q.e.d.

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petrasmiles

Mitglied
Vom Großen und Ganzen – oder: das Technokraten-Roulette

Ein Heer von gut ausgebildeten Managern wird Tag für Tag
losgeschickt, die Effizienz zu steigern. Sie schneiden
zurecht, schrauben runter, kürzen hier, outsourcen da,
und alles zum Wohle des shareholder value.
Nationalökonomien gibt es nicht mehr – im Lehrbuch.

Der Manager hat mit der Produktion nichts mehr zu tun.
Er beaufsichtigt lediglich die Umsetzung von Kennzahlen.
Er darf sich glücklich schätzen, dass er nicht mehr
produzieren muss. Er wurde als geeignet erachtet, soviel
vom Großen und Ganzen zu verstehen, dass er steuern darf.
Er weiß zwar nicht soviel vom Großen und Ganzen, dass er
es wirklich durchschaut, aber die Stimme über ihm fällt in
sein Ohr, und so weiß er immerhin mehr, als die, die er
steuert.
Und zur Not, wenn der Unmut von unten nicht verstummen
will, kann er, Chef I, immer noch das Zauberwort ‚Globalisierung’
aussprechen, und dem kann keiner mehr etwas entgegen halten.

Sein Chef, Chef II, weiß noch mehr vom Großen und Ganzen,
aber nicht mehr soviel von der Produktion. Aber das ist auch gut so.
Wie sollte er nachts ruhig schlafen, wenn er so genau
wüsste, welche Konsequenzen seine Messzahlen für die
Produktion und die produzierenden Menschen hätten.
Dieser Chef weiß noch nicht genug über das Große und
Ganze, und darum muss er sich regelmäßig mit vielen seiner
Art treffen, um zu versuchen, herauszufinden, ob die
anderen mehr wissen; dabei gibt er sich den Anschein, als
wüsste er selbst sehr viel.
Er ist sich der Verletzlichkeit seiner Position bewusst,
man braucht ihn nicht, um die Produktion zu steuern, das
könnte er auch gar nicht mehr. Es ist also
überlebenswichtig für ihn, dass er viele Freunde im
Unternehmen hat, die er unermüdlich von seiner
Unersetzbarkeit zu überzeugen versucht. Da alle Chef II
dieses Bedürfnis teilen, geht es hier sehr lebhaft zu.
Chef II macht also Politik.

Dabei müsste er sich gar keine Sorgen machen. Denn für
eine Person ist Chef II in der Tat unersetzbar, und dass
ist Chef III. Der weiß nun wirklich viel vom Großen und
Ganzen – so, wie es sein sollte, so wie es nützlich ist,
wie es ihm, der Firma, der Wirtschaft und damit der ganzen
Welt zu Gute kommt.
Manchmal ist er ganz besoffen von der dünnen Luft der
Macht, die er manchmal atmen darf. Denn er bekommt seine
Anweisungen von ganz oben. Nur eine dünne Membran trennt
ihn vom Zentrum der Macht. Freudig begrüßt er jede strate-
gische Order im hohen Bewusstsein, der große Übersetzer
des Unternehmenswillens zu sein. Und dafür braucht er
Chef II, der diesen Willen verkündet, der wiederum Chef I
braucht, damit dieser die operative Ebene instruiert.

Chef IV schaut auf sie alle hinab wie auf seine Kinder,
die er mit seiner Vision auf den rechten Weg zu schicken
weiß. Er bestimmt das Ziel, gibt die Losung des Tages aus.
Und weil er damals als Chef II so gut taktieren gelernt
hat, und viele Freunde gewann – Feinde hat er keine mehr,
dafür hat er gesorgt – ist er nicht nur Chef IV, sondern
auch primus inter pares unter den Chef V. Die sind nun
eigentlich gar keine Chefs mehr, weil sie nur noch lenken.
Sie sitzen auch nicht exklusiv dem Unternehmen von Chef IV
vor, sondern reisen den lieben langen Tag von Sitzung zu
Sitzung, Unternehmen zu Unternehmen, Ausschüsse,
Konferenzen, Tagungen, sie wissen einfach alles vom Großen
und Ganzen, so, wie sie es haben wollen.

Und weil sie soviel arbeiten müssen, und im Grunde mehrere
Jobs haben, die ihnen auch niemand abnehmen kann, müssen
sie auch soviel verdienen.
Und außerdem – sie tragen ja die Verantwortung.
Außer, wenn etwas passiert: Umsatzrückgang, Flops,
Rohertrag bröckelt, Rendite aus Investitionen brechen ein.
Dann sind sie von Chef IV falsch informiert worden; und
Chef IV nimmt für sich in Anspruch, einerseits von Chef
III nicht die richtigen Zahlen bekommen zu haben, und
andererseits, dass seine Anweisungen nicht richtig
übersetzt worden sind.

Chef III klagt ebenfalls, falsch informiert worden zu sein
und wirft Chef II vor, nicht alle seine Chefs I korrekt
instruiert zu haben.

Chef I hat nun keine andere Wahl, ob er nun gemogelt hat
und falsche Zahlen nach oben geliefert hat oder nicht, er
muss die Kuh vom Eis holen. Mit Zuckerbrot und Peitsche
erhöht er die Produktivität bei gleichzeitigem Einfrieren
des Überstundenbudgets; da werden schon einmal Kollegen
unter Druck gesetzt, Urlaub verstreichen zu lassen, ihre
Anwesenheit nicht erfassen zu lassen, oder sie werden zu
Hause angerufen, wenn sie krank sind. Die zwei
gestrichenen Stellen werden vom Rest des Teams mit
performed. Wir haben ja hohe Arbeitslosigkeit.

Meist gelingt es Chef I recht schnell und immer wieder,
die Segel in den Wind zu drehen.
Wenn nicht; dann muss dramatisch gespart werden. Chef IV
ist sich mit Chef V einig: Das muss Konsequenzen haben!
Chef III wird der Bonus halbiert, Chef II bekommen keinen
Dienstwagen mehr und die Hälfte der Chef I werden wieder
zu Produzenten. Die Mitarbeiter der am wenigsten
profitablen Produktlinie werden - nein, nicht entlassen,
mit Mann und Maus verkauft.

Aber meistens passiert nichts. Ich meine, das wäre ja auch
schön dumm, dabei erwischt zu werden, wie man die Regeln
bricht, wenn man sie selbst macht, oder Ziele nicht zu
erreichen, die man selbst definiert hat.
Und überhaupt. Niemals würde ein Chef V Chef IV
vorschlagen, Chef III solle Chef II davon in Kenntnis
setzen, dass Chef I Mitarbeiter Produzent zu Hause anrufen
solle, wenn der sich schon die zweite Woche krank gemeldet
hat. Das wäre ja sehr menschenunfreundlich, anstößig,
illegal. Und schlecht fürs Image. Er ist ja in exponierter
Stellung, da muss man schon aufpassen, wobei man sich
erwischen lässt.

Nein, Chef V erzählt Chef IV, wenn der dies nicht schon
längst weiß oder zumindest ahnte, dass Schwester-
unternehmen X bei Produkt oder Dienstleistung Y mehr
Gewinn macht. Chef IV sagt dann zu Chef III, wir müssen
mehr Gewinn machen. Chef III muss dann alle Fakten
sammeln, analysieren und die Stelle in der Gleichung
finden, an der er drehen muss, damit hinten der höhere
Gewinn rauskommt. Dann ruft er seine Chefs II zusammen und
verkündet: Wir müssen weniger Arbeit in die gleiche Menge
Umsatz investieren. Chef II nimmt dann seine Zahlen mit
und erklärt Chef I, bei Produkt a muss Team b c % Arbeit
einsparen. Und Chef I ruft dann den kranken Kollegen zu
Hause an, oder verweigert die Bezahlung von Überstunden
bei gleichzeitiger inoffizieller Anordnung oder nicht
ablehnbarer Bitte – (wir erinnern uns, es herrscht hohe
Arbeitslosigkeit) – bis morgen um 7 jenes Ergebnis/dieses
Produkt fertiggestellt zu haben.

Manche Chefs I, besonders die, die selbst gern produziert
haben, kommen auf die Idee, tatsächlich weniger Arbeit in
die Produkte oder Dienstleistungen zu stecken. Was weiß
denn schon der Kunde, was alles dazu gehört?! Dort ein
Detail weglassen, hier die Doku sparen, da nur drei mal
statt vier mal lackieren, und schon stimmt die Gleichung.
Andere Chef I erfinden Ausweichkonten, buchen Äpfel unter
Birnen – oder ordern Externe; die tauchen in der Gleichung
nämlich nicht auf. Bis jetzt noch nicht.

Chef II sammelt die kreativsten Ideen, die er Chef III
stolz verkündet als zukünftige Einsparpotenziale, die
wiederum Chef III auf Herzen und Nieren prüft. Die besten
meldet er an Chef IV, der immer wieder gerne Chefs V mit
seinem Einfallsreichtum beeindruckt.

Nach einer besonders gelungenen Aktion bewilligt das Chef
V Konsortium sich eine höhere Unternehmensbeteiligung und
Chef IV eine höhere Tantieme. Chef IV hebt die Gehälter
von Chef III an, der seinerseits den Bonus für Chef II
erhöht, der Chef I auf eine besonders attraktive
Fachkonferenz schickt.

Und die Produzenten bekommen ein Betriebsfest, eine Stunde
vor Betriebsschluss beginnend, auf dem sie sich so richtig
satt essen können und Chef IV seine neueste Vision
auftischt.
Wohl bekomms.
 
Humor/Satire?

Mir persönlich scheint es weder satirisch noch humorvoll zu sein. Der Text ist mir ein bisserl zu technokratisch. Irgendwie lutschen sich für mich die unzähligen Erwähnungen der Chefs I-V zu sehr ab. Bei jedem Absatz hoffte ich "aber jetzt kommt was, jetzt kommt die Pointe" - und es kam nichts.

Kann man das eventuell etwas eindampfen?

Marius
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Marius!

Vielen Dank für Deine Meinungsäußerung und die Beachtung meines Textes.
Ja, das ist keine 'Geschichte', sondern einer Karikatur ähnlich, die durch Übertreibung und Reduzierung auf wesentliche Merkmale von diesem Durchdeklinieren der Hierarchien lebt. Ich glaube nicht, dass Du durch 'Eindampfen' eine 'Pointe' finden würdest. Damit führt Deine Kritik nicht dazu, den Text zu verbessern; wenn ich diese Stilelemente weglasse, ist es ein anderer Text. Klingt mir ein bisschen wie nach einer Operation, die den Patienten heilt und tötet ;-) Ist mir zu radikal.
Vielen Dank nochmals!
Gruß
Petra
 



 
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