Jäger und Sammler

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James Blond

Mitglied
Die Dummheit ist ein treues Tier,
es läuft nicht fort, bleibt dicht bei dir,
geliebt von tausend Müttern,
die es beständig füttern.

Die Weisheit ist ein scheues Reh,
das grast nur selten in der Näh',
die Wahrheit fürchtet jeder Koch,
sie bringt uns stets zum Weinen.

Die Einsicht ist ein tiefes Loch,
nicht Lüge, sollt' man meinen –
schaut man jedoch genau hinein,
dann schwindelt es gleich einen.
 
geliebt von tausend Müttern,
die es beständig füttern.

Sehr philosophisch, lieber James.
Mich interessiert vor allem S1, weil sie der Gleichmacherei widerspricht und dabei denke ich noch nicht mal an die umtriebigen Hubschraubermütter, sondern an eine Art von Volksseele, wie man es gerade bei unseren Nachbarn feststellen kann, wie zb die Leichtigkeit des Seins im Süden so ganz anders ist als der nüchterne Pragmatismus im Norden. Das setzt sich auch in anderen Bereichen wie Kunst, Essen, Individualität usw fort. All diese Eigenheiten werden durch die Mütter gehegt und weitervermittelt, im Guten wie auch im Schlechten.
Das mündet in Frage:- sind die Mütter auch am Unheil schuld? An Unterdrückung, Brutalität und Menschenverachtung, nicht nur an der gemeinen Dummheit? Sind Mütter für eine ethnische Seele verantwortlich?

Und ist die Einsicht in S3 nicht genau das, was uns schwindeln lässt, sofern wir diese Kausalität überhaupt erkennen?
Beislgrüße
 

James Blond

Mitglied
Nun ja, es gibt diese Nord-Süd-Rollenverteilung mit ihrem Tanz um die Bambinis, aber die 'Mütter der Dummheit' sind mannigfaltig und gewiss auch beiderlei Geschlechts. Frank Zappas erste Gruppe, 'The Mothers of Invention' bestand seinerzeit nur aus Männern. Im Gegensatz zu den Vätern kümmern sich Mütter der Dummheit auch um die Ernährung, was nicht leicht ist, denn die Dummheit verlangt ständig nach Zuwendung und Überfütterung.

Auch denke ich, dass uns jede Einsicht schwindeln lässt, nicht allein um so über den Wortwitz zur Lüge zurückzufinden. Uns ergreift leicht Panik beim Blick in die Tiefe, Kurzsichtigkeit ist oft unser einziger Selbstschutz. Und die Wahrheit schmeckt bitter, ungeachtet, was man daraus zu kochen gedenkt.
So bleibt es dabei, dass die Erkenntnisleistungen des Jägers und Hüters nicht gerade von Erfolg gekrönt sind, wir bleiben interessengeleitet, geschmacksgebunden und verwöhnt. ;)

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Die "Wahrheit" als Zwiebel?
und der Koch fürchtet die Zwiebel?

geht mir noch nicht auf (bzw. es schwindelt mich noch nicht)
 

James Blond

Mitglied
Die Suche nach der Wahrheit endet wie das Schälen einer Zwiebel. Nachdem Schicht um Schicht entfernt wurden, bleiben nur feuchte Augen zurück.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Mit der guten Erklärung wirds gut verständlich.
Aber erst mit der Erklärung, Denn daß in der Wahrheit - eigentlich bei der Wahrheitssuche, der Forschung, im Auseinandersetzungs-Dialog - die Schichten (welche? die der Sprachebenen?) abgeschält werden, so daß sie verloren gehen, versteht sich nicht von selbst oder aus dem Begriff der "Wahrheit" an und für sich. Eine Voraussetzung, die nicht immanent ist.

vom Resultat "Weinen" zurückgeschlossen auf die "Wahrheit" im Vers davor erschließt sich, daß Wahrheit schmerzt. Ist ja auch sinnvoll. Der "Koch" vermittelt die Vorstellung vom Zwiebelschneide-Schmerz. Paßt auch. Nur auf die Schalen-Analyse kommt man erst durch die Erklärung, da hat es etwas von einem Rätsel.
Aber warum nicht. Liegt zumindest in der umfassenderen Schale von der Wahrheit, die schmerzt, als nächsttiefere Bedeutungsschicht verborgen.
 

James Blond

Mitglied
Das Gedicht hatte ich ursprünglich mal 'Jäger und Sammler' tituliert, jetzt bedauere ich die Umbenennung, denn es geht hier ja um die menschliche Suche, wobei die höhere (und die platte) Erkenntnis mit gesuchten Objekten aus unserer Vorzeit verglichen wird.

Der allegorische Vergleich mit der Zwiebel ist ja nicht neu. Ich überspringe mal den Grass beim Häuten der Zwiebel und lande bei Ipsens Peer Gynt, der am Ende seines Lebens ein bitteres Resümee zieht:
[..]
Das nimmt ja kein Ende! Lage um Lage!
Tritt denn der Kern nicht endlich zutage?
Nein, soll man es glauben – da ist ja keiner!
Nichts als Schalen – nur immer kleiner und kleiner!
Die Natur ist witzig!
(Wirft die Reste fort.)
Zit. nach: Henrik Ibsen: Schauspiele. Stuttgart 1968
(Übersetzung von Christian Morgenstern)

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 24012

Gast
Jäger und Sammler das ist es, warum bist du gebogen, james?
 



 
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