Nacht-ohne-Morgen
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Es ist mein erster Tag in der Branche als Fahrer in der Fahrgastbeförderung. Ich stehe auf dem Hof der Firma und bin im Begriff mein mir zugewiesenes Taxi zu besteigen. Es ist das älteste Modell im Fuhrpark, zerbeult von den vielen Unfällen, die sich im Laufe der Zeit unumstößlich im Straßenverkehr ergeben. Ich öffne die Fahrertür und werfe einen Blick auf meinen zukünftigen Arbeitsplatz. Der Innenraum hält, was der Anblick der Karosserie verspricht: Die Sitze sind verschlissen von den etlichen Körpern, die über sie hinweggerutscht sind, durch feine Risse quillt das gelbe Innenleben der Polster hervor, ein bräunlicher Schmutzfilm liegt auf den Armaturen und der fahle Duft verbrauchten Menschenmaterials klebt in der gesamten Ausstattung. Ich lasse den Anblick auf mich wirken, als jemand seine Hand auf meine Schulter legt. Ich drehe mich um und blicke in das zerfurchte Gesicht von Herbert. Er ist eine Legende in Fahrerkreisen, über 40 Jahre im Sattel, ein Haudegen der Straßen, nach dessen eigener Einschätzung es nichts gibt, was er nicht schon gefahren sei. Seine Augen liegen tief in seinem ausgemergelten Knochengesicht. Als er den Mund aufmacht und das Wort an mich richtet, strömt mir eine Übelkeit erregende Alkoholfahne entgegen. Nie zuvor ist mir sein unangenehmer Geruch aufgefallen, denn bis heute hat er noch keine Silbe mit mir gewechselt. Dies ändert sich mit dem heutigen Tag, denn ab sofort bin ich Teil seiner Zunft. Seine Stimme ist so leise wie eine Feder, die über Papier streicht, doch ich höre jedes Wort laut und deutlich, denn er sei die Graue Eminenz des Taxigewerbes und wisse über alles Bescheid, das sich auf den Straßen Salzgitters abspielt. „Man glaubt, die erste Fahrt sagt, wie deine Schicht verlaufen wird. Vergiss das!“
Er packt meinen Kragen und zieht mich dicht zu sich, sodass ich die Adern in seinen rot unterlaufenden Augen zählen kann, aus denen er in die meine blickt. „Die allererste Tour im Leben als Taxifahrer, Junge. Die entscheidet über deine ganze Karriere. Was da passiert, zeigt dir, wie deine Laufbahn aussehen wird!“
Wenig später habe ich längst seine Rede als irres Geschwätz eines alkoholkranken Psychopathen abgetan, als ich von der Funkzentrale meinen ersten Fahrauftrag entgegen nehme. Es handelt sich dabei um eine Entlassung aus dem Krankenhaus. Einige Minuten nach Erhalt stehe ich in der Station und verkünde eine Spur zu stolz, dass das angeforderte Fahrzeug da ist. Die Stationsmitarbeiterin führt mich zu einem graumelierten Herrn um die 80, drückt mir einen Transportschein in die eine und einen Koffer in die andere Hand und übergibt den ehemaligen Patienten meiner Obhut. Ich blicke auf das Gerippe, das in einer Art Bademantel auf einem Stuhl sitzt und teilnahmslos auf die Bodenfliesen blickt. Sentimentale Gefühle steigen in mir auf, denn dies ist der eine, an den ich mich bis zum Ende meiner Tage erinnern werde. Für ihn mag ich ein beliebiges, austauschbares Gesicht sein in seiner ewiglangen Aneinanderreihung von Krankenhausaufenthalten und der anschließenden Beförderung nach Hause. Viele wie mich hatte er schon und wie alle anderen werde auch ich in wenigen Stunden nur als eine verschwommene Erinnerung allmählich in Vergessenheit geraten. Er weiß nicht um seine Bedeutung für mich und dass ihm heute ein kostbares Geschenk zuteilwird, welches von meinesgleichen nur einmal im Leben gegeben werden kann.
Meine etwas zu euphorische Begrüßung prallt auf stille Ablehnung, also schlurfen wir schweigsam in einem würdigen Tempo zum Fahrstuhl. Dem Transportschein entnehme ich seinen Namen und wohin ich den Mann zu bringen habe.
Im Aufzug verliere ich mich in Gedanken. Ich gehe die Fahrstrecke im Geiste durch, um spätere Umwege zu vermeiden. Ich bin nur ein paar Momente abwesend, als mich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wieder ins Hier und Jetzt zurückholt. Ich drehe mich zu meinem Fahrgast in spé, dessen Augen weit aufgerissen sind und mich anstarren. Seine Linke liegt auf seiner Brust, langsam neigt er den Kopf seitlich und sackt mit einem unerwarteten Grunzen zusammen. Mit dem „Pling“-Geräusch, das mir signalisiert, dass der Aufzug das Erdgeschoss erreicht hat, liegt er auf dem Boden und rührt sich nicht mehr. Sich im Eingangsbereich aufhaltendes Krankenhauspersonal eilt herbei und stellt entsetzt fest, dass er tot ist.
Wie ein Echo aus dem Totenreich hallen Herberts Worte plötzlich in meinen Gedanken nach, als ich aus dem Fahrstuhl taumle. Meine erste Tour ist vorbei, ehe ich losgefahren bin und allmählich beschleicht mich der leise Verdacht, dass meine Karriere unter keinem besonders hellen Stern stehen könnte.
Er packt meinen Kragen und zieht mich dicht zu sich, sodass ich die Adern in seinen rot unterlaufenden Augen zählen kann, aus denen er in die meine blickt. „Die allererste Tour im Leben als Taxifahrer, Junge. Die entscheidet über deine ganze Karriere. Was da passiert, zeigt dir, wie deine Laufbahn aussehen wird!“
Wenig später habe ich längst seine Rede als irres Geschwätz eines alkoholkranken Psychopathen abgetan, als ich von der Funkzentrale meinen ersten Fahrauftrag entgegen nehme. Es handelt sich dabei um eine Entlassung aus dem Krankenhaus. Einige Minuten nach Erhalt stehe ich in der Station und verkünde eine Spur zu stolz, dass das angeforderte Fahrzeug da ist. Die Stationsmitarbeiterin führt mich zu einem graumelierten Herrn um die 80, drückt mir einen Transportschein in die eine und einen Koffer in die andere Hand und übergibt den ehemaligen Patienten meiner Obhut. Ich blicke auf das Gerippe, das in einer Art Bademantel auf einem Stuhl sitzt und teilnahmslos auf die Bodenfliesen blickt. Sentimentale Gefühle steigen in mir auf, denn dies ist der eine, an den ich mich bis zum Ende meiner Tage erinnern werde. Für ihn mag ich ein beliebiges, austauschbares Gesicht sein in seiner ewiglangen Aneinanderreihung von Krankenhausaufenthalten und der anschließenden Beförderung nach Hause. Viele wie mich hatte er schon und wie alle anderen werde auch ich in wenigen Stunden nur als eine verschwommene Erinnerung allmählich in Vergessenheit geraten. Er weiß nicht um seine Bedeutung für mich und dass ihm heute ein kostbares Geschenk zuteilwird, welches von meinesgleichen nur einmal im Leben gegeben werden kann.
Meine etwas zu euphorische Begrüßung prallt auf stille Ablehnung, also schlurfen wir schweigsam in einem würdigen Tempo zum Fahrstuhl. Dem Transportschein entnehme ich seinen Namen und wohin ich den Mann zu bringen habe.
Im Aufzug verliere ich mich in Gedanken. Ich gehe die Fahrstrecke im Geiste durch, um spätere Umwege zu vermeiden. Ich bin nur ein paar Momente abwesend, als mich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wieder ins Hier und Jetzt zurückholt. Ich drehe mich zu meinem Fahrgast in spé, dessen Augen weit aufgerissen sind und mich anstarren. Seine Linke liegt auf seiner Brust, langsam neigt er den Kopf seitlich und sackt mit einem unerwarteten Grunzen zusammen. Mit dem „Pling“-Geräusch, das mir signalisiert, dass der Aufzug das Erdgeschoss erreicht hat, liegt er auf dem Boden und rührt sich nicht mehr. Sich im Eingangsbereich aufhaltendes Krankenhauspersonal eilt herbei und stellt entsetzt fest, dass er tot ist.
Wie ein Echo aus dem Totenreich hallen Herberts Worte plötzlich in meinen Gedanken nach, als ich aus dem Fahrstuhl taumle. Meine erste Tour ist vorbei, ehe ich losgefahren bin und allmählich beschleicht mich der leise Verdacht, dass meine Karriere unter keinem besonders hellen Stern stehen könnte.
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