Da hast Du, Ciconia,
ja einen schweren Stein in den See geworfen: "Schlagschattenrhythmnus" - Donnerwetter!
Und davor schon die beiden Zeilen - ich muß es im Ganzen vor mir sehen:
Überm flachen Land
Lullaby für die Natur
im Schlagschattenrhythmus
Mein erster Seufzer gilt dem Sachverhalt, daß Allewelt Haikus schreiben will, als ob es nicht genügte, einfach kürzestmögliche Gedichte zu schreiben, und prompt bildet sich so eine Sekte von Wahrheitshütern, die die kleinen Dinger aufblähen, bis sie die Sonette ersticken, die hier gelegentlich erscheinen, ganz zu schweigen von dem großen Reichtum an Dichtungsformen, der hier aus dem Füllhorn flösse, wenn die Musen nicht in der Untersuchungshaft verkümmerten, wo sie ihres Inquisitionsprozesses harren, des nie endenden.
Zum Zweiten handelt es sich um eine Dichtungsweise der japanischen Sprache, die gewisse Eigenstrukturen hat, die prompt ins Deutsche übernommen werden wie Würfelsalze in einen sechskantigen Bergkristall, oder Öltropfen in den Pfefferminztee. Das bewirkt dann, daß deutsche Haikus auf einmal die Artikel vor den Substantiven wegschmelzen. Dann, daß das Nomina gesammelt werden, prädikatlos, das heißt es sind als elliptische Sätze erscheinende Ausrufe, Auswürfe, heideggersche Geworfenheiten.
Da bedeutet, zum Dritten, daß deutsche Haikuschreiber natürlich Nominalkomposita vermeiden, weil es die im Japanischen so wenig gibt wie in romanischen Sprachen. Es ist das gleiche Phänomen wie bei Übersetzungen, Nachahmungen oder Entsprechungsschöpfungen französischer Lyrik ins Deutsche. Es hat einen ganz besonderen Reiz, wenn Gedichte mit Nominalkomposita spielen, man kann sie zum Beispiel parallel untereinander setzen, so daß sich zu der engen Verknüpfung im Nebeneinander dann noch eine musikalische im Untereinander der Verse "dichtet". Und nun hast Du den gordischen Knoten zerhauen, oder die losen Substantivenden verknotet, das ist beachtlich, außerordentlich bedenkenswert. Man muß es sich ganz genau anschauen, es ist ein kühner Streich.
Zum Vierten geht es jetzt eigentlich erst so richtig los mit den Kühnheiten, derer Du Dich gegenüber der heiligen Inquisition bedienst, und hast gar keinen Anwalt. Das ist schon toll, das macht Freude!
Das sieht auf den ersten Blick so aus, als hättest Du ein surrealistisches Bild gebaut, ich meine dieses Lallebei, das vom akustisch-seelischen Ereignis zu einem landschaftlichen wird. Dimensionswechsel, "andere Welt", aber vielleicht nur extrem verknappt, und es malt ein Lied, das man hört, wie es übers flache Land tönt, und man hört es mit einem gewissen (landschaftlichen eben) Abstand. Da hört der Lyrileser (dem Gedicht immanent) also das Lallebei über dem flachen Land, und er versteht es als ein Einschlaflied für die Natur. Die ist also als Kind personifiziert, während die Liedsängerin da irgendwo auf dem Heidekraut am Hügel drüben oder im Schuppen beim Bauernhof sich mehr aus dem Off offenbart.
Und zum Fünften kommt da jetzt der Hammer des Schlagschattenrhythmus, diese Ohrfeige ins Gesicht der Nipponoiserie, des japanischen Stils, der Wahrheit vom Haiku!
Denn dieses dreidimensionale Kompositum ist mit den beiden Versen davor zusammengebaut zu einem - wie heißt es noch? - elliptischen Satz, oder vielleicht eher einem Ausruf, einem in die Geworfenheit geschmissenen komplexen Bild. Denn es soll ja mit haikuesker Überraschung den gedichtimmanenten Lyrileser erschrecken.
Mir kommt die Idee, aber das ist dann zu modern, zu musikalisch und zu sprachbezogen für einen Haiku, daß der "Schlagschattenrhythmus" die Schlagzeugunterlegung des Lallebeis ist, weil die Sängerin mit dem Faun tanzt, und das mit dem Einschlafen ist nur der Spott der beiden über den Schlafliedcharakter japanophiler Wahrheiten wie "Keine Komposita! Keine Artikel! Keine Fremdwörter! pardon - fremd wem? dem Japanischen? - also: Keine nichtjapanischen Nichten in unserer Cuisine!")
Man klatscht beim Tanzen den Schlagschattenrhythmus mit der flachen Hand. Ja, klar doch: die gibt sich selbst die Hei Feif, wie ein Schlagschatten, und dies im Rhythmus eines einzigen Schlages, der beim Weg durchs Unendliche sich nie erreicht, also im Rhythmus keines einzigen Schlages.
grusz, hansz