reißende Flüsse

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Reißende Flüsse


Ein Wirbel nimmt den nächsten mit
und Sturm ist in den Fluten-
ein rauschend Fest der Wellen grollt
und Wasser stolpert Schritt für Schritt-
als ob die fernen Berge bluten,
kommts donnernd in das Tal gerollt

Die Fische springen hoch,
als wollten sie im Sterben leben-
dem Tod wie einem Freund verbunden,
packt sie das Wasser schließlich doch,
um sie lebendig in sich einzuweben,
für immer in dem Tief verschwunden

Und selbst die Vögel zieht´s hinab
Froh stürzen sie hernieder
und finden frei im wilden Nass
ihr aufgepeitschtes Grab
Und der Verzweiflung kreischend Lieder
mischt sich in des Flusses Hass

Dies Brodeln und dies Gären,
dies Auf und Ab, dies ungestüme Sein,
das schwillt zum Schrei der Zeiten,
dies tausendjährig Immerwähren,
trinkt an sich selbst, so wie an rotem Wein
und rauscht in ferne Weiten.

Komm trink, komm trink nur eine Hand
Du willst es in dir spüren,
dies Element, das wir nicht sind,
das niemals ruht und niemals stand,
soll dich wie einen Stein berühren
und dich entführen, wie ein Kind.
 

rosste

Mitglied
Hallo Marcus,
Flüsse gefallen mir auch, vor allem die reißenden.
als ob die fernen Berge bluten
Blutgefäße, "Arterienbäume", Blitze am Himmel, Flüsse mit ihren Nebenflüssen - bilden alle ein ähnliches Bild.
Wenn Berge bluten, entsteht aber ein anderes Bild - kein "reißendes".
Die Fische springen hoch,
als wollten sie im Sterben leben
- das Bild gefällt mir sehr gut. Da ist Bewegung drin und es ist so schön dialektisch.
dies tausendjährig Immerwähren
- auch ein sehr schönes Bild für einen Fluss.
und rauscht in ferne Weiten
- "in fernen Weiten" muss es wohl heißen.
dies Element, das wir nicht sind,
das niemals ruht und niemals stand
- wir sind aus diesem Element und wir ruhen niemals und stehen niemals still.
soll dich wie einen Stein berühren
und dich entführen, wie ein Kind
- ist sehr schön gesagt.

lg
 
hallo rosste,
deine Bemerkungen interessieren mich, schön gesagt, dass wir aus demselben Element seien und tatsächlich niemals rasten oder ruhen - vielleicht hab ich da bei der Wortfinung nicht tief genug geschürft. Ich möchte meinen, dass ich mit diesem "Element" jenes "Sein" meinte, vielleicht jene Existenz des Fließenden. Vielleicht aber hast du auch Recht, wenn du meinst, dass sich die Frage nach einem Anderssein der Dinge garnicht stellt. So gesehen sind wir ja nicht nur Teil dieses Elements, sondern Teil des Ganzen - "alles ist eins" sozusagen. Aber ich fürchte, das geht über das Menschsein hinaus. Eine solche Lyrik bedürfte keiner Flüsse oder Bilder, die es zu besingen gilt, sie würde ihre Wahrheiten nur im eigenen Ich finden, dort wo sich alle Wahrheiten kreuzen.
Aber mir persönlich ginge das zu weit und instinktiv bleibe ich beim einfachen Hier und Dort und so und anders sein.

Bis dahin danke für die Anmerkungen,
gruss, Marcus

PS: Du entwirfst mit jenem "Rauschen in fernen Weiten" statt meinem "Rauschen in ferne Weiten" ein sehr schönes lyrisches Bild, das ich mit einem fast unvergänglichem Rauschen in den fernen Galaxien oder Äonen der Zeit, jenem "immerwähren" in Verbindung bringe - schade dass ich nicht selbst soweit gedacht habe - hier aber rauscht der Fluss nur "davon" in ferne Weiten.
 

Rokwe

Mitglied
Sehr schön.
Groß finde ich vor allem den Aufbau: Erst drei Strophen Beschreibung, dann eine Strophe, die man vielleicht mit "Interpretation" betiteln könnte (jedenfalls hebt sie die Flußthematik in einen größeren, metaphysischen Zusammenhang und das kühle Naß selbst aus der reinen Stofflichkeit heraus), und zum Schluß die geheimnisvolle Hinwendung an den Hörer/Leser/Adressaten.
Auch die Reime sind gut; sie wirken natürlich, passend und nicht erwzungen.
Dafür gibt's neun Punkte von mir. Werd mir auch deine anderen Werke noch ansehen!

Gruß, Rokwe
 
hallo rokwe,
danke für deinen Kommentar. An eine Gliederung denke ich meist gar nicht. Vermutlich ergibt sie sich immer zwangsläufig, wenn man ein Gedicht beenden "muss" und dieser Bezug auf den Rezepieten - tja, wie heißt es so schön: nicht der Autor ist in erster Linie Rezepient seines Werkes, sondern der Leser.

Gruss, Marcus
 
H

Haki

Gast
Das zweite Gedicht von dir, das mich überzeugt hat. Sehr schön!
Ich glaub zu den vorher getätigten AUssagen muss ich nichts mehr hinzufügen. 7Punkte!

Gruß,
Haki
 



 
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