geburt (ghaselenartige priamel)

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so sang der götter sehnsucht in den menschen schon
im fragen öffnet sich die weisheit einem wollen
und fragend opfert sich der gott: des menschen sohn

Ein wunderbar eindringlicher Text, lieber hansz!

Ich mag die Melodie und den Rhythmus, die durch die Ghasel-artige Struktur entstehen, und sie werden dem Inhalt hier aufs Feinste gerecht (und umgekehrt)!

Das Wollen - so scheint es mir jedenfalls - war schon immer der Weisheit übergeordnet. Ein Wollen, welches wohl einem Urbedürfnis des Menschen entspringt und nicht durch Erkenntnis fassbar wird, weil es diese erst bedingt. Der Wunsch nach einer übergeordneten Gottheit ist vielleicht der Versuch, der Angst vor einer so empfundenen möglichen eigenen Allmacht Herr zu werden. So jedenfalls meine Gedanken zu deinem schönen Gedicht!

LG,
fee
 

mondnein

Mitglied
Das Wollen - so scheint es mir jedenfalls - war schon immer der Weisheit übergeordnet. Ein Wollen, welches wohl einem Urbedürfnis des Menschen entspringt und nicht durch Erkenntnis fassbar wird, weil es diese erst bedingt. Der Wunsch nach einer übergeordneten Gottheit ist vielleicht der Versuch, der Angst vor einer so empfundenen möglichen eigenen Allmacht Herr zu werden. So jedenfalls meine Gedanken zu deinem schönen Gedicht!
Dankeschön, fee,

und eine dem Gedicht immanente Diskussion, ja die eigentliche Substanz des Gedichts: Die Auseinandersetzung zwischen dem Weisheits-Prinzip und dem Wollens-Primat, wie sie im Christentum, an den Universitäten zwischen Dominikanern (Albertus, Thomas, Eckehard) und Franziskanern disputiert wurden, und wie sie auch heute noch im Hinduismus zwischen den auf einem abstrakten Prinzip meditierenden Shivaiten (vor allem Shankara) und den in Krschna verliebten Vishnuiten durchdiskutiert werden.

Der Wunsch, einer Angst Herr zu werden, - das ist tiefgründig.
Die "Angst" läßt sich positiv zur Demut wenden. In der Demut liegt die größte göttliche Kraft, sie überwindet die Allmachtsbesessenheit.
In dieser Sicht ist es die Weisheit, die das Wollen überwindet.

Ich vermute, Dir ist aufgefallen, daß die Kandidaten für den Opfer-Adressaten, jedenfalls die ersten zehn, unpersönlich "erscheinen" wie Naturkräfte oder allumfassende Einzigkeiten: Der Unsterblichkeitstrank der Götter, der kosmische Raum, die Nacht, der Aiôn (Zeitenkreis), das Gesicht hinter den Sternblicken, der Blitz und das Donnerwort, die Sonne
geboren aus der muschel in dem meer der wonne?
bevor dann der lebendige Wille der abrahamitischen Religionen ins Spiel kommt. 10 zu 1 für das abstrakte Prinzip, den "Gott der Philosophen", und jetzt ist die Frage, ob Pascals "Feuer Feuer Feuer! Nicht Gott der Philosophen, sondern Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs" der Wille ist, dem sich die Weisheit opfernd öffnet.

Oder die Weisheit, die sich der Willensfreiheit des Menschen öffnet?

grusz, hansz
 
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Ich vermute, Dir ist aufgefallen, daß die Kandidaten für den Opfer-Adressaten, jedenfalls die ersten zehn, unpersönlich "erscheinen" wie Naturkräfte oder allumfassende Einzigkeiten: Der Unsterblichkeitstrank der Götter, der kosmische Raum, die Nacht, der Aiôn (Zeitenkreis), das Gesicht hinter den Sternblicken, der Blitz und das Donnerwort, die Sonne
bevor dann der lebendige Wille der abrahamitischen Religionen ins Spiel kommt. 10 zu 1 für das abstrakte Prinzip, den "Gott der Philosophen", und jetzt ist die Frage, ob Pascals "Feuer Feuer Feuer! Nicht Gott der Philosophen, sondern Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs" der Wille ist, dem sich die Weisheit opfernd öffnet.

Oder die Weisheit, die sich der Willensfreiheit des Menschen öffnet?
Ja, ich hatte das sozusagen als eine "chronologische" Entwicklungsgeschichte der Religionen wahrgenommen, hansz.

Alle Religionen - die abrahamitischen sind m.E. nur für uns (kulturgesellschaftlich) greifbarer als die frühen Naturgottheiten und -religionen - sind doch letztendlich der Versuch, einen Weg zu finden, mit Leid umzugehen. Dem Leid, das aus der Angst entsteht, die wir fühlen, wenn in uns die Ahnung spürbar wird, dass nichts im Leben einen vorherbestimmten Sinn und Weg hat, sondern einer Verkettung von Zufällen entspringt.
Es ist doch so, dass die Weisheit zur Erkenntnis führt, dass wir in Wahrheit nichts kontrollieren können - dass wir aus dem Staub kommen und wieder zu ihm zurückkehren.
Was aber würde der Mensch noch "wollen", müsste er bewusst mit dieser "Wahrheit" leben?
Und wie sieht es mit unserer Willensfreiheit tatsächlich aus? Auch in der Psychologie weiß man, dass der Mensch sämtliche Entscheidungen in seinem Leben aus dem einen - unbewussten - Grundmotiv einer Urangst heraus trifft - der Angst vor Leid.

Ist Demut dann, zu akzeptieren, dass wir keinen wirklich freien Willen haben? Und wäre es nicht erstrebenswert, uns der Verantwortung enthoben zu fühlen, die mit (All)macht einhergeht?
 

Scal

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Auf den Rhytmus und die sehr schöne Melodik hat fee schon hingedeutet.

Inhaltlich leitet der Text (und der Kontext des Textes) natürlich zu vielen weiteren Fragen, die, wollte man sie erörternd aufgreifen, nicht ohne längere philosophische Ausführungen "dargelegt" werden könnten. Alleine die Aussagen:

"im fragen öffnet sich die weisheit einem wollen", (Geburt der Philosophie)

"... des menschen sohn"

reichen ja schon für sich in Bereiche, die eine tiefergehenden kontemplativen Beschäftigung bedürften, also - meiner Meinung nach - im Rahmen des Forums hier nicht wirklich "ausdiskutierbar" sind (Willensfreiheit, unbewusste Natur, der denkende Herzschlag, Logos, das sich-selbst-wissend-wissen, die Möglichkeit der Frage nach der Frage etc.).

Lieben Gruß
Scal
 

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...reichen ja schon für sich in Bereiche, die .... hier nicht wirklich "ausdiskutierbar" sind (Willensfreiheit, unbewusste Natur, der denkende Herzschlag, Logos, das sich-selbst-wissend-wissen, die Möglichkeit der Frage nach der Frage etc.).
Hi, Scal!

Ich dachte, das verstünde sich von selbst.

Liebe Grüße,
fee
 
G

Gelöschtes Mitglied 24194

Gast
geburt


ist es der ozean aus dem der saft gewonnen
genannt unsterblichkeit – der wellen lohn
der tiefe raum zu glanz und duft geronnen –
ist es die nacht – der kindliche aion
das milde antlitz in der sterne legion?

ist es der blitz – der wolken wildes grollen
ist es das wort – gehört im milden rollen
des donners – heller wetter dunkles drohn?

dort reiszt der himmel auf: ist es die sonne
geboren aus der muschel in dem meer der wonne?
bist du der wüstengeist der religion?

“wer ist der gott dem wir mit opfern dienen sollen?”
so sang der götter sehnsucht in den menschen schon
im fragen öffnet sich die weisheit einem wollen
und fragend opfert sich der gott: des menschen sohn
(auf)forderung - gott möge ein mensch sein. hansz, gut gemacht. weitere textarbeit wäre sinnlos, weil die macher dies verhindern würden.
 

mondnein

Mitglied
Ja, wir sind mittendrin in der Diskussion, liebe Fee.

Alle Religionen - die abrahamitischen sind m.E. nur für uns (kulturgesellschaftlich) greifbarer als die frühen Naturgottheiten und -religionen - sind doch letztendlich der Versuch, einen Weg zu finden, mit Leid umzugehen.
In dieser Absolutheit ist es leicht zu widerlegen, man braucht dann ja nur ein einziges Gegenbeispiel, und schon stimmt der Allgemeinheitsanspruch des Urteils nicht mehr. Die Fage z.B. danach, welchem Gott wir "opfern sollen", ist mit der Frage nach dem "Umgang mit dem Leid" nicht identisch, hängt auch nicht direkt damit zusammen. Wenn ich frage, welches Mädchen ich heiraten soll, geht es mit nicht in erster Linie darum, die Leiden meiner Kindheit zu überwinden.
Dem Leid, das aus der Angst entsteht, die wir fühlen, wenn in uns die Ahnung spürbar wird, dass nichts im Leben einen vorherbestimmten Sinn und Weg hat, sondern einer Verkettung von Zufällen entspringt.
Nein, das ist eine schwer beweisbare Behauptung.
Gerade daß mein Leben keinen "vorherbestimmten Sinn und Weg" hat, läßt mich darin frei, diesen Weg und Sinn selbst anzupeilen und mit den verschiedenen Möglichkeiten und ihren Umsetzungsschwierigkeiten zu vergleichen. Das ist der schlichte Alltag. Hat eher mit challenge and response (Herausforderung und Bewältigung) als mit Vorherbestimmung zu tun.
Und mit einer Verkettung von Zufällen ergibt sich bloß die mannigfache Herausforderung, nicht irgendeine sachgerechte Lösung.
Es ist doch so, dass die Weisheit zur Erkenntnis führt, dass wir in Wahrheit nichts kontrollieren können - dass wir aus dem Staub kommen und wieder zu ihm zurückkehren.
Unsere Leiber mögen aus dem Staub kommen, der Atem Gottes, in dem unsere Seele lebt, kam nie aus dem Staub und wird nie dahin zurückkehren.

grusz, hansz
 

mondnein

Mitglied
Lieber Scal!
Alleine die Aussagen:

"im fragen öffnet sich die weisheit einem wollen", (Geburt der Philosophie)

"... des menschen sohn"

reichen ja schon für sich in Bereiche, die eine tiefergehenden kontemplativen Beschäftigung bedürften, also - meiner Meinung nach - im Rahmen des Forums hier nicht wirklich "ausdiskutierbar" sind (Willensfreiheit, unbewusste Natur, der denkende Herzschlag, Logos, das sich-selbst-wissend-wissen, die Möglichkeit der Frage nach der Frage etc.).
Natürlich diskutieren wir das durch. Hier fängt die Kunst doch erst an.
Mit einer Frage aus einem Gedicht, dessen Sprache der unseren vertraulich nah verwandt ist, und das mehrere Jahrhunderte älter ist als die nachexilische Bibelredaktion oder Hesiods Theogonie (um nur die angeblich "greifbareren" zu nennen).

Der mir bekannte Kopfsatz der großen Sinfonie dieser Diskussion - Dominikaner und Franziskaner, Shivaiten und Vishnuiten habe ich schon erwähnt - hat seine Sonatenhauptsatzform im "Deutschen Idealismus" (besser: im "Transzendentalen Idealismus") von Kant über Fichte und Schelling bis Hegel, mit der Abzweigung von Kant über Schopenhauer zu Wagner (philosophisch im Tristan und im Parsifal) und dem frühen Nietzsche ("Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik").
Die Exposition - etwa Kants drei Kritiken - und die Durchführung - beachtlich insbesondere Schellings "System des Transzendentalen Idealismus" und Hegels "Phänomenologie des Geistes" - -
Aber das findet sich eigentlich schon sehr früh, sehr dicht, sehr "greifbar" in der fast schon etymologischen Erklärung des Gottesnamens im "Dornbusch"-Kapitel der Genesis:

waj-jo'mär koh to'mar li-benê jisherâ'el 'ähejäh schelâchanî 'alêkäm
kai eipen houtôs ereis tois huiois Israêl HO ÔN apestalken me pros humas
ait sic dices filiis Israhel QUI EST misit me ad vos
und er sprach: So sollst du sprechen zu den Söhnen Israels: Der ICH BIN schickte mich zu euch!

Das nimmt den Fichte vorweg und steht (zwar fern, aber doch) parallel zur Brahman-Atman-Gleichung des Vedanta, der sich so als Auslegung dieser Gleichung in den Upanischaden sieht wie sich Meister Eckehart als Ausleger der Bibelverse versteht.

grusz, hansz
 
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Lieber hansz!

Wenn ich "absolut" formuliere, dann ist das so nicht gemeint und ich bin mir der Nicht-Absolutheit meiner als Aussagen formulierten lauten Gedanken stets und sehr bewusst. Das wollte ich nur klarstellen, bevor wir hier womöglich aneinander vorbeireden. Auch bin ich einfach nicht mehr so wirklich nah am Universitären, wenn es um sachgerechte Ausformulierungen beim Aufstellen von Thesen geht. Ich fürchte also, ich werde deinen Anforderungen bezüglich eines wissenschaftlich gehaltenen Diskurses nicht gerecht werden können.

Die Fage z.B. danach, welchem Gott wir "opfern sollen", ist mit der Frage nach dem "Umgang mit dem Leid" nicht identisch, hängt auch nicht direkt damit zusammen.
Natürlich tut sie das nicht, aber in zweiter Ebene dann eben doch. Immerhin erschafft doch der Menschenverstand erst den Gott, dem geopfert werden will. Und das Motiv dafür kann man aus psychologischer Sicht sehr wohl darin suchen, dass die Menschheit versucht, einen Weg zu finden, mit Leid (das ja aus vielen Challenges entspringt und nicht jeder hat dasselbe Rüstzeug, mit diesen umzugehen) so umzugehen, dass nicht ständig diese Frage im Vordergrund steht "Warum passiert mir das?". Die wäre ja so omnipräsent, dass ein Leben dadurch völlig blockiert würde.

Gerade daß mein Leben keinen "vorherbestimmten Sinn und Weg" hat, läßt mich darin frei, diesen Weg und Sinn selbst anzupeilen und mit den verschiedenen Möglichkeiten und ihren Umsetzungsschwierigkeiten zu vergleichen. Das ist der schlichte Alltag. Hat eher mit challenge and response (Herausforderung und Bewältigung) als mit Vorherbestimmung zu tun.
Und wenn man sich die vielen Ansätze für die Bewältigung so ansieht, die nicht selten als Scheiterkonzepte entlarvt werden mit der Zeit und steigendem Leidensdruck, stellt sich mir schon die Frage, ob nicht manche eben im Gedanken Trost suchen, dass sie ein ihnen auferlegtes "Programm von Oben" absolvieren. Sonst müssten sie sich ja der Tatsache stellen, dass sie für das Gelingen bzw. Nicht-Gelingen ihres Lebens und Alltags selbst verantwortlich sind. Und das ist eine Wahrheit, der sich nur wenige - und dann meist erst aus großen Leidensdruck heraus - stellen wollen.

Mag sein, dass diese Art der Betrachtung an deinem Text für dich eine Ebene zu weit daneben greift, so lese aber ich ihn. Ich bin eben weniger auf der philosophischen Seite unterwegs als auf der psychologischen.

LG,
fee
 

mondnein

Mitglied
ob nicht manche eben im Gedanken Trost suchen, dass sie ein ihnen auferlegtes "Programm von Oben" absolvieren. S
mag sein.
Aber die meisten der im Gedicht genannten "Konzepte" sind eher poetisch, ja tatsächlich in Gesängen, in Gedichten zuhause als in Ängsten oder frommen Masochismen. "Der Wellen Lohn" z.B. und der Inspirationssirup des ästhetischen Reizes. Soweit in den ersten Versen, und der titelgebende Schluß entstammt auch einem metrisch geordneten Lied, das zudem sehr sehr alt ist. An die dreitausend Jahre, in einer Sprache, die mit der unseren verwandt ist.

Aber wen interessiert das schon. Danke fee, für den Besuch auf meiner Insel hier (mit den vielen link-Häfen unter dem Gedichttext).

grusz, hansz
 



 
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