weihnachtsgeschichte

grasshof

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Mette im Wald

Es war nicht vorauszusehen, daß Senta in diesem Jahr, am hl. Abend, allein sein werde. Da es nun so gekommen ist, wollte sie Weihnachten einmal so feiern, wie sie es sich lange Zeit schon vorgestellt hatte.
Als Mutter von mehreren Kindern gab es gerade an diesen Abend immer viel zu tun und es blieb einfach keine Zeit, um stille zu werden.
Sie sah auf die Uhr, es war 20 Uhr. Einen kleinen Imbiß hatte Senta zu sich genommen. Nun wollte die Frau hinaus in die Natur. Rasch zog sie die hohen Stiefel an, schlüpfte in den warmen Wintermantel, sperrte das Haus ab und ging Richtung Wald.

Bald hatte sie den Forstweg erreicht und stapfte nun frohen Mutes bergan. Es flockte zart in das nächtliche Dunkel. Unter den Bäumen war der Boden noch schneefrei und mit braunen Nadeln bedeckt.
Je höher Senta den Berg hinan kam, desto lichter wurde es, es schneite auch nicht mehr. Und vereinzelt blinkten schon Sterne vom Himmel, der Mond zog seine Bahn, versteckte sich aber immer wieder hinter Wolkenfeldern. Tiefe Stille umhüllte den Tann, eine festliche Stimmung zog durch die Nacht.

Nach längerem Gehen stand die Frau am Rande eines Jungwaldes. Hunderte Bäumchen säumten ihren Weg, sie kam kaum voran. Es war, als streckten sich Zweige, wie bittende Hände der Wandernden entgegen. Und irgendwie war es, als höre Senta Wehklagen, und schmerzhaftes Raunen bei den Tannenkindern.
Senta blieb stehen, atmete einigemal tief durch und horchte genauer hin. Dabei strich sie ganz zart über die kleinen Wipfel: Was wollt ihr denn von mir?, fragte sie. Und da wurde dieses Wimmern noch lauter und vernehmlicher: Nimm mich mit, nimm mich mit!, hörte sie rufen.
Ja, diese Baumkinder träumten das ganze Jahr über von dieser einen festlichen Nacht. Ein Baum sein mit Lichtern und mit glitzerndem Lametta, mit Glaskugeln und Engelhaar geschmückt, so etwas wollten sie ...
Senta konnte die Sehnsucht dieser kleinen Fichten und Tannen gut verstehen und sie hatte Mitleid mit ihnen. Sie beugte sich zu ihnen nieder und redete ihnen gut zu: Hört einmal, ihr Kleinen, was ich euch sagen möchte. Ich verstehe eure Enttäuschung, wenn ich keines von euch mitnehme in die Stadt. Das wollt ihr doch, ein geschmückter Christbaum sein in warmen Stuben und von Kinderaugen bewundert werden am hl. Abend. Es wäre sicher wunderbar für euch. Nun versteht es doch, lange würde dieses Glück nicht dauern. Bald würdet ihr viel Durst leiden müssen in den heißen Wohnungen, bald würde euer Grün erblassen, braun werden, und die Nadeln als Tränen zu Boden fallen. Denkt, aller Glanz, von Menschen gemacht verliert schnell seinen Wert und zurück bleibt Dürre und Tod.

Die Frau richtete sich auf und sprach nun lauter, damit es im weiteren Umkreis zu hören war: Hört mir noch einmal zu, ihr traurigen Geschöpfe: Für heute dürft ihr euch freuen, denn ihr alle seid für mich Weihnachtsbäume für diese Heilige Nacht. Ja, schaut euch nur gegenseitig an, wie wunderbar ihr geschmückt seid, mit dem kostbaren Schmuck der Natur. Ihr trägt weiße Schneekronen, eure Zweige glitzern wie Diamanten und ein weißes Kleid umhüllt euren Stamm, was wollt ihr mehr? Ihr werdet nicht sterben müssen, wie jene Bäume, die in warme Stuben mitgenommen wurden.

Als hätte der Mond diesem Gespräch gelauscht, schob er voll Freude rasch eine Wolke beiseite und sandte eine solche Fülle von Licht zur Erde, daß es hell wurde wie bei Tag. Gleichzeitig begannen die Sterne munter zu funkeln, und ein Glitzern und Strahlen erhellten den sonst dunklen Wald.
Da wurden auch die großen, alten Bäume aufmerksam und stimmten ein festliches Singen an. Bald sang und klang es durch den tiefen Wald, wie Chorgesänge an geheiligten Stätten.
Nun war die Stunde da, wo der Himmel die Erde berührte. Es war wohl die Stunde der Christmette, denn von Ferne hörte Senta auch die Kirchenglocken läuten.

In dieser nächtlichen Einsamkeit, hoch am Berge stand sie nun, still, lauschend, an die Heilige Familie von Bethlehem denkend. Stille Nacht, Heilige Nacht ... summte Senta vor sich hin.
Eine liebende Wärme erfüllte ihr Herz, und ihre Seele atmete Gottes Gegenwart.

Dann dunkelte es wieder, der Mond hatte sich hinter einer Wolke verzogen, es flockte leise vom Himmel. Ein Frösteln lief der Frau über den Rücken.
Es war Zeit in das Tal zurückzukehren.
Voll Friede und Freude war ihr Inneres, und Senta verstand es nun, was gemeint war mit:
Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden ...
anna grasshof
 



 
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