wenn das Leben alles richtig macht

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16.10.2008

Ich hatte heute ein vorzügliches Hirschgulasch mit Knödeln. Schatzi hatte das gleiche vorzügliche Hirschgulasch, nur in ihrem Fall mit Spätzlen. Unsere Tischnachbarin, eine vom vielen Alleinerziehen zerfurchte Endvierzigerin, war voll des Lobes über ihren deftig daher kommenden Eierpfannkuchen mit Hackfleischsoße, was ihr Tischgegenüber wiederum - ein offensichtlich kinderlos gebliebener Aktentaschenbesitzer mit Fielmann-Brille - nur zu bestätigen wusste. In seinem Fall jedoch war es das Jägerschnitzel mit Bratkartoffeln und Feldsalat.

Bedenke ich nun den Umstand, dass all diese feinen Bestellungen anhand einer auf Schreibmaschine getippten Speisekarte vorgenommen wurden, auf der das Eurozeichen mangels passender Eurozeichen-Taste mit einem großen C und zwei kurzen horizontalen Kugelschreiberstrichen dargestellt wurden, ja dann war mein Tag perfekt gelungen.
 

jon

Mitglied
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... das wär er nicht (gelungen, meine ich), wenn die Karte aufwändig in Büttenpapier geprägt worden wäre?
 

jon

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Versteh ich nicht … Warum? Wär das Essen dann weniger perfekt gewesen? Also war es nur gemessen am in der Karte sichtbaren Standard der Kneipe gut? Dann war der Tag nur relativ gelungen. Oder besteht die Perfektion in der postiven Überraschung? Das bedeutet ja, dass die schlichte Karte Unbehagen ausgelöst hatte – dann ist aber der Tag doch nicht mehr perfekt sondern nur "(gut) gerettet". Und warum ist der Tag de LyrIch perfekt, wenn vier Leute – zwei davon ihm völlig unbekannt - gut essen?

Um es mal anders auszudrücken: Ich kann das Gefühl "perfekter Tag" nachvollziehen – aber nicht anhand des Textes und seiner Logik.
 
Erklärung

Du musst das genau anders herum sehen. Die Perfektion dieses Tages zeigt sich nicht an dem, was passierte sondern genau umgekehrt. Ich war in perfekter Laune (was die Grundvoraussetzung für gelungene Tage ist) und dadurch schmeckte mir mein Hirschgulsasch so gut, fiel mir auf, wer noch mit am Tisch saß und wie diesen Menschen ihr Essen schmeckte und ich erfreute mich an einem kleinen handgemachten Eurozeichen. An schlechten Tagen wäre mir von alledem nichts aufgefallen.

Nicht die Umstände machen den Tag gelungen - der Tag lässt die Umstände gelingen!
 
B

bluefin

Gast
ich geh mal ganz locker davon aus, dass es um die schlichte beschreibung eines prekariats geht, dessen täglicher höhepunkt darin besteht, sich beim verzehr einfachster naturalien eines momentes schierer glückseligkeit zu versichern.

@jon übersieht, glaube ich, dass dein wohlgelungenes sittenbildchen indirekt daherkommt, lieber @p02, und kann deshalb die abgehobene arroganz, die in ihm steckt, wohl nicht so recht nachempfinden.

mein fazit: kein liebevoller beschrieb einer szene, sondern ein mitleidloser schuss mitten hinein, die speisekarte als ein gut dämmender pfropf für den vorderlader.

falls es unser autor aber wirklich ernst gemeint gehabt haben sollte mit seinem gulasch, dann hätte sein schuss nicht ins schwarze getroffen, sondern wäre im rohr krepiert und hätte ihn gleich mit erledigt: fast noch besser, denn die (lyrische) unsterblichkeit, lieber paule, wär' dir gewiss!

liebe grüße aus münchen, dem hort der schlechtesten gatronomie der welt

bluefin
 

jon

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@Paule002
… sorum ergibt es Sinn. Aber der Text sagt es andersrum: "Bedenke ich nun den Umstand, dass …, dann war mein Tag perfekt gelungen." – was heißt: "Weil es so war, war es perfekt."
 
Nochmal:

Viel zu viel der Interpretation, Kollegen!

Der Text sagt schlicht und einfach, wie es war. Ist ja auch schließlich ein Tagebucheintrag.

Mein Spatzi und ich waren in der besten "Gut Bürgerlichen Küche" Mannheims Hirschgulsach essen, an deren Tischen - bedingt durch die Qualität der speisekarte - selten ein Stuhl frei ist. Und so, wie die Speisekarte daher kommt, so wird auch in der Küche gearbeitet. Auf gut Neudeutsch: old school! Und dieses Glücksgefühl versuchte ich in einfache Worte zu packen. Kein Hintersinn, keine zweite eingeschobene Sinnebene, kein Zwischendenzeilen - nur Tagebuch!

Auf die Gefahr hin, die werten Leser enttäuscht zu haben, verbleibe ich doch freundlich grüßend,

Paule
 

jon

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Es war aber deinen Worten nach eben NICHT so, wie es da steht – der Tag war nicht perfekt, weil/wenn man bedenkt, dass die Karte so aussah, wie sie aussah. Er war es einfach – Punkt.
Und: Die LL ist kein Blog, sondern eine Literatur-Plattform, auch die Abteilung "Tagebuch" ist also literarisch gemeint. Aber das nur – wenn auch deutlich – am Rande.


… und damit zieh ich mich von hier zurück. Winke winke!
 
B

bluefin

Gast
also dann doch:
falls es unser autor aber wirklich ernst gemeint gehabt haben sollte mit seinem gulasch, dann hätte sein schuss nicht ins schwarze getroffen, sondern wäre im rohr krepiert und hätte ihn gleich mit erledigt: fast noch besser, denn die (lyrische) unsterblichkeit, lieber paule, wär' dir gewiss!
nochmals liebe grüße aus münchen

bluefin
 
Verzeiht!

Verzeiht mir, aber ich habe etwas den Überblick verloren.

Ich wollte schlicht und einfach einen schönen Tag in schöne Worte fassen, was für mich im weitesten Sinne Literatur ist und somit hier recht gut aufgehoben.

Grüße
 
R

rosenrot

Gast
"Nicht die Umstände machen den Tag gelungen - der Tag lässt die Umstände gelingen!" Paule - genial!!!

Das sehe ich genau so: so wie ich drauf bin, so wird mein Tag. An einem gewöhnlichen Alltag trägt man Glück oder Unglück in sich selbst.

Lieben Gruß vom rosenrot
 



 
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