rosa - schwarz; ein leben ohne euch, unvorstellbar

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"Geblieben ist die Gleichgültigkeit.
Die schlimmste aller Naturkatastrophen.
Ich habe doch nur geträumt - geträumt von der Hoffnung - der Liebe - dem
Glück in seiner Einfachheit.. .
Lass mich die Zeit noch einmal zurückdrehen..bin nicht geboren.. .
Die wenigen Erinnerungen die ich noch an diesen Tag habe, stoße ich mit
jedem Ausatmen weit fort von mir.
Gerade noch rechzeitig habe ich erkannt, dass ihr nicht mehr wert seit
wie diese letzte Zigarette auf meinem Weg in ein neues Leben - mein neues
Leben.
Habe euch viel zu lange schon mit all meinem Verlangen nach Nähe,
Geborgenheit und Anerkennung in mir aufgesogen.
Für diesen kurzen Augenblick in dem ihr mir "Aufmerksamkeit" geschenkt,
Erlösung all meiner körperlichen und seelischen Qualen gespürt.
Eure Gewalttätigkeit.
Eure Gleichgültigkeit.
Dieser schleichende Tod, der ganz langsam aber mit klarem Ziel vor Augen,
in meiner Kindheit schon Besitz von meinem Körper ergriffen hat.

Anzeichen das der Kontakt mit den Inhaltsstoffen dessen, was ihr "Familie
nanntet Gift für mein unreifes Ich waren gab es genug.
Mindestens so viele wie gelebte Kindertage - gestorbene Kinderträume.

Laufe orientierungslos durch mein Leben - bin auf der Suche nach der
nicht vorhandenen Zukunft.
Berge von schmutziger Wäsche und der strenge Geruch, von seit Tagen nicht
mehr gespültem Geschirr, vermischen sich mit dem kalten Rauch
der auch keinen Ausweg mehr findet.
Zeitzeugen meiner inneren Kapitulation - vor mir selbst.

Nur der dicke Staubbelag auf den schwarzen Möbeln, weckt für wenige
Augenblicke neuen Lebensmut in mir - zitternde Hände die Träume malen.
Träume, die ich mit all der Selbstverachtung die ich für dieses Häufchen
Elend das mir ab und zu noch im Spiegel begegnet,
mit einem meiner letzten Atemzüge als Vorhut in eine bessere Welt
entsende.

Sitze hier im Durcheinander meiner Gefühle.
Meines so jungen Lebens.
Hunderte von Briefen an euch geschrieben.
Niemals abgeschickt.
Ausgebreitet auf dem verschmutzten Boden.

Das Tagebuch.
Wo ist das verdammte Tagebuch?
Hier muss sie doch zu finden sein, die Befreiung für meine gegeißelte
Seele, meine körperlichen Qualen.
Aufgezeichnet auf reinem Weiß.

Der Aschenbecher.
Wo ist der gottverdammte Aschenbecher?
"Schau nur wie, sie mich ansieht die rote tot bringende Glut.
Als wollte sie mir sagen: "Lehn dich zurück.
Komm wir lassen uns fallen.
Mit jedem deiner letzten Atemzüge, verschlinge ich das Papier das mich
umhüllt.
Mach dir also keine Sorgen, was ich in die Hand nehme kennt kein Morgen..
Vater.
Mutter.
Ich bin euer Sohn.
Euer Fleisch und Blut.
Aufgewachsen in einem Eisenbahner - Viertel, irgendwo in Stuttgart.
Wall aus rotem Backstein.
Unüberwindbar für meine kleinen Kinderhände.
Flehendes Schreien das von der gehörlosen Ignoranz hinter dem Wall
fortgestoßen wird.
Aufgewachsen..?!
Was konnte jemals in mir wachsen..?
Erkenntnis?
Das Leben - mein Leben, ist kein Wunschkonzert.. .
Der Keimling im Schoss von Mutter Erde, hätte nicht viel zum Leben -
Überleben gebraucht.

Wünsche.
Träume.
Hoffnung.
Kindheit.
Alles das, wurde schon im Ansatz von euch zerschlagen - geschlagen -
getreten.

Was konnte in mir wachsen..?
Meer von Tränen.
Neid.
Missgunst.
Hass.
Auf all die glücklichen Kinder, die ich lachend und spielend über grüne
Wiesen rennen sah.
Ausgebreitete Arme die sie hingebungsvoll erwarteten und in die sie sich
voll des Glücks "fallen lassen" konnten.

Was konnte jemals in mir wachsen..?
Nichts!
Da war kein Licht.
Keine Wärme.
Keine Geborgenheit, in der dieses junge Leben geschützt heranwachsen
konnte.
Keine Liebe, die diese zarten Wurzeln nährt.

Gewachsen bin ich.
Cm um cm.
Das wenigstens konntet ihr nicht verhindern.. .

Bin in der Nacht erwacht, wieder einmal.
Kalter Schweiß bedeckt meinen Körper.
Friere.
Mir ist bitterkalt.
Kann meine Augenlider kaum öffnen.
Habe im Schlaf um dich geweint, wieder einmal.
Tränen die dem Tageslicht verschlossen.
Die Fenster beschlagen von meinem warmen Atem.
Habe ich nach dir gerufen?
Nach dir geschrieen, wieder einmal?
Vater,
will leben.
Nicht nur existieren.
Leben wie ich es noch nie gekannt.
Mit allen Höhen und Tiefen, nur ohne dich.
Vater.
Was ist nur aus dem kleinen hageren Jungen geworden, der egal wie
schlecht das Wetter auch war tief im Wald die unzugänglichen Tümpel
aufsuchte.
In einer Plastiktüte die heimlich entwendeten Einweckgläser, die beim
Transport in die friedliche Welt des kleinen Tierforschers so manchen
Sprung erhielten.
Mit großen Augen habe ich das Leben, das in diesen kleinen stillen
Wasserlöchern scheinbar stillzustehen stand studiert.
Der Laich der Frösche - diese klibbrig durchsichtige Masse und ihre
unzähligen kleinen schwarze Punkte inmitten, schien oft den ganzen Tümpel
zu bedecken.
Kaum vorstellbar, auch ich war einmal ein solch kleiner Punkt im Schutz
von Mutters Bauch - wollte dein Glück, der Sinn deines Lebens sein,
Mutter.
Wage kaum zu atmen, in dieser mir sonst so unbekannten und grenzenlosen
Stille.
Mit wachen Auge konnte ich sie sehen, die kleinen Luftblasen die langsam
zur Wasseroberfläche steigen - ein sicheres Anzeichen für Molche.
Mit bloßen Händen habe ich euch gefangen - ihr hattet eine faire Chance..
.
Bergmolch, Kammmolch ich habe sie alle mit geschickter und schneller Hand
aus dem trüben Wasser gefischt, Vater.
In die Einweckgläser gepackt und an die Zoohandlungen in unserer Umgebung
verkauft - Geld für meine erste Forschungsreise.

Vater.
Tierforscher wollte ich einmal werden.
Die Welt bereisen und alles schon entdeckte und auch noch unendeckte, neu
entdecken.
Den Menschen diese faszinierende Welt, in all seiner Einfachheit und doch
so komplex und durchdacht nahe bringen.
Wusstest du um diesen meinen Kindertraum?
Du hast meinen geliebten Stallhasen schlachten lassen und uns zum Essen
auf den Tisch gestellt - wusstest also doch um meinen Traum.
Vorsichtig nehme ich etwas von dem Froschlaich aus dem Tümpel und fülle
ihn in eines der Einweckgläser - muss lächeln,
wenn Mutter das jetzt sehen würde..ja, Mutter.. mein Lächeln wandelt sich
mit der Geschwindigkeit, mit der ich sonst mit schneller und sicherer Hand
die Molche aus dem Wasser fische zum enttäuschten Blick.
Mutter, du würdest dieses für dich so unbedeutende Leben sofort in der
Toilette entsorgen.
Links und rechts, dann mitten in mein Gesicht - gerechte Strafe für drei
nicht mehr zugebrauchende Einweckgläser.
Werde mich also sputen müssen, um vor dir zuhause zu sein.

Vater.
Was ist aus dem kleinen Tierforscher geworden, dem in den Sommerferien
alle Schul - Tiere anvertraut wurden.
Herr Barth, der Biologielehrer vertraute nur mir - was war ich stolz auf
mich.
Hast du eigentlich jemals wahrgenommen, wie fasziniert ich vor dem
selbstgebauten Terrarium die mir anvertrauten Tiere beobachtet habe?
Nein, du nicht.
Deine trüben Augen bewegen sich nur, wenn du das Gift suchst das deine
Sucht stillt.
Mutter hat es sofort bemerkt, wenn ich aus allen Zeitungen die ich
bekommen konnte dieTierbilder ausgeschnitten und dann in die Schulhefte
geklebt habe.
Links und rechts, dann mitten ins Gesicht.."du verkommener Krüppel, werde
dich lehren unser Geld sinnlos zum Fenster hinauszuschmeißen.
Beginne zu zittern.
Der kalte Schweiß auf meinem Körper scheint sich in Eiskristalle zu
verwandeln.
Will nicht mehr nach dir rufen, Vater.
Meine Tränen sollen der Wahrheit ins Auge blicken.
Frage dich heute,
warum habe ich kein einziges Gefühl empfunden, als ich an deinem
Sterbebett von dir Abschied nahm?
Warum habe ich überhaupt Abschied genommen?
Wir waren uns doch nie nahe.
Warum bin ich überhaupt gekommen?
Waren es diese drei Worte, die ich nur einmal aus deinem Munde hören
wollte - vielleicht heute.
Vater.
Da liegst du nun, ein Schatten deiner selbst.
Zu schwach zum Sprechen?
Zu schwach die Augen zu öffnen?
Nichts mehr da von deiner Manneskraft.
Nichts sagen, nichts hören, nichts sehen - auch so kann man sterben,
Vater.

Was wollte ich ausgerechnet heute von dir?
Was erhoffte ich mir ausgerechnet heute von einem Wiedersehen?
Gewissheit?
Gewissheit, dass dieser unglaublich brutale Mensch, der mir so viel
körperliche und seelische Wunden zugefügt hat
auch wirklich in Kürze in der Hölle schmoren wird?!

Im Augenblick des Abschiednehmens,
dein nahendes Ende vor meinen Augen,
wusste ich es wird eine höhere Instanz geben vor der du dich für dein
unmenschliches Tun wirst verantworten müssen.

Habe mir diesen Augenblick meines ganzes Leben herbeigesehnt?
Bin nicht mehr Sohn, nicht mehr fühlender Mensch.
Bin nicht die so oft herbeigesehnte Gleichgültigkeit.
Bin die zerstörte Kindheit, bin die Gewalt, die lange Zeit unberechenbar
in mir lebte.
Bin die Aggression, die Wut und der Hass - bin euer Spiegelbild.

Vater.
Der Weg zu mir selbst war weit.
Und doch, ich bin Mensch geworden, habe ein letztes Mal zugeschlagen -
das Spiegelbild zerstört.
Mein Weg aus eurer Dunkelheit, ein Weg voller Demütigungen.
Fortlaufen. Nicht zuschlagen.
Worte ersetzen mein Faustrecht.
Jetzt war ich in deinen Augen ein endgültiger Versager.
Vater, jetzt endlich war ich frei.

Dienstagabend.
Abendbrot.
Das Telefon klingelt.
..Mutter,
jetzt wird sie mir mit weinender Stimme mitteilen,
"dein Vater ist soeben nach einem letzten qualvollen Aufbäumen
verstorben.
Fühle nichts.
Keine einzige Träne bist du mir wert.
Stille in mir.
Selbst als ich noch einmal ins Krankenhaus fahre - der Gewissheit wegen.
Zwei Stockwerke.
Ein langer Flur, und am Ende des Ganges wartest du auf mich.
Vater.
Warum haben sie dir ein Kissen auf dein Gesicht gelegt?
War Mutter vor mir da?
Wollte sie Gewissheit?
Konnte sie deine abgrundtiefe Boshaftigkeit doch nicht vergessen?
Deine menschenverachtende Brutalität gegen die Familie?

Deine Hände zum Gebet gefaltet.
Vater.
Nichts ist vergeben und vergessen.

Berühre deine Hände.
Lege das Kissen auf die Seite.
Drehe mich um, und gehe.
Vater, du warst mein Held, warum hast du mich nicht gerettet?

Sohn.
Konntest du nicht ohne diese Gewissheit weiterleben?
Ist dies, deine Art von Selbstjustiz?
"Über Tote soll man nicht schlecht sprechen, Vater.
Deinen Kindern hast du mit dem Tag der Geburt, jedes Recht auf Leben
abgesprochen, Vater.

Nie vergessene Qualen.. .
Wie oft wurde ich von diesem meinem liebenden Vater brutal
zusammengeschlagen, nur weil ich beim Fußballspiel im Verein kein Tor
geschossen habe!
Der Gürtel aus hartem Leder, nicht genug.
Nein!
Die Metallschnalle des Gürtels hat mich gelehrt, das nächste Mal
schneller über den Platz zu laufen.
Qualen.
Mehr blaue Flecken am Körper, wie Haare auf dem Kopf.
Zertrümmerte Knochen.
Qualen.
Mutter, konntst du jemals vergessen wie wir dich im Bauernschrank
versteckt und eingeschlossen haben - wieder einmal.
Wir soweit es ging, unter die Betten - wieder einmal.
Er hat die Türe einfach eingetreten - wieder einmal.
Da stand er mit schwingendem Säbel - wollte uns alle köpfen - wieder
einmal.
Haben geschrieen, gefleht, geweint um dein Leben, unser Leben.
Qualen.
Kleiner Junge der sich nachts nicht zum Pinkeln traut, weil er Angst hat
dem Vater zu begegnen.
Zum Glück gibt es den alten Kohleofen in unserem Kinderzimmer.
Der kleine Junge, das war ich, Mutter.

Du schwache unfähige Frau.
Was willst du heute von mir?
Mein Mitleid?
Mein Mitgefühl?
Mein Verständnis für deine Unfähigkeit, deine Kinder vor diesem, deinem
Mann zu schützen?
Meine Vergebung?
Gott kann dir vergeben - ich bin nur Mensch.
Mutter,
beweinst einen Menschen der solange er seine Hände erheben konnte, seine
Beine bewegen, dich geschlagen und getreten hat.
Du bist nicht minder Schuld an den Schmerzen die ich ertragen musste.
Hast zugesehen!
Nein!
Viel schlimmer!
Du hast weggesehen.
Um ihn nicht zu verlieren, hast du mich geopfert.
Damit er sieht das du ihn liebst, hast du mich ebenfalls geschlagen.
Du bist genauso Schuld an den Narben die meine Arme und meinen Kopf
zieren.
Mit einer Rasierklinge habe ich mich dafür bestraft allen Mut
zusammengenommen zu haben und zu deinem Schutz die Hand gegen den
schlagenden Vater erhoben.
Ich habe ihn fast getötet.
Warum habe ich ihn nicht getötet?
Jeder hätte Verständnis dafür gehabt.
Unsere Erlösung lag in meinen Händen.
"Weil ich dann nicht besser bin, wie er! Ich dich nur schützen wollte,
Mutter.
Weil ich ein Feigling bin? Warum habe ich euch nicht schon viel früher
vor diesem Monster beschützt!
Nein! Weil ich die Schuld für seine Gewalt bei mir suchte - was mache ich
nur falsch?
Vater.
Ich fühlte mich frei und stark in diesem Augenblick, und zum ersten Mal
in meinem Leben habe ich Angst in deinen Augen erkannt.
Wusstest du um deinen bevorstehenden Tod?
Schlage zu - immer wieder. Dein Blut, überall.
Hände die vor kurzem noch heimlich Tierbilder in Schulhefte geklebt,
nehmen dir jetzt die Luft zum Atmen.
Alle meine zerstörten Kinderträume, die nicht mehr zählbaren Striemen von
nicht mehr zählbaren Gürteln die meinen unschuldigen Körper gezüchtigt
haben.
Für die Tage und Nächte unter Betten. Für die Schande der du uns
ausgesetzt hast. Für meinen geliebten Stallhasen.
Vater. Die Rache ist mein!
Lasse von dir ab - ich bin nur ein Mensch - ein Kind - ich will eine
Zukunft.

..Ich war gerade einmal 14 Jahre alt.
Was seit ihr für Menschen, die ihr euer eigen Fleisch und Blut so
misshandelt.
Mussten nicht alle Spiegel auf der Stelle zerspringen in denen solche
Ungeheuer ihre Unschuld zu finden hofften?
Vater.
Heute besuche ich zum ersten Mal die große Wiese unter der du irgendwo
anonym begraben liegst.
Ja, Mutter hat mir bis heute nicht verziehen, dass ich nicht zu deiner
Beisetzung gekommen bin.
Mutter.. .
Hätte sie uns, ihre Kinder wirklich geliebt sie hätte es nie zugelassen,
dass du dich so davonstehlen konntest.
Sie hat uns allen die Möglichkeit genommen einen Ort aufzusuchen an dem
wir dich beschimpfen, verfluchen und auch um dich weinen können.
Kein Grab an dem ich dich zur Rede stellen kann. Muss ins Weite sprechen
und hoffen du hörst mich.
Selbst im Tod diese deine Feigheit, die nicht minder schwer wiegt wie
deine Gewalttaten zu Lebzeiten gegen mich, gegen uns.
Du wolltest, dass wir dich für immer vergessen?! Dein Todestag der
Geburtstag deines Sohnes.
Wie sollen wir dich da jemals vergessen?
Ich will dich nicht vergessen!
Ich will das Gespräch mit dir. Will dich anschreien.
Was soll ich anschreien?
Das Einzige, das bleibt in unserer Vergänglichkeit - eine unvergängliche
Seele?
Du seelenloses Wesen hast deine Erlösung gefunden.
Egal wo.
Egal wie.
Und ich? Was ist mit meiner Erlösung, meinem Frieden?
Möchte auch meinen Frieden mit mir machen.
Warte Vater.
Will mich zu dir auf die Wiese setzen.
Es ist schön hier.
Alles so sauber, gepflegt, so ruhig.
Aber wo bist du?
Bist du überhaupt hier, an diesem engelsgleichen Ort?
Was weißt du überhaupt von deinem Sohn.
Meiner ersten Liebe. Dem ersten Liebeskummer.
War nicht fähig diese Liebe zuzulassen, Vater.
Denke oft an Claudia.
Was sie heute wohl macht?
Weißt du eigentlich, dass sie die erste Frau war mit der ich geschlafen
habe..ich für sie der erste Mann.. .
Nein Vater, wir waren beide noch Kinder.
Kinder die Sehnsucht nach körperlicher Nähe hatten.
Sehnsucht nach Geborgenheit und Wärme.
"Leg deinen Kopf auf meinen Bauch, hat sie oft zu mir gesagt.
Mir durch mein Haar gestreichelt und mit ihrer sanften Stimme schöne
Worte in mein Ohr geflüstert.
Ich wollte das dieses Gefühl kein Ende nimmt. Wollte sie nur atmen - habe
das Leben gefühlt, das durch ihren zarten Körper fließt.
Sekunden von denen ich mir gewünscht, sie würden zu Minuten, zu Stunden,
zur Ewigkeit.
Erste große Liebe.. .
Dein Eisbrecher konnte die Fahrrinne zu meinem Herzen nie ganz
freihalten.
Bist irgendwann in warme Gefilde gezogen.


Vater.
Ich habe begonnen zu leben.
Schönes lebenswertes Leben.
Der Tag an dem ich diesen Ort der Gewalt für immer verlassen habe.
Die Jahre im Altenheim auf einer Pflegestation.
Alte Menschen.
Allein und abgeschoben.
Diese erwachsenen Kinder, waren keine besseren Eltern..brutal auf ihre
Weise.


Waschen. Essen eingeben. Wundversorgung.
Das durfte nicht alles sein, was ich für sie tun konnte.
Habe mir in meiner Freizeit oft einen Bewohner geschnappt und dann ab
durch Böblingen.
Werde nie vergessen, wie mir der alte Mann beim Waschen auf den Kopf
gepinkelt hat - mich gefragt, werde ich diese Zeit überstehen.
Ich habe die Zeit überstanden.
Viel mehr noch. Es waren Jahre, voll von innerem Glück.
Ich habe sie beim Sterben begleitet, während sich die Verwandtschaft im
Zimmer um das Erbe gestritten hat.
Ihre knöchrigen Hände gehalten. Die eingefallenen Wangen gestreichelt.
Ich habe ihn wieder gespürt, diesen Hass, diese Verachtung - Gefühle die
in meiner Kindheit geboren.
Diese habgierigen Wesen, keinen Respekt vor den letzten Atemzügen die
noch in dir sind alter Mensch.
Ihr alten Menschen.
Ich danke euch für diese wunderbaren Jahre.
Viel zu schnell vorbei, die Zeit voller Freude und Zuneigung.
Das erste Mal hatte ich das Gefühl mein Leben wird sich zum Besseren
wandeln

Vater.
Und es gab den August 1994.
Keine Angst Vater, mache dir keinen Vorwurf dass du meinen Geburtstag
vergessen hast - wieder einmal.
Nein, es war der Tag von dem ich dachte, die Welt stürzt über mir ein.
Mit einer Gewalt wie ich sie bisher noch nie erlebt habe.
Bin voller Freude auf die Familie und diesen schönen Tag, vom Nachtdienst
nach Hause gefahren.
Habe mir schon in der Straßenbahn in meinen müden Gedanken ausgemalt, wie
wunderschön dieser Tag wohl werden wird.
Ein paar Meter noch zu Fuß, und..vermisse das freudige Bellen unseres
Hundes beim Öffnen des Hoftores - meine Schritte werden schneller..nein,
nur das nicht..!
Einige Stufen noch..bin plötzlich hellwach.. Öffne die Wohnungstüre.
Nein! Kein Hund der mich freudig anspringt. Kein, "beeil dich, sonst wacht
die Kleine auf.
Renne wie von Sinnen in das Kinderzimmer. Das Bett leer. ..Wahrscheinlich
schlaft ihr alle im Schlafzimmerbett - Hoffnung, und ein kleines Lächeln
kehrt für einen Augenblick zurück, auf mein bleiches, zuckendes Gesicht.
Gleich bin bei euch, wenige Schritte noch - nichts! Alles ausgeräumt. Die
geliebte Tochter fort.
Sinke weinend auf dem Bett nieder.
Sie hat ihre Worte wahr gemacht, mich zu verlassen falls ich nicht
weniger arbeite.
Vater, wollte doch nur ihr Bestes - sie sollten niemals Hunger leiden.
Meine geliebte Tochter niemals die getragenen Kleider, die andere
Menschen nicht mehr wollten auf ihrem Körper spüren.
Bin wie von Sinnen - kann nicht mehr klar denken.
Durchsuche die Schränke - alles leer.
Vater.
Du hättest alles das verdient, aber ich..?!
Warum ich?
Ein Leben voller Tiefen.
Nur wenige Lichtblicke.
Will mich bestrafen für mein Versagen, aber wie?

Habe euch zum Abschied eine Postkarte aus Strasbourg geschickt.
So sehr auf einen Anruf von euch gehofft - nichts.
Ihr seit meine Eltern - meine Familie, warum habt ihr mich nicht
gerettet?


Frankreich.
Strasbourg.
Französische Fremdenlegion.
Diese schwere Eisentüre.
Zittern am ganzen Körper.
Trete ein.
Wollte ich wirklich jemals hierher.
Wie verzweifelt war ich?
Endstation..!
Endlos die Zeit.
All die kaputten und hoffnungslosen Leben neben mir im Aufenthaltsraum.
Nachdenken.
Rasende Gedanken.
Verlorene Seele.
Alleingelassener Mensch.
Selbstmitleid.

Ich habe einmal den Dienst an der Waffe verweigert.
Bin nicht ohne Hoffnung.
Spüre noch Leben in mir.
Nichts wie weg hier.
Die große Treppe hinunter.
Leere Augenpaare die mir lächelnd folgen.
Meine Papiere geholt.
Durch die schwere Türe, zurück in die Zukunft.
Laufe lachend durch Strasbourg.
Trinke Kaffee und erfreue mich an der Sprache der Menschen - wieder.
Ohne dieses Leben Vater, würde es meinen überalles geliebten Sohn heute
nicht geben.
Hätte ich seine Mutter nie kennen und lieben gelernt.
Vielleicht hat all mein erlittener Schmerz nur diesen einen Sinn gehabt.
" In seinem Zuhause soll immer die Liebe wohnen.
Vater.
Darf dich nicht vergessen, um des Vergessen Willen.
Werde niemals verdrängen, was du mir angetan.
Verzeihen will ich dir, um meines Sohnes Zukunft Willen.. .
Möchte mit der Wahrheit in ein Beduinenzelt ziehen.
Loslassen lernen von euch Menschen, die ihr meine Gefühle missbraucht
habt.
Das Lachen meines Kindes, für meinen Neubeginn mit mir nehmen..

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D

Daktari

Gast
betroffen

Hallo!
Das Werk macht betroffen, nachdenklich; wirkt aber dennoch auf mich nicht langweilig oder trocken.

Ciao
Tim
 



 
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