short cuts

multimind

Mitglied
Short Cuts

Identität kann fragmentiert sein - neun Portale aus dem Netz, flickr, myspace, studivz, jetzt, mevme, lastfm, xing, twitter, facebook.

Täglich die Stunden des Aktualisierens.
Auf dem Bildschirm die Aufforderung.

„Facebook ermöglicht es dir, mit den Personen in deinem Leben in Verbindung zu treten und Inhalte mit diesen zu teilen. Finde alle deine Freunde – jetzt.“
„Zeig, wer du bist und lade Fotos und Videos hoch.“
„Share your photos – watch the world”

Patchwork-Identiäten, Bastel-Biographien.
Stimme aus dem Raum.
„Mama, ist das ein Mann oder eine Frau?“

Rasche Erklärung. Abschalten der Fragezeichen, Zuschaltung News, Reality-TV. Super-Reality-TV.

In Mumbai Schüsse im Bahnhof, in New York springt ein russisches Top-Modell aus dem neunten Stock, im Kongo hält ein Zehnjähriger die Kalaschnikow in die Kamera. Im Flüchtlingscamp wird geschossen.

Draußen wollen immer noch Kinder Märchen hören.

„Mama, welche Farbe hat der Wind?“
 
O

Open Mike

Gast
Patchwork-Identitäten sind eine vergleichsweise junge und von Tintenköpfen wenig beachtete Erscheinung.

In "Short Cuts" wird dieses Thema angerissen. Immerhin.
Catchphrases werden zitiert und Namen genannt.
Das Phänomen selbst wird benannt, wenn auch kaum erschlossen.

"Fragmentierte Identität".
Als Vehikel dient hier das Netz. Der Bildschirm als Lacanscher Spiegel …

Aufgelockert wird die Dokumentation durch die fragende Kinderstimme.
Ein guter Kontrast. Doch reißt auch die nicht vom Hocker.
Und die Stimme vor dem "Schirm" seufzt nur:
So sind die Dinge ja wirklich.

om
 
B

bluefin

Gast
nein, so sind "die dinge" eben nicht wirklich. nur die schüsse im camp und die fragen der kinder. die sind echt.

der rest ist virtuelles pillepalle, dem sich ein teil von uns hingibt wie einer droge, vemeinend, dadurch "identität" zu gewinnen.

die form einer mitteilung zu ihrem inhalt zu machen ist aber kein neuerer ansatz - er war schon zu olims zeiten en vogue: verschwendung von öl und wein, die zu nichts führte. "hic rhodus, hic salta!", riefen sie, und hieben dem schwätzer ordentlich eine aufs maul.

ob der danach zugrunde ging oder doch noch tanzen lernte, weiß niemand.

lg

bluefin
 

multimind

Mitglied
danke openmike und bluefin

Hallo!

Vielen Dank für eure interessanten Kommentare - es ist spannend, was ich bisher an Assoziationen von Hörern und Lesen dieses kurzen Textes gesammelt habe. Es zeigt mir, dass das ein Thema ist, mit dem man sich näher und umfassender beschäftigen könnte.

Gruss aus Wien!
 
B

bluefin

Gast
hallo @multimind,

über dieses thema gibt's ganze enzyklopädien. schon die ollen griechen haben sich, wie gesagt, damit auseinandergesetzt.

enzensbergers "mittelmaß und wahn" etwa nähert sich der symptomatik auf zynisch-satirische weise.

wenn du tiefer schürfen wolltest, müsstest du dich ein bisschen in der psychologie umtun - unter den stichworten schizophrenie, paranoia und realitätsverlust. der extremste fall wäre die paraphilie: ein tag und nacht vor dem terminal sitzender tropf liebt nicht einmal mehr sein virtuelles sich (oder ein fremdes avatar), sondern gleich direkt den blechtrottel.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 
H

Heidrun D.

Gast
Mir gefällt der Text ganz ausgezeichnet.

Er gibt nichts vor, erklärt nichts, stellt nur kühl dar. Gerade deshalb entwickelt sich beim Leser ein starkes Gefühl (hier: Bedrückung).

Der Schlusssatz scheint mir wunderbar pointiert.

Glückwunsch:
Heidrun D
 



 
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