baudelaire

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mondnein

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baudelaire


beau charles du ewiger prinz im licht
was weiszt du von der königin
was faselst du von der medizin
kennst du der mutter künste nicht

und jeder glaubte du wärst berauscht
gewesen als du die paradiese
schriebst - du lägst gern auf der wiese
wo du dem wachsen der kräuter gelauscht

vermochtest wie nebukadnezar du dies
dem gras zu entlutschen und erdmilch zu saugen
du hättest geschaut durch die kreisrunden augen
der löwin rousseaus ins gewächshaus paris
 
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Hallo Hans,

wie so oft bei dir, verteilst du überall changierende Portale und wortmagische Tore in oft vergessene oder unbekannte Welten, die um dein jeweiliges Gedicht als Gravitationszentrum kreisen.

Nebukadnezar, der für sieben Jahre wahnsinnig wurde und "wie ein Tier Gras fraß", hat einen Zugang zu einer zweiten, irrationalen Welt gefunden, besser gesagt, sie fand ihn: und wäre fast gänzlich von ihr assimiliert worden. Wäre Baudelaire zu dieser "inneren extremsten Entbeinung" fähig gewesen, hätte er vermutlich alles menschliche verloren, würde selber Abgrund geworden sein (hinabgsunken in das Kraut und die Wiese), nicht mehr als ein abgewandtes gelegentliches Aufblitzen im kreisrunden pechschwarzen Augengrund der Löwin auf Rousseaus Bild von 1910. Wunderbar ! Das Thema der Natur, das in Str. 2 aufgegriffen wird, das Spiel mit seinem Werk über die Wirkung mannigfaltiger Drogen (künstliche Paradiese, 1860) führt geradewegs wieder ganz zum Anfang, wo uns Baudelaire als "Prinz im Licht", als "Quacksalber", als "Unwissender" vorgestellt wird. Man sieht einen gecken Scharlatan vor dem inneren Auge umhergehen. Ich vermute, dass der angedeutete Vorwurf an ihn: "Hättest Du dich so intensiv in deinen Wahnsinn fallen lassen, wie Nebukadnezar", der Schlüssel zur großen Generalkritik ist: "Du Baudelaire wirst nie ein Chiron sein. Denn du hast nie auf den Wiesen geweidet".

Ich selber lese ihn vor allem wegen seines unermüdlichen Versuchs das Schöne im Bösen zu entdecken. Er ist für mich immer wieder ein Tor in eine fremde, geheimnisvolle Welt.

Mes compliments

Dio
 

mondnein

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Herzliches Dankeschön, Dio,

für das Durchblicken durch einige Schlüsselverse im Lied.
"Kennst du der Mutter Künste nicht?" fragt Brangäne ihre Herrin Isolde im ersten Akt des "Tristan".
Der ewige Prinz ist natürlich Charles, den seine Mutter nicht auf den Thron ließ, weil sie ums Verrecken nicht zu sterben schien. Als das Lied entstand, lebte sie noch, die schöne Elisabeth.
Ich bewundere Baudelaire gerade im Punkt seiner Haschisch- und Opiumexperimente. Da muß man was draus machen, aus solchen "verbotenen" Erfahrungsreisen. Umsetzung in Musik und Dichtung ist so etwas wie eine Legitimation der Venusberg-Genüsse. Deshalb verzeihen wie den Beatles, Jimi Hendrix. Coleridge ("Kubla Khan"), Georg Trakl und Gottfried Benn, daß wir sie innig lieben und selbst genießen.

grusz, hansz
 

mondnein

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der angedeutete Vorwurf
eigentlich kein Vorwurf, kein wirklicher Irrealis, sondern eher ein schelmisches Aufdieschulterklopfen: es ist alles positiv, spielerisch gemeint. Selbst die Nebukadnezar-Parabel, der etwas unverschämte Vergleich mit der Verlästerung des babylonischen Königs in Daniels superb-überheblicher Prophetensicht, spielt fast schon auf die mittelalterliche Legende vom "Gregor auf dem Stein" (Hartmann von der Aue) an, daher auch die Erdmilch und die (eher moderne) Aufmerksamkeits-Hyperbel, "das Gras wachsen zu hören", die Verschärfung der Sinne bei den sogenannten Psychodelika (siehe Aldous Huxley in Anspielung auf William Blake).

Also eher ein Staunen über den berauschten Prinz Charles, und nur augenzwinkernd eine Anspielung auf das Prinzip "auf die Bäume ihr Affen" (der fast schon aufgeklärte Rousseau) in der Maske des hypnotisch-surrealen Malers Rousseau. dessen "Löwin" Du absolut trefflischer erkannt hast, lieber Dio,

grusz, hansz
 
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mondnein

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Ja, danke Dio,

man kann / sollte / muß zwischen der Oberfläche und dem Fugen-Musikstück mehrerer ineinander gespiegelter Bilder und "Personen" unterscheiden, wobei die Schein-Identifikation der ineinander gespiegelten Typen und Archetypen so etwas wie enharmonische Verwechslungen durchspielt.
Der von allen Kristallflächen zusammenstrahlende Brennpunkt könnte das Zitat "kennst du der mutter künste nicht?" sein, aber auch das Baby, das Milch aus Mutter Erde saugt, also "mutter" .
Die Oberfläche mit ihren Zitatelementen schlägt Wellen, wie auf See, aber das Musikstück ist eines, führt eine durchgängige Melodie durch die polyphon geschichteten Stimmen hindurch.
Kommt mir jedenfalls so vor. Kann /sollte /muß aber nicht.
In Kommentarglossen zerfallen darf es aber nicht, sollte es zumindest nicht, muß es nicht unbedingt.

grusz, hansz
 



 
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