Ciconia
Mitglied
Abgeliefert
(Aktuelle Version)
Die alte Frau sitzt mit leerem Blick auf der Bettkante, so aufrecht, wie es ihr schmerzender Rücken eben zulässt. Neben dem Bett steht prall gefüllt eine offene kleine Reisetasche, achtlos oben draufgepackt die "Souvenirs" eines zweiwöchigen Krankenhausaufenthaltes: ein Apfel, Pillenschächtelchen, Servietten, die Entlassungspapiere.
Karla erscheint pünktlich und wundert sich, dass die Mutter schon voll angekleidet ist. Grummelnd hangelt sich die alte Frau mit ihren kurzen Beinen auf den Boden. Karlas missbilligender Gesichtsausdruck wegen der Tasche entgeht ihr trotzdem nicht. Umgehend zieht sie eine beleidigte Flunsch, wie immer, wenn ihr etwas nicht passt.
Der Weg zum Auto wird beschwerlich, Karla ist bemüht, ihre Schritte auf die Trippelschrittchen der Mutter abzustimmen. Schnaufend plumpst die alte Frau schließlich auf den Beifahrersitz.
Karla hat sich vor diesem Tag gefürchtet. Sie kann nicht recht einschätzen, wie die Mutter die neue Situation annehmen wird. Ob sie vorher noch einmal in ihre Wohnung möchte? Nein, möchte sie nicht. Kein weiterer Kommentar. Während der Fahrt schaut die Mutter schweigend in die Landschaft.
„Ich hab dir einen ganzen Koffer mit deinen besten Sachen eingepackt“, beginnt die Tochter schließlich zögernd.
Keine Antwort, aber Karla sieht die verächtlich nach unten gezogenen Mundwinkel.
Das Pflegeheim liegt idyllisch im Grünen. Es ist das einzige in dieser ländlichen Umgebung, deshalb gab es auch keine Diskussionen über das „Wohin“. Einige bekannte Gesichter werden vielleicht die Eingewöhnung erleichtern.
Zwei alte Damen bugsieren gerade ihre Gehwägelchen die lange Auffahrt hinunter.
„Den Rollator musst du mir auch noch bringen!“, kommt es prompt von der Mutter. Karla hat ihn schon im Kofferraum.
Beim mühsamen Aussteigen will Karla helfend die Hand reichen, wird aber sofort schroff abgewehrt. Berührungen sind der Mutter unangenehm, selbst unter diesen Umständen möchte sie keine Hilfe annehmen. Die Pflegekräfte werden da nicht lange fackeln, fürchtet Karla.
Die Pflegedienstleiterin, die Karla von den Vorgesprächen kennt, kommt ihnen in der Eingangshalle aus einem der langen Flure entgegen, wie immer in Eile.
„Ich bringe Ihnen hier einen neuen Schützling“, versucht die Tochter die Situation aufzulockern - mit mäßigem Erfolg. Die Frau lächelt ein wenig gequält, die Mutter verzieht schon wieder den Mund. Wer ist hier eigentlich Mutter, wer Kind?
Vorläufig habe man nur einen Platz in einem Doppelzimmer; nach der Kurzzeitpflege, wenn die Mutter bleiben wolle, werde man sehen ... Am Schwarzen Brett entdeckt Karla im Vorübergehen mehrere Kärtchen „Wir trauern um ...“. Sie hat keinen Zweifel, dass kurzfristig ein Zimmer frei werden wird. Freiwillig geht hier aber wahrscheinlich niemand mehr.
Die Einrichtung ist mehr als spärlich, ein regelrechtes Krankenzimmer: zwei Betten mit Nachtkästchen, ein Tisch, zwei unbequeme Stühle, ein schmaler Einbauschrank. Das Bett am Fenster ist für die Mutter vorgesehen, immerhin. Im zweiten Bett liegt ein Häufchen Mensch, zusammengekrümmt, vor sich hin lallend. Die Pflegedienstleiterin erklärt - fast entschuldigend -, dass man die arme alte Dame kurzfristig habe aufnehmen müssen. Die Mutter verdreht vielsagend die Augen.
„Es ist doch nur vorübergehend“, versucht die Tochter zu trösten und räumt zügig die mitgebrachten Utensilien in die engen Schrankfächer. Das Menschlein beobachtet aus halb geöffneten Augen die Neuankömmlinge und brabbelt Unverständliches. In Karla braut sich eine ungute Mischung aus Mitleid, Wut und Hilflosigkeit zusammen, die ihre Hände beim Einräumen zittern lässt. Sie atmet mehrmals tief durch. Auf einem der unbequemen Stühle verfolgt die Mutter argwöhnisch, was ihre Tochter einräumt. Zu guter Letzt stellt Karla mit triumphierendem Lächeln ein Foto des Vaters auf das winzige Nachtkästchen. Auch daran hat sie gedacht. Im Gesicht der Mutter kann sie keine Regung erkennen.
Karla verspricht, nochmals bei der Heimleitung zu insistieren, damit die Mutter schnellstmöglich ein anderes Zimmer bekommt.
„Du kannst dich auf mich verlassen!“
War da ein leichter Hoffnungsschimmer in den müden Augen der alten Frau?
„Na ja, ändern können wir ja doch nichts!“, seufzt sie zu Karlas Überraschung. Die Tochter schweigt. Die Auskunft der Ärzte über den Gesundheitszustand der Mutter war eindeutig.
Einen Augenblick noch stehen beide auf der Terrasse und schauen in den kleinen Park.
„Fahr du mal nach Hause“, meint die Mutter dann, „ich leg mich jetzt ein wenig hin.“
Die Tochter verspricht, in den nächsten Tagen wiederzukommen. Sie wird die lange Strecke künftig wohl häufiger fahren müssen, schon wegen der notwendig werdenden Wohnungsauflösung.
Karlas Schritte über den Parkplatz werden plötzlich ganz schwer. Eine Weile bleibt sie reglos im Auto sitzen. Sie glaubt alles richtig gemacht zu haben. Warum nur fühlt es sich so verdammt falsch an?
(Aktuelle Version)
Die alte Frau sitzt mit leerem Blick auf der Bettkante, so aufrecht, wie es ihr schmerzender Rücken eben zulässt. Neben dem Bett steht prall gefüllt eine offene kleine Reisetasche, achtlos oben draufgepackt die "Souvenirs" eines zweiwöchigen Krankenhausaufenthaltes: ein Apfel, Pillenschächtelchen, Servietten, die Entlassungspapiere.
Karla erscheint pünktlich und wundert sich, dass die Mutter schon voll angekleidet ist. Grummelnd hangelt sich die alte Frau mit ihren kurzen Beinen auf den Boden. Karlas missbilligender Gesichtsausdruck wegen der Tasche entgeht ihr trotzdem nicht. Umgehend zieht sie eine beleidigte Flunsch, wie immer, wenn ihr etwas nicht passt.
Der Weg zum Auto wird beschwerlich, Karla ist bemüht, ihre Schritte auf die Trippelschrittchen der Mutter abzustimmen. Schnaufend plumpst die alte Frau schließlich auf den Beifahrersitz.
Karla hat sich vor diesem Tag gefürchtet. Sie kann nicht recht einschätzen, wie die Mutter die neue Situation annehmen wird. Ob sie vorher noch einmal in ihre Wohnung möchte? Nein, möchte sie nicht. Kein weiterer Kommentar. Während der Fahrt schaut die Mutter schweigend in die Landschaft.
„Ich hab dir einen ganzen Koffer mit deinen besten Sachen eingepackt“, beginnt die Tochter schließlich zögernd.
Keine Antwort, aber Karla sieht die verächtlich nach unten gezogenen Mundwinkel.
Das Pflegeheim liegt idyllisch im Grünen. Es ist das einzige in dieser ländlichen Umgebung, deshalb gab es auch keine Diskussionen über das „Wohin“. Einige bekannte Gesichter werden vielleicht die Eingewöhnung erleichtern.
Zwei alte Damen bugsieren gerade ihre Gehwägelchen die lange Auffahrt hinunter.
„Den Rollator musst du mir auch noch bringen!“, kommt es prompt von der Mutter. Karla hat ihn schon im Kofferraum.
Beim mühsamen Aussteigen will Karla helfend die Hand reichen, wird aber sofort schroff abgewehrt. Berührungen sind der Mutter unangenehm, selbst unter diesen Umständen möchte sie keine Hilfe annehmen. Die Pflegekräfte werden da nicht lange fackeln, fürchtet Karla.
Die Pflegedienstleiterin, die Karla von den Vorgesprächen kennt, kommt ihnen in der Eingangshalle aus einem der langen Flure entgegen, wie immer in Eile.
„Ich bringe Ihnen hier einen neuen Schützling“, versucht die Tochter die Situation aufzulockern - mit mäßigem Erfolg. Die Frau lächelt ein wenig gequält, die Mutter verzieht schon wieder den Mund. Wer ist hier eigentlich Mutter, wer Kind?
Vorläufig habe man nur einen Platz in einem Doppelzimmer; nach der Kurzzeitpflege, wenn die Mutter bleiben wolle, werde man sehen ... Am Schwarzen Brett entdeckt Karla im Vorübergehen mehrere Kärtchen „Wir trauern um ...“. Sie hat keinen Zweifel, dass kurzfristig ein Zimmer frei werden wird. Freiwillig geht hier aber wahrscheinlich niemand mehr.
Die Einrichtung ist mehr als spärlich, ein regelrechtes Krankenzimmer: zwei Betten mit Nachtkästchen, ein Tisch, zwei unbequeme Stühle, ein schmaler Einbauschrank. Das Bett am Fenster ist für die Mutter vorgesehen, immerhin. Im zweiten Bett liegt ein Häufchen Mensch, zusammengekrümmt, vor sich hin lallend. Die Pflegedienstleiterin erklärt - fast entschuldigend -, dass man die arme alte Dame kurzfristig habe aufnehmen müssen. Die Mutter verdreht vielsagend die Augen.
„Es ist doch nur vorübergehend“, versucht die Tochter zu trösten und räumt zügig die mitgebrachten Utensilien in die engen Schrankfächer. Das Menschlein beobachtet aus halb geöffneten Augen die Neuankömmlinge und brabbelt Unverständliches. In Karla braut sich eine ungute Mischung aus Mitleid, Wut und Hilflosigkeit zusammen, die ihre Hände beim Einräumen zittern lässt. Sie atmet mehrmals tief durch. Auf einem der unbequemen Stühle verfolgt die Mutter argwöhnisch, was ihre Tochter einräumt. Zu guter Letzt stellt Karla mit triumphierendem Lächeln ein Foto des Vaters auf das winzige Nachtkästchen. Auch daran hat sie gedacht. Im Gesicht der Mutter kann sie keine Regung erkennen.
Karla verspricht, nochmals bei der Heimleitung zu insistieren, damit die Mutter schnellstmöglich ein anderes Zimmer bekommt.
„Du kannst dich auf mich verlassen!“
War da ein leichter Hoffnungsschimmer in den müden Augen der alten Frau?
„Na ja, ändern können wir ja doch nichts!“, seufzt sie zu Karlas Überraschung. Die Tochter schweigt. Die Auskunft der Ärzte über den Gesundheitszustand der Mutter war eindeutig.
Einen Augenblick noch stehen beide auf der Terrasse und schauen in den kleinen Park.
„Fahr du mal nach Hause“, meint die Mutter dann, „ich leg mich jetzt ein wenig hin.“
Die Tochter verspricht, in den nächsten Tagen wiederzukommen. Sie wird die lange Strecke künftig wohl häufiger fahren müssen, schon wegen der notwendig werdenden Wohnungsauflösung.
Karlas Schritte über den Parkplatz werden plötzlich ganz schwer. Eine Weile bleibt sie reglos im Auto sitzen. Sie glaubt alles richtig gemacht zu haben. Warum nur fühlt es sich so verdammt falsch an?
Zuletzt bearbeitet: