Ciconia
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Berg- und Talfahrt
(Aktuelle Version)
Der Mann mit dem blauen Rucksack und der auffällig karierten Schirmmütze steuerte mit schleppenden Schritten auf meinen Tisch in der Almwirtschaft zu. Er wirkte erschöpft. Sein Alter schätzte ich auf Mitte fünfzig, seinem Körper hätten ein paar Pfunde weniger gutgetan. Mit einem riesigen Stofftaschentuch wischte er sich bedächtig den Schweiß aus dem feuchten Gesicht, nahm mit einer müden Bewegung die Mütze ab und ordnete seine verschwitzten dünnen Haare zu einer vorzeigbaren Frisur.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte er ein wenig schüchtern und lehnte seine Wanderstöcke an den Tisch. Ich schenkte ihm ein freundliches Kopfnicken und wandte mich wieder meiner Brotzeit zu. Die Bedienung brachte ihm eine Radler Halbe, die er wie ein Verdurstender sofort zur Hälfte leerte. Er schwieg, bis ich zu Ende gegessen hatte.
„Sind Sie auch herauf gewandert?“ begann er vorsichtig. Ich merkte ihm an, dass es ihm gar nicht so sehr auf eine Antwort ankam.
„Nein, nein, ich bin mit der Seilbahn gefahren“, erwiderte ich knapp, denn ich war wegen der schönen Aussicht und der Ruhe auf diese Alm gekommen und nicht, um mich mit fremden Männern zu unterhalten. Der Mann nahm einen weiteren tiefen Schluck und wurde nun gesprächig.
„Ja, letztes Jahr bin ich auch mit der Seilbahn herauf. Ein herrlicher Herbsttag war’s, Föhnlage halt, wissen Sie. Da bin ich dann ein wenig leichtsinnig geworden und hab gedacht, ich könnte ja auch hinunter wandern. Die Wanderstiefel hatte ich ja an, aber die Stöcke standen halt im Hotel. Na ja, was soll ich Ihnen sagen: Vier Stunden hat’s gedauert, bis ich mich ins Tal gequält hatte. Ich war ja völlig untrainiert damals!"
Er legte eine kleine Kunstpause ein, bevor er betont langsam und voller Stolz in der Stimme nachsetzte:
"Aber das hat sich mittlerweile gewaltig geändert!“ Mit bedeutsamer Miene setzte er das Glas zu einem kräftigen Zug an. Die Geschichte begann mich zu interessieren.
„Wissen Sie“, fuhr er nach einer weiteren Pause fort, „der Muskelkater hat drei Tage lang angehalten, ich konnte kaum noch gehen. Das war mir eine Lehre! Ich hab mir dann felsenfest vorgenommen, bis zum nächsten Urlaub fit genug zu sein, um die Tour hinauf zu schaffen.“ Er trank entschlossen das Glas leer und setzte es kraftvoll auf den Tisch.
„Weil“, und jetzt grinste er verschmitzt wie ein kleiner Bub, „ich hatte ja immer noch die Fahrkarte für die Seilbahn, für die Talfahrt, die ich nicht gebraucht hatte.“
Vorsichtig fingerte er ein leicht vergilbtes Kärtchen aus seiner Brusttasche, legte es fast andächtig auf den Tisch und deutete mit dem Zeigefinger auf die Aufschrift: „Berg- und Talfahrt, 1 Jahr gültig“.
„Danach bin ich regelmäßig ins Fitnessstudio gegangen, um mich auf diese Tour vorzubereiten. Und jetzt hab ich‘s tatsächlich geschafft!“
Sein Oberkörper straffte sich bei diesen Worten merklich, und triumphierend wies er noch einmal auf die vergilbte Fahrkarte.
„Sehen Sie das Datum? Bis heute ist die Karte gültig!“
Der Mann winkte die Bedienung heran und bestellte, ohne mich zu fragen, gleich ein Bier für mich mit.
„Auf Ihren Erfolg!“, prostete ich ihm zu.
Wir vertieften das Thema Bergwanderungen noch eine Weile, dann verabschiedete er sich fröhlich und zog mit beschwingten Schritten Richtung Bergstation. Schmunzelnd sah ich ihm nach, bis er hinter der Wegbiegung verschwunden war.
(Aktuelle Version)
Der Mann mit dem blauen Rucksack und der auffällig karierten Schirmmütze steuerte mit schleppenden Schritten auf meinen Tisch in der Almwirtschaft zu. Er wirkte erschöpft. Sein Alter schätzte ich auf Mitte fünfzig, seinem Körper hätten ein paar Pfunde weniger gutgetan. Mit einem riesigen Stofftaschentuch wischte er sich bedächtig den Schweiß aus dem feuchten Gesicht, nahm mit einer müden Bewegung die Mütze ab und ordnete seine verschwitzten dünnen Haare zu einer vorzeigbaren Frisur.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte er ein wenig schüchtern und lehnte seine Wanderstöcke an den Tisch. Ich schenkte ihm ein freundliches Kopfnicken und wandte mich wieder meiner Brotzeit zu. Die Bedienung brachte ihm eine Radler Halbe, die er wie ein Verdurstender sofort zur Hälfte leerte. Er schwieg, bis ich zu Ende gegessen hatte.
„Sind Sie auch herauf gewandert?“ begann er vorsichtig. Ich merkte ihm an, dass es ihm gar nicht so sehr auf eine Antwort ankam.
„Nein, nein, ich bin mit der Seilbahn gefahren“, erwiderte ich knapp, denn ich war wegen der schönen Aussicht und der Ruhe auf diese Alm gekommen und nicht, um mich mit fremden Männern zu unterhalten. Der Mann nahm einen weiteren tiefen Schluck und wurde nun gesprächig.
„Ja, letztes Jahr bin ich auch mit der Seilbahn herauf. Ein herrlicher Herbsttag war’s, Föhnlage halt, wissen Sie. Da bin ich dann ein wenig leichtsinnig geworden und hab gedacht, ich könnte ja auch hinunter wandern. Die Wanderstiefel hatte ich ja an, aber die Stöcke standen halt im Hotel. Na ja, was soll ich Ihnen sagen: Vier Stunden hat’s gedauert, bis ich mich ins Tal gequält hatte. Ich war ja völlig untrainiert damals!"
Er legte eine kleine Kunstpause ein, bevor er betont langsam und voller Stolz in der Stimme nachsetzte:
"Aber das hat sich mittlerweile gewaltig geändert!“ Mit bedeutsamer Miene setzte er das Glas zu einem kräftigen Zug an. Die Geschichte begann mich zu interessieren.
„Wissen Sie“, fuhr er nach einer weiteren Pause fort, „der Muskelkater hat drei Tage lang angehalten, ich konnte kaum noch gehen. Das war mir eine Lehre! Ich hab mir dann felsenfest vorgenommen, bis zum nächsten Urlaub fit genug zu sein, um die Tour hinauf zu schaffen.“ Er trank entschlossen das Glas leer und setzte es kraftvoll auf den Tisch.
„Weil“, und jetzt grinste er verschmitzt wie ein kleiner Bub, „ich hatte ja immer noch die Fahrkarte für die Seilbahn, für die Talfahrt, die ich nicht gebraucht hatte.“
Vorsichtig fingerte er ein leicht vergilbtes Kärtchen aus seiner Brusttasche, legte es fast andächtig auf den Tisch und deutete mit dem Zeigefinger auf die Aufschrift: „Berg- und Talfahrt, 1 Jahr gültig“.
„Danach bin ich regelmäßig ins Fitnessstudio gegangen, um mich auf diese Tour vorzubereiten. Und jetzt hab ich‘s tatsächlich geschafft!“
Sein Oberkörper straffte sich bei diesen Worten merklich, und triumphierend wies er noch einmal auf die vergilbte Fahrkarte.
„Sehen Sie das Datum? Bis heute ist die Karte gültig!“
Der Mann winkte die Bedienung heran und bestellte, ohne mich zu fragen, gleich ein Bier für mich mit.
„Auf Ihren Erfolg!“, prostete ich ihm zu.
Wir vertieften das Thema Bergwanderungen noch eine Weile, dann verabschiedete er sich fröhlich und zog mit beschwingten Schritten Richtung Bergstation. Schmunzelnd sah ich ihm nach, bis er hinter der Wegbiegung verschwunden war.
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