wort

3,20 Stern(e) 6 Bewertungen
Wort

Verräter des Hirns
ohne Mantel ausgegangen
hineingeschlüpft in eine abgelegte Schlangenhaut
schuppt es sich wieder
wechselt die Farbe
Chamäleon
fliegt wie ein Pfeil
trifft ins Schwarze vorbei
hockt unschuldig in der Zeitung
mit Kinderaugen
groß und rund
und du glaubst ihm
Gepflückt wie kostbares Obst
mit seinem Duft
seiner Farbe
seinem Geschmack
Kaum bietest du es an
ist es nicht mehr dasselbe
Oxydiert, vergoren, eingedickt
eine Konserve
deren Deckel geöffnet
einen anderen Inhalt offenbart.
 
D

druckfehler

Gast
eine gelungene relfexion über das wort. die bilder mit denen du es beschreibst sind gut nachvollziehbar und doch sehr individuell, finde ich gut.
was mich ein wenig verwundert hat: der titel spielt meines empfindens nach auf alle wörter an, wie ein eintrag im lexikon unter "wort", das alle eigenschaften desselben beschreibt. aber du meinst sicher nicht, dass jedes wort auf diese weise wirkt? ist also für ein so breit gewähltes thema ein wenig einseitig, eine andere überschrift würde das problem schon beseitigen... aber welche... da bin ich auch ratlos ;)
 
stäubchen,

mit viel phantasie hast du aus einem kleinen wort eine ganze philosophie herausgearbeitet und deutlich gemacht wie beliebig worte doch benutzt werden können. dies zu lesen hat viel spaß und staunen bei mir ausgelöst.

heike
 
vielen dank, druckfehler und heike,
zum titel @ druckfehler: mit den richtigen titeln für meine texte haperts meistens, da hab ich so meine probleme.
andererseits fand ich dieses einzelne wort aussagekräftig genug, weil es ja immer das wort ist, das uns entlarvt, ein einziges winziges oft nur.
nichtsdestotrotz hab ich mich über die positiven reaktionen sehr gefreut.
gruß
s.
 
wenn ich mir so die bewertungen ansehe, dann würde ich eigentlich auch gerne wissen, warum dieser text so schlecht bewertet wird. von irgendwelchen zahlen kann ich leider gar nichts ableiten. textarbeit würde doch auch heißen zu begründen, warum man das gedicht schlecht findet.
 
S

scarda

Gast
Hallo sonnenstäubchen,
ich habe nicht bewertet, greife denen Aufruf zur Textarbeit aber mal auf: An der Überschrift hätte ich nichts auszusetzen, ist doch der Titel derjenige Blickwinkel, mit dem man das Gedicht lesen sollte. Die Nüchternheit von „Wort“ trifft es meiner Meinung nach recht gut, ist es doch der kleinste gemeinsame Nenner von dem was dann folgt.

Aber ich für mich sehe doch Mängel, die mir auffallen:
- Die Verbindung von „Schlangenhaut“ und „schuppen“, das passt mir nicht zueinander, das eine schließt doch das andere aus: eine Schlange schuppt nicht sondern häutet sich und das Wort, das in diese Haut hineingeschlüpft ist kann dann doch wohl nicht schuppen, zumindest würde man es nicht sehen, schließlich hat es sich doch maskiert
- „trifft ins Schwarze vorbei“. Ins Schwarze treffen ist eine Metapher für genau treffen. Aber was drückt „ins Schwarze vorbei“ aus? Die fehlende Interpunktion ist mir hier auch nicht hilfreich zu deuten, was ich denn hier fühlen soll, was das LI dem Wort für Eigenschaften zuweist.
- insgesamt ist mir das Gedicht mit zu vielen Seiten bestückt. Es sind mir schon wieder zu viele Bilder, die sich aneinanderreihen. Ich würde vorschlagen es ein wenig zu kürzen um es prägnanter zu machen.

liebe Grüße scarda
 

Perry

Mitglied
Hallo Sonnenstäubchen,
deine Wortdeutungen gefallen mir in ihrer bildhaften Vielfalt.
Da du Textarbeit wünscht, hier eine Variation von mir, die etwas mehr gliedert und verdichtet. Kann natürlich nur als Anhalt gesehen werden, weil ich die Aussage z.T. anders interpretiert habe.

Wort


Verräter des Hirns
ohne Mantel ausgegangen
geschlüpft in eine Schlangenhaut
die Farbe gewechselt
Chamäleon

Fliegt pfeilgenau
am Schwarzen vorbei
hockt unschuldig in Zeitungsspalten
mit unschuldig großen Kinderaugen
und du glaubst ihm

Gepflücktes Obst
kostbar in Duft und Farbe
doch kaum angeboten
vergoren, eingedickt
zur inhaltsfremden Konserve

LG
Manfred
 
hallo scarda, hallo perry,
vielen dank für eure mühe mit meinem text. genau das habe ich auch gemeint: offene worte für einen text, der vielleicht hinkt - und ich habe das jetzt auch sehen gelernt: die schlange, die sich häutet. genau! manchmal merkt man die falschen verbindungen beim schreiben gar nicht, weil man zu sehr von dem bild gefangen ist, das man beschreiben will und das war bei mir in erster linie das bild der veränderlichkeit des wortinhalts.
was ich ausdrücken wollte, war dieser ständige prozess, dem ein wort unterworfen ist, wenn es gebraucht wird: man denkt, es sei genau der treffende begriff und im handumdrehen wird aus ihm ein falscher, weil ein anderes wort mit seinem "hof" dazu kommt. deshalb hab ich auch dieses "ins schwarze vorbei" treffen gewählt, denn man kann nie sicher sein, dass das wort dort trifft, wo man es haben möchte.
perry, du teilst den text in strophen - um den inhalt zu gliedern? ist nicht der ständige fluss eher dem wort-prozess ähnlich? ich gebe zu, eine stropheneinteilung sieht ordentlicher aus.

vielleicht finden sich ja noch andere meinungen?
grüße
s.
 
E

eowyn

Gast
hallo sonnenstäubchen!

mir hat dein gedicht auch in der allerersten version schon gefallen. das mit der schlange ist mir auch nicht aufgefallen. die verbinung schlange - schuppen fand ich einfach gar nicht so falsch, weil eine schlange ja schließlich auch schuppen hat... du bist also nicht die einzige ;)

meiner meinung nach bedarf es nicht unbedingt einer kürzung. der anfang hat auf mich auf den ersten blick etwas konfus gewirkt, weil mir nicht direkt klar wurde, worauf du hinaus wolltest. ich finde allerdings, dass das ende mit der konservendose alle bisher aufgegriffenen bilder ganz gut "zusammenfasst".

auch strophen müssen meiner meinung nach nicht sein. in perrys version habe ich am ende einer strophe immer eine pause beim lesen gemacht. das hält ein wenig auf, denke ich.

allerdings gefällt mir seine formulierung "zeitungsspalten" besser als einfach "zeitung". passt meiner meinung nach etwas besser rein. ob man das unschuldig aber wiederholen muss? da bin ich etwas unschlüssig.
auch "am schwarzen vorbei" und "inhaltsfremd" gefällt mir ziemlich gut. fragt sich nun bloß, ob das auch deine intention noch trifft. zumindest beim ersten. ich würde da jedenfalls etwas ein wenig anderes draus lesen als aus deinem "ins schwarze vorbei".

hoffe, ich konnte dir ein wenig weiterhelfen, wenn ich auch keine neuen vorschläge eingebracht, sondern nur zu den bisherigen stellung bezogen habe.

liebe grüße
eowyn
 

Regenzauber

Mitglied
...ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen

@sonnenstäubchen

Am Wort finde ich nichts, was zu einem derartigen Text berechtigt oder ihn überhaupt ermöglicht.

Beginnt schon mit der Anschuldigung, Verräter wessen zu sein? Ist es nicht erst durch das Wort, dass das Gehirn seine höhere Funktion, die des Denkens, ausüben kann? Aber auch Wort, was soll das denn heißen? Hier wird es hauptsächlich als Substantiv gesehen, dass es Zeit – oder Zahlwörter oder oder gibt, zeigt doch das Fehlen einer Dimension. Wenn du deine Reflexion etwas konkreter abfassen könntest, z.B. von Gedanke oder Meinung oder Idee sprechen wolltest, kämst du eher in einen diskutierbaren Bereich, aber das Wort?

Wenn du dich über Beurteilungen wunderst: ich beurteile nicht, weil ich Notengebungen als schädlich betrachte, doch müsste ich eigentlich sagen, dass zwar kein Thema verfehlt, aber auch keines gefunden wurde, also [red]Note Zero[/red]!
 
hallo eowyn,
vielen dank für deine reaktion,
was deine ansicht zu den "zeitungsspalten" angeht, muss ich sagen: da bin ich auch am überlegen, weil der begriff genauer ist, konkreter. bei dem wort "inhaltsfremd" dagegen bin ich der meinung, dass er etwas anderes aussagt, als ich meine. es ist ja nicht so, dass der inhalt der dose ein anderer wäre, sondern das aussehen, die konsistenz oder anders ausgedrückt: das wort hat ein äußeres und ein inneres und beide bereiche sind sehr empfindlich in bezug auf ihre umgebung.
man kann viele beispiele anführen, wie worte sich verändern, anpassen... das ist sozusagen ein weites feld. ich verliere mich gerne darin.
grüße
s.
 
Hallo regenzauber,
danke für deine wunderbare reaktion, zeigt sie doch haargenau das, was ich versuche in meinem gedicht auszudrücken: das wort, das zum verräter wird, nämlich des hirns, sprich der gedanken. Gedanken können in ganz unterschiedliche hüllen gekleidet werden und je nach wahl der hülle verrät sich der hervorbringer/schöpfer.
In meinem text schreibe ich nirgendwo, dass es sich lediglich um ein substantiv handelt, ganz allgemein kann jedes wort seinen inhalt verändern, je nachdem in welchem kontext es steht. Du hast genau erkannt, dass „das wort“ nicht konkretisierbar ist – und genauso wird es auch jeden tag benutzt, gebraucht, missbraucht. Ich möchte nur daran erinnern, dass die werbung diese eigenschaft der wörter sich zunutze macht, aber nicht nur hier, auch die politik kennt diese schillernde vielfalt bei der benennung von fakten, die man eben gar nicht so exakt benennen will. Man spricht auch von sogenannten „hochwertwörtern“, die negativaspekte verschleiern sollen, z.b. spricht man nicht von den alten leuten sondern von senioren. Das klingt doch zugegebenermaßen viel freundlicher, nicht? Und man mag auch nicht so gern das altersheim, wieviel netter ist es doch dagegen im seniorenzentrum – hier macht das wort den ton. Interessant ist auch, dass wörter ihre zeit haben, sie sind gewissermaßen vergänglich und das müsste eigentlich einer wie du am ehesten spüren und wissen, denn sowohl deine texte als auch deine kommentare sind in einem duktus geschrieben, der wohl mit dem begriff „epigonal“ zu bezeichnen ist.
Aus diesem grund verstehe ich auch deine null – und sie trifft mich nicht, im gegenteil, ich sehe sie als auszeichnung, weil es mir gelungen ist, mich abzugrenzen.
Ich denke, ein lyriker muss einen eigenen stil finden und ich bin auf dem weg – ich sage bewusst nicht, dass ich angekommen wäre, aber einfach einen stil nachmachen und sei er noch so kompliziert, etwa in blankversen oder hexametern zu schreiben – haben doch schon hölderlin und goethe in diesem stil geschrieben – erübrigt sich doch, denn könnte man je etwas besseres dieser art schreiben? Aber ich will einen eigenen weg gehen und mich freut eben, dass es nicht der gleiche ist, wie deiner.
Gruß
s.
 
D

dockanay

Gast
hallo s.

die natur hat kein anderes mittel uns zu fassen, uns an sich zu reißen, als die bezauberung, eine art magie die in ihren veräußerungen steckt, wie du selber in deinem gedicht ja anschaulich feststellst: "kostbares Obst/mit seinem Duft/seiner Farbe/seinem Geschmack".
das ist meiner meinung nach die wurzel aller poesie, durchsichtig im großen und mysteriös, wenn es dann um die details geht. damit ist die natur das wichtigste symbol, und das symbol ist eben das element der poesie, ihr element aber ist das wort.
die poesie spricht worte aus, um der worte willen, und das ist, denke ich, ihre zauberei. überzeugt von eben dieser macht, die das wort in sich trägt, beschreibst du für mich sehr schön wie flüchtig sie dennoch sein kann und sich ständig wandelt, vor unseren augen sogar, ohne dass wir es überhaupt bemerken. da wird dann plötzlich ein uns vertrautes wort zu einer magischen formel, erhebt sich zum firmament, lässt den puls höher schlagen, das herz schlägt uns vor aufregung bis zum hals, wir scheinen uns kaum noch beruhigen zu können.
ich sehe dein gedicht als das erkennen dieser magischen kraft, welche die worte haben, unseren leib zu rühren, vor allem für uns schreibende, und uns unaufhörlich zu verwandeln.

lg dockanay
 
hallo dockanay,
vielen dank für deine worte, ich denke, jeder, der mit worten zu tun hat, kennt diesen prozess, den du beschreibst. wäre nicht dieser "kampf" mit den worten, gäb es sie ja nicht - die poesie.
grüße
s.
 



 
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