Hallo Hans,
wie so oft bei dir, verteilst du überall changierende Portale und wortmagische Tore in oft vergessene oder unbekannte Welten, die um dein jeweiliges Gedicht als Gravitationszentrum kreisen.
Nebukadnezar, der für sieben Jahre wahnsinnig wurde und "wie ein Tier Gras fraß", hat einen Zugang zu einer zweiten, irrationalen Welt gefunden, besser gesagt, sie fand ihn: und wäre fast gänzlich von ihr assimiliert worden. Wäre Baudelaire zu dieser "inneren extremsten Entbeinung" fähig gewesen, hätte er vermutlich alles menschliche verloren, würde selber Abgrund geworden sein (hinabgsunken in das Kraut und die Wiese), nicht mehr als ein abgewandtes gelegentliches Aufblitzen im kreisrunden pechschwarzen Augengrund der Löwin auf Rousseaus Bild von 1910. Wunderbar ! Das Thema der Natur, das in Str. 2 aufgegriffen wird, das Spiel mit seinem Werk über die Wirkung mannigfaltiger Drogen (künstliche Paradiese, 1860) führt geradewegs wieder ganz zum Anfang, wo uns Baudelaire als "Prinz im Licht", als "Quacksalber", als "Unwissender" vorgestellt wird. Man sieht einen gecken Scharlatan vor dem inneren Auge umhergehen. Ich vermute, dass der angedeutete Vorwurf an ihn: "Hättest Du dich so intensiv in deinen Wahnsinn fallen lassen, wie Nebukadnezar", der Schlüssel zur großen Generalkritik ist: "Du Baudelaire wirst nie ein Chiron sein. Denn du hast nie auf den Wiesen geweidet".
Ich selber lese ihn vor allem wegen seines unermüdlichen Versuchs das Schöne im Bösen zu entdecken. Er ist für mich immer wieder ein Tor in eine fremde, geheimnisvolle Welt.
Mes compliments
Dio