schräg hinterm ausgang

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J

jester

Gast
liebe venus,

schon der titel "schräg hinterm ausgang" lässt einem viele "eingangsmöglichkeiten", und seien es nur schrägstriche, mit denen bekannterweise moderne lyriker
zeilenumbrüche darstellen ;)

da deine texte eine eigene grammatik haben, bleiben auch hinter den einzelnen wortgebilden viele bedeutungen, von denen ich mit sicherheit wieder einige übersehe und viele auch gar nicht aufführen möchte (die freude am selbstentdecken möchte ich den anderen lesern nicht schmälern).


verschenkt haben wir uns an die zeit

verschenkt haben wir uns

verschenkt haben wir uns an zeitlose
...

da es ja "kein seil" ist, ist die diskussion, wohin das "lose" gehört ja auch müßig ;), doch absolut treffend formuliert!

dass das/kein seil aus dem bauch gelassen wird, spricht für sich (nicht aus dem kopf gelassen!)

sehr gut auch das wortspiel mit der tautologie "weit und breit". in verbindung mit dem breitgefächerten bitterlichem drängt sich mir eine zunge auf


ein venus-wort ;), wenn du weißt, was ich meine, ich hätte hier etwas anderes geschrieben (es passt auch klanglich irgendwie nicht), aber du hast sicher eine passende erklärung?

ist ein großartiges wort, impliziert es neben dem wind auch das winden. wenn ich nach "aschen..." "versenken" lese, wird daraus fast automatisch ein "versengen"

am ende bleibt in aller ewigkeit die tatsache, dass nichts und niemand geschenkt ist, obwohl alles verschenkt ist. ein runder schluss!

also, mit nem anderen wort für "kuschend" gäb's von mir ne 10! ;)

lg,
jester
 

Venus

Mitglied
Liebstes, liebes Jesterchen,
schön, verflixt schön, dass du wieder da bist!
So ein Studium kann einem echt Monate versaun, hm?!

Es tut so gut. Wirklich. Wenn man einfach schreiben darf. Und dann will jemand lesen. Ach, was will so ein Menschlein wie ich dann mehr –
So wärs mir für immer am liebsten.
Nichts erklären müssen. Offen genug sein, dass man gesehen werden kann (ein bisschen „soifz“ ich sogar).

Das „kuschend“ – in dem Fall sogar mal ein Partizip. Ich wollte es bewusst. Einmal, weil ich die „innere Pause“ betont haben wollte und zum anderen weil das Wort für mich (persönlich) schon eine Aussage hat.
Viel früher, quasi damals, wenn mein Vater (der Hausherr!) wieder einmal die Orgelpfeifen (Kinder) aufgereiht wissen wollte, weil „etwas“ seinen Vorstellungen nicht entsprach und zur „Kollektivstandpauke“ anhielt, die nicht selten in eine „Kollektivohrfeige“ mündete, da haben wir im Anschluss alle nur noch „gekuscht“. Das Wort gegen den „Herrn“ anzuheben wäre sinnlos gewesen. Respekt, Angst, Erziehung... und dgl.
„Früher“ wurde nicht diskutiert.

Kriegst du nun die Verbindung zu „kuschen“? Es ist m.W. ein „altes“ Wort, das man verstehen muss, um es zu verstehen...
(und ich meine es „zischt“ sich gut ein, in die Nasen, in die Asche, ins Versenken, Sanftes... und beim Lautlesen, dann bitte die Betonung auf das letzte „t“ bei ungespitzt!)

Ja, und die Aschenwinde.
„dust to dust“ “…aus Staub bist du, zu Staub…”. Lass ihn ruhig zu, den Leichenwind. Etwas mag gestorben sein. Amen.

Danke Jester!

Ganz lieben Gruß,
VenusGabi
 
J

jester

Gast
was so ein bisschen sekundärwissen doch ausmachen kann ;)

das "kuschend" fügt sich nun viel besser in das ganze.
und klanglich gesehen, muss ich zugeben, dass ich unrecht hatte: natürlich passt es zu den "sch"-lauten von "schenken" und "asche".

bitte :)
glg,
jester
 
S

Sheerie

Gast
Liebe Venus ...

nichts ist geschenkt ... leise davonschleichend und
etwas kuschend Sheerie ;)
 

Venus

Mitglied
Mensch, Sheerie,
wiedersprich mir halt!

;)
und hör auf zu kuschen, das tun wir jetzt nicht mehr!
Bloß noch in Gedichten...

Lieb verkuschelten Gruß,
mit Dank!
Gabi
 
S

Sheerie

Gast
Okay Schaumgeborene,

ich hab mir das jetzt überlegt ...
nicht 'mal mehr in Gedichten, wenn
sich das auch vermeiden lässt :D

und übrigens finde ich an deinem
Text die Passage

[blue]lose hängt aus dem
bauch gelassenes[/blue]

unbeschreiblich gut ...

Kuschelmuschel zurück von Sheerie
 

Venus

Mitglied
siehst du, Sheerie, jetzt möchte man wieder, dass wir kuschen :D

ja, "aus dem Bauch gelassenes"
Am Anfang traut man sich noch, völlig emotional zu reagieren. Bauchentscheidungen. Die dann mehr und mehr von Ratio verdrängt werden. Ich wollte damit wirklich bildhaft machen, dass dieses (Bauchgefühlgedusel) letztendlich ja auch da war (und wenn man so will, auch bleibt. Es löst sich ja nicht in Luft auf, oder? Auch wenn es nur in der Erinnerung bleibt...).
Bedingt durch meine Zeilenumbrüche ließe sich auch lesen/interpretieren:
"Zeitloses hängt aus dem Bauch gelassen" oder
"aus dem Bauch hängt kein Seil (an dem man weiter festhalten kann...)"
und und und...

Irgendwann, Sheerie, schreib ich auch schöne Gedichte.
Ich glaub dran!

Recht lieben Gruß,
Gabi
 
S

Sheerie

Gast
Ach Venüschen,

nun aber 'mal stopp gell ...
ich war der festen Überzeugung, dass du weißt,
wie schön deine Gedichte sind und wie toll u.a. ich
deine Texte finde ... manchmal so richtig zum
Reinkriechen ( ... das erkläre ich jetzt aber
nicht, ne ;) )
...und was den Bauch angeht, ja, diese Bauchgefühle,
werden sie jemals gelassen, man will das, diese
Gelassenheit, aber wie kann man gelassen reagieren,
wenn aus Schmetterlingen Steine werden!?
Sag?
Eine gute Freundin von mir sagt immer, Gefühle kann
man nicht steuern, wie man es auch versucht und Liebe
endet nicht am Horizont ...

Herzlich Sheerie
 

Montgelas

Mitglied
schon der titel [blue]schräg hinterm ausgang [/blue]ist bar jeder romantik.
Es ist ein grausam – realistisches gedicht.
von im doppelten sinn verschenkter liebe und zeit erzählt es,
[blue]verschenkt haben wir uns
an zeit[/blue]
schonungslos spricht es vom verlust eines foetus,
[blue]lose hängt aus dem
bauch gelassenes[/blue]
die ganze einsamkeit, die sehnsucht nach suicid
aber auch der differenzierte blick auf das geschehen werden in den zeilen
[blue]kein seil
weit und ziemlich breit
gefächert ist das
bitterliche, [/blue]

deutlich.

in der zweiten strophe wird die ganze geduckte wehmut
die der verlust des ungeborenen kindes mit sich brachte
in die [blue]ewigkeit[/blue] verbannt.
[blue]kuschend
halten wir unsere nasen
in aschenwinde versenken
sanftes ungespitzt in
alle ewigkeit[/blue]

Im [blue]amen[/blue] werden dann trauer, verlust, schuld und unschuld auf alle zeiten verschlossen ,

und mit nichts ist geschenkt wird noch einmal betont,
wie lange und wie viel seelische kraft es brauch, solch ein geschehen zu verarbeiten.

das sind meine gedanken versachlicht und verkürzt zu deinen versen, es sind erschütternde Verse , die gottseidank im amen münden...



montgelas
 

Venus

Mitglied
Lyrik hebt Empfindungen aus der Welt des Lesens in die des Lebens, die sich im rationalen Nachgedachtsein weder erfüllen noch nachspüren lassen. Auf der analysierenden Verstandesebene kommt Lyrik zwar im Kopf, nicht aber in jenen Empfindungsschichten an, auf deren Sensibilität sie zielt, weil sie aus ihr stammt.

Wer sich der Lyrik widmet, begibt sich auf Wege in ebenso ungewohnte wie tiefe Empfindungsschichten, in denen ein anderer seinen Gefühlen, seinem Denken und seiner Phantasie in verdichteter Form Ausdruck verliehen hat.
Dem Verstand obliegt auf dem Wege zum Nachempfinden die interpretierende (lat.: vermittelnde) Aufgabe, als Brückenbauer für jene Empathie zu agieren, ohne die ein Zugang zum Lyrischen nur bedingt möglich ist. Mit seiner Hilfe erschließt sich zunächst jene Ebene der rational-subjektiven Vernunftwelt, die jedem lyrischen Fluss als erste Stufe eines rezipierenden Zugangs eigen ist.

Keine Interpretation kann sich wahrscheinlich anmaßen, ein lyrisches Geheimnis je vollständig zu entschlüsseln, es sei denn, sie stammt vom Autor selbst, nennt also jene nachgewiesene Authentizität ihr eigen, die nicht mehr zu hinterfragen wäre. Nur welcher Dichter interpretiert sich schon in letzter Instanz selbst?
Die Sprache der Erklärung ist nicht mehr seine Sache, entäußert er sich doch in seiner Dichtung literarisch weit tiefer als alles andere es könnte.

Wenn man also so will, ist jedes Gedicht einzig des wollenden Lesers Gedicht. Denn, wer sich den sensiblen Schwingungen der Lyrik öffnet und sie in sich zulässt, erlebt eine Weitung des eigenen Blickes, wird sich zu neuem Atemholen befreit fühlen aus Befangenheiten, Zwängen alltäglicher Belanglosigkeiten und gesellschaftlicher Konvention. Er stößt dabei nicht minder auf neue Bedenklichkeiten mit dem ihnen eigenen Hang zum Zweifel.

Dass jede Reise eine Rückkehr hat, schadet ihr nicht, noch macht sie sie überflüssig. Alle aus dem literarischen Abtauchen gewonnenen Eindrücke bereiten Lesern den Boden neu auf für einen anderen, einen tieferen Blick in die ungewisse Zeit danach.

So man will –

Ich danke dir von Herzen, lieber Montgelas!

Gabi
 



 
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