vernunft verfolgt

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schleiche murmelnd durch all- und feiertage
blicke mich unauffällig nach niemanden um
schweige golden und halte zu lange silberreden
lache laut kichere leise schluchze trocken
beim abenteuer für zwischendurch überlebe ich
angstfrei mit mutwillen schon meine nachfolger
entscheide mich für verfolgungswahn
um nicht einsam kalter vernunft zu gehorchen
Nachbarn strecke ich die zunge raus

denn scheinbar ist alles scheinbar
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Karl,

vom Inhalt her erinnert mich Dein Text an das Buch, von dem ich Dir gesprochen hatte "Gargoyle" von Davidson. Auch dort ist ja die angeblich Geistesgestörte die wirklich Gesunde.

Auch in Deinem Text greift das Lyri zu seltenen Mitteln, um der Gewöhnlichkeit zu entrinnen und dem Leben wieder leuchtende Tupfer zu verleihen.

"Scheinbar ist alles scheinbar" wäre, stünde es alleine dort, ein Aphorismus.

Wer weiß schon, ob wir nicht alles nur träumen und eines Tages zu einer ungeahnten Wirklichkeit erwachen werden?

Sehr schön, das Mittel des Paradoxon, das Du mehrmals für Deine Aussagen benutzt.

Ein intelligenter und gut formulierter Text, an dem ich meine Freude habe.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
Liebe Vera-Lena,
danke für deinen ausführlichen Kommentar. Ja, das wollte ich ausdrücken. Die Flucht ins "Verrückte" wird laut Statistiken über psychische Krankheiten ja von immer mehr Menschen "gewählt".
Herzliche Grüße
Karl
 

Perry

Mitglied
Hallo Karl,

ich würde es gar nicht soweit polarisieren, dass sich angebliche Vernunft und Verrücktheit gegenüberstehen.
Ich lese den "ganz normalen Wahnsinn" des Alltags oder des Lebens in dem sich das LI auf der Flucht befindet oder selber nach etwas Vernünftigem sucht.
Gut gefällt mir die Einbindung von Weisheiten wie "Reden ist Silber, aber Schweigen ist Gold", weniger die Ausmalung mit Adjektiven wie "zu lange silberreden lache laut kichere leise schluchze trocken"
Ich könnte mir den Schluss auch in der Variation:
"scheinbar ist alles unscheinbar"
was auch das Unscheinbare hinterfragen würde.
LG
Manfred
 
schleiche murmelnd durch all- und feiertage
blicke mich unauffällig nach niemanden um
schweige golden und halte zu lange silberreden
lache laut kichere leise schluchze trocken
beim abenteuer für zwischendurch überlebe ich
angstfrei mit mutwillen schon meine nachfolger
entscheide mich für verfolgungswahn
um nicht einsam kalter vernunft zu gehorchen
Nachbarn strecke ich die zunge raus

denn scheinbar ist alles unscheinbar
 
Lieber Manfred,
"unscheinbar" habe ich gern übernommen. Die langen Silberreden sind mir schon wichtig, denn lange Reden langweilen Zuhörer. Ich weiß, dass Adjektive lyrisch eher nicht wirken.Aber es ging mir hier um Klischees, die ich auch gern erhalten möchte.
Danke für deine Kritik
und herzliche Grüße
Karl
 
H

Heidrun D.

Gast
Gern schließe ich mich Vera-Lena an: Ein Gedicht, das Freude hervorruft: intelligent, spritzig und aussagestark.

Liebe Grüße
(leider nicht aus dem All ;))

Heidrun
 



 
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