we call you

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tom

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We call you

" Wenn Ihr wüßtet, wie sehr ich euch dafür hasse, dass ich
hier unten dieses Schwein schmieren muss..."
Der Major in den Sieben Elegien des Terrors




Ich schlug noch einmal mit voller Kraft zu. Der Pickel rutschte erneut wirkungslos vom flach liegenden Ziegelstein ab. In zwei Stunden sollte die Hecke stehen. Abnahme. Noch etwa zweihundert Sträucher und Heister mussten verbuddelt werden. Nur gut, dass ich noch zwei Albaner dabei hatte. Die Burschen waren weitaus weniger verwöhnt wie ich. Kamen halt aus der Landwirtschaft und waren körperliche Arbeit gewohnt.
Im Gegensatz zu mir. Schimpansium, abgebrochenes Studium, das Übliche. Für das eine zu schlau, für das andere zu blöd.
Endlich fand die Wurzel des Haselnuss genug Platz. Ich schaufelte Erde nach und drückte sie mit meinem Stiefel fest. Ich steckte mir eine Zigarette an. Eine Schar Krähen kündigte den nahen Winter an. Obwohl, wir hatten erst Ende Oktober. Wie schnell das immer ging. Plötzlich verlor ich den Halt unter den Beinen. Ein scheußlich scharfer, stechender Schmerz bohrte sich vom rechten Ohr hinüber zum linken. Sogar die Kippe entglitt den geschundenen Fingern. Ich wankte und ließ mich auf den nächsten Erdhaufen fallen. Dann ein kurzer Blackout. Ich blieb etwa eine viertel Stunde sitzen und entschied mich dann, einen Arzt aufzusuchen. Kurz den Chef per Handy verständigt und los. Ein Glück, dass ich nur fünf Minuten zu fahren hatte und mir nur sehr wenig Autos entgegen kamen. Was war denn passiert?
Der gute Onkel Doktor nahm mich kurz beiseite und fragte mich, wie viel Bierchen ich denn schon konsumiert hatte. Eine andere Diagnose kam ihm bei einem einfachen Arbeiter wohl nicht in den Sinn. Ich verabschiedete mich, nachdem ich ein paar Tage AOK Urlaub herausgeschunden hatte und legte mich zu Hause ins Bett. Oh, dieser Schmerz. Erst gegen Abend ließ er langsam nach. Ich duschte kurz und legte mich wieder ins Bett. Wider erwarten konnte ich sogar einschlafen.
Wie lange hatte ich eigentlich nicht mehr geträumt. Ein Jahr, zehn Jahre. Ich wusste es nicht mehr. Ich wusste nur, dass ich vor kurzen damit mit jemanden in der Kneipe unterhalten hatte. Nicht mehr träumen. Das war nicht normal, hatte man mir gesagt. Jeder träumte, das ging doch nicht anders. Ich konnte mich einfach nicht entsinnen, seltsam. Doch in dieser Nacht ging es los. Ich holte quasi nach, was ich so lange versäumt hatte.
Ich war etwa fünfzehn, stand mit einem Sturmgewehr in der Hand in einem Dschungel und versuchte immer wieder anstürmende gegnerische Soldaten zu erschießen. Doch aus meinem Gewehrlauf tropften die Kugeln maximal zehn Meter weit, um dann auf denn Boden zu fallen. Ich zog immer wieder durch, doch es passierte nichts. Immer wieder. Schließlich wachte ich schweißgebadet auf. Es war vorbei, alles nur ein Traum. Ich war noch am Leben. Ein Scheißtraum. Wahrscheinlich hatte ich zu viele schlechte Filme gesehen. Was sollte man aber am Wochenende anders machen, wenn man sich nicht permanent besinnungslos zuschütten wollte.
Eins hatte dieser Mist Gutes. Der Kopfschmerz war weg. Allerdings nicht für lange. Gleich nach dem Mittagessen am nächsten Tag ging es wieder los. Ich besorgte mir in einer Apotheke die stärksten Schmerztabletten und eine Flasche Whisky. Doch das half auch nicht lange. Ich konnte zwar einschlafen, sogar meinen Dschungeltraum wiederholen; gegen fünf Uhr morgens allerdings explodierte wieder der Schmerz zwischen den Ohren. Ich verständigte den Notarzt und ließ mich in die nächste Klinik transportieren. Ich landete irgendwo zur Beobachtung und wurde kurz nach acht gründlich durchgecheckt. Mit Kernspintommographie und allem.
Der Radiologe nahm mich eingehender Untersuchung der Aufnahmen beiseite.
„ Mein Lieber, wir haben zwar nicht viel gefunden, aber etwas doch. Hinter Ihrem rechten Ohr befindet sich ein stecknadelkopfgroßes Gebilde. Doch keine Angst, keine Geschwulst, sondern ein Fremdkörper, der leicht operativ entfernt werden kann. Wir machen das.“
Am nächsten Tag wurde ich tatsächlich operiert. Kurz, schmerzlos und dann gleich entlassen. Ich war wieder gesund, versicherte man mir.
Eine Woche lang hatte ich Ruhe, dann kamen die Träume wieder. Zwar ohne Schmerzen, aber immer wieder Dschungelkrieg. Tod, Folter, Vergewaltigung. Szenen, die jedem menschlichen Auge besser vorbehalten bleiben sollten. Ich schmiss einen Riegel nach dem anderen, das stärkste, was auf dem Markt war. Es half nichts mehr. Wenn in der Glotze ein Kriegsfilm lief, bekam ich Angstausbrüche, mir würde kotzübel. Endloses Erbrechen. Irgendwann war ich soweit und ich lief wieder ins Krankenhaus. Diesmal in ein anderes. In einer großen Stadt, in der mich niemand kannte. Sie verlegten mich sofort in die Psychatrische. Wieder Röntgenaufnahmen, wieder nur dieser schwarze Knopf, den die anderen Idioten angeblich entfernt hatten.
Der zuständige Chefarzt nahm mich ein paar Tage später beiseite.
„ Mein Guter, wo haben Sie sich denn das eingefangen? Wissen Sie überhaupt, was man Ihnen da implantiert hat? Einen Sender, mein Guter, der direkt mit zigtausend Neuronen verbunden sind, der Ihre Gedächtniszentren stimulieren. Wer nur hat das verbrochen?“
Ich zuckte nur mit den Achseln.
„ Dachte ich mir. Wir können das Ding vorerst nicht entfernen, bevor wir nicht sicher sind, wie es überhaupt funktioniert. Aber wir machen das schon. Nur Mut. “

Wieder Operation, wieder alles gut. Man schüttelte mir die Hand und wünschte mir alles Gute. Schön, ich machte mich also wieder auf die Socken. Zurück in meine Höhle. Ich musste mich unbedingt wieder auf’ s Alltagsgeschäft konzentrieren. Einen neuen Job suchen, Kohle machen. Vergiss diesen Scheissknopf. Diese Ärzte hatten doch alle eine Macke. Sender, Neuronen, lauter Irre.

Ich fand bald wieder Arbeit und machte mir bis zum Dezember ein paar schöne Tage. Dann kamen die Träume wieder. Parallel zum Aufmarsch der Garkankonföderation, die im Süden einen ehemaligen Verbündeten, den Autokrat Omani stürzen wollten, der sich seit ein paar Jahren zu viele Eigenmächtigkeiten herausnahm.
Der drohende Konflikt beherrschte seit Wochen die Medien und alle hatten Angst, weil die Energieversorgung in Gefahr war.
Die Träume kamen jetzt auch tagsüber. Schlaf war endgültig erledigt. Ich spürte, wie ich langsam durchdrehte. Ich besorgte mir sogar eine Uniform der Garkankonföd und begann, Fitnessübungen zu machen. Ich fing an zu glauben, dass ich ein Soldat war. Wusch mich nicht mehr, frass nur noch aus der Dose.
Kurz vor Sylvester klingelte es dann an meiner Wohnungstür. Ich wischte mir notdürftig den Bart sauber und öffnete. Ich wunderte mich tatsächlich nicht mehr, dass zwei Soldaten vor der Tür standen.
„ Captain Dengler. Fertig machen. In einer Stunde kommt der Helikopter. Wir müssen bereit sein. “
Sie zerrten mich unter die Dusche und machten mich fertig.
 

jon

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Teammitglied
Typisch tom: Flüssig, nicht unspannend, eine sehr kraftvolle rhythmische Sprache. Und irgendwie nicht fertig. Teil von etwas, ein Anfang vielleicht…

Vielleicht liegt es an dem so genauen Beobachten der Figur – das geht weit über den bloßen Plot „Schläfer aktivieren“ hinaus. Man baut eine Beziehung auf, die dann ins Nichts führt bzw. einfach abgeschnitten wird.

Die eigentliche Geschichte wird nicht erzählt: Was ist das für eine Gesellschaft, die auf diese Weise Soldaten in Reserve hält? Was ist mit den Ärzten, sind die alle eingeweiht? Sind vielleicht alle eingeweihnt außer den Betroffenen? Werden die Betroffenen programmiert oder wurden sie nur (vorübergehend) ihrer Vergangenheit beraubt? Wozu die Horrorträume? Im Prinzip wird keine Information gegeben außer der einen: Ein Mann hat was im Kopf, das sich aktiviert/das aktiviert wird (selbst das ist ja nicht klar), und wird dann eingezogen. Von den sechs W‘s (was, wann, wo, wer, wie, warum) einer Geschichte wird nur eines und das auch nur halb abgehandelt – das ist definitiv zu wenig!


Details:

Schimpansium____? Ich glaub nicht, dass diese Umschreibung (von was auch immer – Hochschulreife? Fachschulreife? Berufsabschluss mit (Fach)Abitur?) allgemein gebräuchlich ist.

Plötzlich verlor ich den Halt unter den Beinen. Ein scheußlich scharfer, stechender Schmerz bohrte sich vom rechten Ohr hinüber zum linken. Sogar die Kippe entglitt den geschundenen Fingern. Ich wankte und ließ mich auf den nächsten Erdhaufen fallen._______Ein bisschen viel, was zwischen „den Halt verlieren“ und „wanken“ passiert. Zumindest lesetechnisch. Vorschlag (auch weil „Halt unter den Beinen“ irgendwie nicht stimmig klingt {unter den Füßen müsste es heißen – dann aber fällt man um und wankt nicht nur}): „Plötzlich schien der Boden zu (sch)wanken. Ein scheußlicher…“

Ich verabschiedete mich, nachdem ich ein paar Tage AOK Urlaub herausgeschunden hatte und legte mich zu Hause ins Bett.______Komma hinter hatte!

Wider erwarten konnte ich sogar einschlafen.
Wie lange hatte ich eigentlich nicht mehr geträumt. Ein Jahr, zehn Jahre. Ich wusste es nicht mehr. Ich wusste nur, dass ich vor kurzen damit mit jemanden in der Kneipe unterhalten hatte._____„wider Erwarten“ (groß)______empfehle Fragezeichen hinter „…zehn Jahre"____vor kurzem (m statt n)______Ungewohnte Fügung das mit dem Unterhalten – fand ich klasse.

Was sollte man aber am Wochenende anders machen, wenn man sich nicht permanent besinnungslos zuschütten wollte._____Besinnlos kann man gar nichts machen (außer atmen und dergleichen). Man kann aber etwas bis zur Besinnungslosigkeit machen.

Eins hatte dieser Mist Gutes.______Klingt recht schief, wenn man es sortiert kommt raus: Eins Gutes hatte dieser Mist. Vorschlag: „Etwas/Ein Gutes hatte dieser Mist.“

Kernspintommographie____Kernspintomographie (ein m weniger)

Der Radiologe nahm mich eingehender Untersuchung der Aufnahmen beiseite.______ Da fehlt ein „nach“.______Ich glaub nicht, dass er die Aufnahmen untersuchte – untersuchen hat immer auch einen pysischen Aspekt. Er wird sie wohl eher studiert haben

Szenen, die jedem menschlichen Auge besser vorbehalten bleiben sollten.______Jemandem etwas vorbehalten heißt, es nur ihm zugänglich machen. Du wolltest sicher „vorenthalten“ sagen, was aber auch nicht recht stimmt, denn dieses Wort impliziert „ein Bedürfnis nicht befriedigen“. Wie wäre es mit: „Szenen, die niemand zu sehen gezwungen sein sollte.“?

Ich schmiss einen Riegel nach dem anderen, das stärkste, was auf dem Markt war._____Was für Riegel? Wohin schmiss er sie? Schmiss er sie ein?____das Stärkste (nach neuer RS groß).

In einer großen Stadt, in der mich niemand kannte.____Inhaltsfrage: Warum sollte ihn keiner kennen? (Wäre das nur ein zufälliger Aspekt der Krankenhaus-Wahl, hätte es sicher nicht erwähnt…)

Wer nur hat das verbrochen?____So stellt man die Frage nicht, wenn man nach einer Antwort darauf sucht, so stellt man sie, wenn man eigentlich wissen will, WARUM derjenige es gemacht hat. Ohne das „nur“ ist es stimmiger.

Scheissknopf._______Scheißknopf (auch nach neuer RS ein ß).

…die im Süden einen ehemaligen Verbündeten, den Autokrat Omani stürzen wollten,…______Komma hinter Omani

Der drohende Konflikt beherrschte seit Wochen die Medien und alle hatten Angst, weil die Energieversorgung in Gefahr war. _____Na holla! Wenigstens Omani und seine Lakeien sollten aus einem anderen Gründen Angst haben…

Ich fing an zu glauben, dass ich ein Soldat war. Wusch mich nicht mehr, frass nur noch aus der Dose. _______fraß (auch nach neuer RS ß)_______Inhalt: Soldaten waschen sich nicht und fressen aus der Dose? Ist das so Vorschrift? Du meinst sicher:„ Ich fing an zu glauben, dass ich ein Soldat im Einsatz war.“ Wenngleich auch das nicht stimmig ist – würde er sich ihm Kriegseinsatz wähnen, würde er sicher nicht relativ still seiner Bude hocken und auf Hygiene verzichten. Er würde mit imaginären Gegnern kämpfen, vielleicht sogar in Hausflur jemanden überfallen oder so. Wähnte er sich im Einsatz, würde er sicher auch keine Fitnessübungen machen – wozu Fitnessübungen, wenn man ohnehin immer im Bewegung ist? Fitnessübungen sprechen dafür, dass er glaubt, ein Soldat auf Abruf zu sein – dann ist aber das mit der mangelnden Hygiene Unsinn.

Sylvester______Silvester
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Für eine 30-Minuten-Arbeit klasse Sprache! Nur eben die Story…
Es ist so unendlich schade, dass so gut beherrschtes Handwerk mangels Plot verpufft. Vielleicht kriegt das Ganze etwas mehr Halt, wenn wenigstens die Frage danach beantwortet wird, wie der Held die "Einberufung" annimmt: Eine einzelne Formulierung wie "ich war wieder im Dienst" oder "ich war zurück in der Hölle" würde vielleicht schon helfen. Irgendwas, das andeutet, ob er es als normal empfindet (was den Leser entsetzen sollte), ob er die Rückkehr in den Krieg als Grausamkeit empfindet (was den Leser wütend auf's System machen sollte), ob er es als Erleichterung empfindet, endlich wieder zu wissen, warum er so anders ist… Irgendetwas, was diesem Texte etwas außer der bloßen Info "Ein Schläfer wird geweckt" mitgibt. Was ihn letztlich erst wert macht, aufgeschrieben worden zu sein…
 

Efiriel

Mitglied
zum Text

Hallo

Mir erscheint die Sache durchaus stimmig! Das verschwörrerische Vorgehen ist schon eindrücklich spürbar.
Es könnte vielleicht noch ausgebaut werden. Dennoch finde ich kann den Lesenden durchaus ein wenig Arbeit zugemutet werden. Manchmal sollte eine Geschichte einfach nur eine Tür öffnen. Hindurchgehen muss jeder selbst!
Eines steht für mich fest, du öffnest die Tür und zwar sperrangelweit. Ich für meinen Teil konnte nicht daran vorbei gehen.

mfg

Efiriel
 



 
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