Bruchstücke

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Was mich betrifft, lieber Otto, lieber John, ich finde es virtuos und möchte darin ein Anzeichen von zumindest geistiger Vitalität sehen. Eine vielleicht auch selbstironische und auf die Spitze getriebene Sprachspielerei.

Weierhin Geduld und gute Besserung dem Patienten
Arno Abendschön
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Du!
Ich ja voll der Indianer.
Weißt schon…kein Schmerz, keine Angst.*
Sitting Bull Scheißdreck dagegen.
Jetzt…also gestern.
Herzkatheteruntersuchung.
Keine Angst.
Mehr so ein grummeln im Bauch.
Wie Crazy Horse am Vorabend der Schlacht am Little Big Horn.
Erst einmal Tageskleidung ab und Kriegsgeschirr an.
Also…mehr so Kriegskittel mit hinten offen.
Da reicht schon ein Anblick von hinten,
um die Feinde scharenweise in die Flucht zu schlagen.
Anschließend Führung durch Späherin auf den OP-Tisch.

Ruhe jetzt, Ruhe ist alles was jetzt zählt.

Da sind die Feinde. Klar…maskiert! Feiges Pack.
Meinen mit ihren Nadeln bei mir Eindruck schinden zu können (*s.o.)
Was? Blutdruck! Ich habe gar keinen Blutdruck.
Blutzupf vielleicht…nein, ihr kriegt mich nicht.
Nein, nein…auch nicht, wenn sie da was öffnen.
Zupf, sag ich!
Wie…es könnte jetzt ein wenig schmerzen?
Mir doch eeeeeeeeeegal!
Ein Indianer kennt keinen Schmerz?
Vielleicht einen kleinen…klitzekleinen versteht sich.
Nein Späherin…sie braucht meine Schulter nicht zu tätscheln.
Und nein, General Custer, ich will keine Spritze.
Geht schon.
Oh ja!
Es geht schon.
‚Gut machen sie das‘.
Klar…was sonst!
‚Versuchen sie einmal ein wenig ruhiger zu atmen‘.
‚Ruhiger‘!
Was denkt der Typ, was ich hier mache?
Nicht tätscheln!
‚Ruhiger‘!
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…………………………………………………….
…………………………………………………………………………………………..
………………………………….
………………………..
……..
‚Geht doch‘!
‚Da auf dem Monitor können sie jetzt die Herzklappe sehr gut sehen‘!
Mmpf!
Wie wäre es, wenn wir einen Friedensvertrag aushandeln.
Damit es nicht so schlimm für sie wird.
‚Ruhig weiter atmen. Gleich sind wir durch‘.
Ja…spüre ich!

Endlich!
Der General und seine Offiziere sind geflüchtet.
In Panik vor dem roten Mann geflüchtet.
Ich laufe mit weit offenem Rücken über den Gang und suche die Toilette.
Mmpf!

Mein Herz ist in Ordnung. Natürlich ist mein Herz in Ordnung. Was sonst?
Wahrscheinlich die Wirbelsäule, sprach der weiße Mann.
Sollten die Schmerzen anhalten, schauen wir uns das Herz noch einmal an (MRT).

Der weiße Mann zittert jetzt schon.
 

John Wein

Mitglied
Lieber Otto
Angiographie! Spannend nicht wahr? Kann man sich selbst von Innen her begutachten. Ich fand nur den Keuschheitsgürtel um die männliche Pracht als verstörend. Man muss doch schließlich auch in so einer Situation mal Geschäfte machen.
Schön und beruhigend ohne Komplikationen und mit neuer Zuversicht aus der Sache rausgekommen zu sein.
Gute Besserung und Erholung mein Freund.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
...und immer wenn der Frühling sich ankündigt,
weine ich, denn wir werden bald vergangen sein
und keiner wird sich an uns erinnern.
- Tassos Livaditis -


Wohin nur mit all den Gedanken die
Nacht ein
Nacht aus
Vor verschlossenen Türen stehen ?
 

John Wein

Mitglied
Eine der größten Freuden,
deren auf dieser Welt gewürdigt werden kann,
ist,
die Ägäis zu bereisen im Frühling,
umhaucht von der leichten Brise.
Ich habe mir das Paradies niemals anders vorstellen können.
-Nikos Kazanzakis-
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich denke gerade an die lyrischen Lieder des Psarandonis auf Kreta.
Meine Frau und ich saßen unter einem Johannisbrotbaum,
tranken roten Karavitakis, lauschten dem klagenden Klang
der Lyra, die den Sonnenuntergang zu beweinen schien.
Am Tag hatten wir das Grabmal von Kazantzakis besucht.
Dessen Grabinschrift ging mir nicht aus dem Kopf:

Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei.

So einfach. So unfassbar einfach.
Aber doch so weit jenseits meines Lebens wie der unerreichbare Horizont.
Es war das erste Mal, aus diesem Grund komme ich darauf,
dass mich die Zikaden mit ihrem endlosen Gesang nicht nervten.
Der Wein, die Lyra, Psarandonis Gesang, dieses Wissen,
dass, wäre ich hier geboren, es hätte so sein können,
und es für einen kurzen Augenblick hier und jetzt auch so war,
machten mich still.

Für einen Moment erhoffte ich nichts. Ich fürchtete nichts.

Ich war frei.

Hier unterm Johannisbrotbaum.
 

John Wein

Mitglied
Lieber Otto,
Ich weiß, ich weiß! Eines deiner Besten, ich habe heute Mittag noch danach gesucht. Ich kann es fast auswendig und jetzt hast du es hier.
Die Geschichte unter dem Johannisbrotbaum. Ich höre das Konzert der Zikaden und schmecke den Retsina, und meine Gefühle laufen über.
Du hast das sicher einmal unbewusst für mich geschrieben.
Ich erhoffe nichts, ich fürchte nichts.
Gruß, John
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich lasse es schneien.
Von Sonne habe ich erst mal genug.
Sie meinen, das sei blöd.
Aber es ist meine Sache.
Mir ist nun einmal nach Schnee.
Wenn sie Sonne wollen, sollen sie doch.
Früher hätte ich mir was aus ihren Einwänden gemacht.
Aber sie driften dahin wie Treibholz.
Das weiß ich mittlerweile.
Sie alle treiben mit der Zeit.
Das will ich nicht.
Nicht mehr, nach allem was passiert ist.
Der eine meint, es habe etwas mit den Kitteln zu tun.
Dass ich sie im Weiß nicht mehr sehe.
Wäre so was wie eine Flucht…

…ich lasse es schneien.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Du!
Jetzt pass auf.
Die Leut erzählen sich, dass der … mit der … ein Verhältnis hat.
Du! Da wird aus den Pünktchen glatt ein :
Das musste dir mal vorstellen.
Ausgerechnet die beiden.
Ich will ja keine Namen nennen.
Bin ja nicht wie die Leut.
Aber das ausgerechnet der Kirchenvorstandsvorsitzende…
Und dann auch noch mit dem Küster seiner…
Quasi :
Aber ich will nix gesagt haben.
Namen eh tabu!
Ehrensache.
Versteht sich.
Man hört halt nur was die Leut schwätze.
Und dann zieht man seine Schlüsse.
Zwangsläufig.
Da kommen einem so Sachen in den Sinn.
Hat man nie drüber nachgedacht. Weil nebensächlich.
Aber dann!
De Leut ihr Geschwätz…und schon iss das Hirn wie die Bild-Zeitung.
Kannste gar nix machen.
Iss so.
Wo war ich?
Ach da!
Also. Da kam mir was in den Sinn.
Zwangsläufig.
Hab ich die beiden doch erst letztens uff de Gass´ gesehen.
Bin an dene vorbei.
Gudde gesagt.
Und du!
Da sind die richtig erschrocken.
Hat dene die Angst im Gesicht gestanden.
Dacht ich damals: Bist halt von hinten gekommen.
Aber denkste.
Das schlechte Gewissen war´s.
Und du.
Direkt vor der Kirche.
Dass die sich nicht schämen.
Dem Küster sei … und der Kirchenvorstandsvorsitzende.
Quasi:
Da kannste mal sehen.
Aber ich will nix gesagt haben.
Nicht dass du denkst.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Natürlich bin ich gläubig
Dieser Tage
Was bleibt einem anderes
Als das Kreuz
Und die Auferstehung
Danach

Fast ist mir nach beten
Doch ich bleibe
Bei dem Menschenkind
 
Zuletzt bearbeitet:
G

Gelöschtes Mitglied 22614

Gast
Ja, das ist sehr treffend. Im Grunde sind wir zwar mit dem Kreuz geboren und hoffen auf Erlösung,
aber im Moment, wo die Ablenkung sich auf ein Minimum beschränkt
und das beherrschende Thema Krankheit und Tod sind, da ist einem schon manchmal nach Beten.

Die letzten beiden Zeilen sind mir nicht ganz klar:
Ich stelle mir vor, dass LI sich dann doch lieber um die Lebenden ("Menschenkind") kümmert, als sich an den abstrakten Mann am Kreuz zu wenden. (?)


Müsste es nicht "die Auferstehung" heißen.

LG
atira
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke atira. Eigentlich möchte ich Jesus dann doch lieber als Menschenkind sehen. So ganz und gar ohne Auferstehung und dem ganzen Gedöns.
Das genügt mir.

LG Otto
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Du!
Also jetzt.
Heut.
Ich raus in de Hof und so am gucke.
Glaubste nit.
Fängt´s an zu schnein.
So voll in de Sonnenschein hinein.
Wo de denkst: Ja wie jetz?
Und während de noch so voll am denken, passiert´s.
Ein Schneebogen.
Also nit dass du denkst von wegen Farben.
Nee.
Voll das kristalline Leuchten.
Millionen von Sterne drinnen.
Ein Schneebogenuniversum.
Und während ich da so steh, voll im kosmoversen ‚Wow‘,
erlöscht der Bogen, Stern für Stern.
Du!
Wirste ganz klein und groß in deiner eignen Welt.
So ganz und gar.
 

John Wein

Mitglied
Du kannst das noch so schön formulieren, aber nun ist Zeit für einen Frühlingsreigenbogen. Ich bin satt vom Weiß.
LG, John
 



 
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