmöglichkeit ein, Ralph, diese Ghettoisierung der Alten und ihrer Betreuer zu vermeiden? Zurück in die Familien kann's nicht sein, denn was würde geschehen: die Frauen würden nach der Erziehungsphase, wenn die Kinder groß sind, direkt in die Pflege wechseln, ohne Anerkennung oder die Chance auf Unabhängigkeit - es ist immer noch weitgehend so, auch wenn es Ausnahmen gibt.

Ein Wandel müßte viel tiefgreifender sein, vor allem müßten erzieherische und pflegerische Berufe einen ganz anderen Stellenwert und Status erhalten, Familienarbeit müßte der Erwerbstätigkeit gleichgestellt werden - aber wie soll das funktionieren in einer Gesellschaft, in der Bindungen nur noch mit "mal sehen, ob es klappt" eingegangen werden?

Ich weiß es auch nicht.

Schönen Tag dir

Gabi
 
M

margot

Gast
pflege

hallo gabi, danke für deine hintergründigen erläuterungen.
von heute auf morgen wird sich nichts ändern. die angst
vor tod, alter und krankheit ist naturgegeben. der
umgang mit den fragen der vergänglichkeit findet
freilich in einer konsum- und nach schönheitsidealen
ausgerichteten gesellschaft leider nur eine randrolle.
ich finde es schon toll, daß in den medien desöfteren
kritische berichte zu diesem thema gezeigt werden.
die subtile auseinandersetzung fand allerdings noch
nicht statt. eine zeitbombe: denn es werden immer mehr
alte und pflegebedürftige menschen die gesellschaft
in zukunft "belasten". pflege kostet aber geld.
geld ist keins im topf. na, prost mahlzeit.
das spagat, das wir altenpfleger(innen) leisten müssen
ist kaum auszuhalten: denn es werden auf der anderen
seite immer größere qualitative ansprüche an uns ge-
stellt. wenn du morgens 8 schwere pflegefälle zu
waschen und zu versorgen hast, sind dir aber irgend-
wann die schulweisheiten scheißegal. die gefahr aus-
zubrennen ist riesengroß. leidtragende sind die
schwächsten glieder in dieser kette: die alten, die
pflegefälle ...

unsere gesellschaft muß kapieren, daß sich gute pflege
nicht von selbst erwirtschaften kann. oder wir geraten
auch in der pflege in eine zweiklassengesellschaft.
naja, in wirklichkeit existiert die schon.

beste grüße und nochmal danke für deinen guten beitrag.

ralph
 



 
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