versprochen ist versprochen

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animus

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[überarbeitet]

versprochen ist versprochen

Tränen fließen in Strömen über Laura´s blasse Wangen. Sie schmeckt das salzige Wasser ihrer Augen,
die Tränen, die in ihre Mundwinkel fließen und auf ihre Hände fallen.
Den Geschmack ihrer Tränen kennt sie schon.
Sie saß sehr oft da, über den Tisch gebeugt und hat mit den Fingern Tränenbilder auf die Tischplatte gemalt.
Wie oft weiß sie nicht, sie weiß nur, dass sie es unendliche Male getan hat. Dass es ihr Erleichterung gebracht hat aber sie sich nie ganz von ihren Ängsten und den schlimmen Gedanken befreien konnte.
Laura wischt sich mit dem Handrücken über das Gesicht, zieht die Nase hoch und schaut durch die Durchreiche, in das verhasste Wohnzimmer.
Da liegt er auf der Couch.
„Er, mit der geliebten Bierflasche in der einen Hand, in der anderen die stinkende Zigarre und als Krönung das Fußballgeschrei des Fernsehers.“
„Da liegt er, der Mann ihrer Träume.“ Spricht sie leise mit sich selbst
„Ich liebe ihn immer noch, auch wenn er sich bis heute wie ein Schwein benommen hat“, schaut ihn Laura mit den verweinten Augen an. „Sogar damals, als er mich grün und blau geschlagen hat, und ich Urlaub nehmen musste, um dem Mitleid der Kollegen zu entgehen. Damals, als er mich mit meiner besten Freundin betrog, sich mit ihr regelmäßig traf und mit ihr schlief, als wenn es zum ehelichen Alltag gehören würde.“
„Diese verdammten Tränen, die mir immer öfters den Blick trüben, kann ich nicht mehr ertragen.“ Sie spricht mit sich selbst und wischt sich erneut mit dem Handrücken über das Gesicht.
Ihr Angesicht spiegelt sich in der blanken Schneide des Messers, das sie in der Hand hält.
Sie sieht darin ihre verweinten Augen. Rot sind sie, ein paar Tränen hängen ihr in den Wimpern?. Tropfen wie klare Kristalle, die jeden Augenblick drohen abzubrechen und auf das geschnittene Gemüse zu fallen.
Sie sind das Salz ihres Lebens.
Abwesend schaut sie durch das Fenster in die Weite, bis sich ihre Augen in den hellen Wolken auf dem grauen Himmel verlieren. Sie mag diesen Tunnelblick, mit den wie Nebel wirkenden Wolken. Irgendwo am Ende sieht sie ein warmes Licht, das sie in die Arme nimmt, sie liebkost und beruhigt. Oft steht sie so da, schaut in die unendliche Ferne und stöbert, leise weinend in ihren Gedanken.
„Nie hat er mich mitgenommen.“ denkt sie.
„Mausi, das ist nur für Männer.“
„Mausi, das ist für dich zu anstrengend, das packst du nicht." Sagt er immer, nimmt das Geld aus ihrem Geldbeutel und verschwindet für lange Stunden.

„Zum Schwangerschaftsabbruch hat er mich gezwungen, wo ich mir so sehr ein Kind wünschte. Dann musste ich lange Zeit im Krankenhaus verbringen, weil der Eingriff nicht vernünftig durchgeführt worden ist. Den Arzt, wenn er überhaupt einer gewesen ist, hatte er auch ausgesucht.
Oder vor zwei Wochen, wo er im Beisein meiner Mutter den Teller an die Wand geworfen hat und schrie: „Wer soll das hier fressen!“
Neulich, als er betrunken nach Hause kam, schon in der Tür mit seinem geilen Blick über mich sah und mich dann zu seinen perversen Sexspielchen zwang und ich mich hinterher erbrach und bis Mitternacht vor dem Fernseher saß, um sicher zu sein, dass er schon schläft, wenn ich mich ins Bett lege.
Gestern hielt er mir dieses Messer an die Kehle und flüsterte mir mit seiner Bierfahne ins Ohr:
„Wenn du nur den Gedanken haben solltest, mich zu verlassen, dann bringe ich dich um."

Die Stille hat sie aus den Gedanken rausgerissen.
Laura wusste nicht, ob es erst jetzt still geworden ist oder schon länger still war. Sie wusste nicht, wie lange sie da stand und ob sie die ganze Zeit da stand.
Sie wusste nicht was in den letzten Minuten - oder waren es Stunden? - passiert ist.
Ihre Augen erfassten wieder Formen, Gegenstände, ihr Blick machte eine Runde durch das Wohnzimmer und nahm die Kleinigkeiten, die sie seit Jahren nicht angeschaut hat, wieder wahr.
Alles hat Farben angenommen, die Blumen, die Möbel, der Himmel, die vielen Mitbringsel, die sie im Laufe der Jahre gesammelt hat.
Alles schien auf einmal lebendig zu sein.
Nur er lag da, blass, reglos. Er, der Mann ihrer Jugendträume.

Friedlich sieht er aus, die Bierflasche liegt auf dem Boden, die kalte Zigarre im Aschenbecher.
Da liegt er, mit seinem blauen Gesicht, aus dessen Mundwinkel ein kleiner dunkelroter Streifen sein Kinn entlang rinnt.
Es herrscht eine lang ersehnte Stille im Wohnzimmer, nur die fröhlichen Kinderstimmen von draußen sind durch das offene Fenster zu hören.
Der Wetterfrosch im Fernseher sagt für die nächsten Tage viel Sonnenschein voraus.
„Ich liebe ihn, immer noch. Ich habe es ihm vor Jahren versprochen. Bis uns der Tod scheidet.“




[©animus]
 



 
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