Lyriker

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Anonym

Gast
Gib mir noch ein Schluck, Alter!
Dann erzähle ich dir,
wie wir Lyriker ticken.

Der Whisky brennt in meiner Kehle
und würgt all die Erinnerungen hervor.

Manchmal steige ich hinab
in das tiefe Dunkel,
wo keine Menschenseele ist.

Ich bin kein Mann der großen Worte,
eher ein Mann des langen Schweigens.
Ich warte in der Dunkelheit
bis die Stille beginnt zu sprechen.
Anfangs kaum merklich,
ein leises Flüstern,
vom Ticken der Zeit übertönt.

Aber weißt du was, Alter?
Die meisten Menschen sind keine Lyriker,
weil sie keine Geduld haben.
Die Stille ist ihr Feind.

Ich verweile in ihr,
durchbohre sie immer wieder,
bis sie mit der Wahrheit herausrückt.

Dann tropfen die Worte.
Es ist ein kurzer Sommerregen.
Die ersten dicken Tropfen fallen einsam.
Doch sie bleiben nicht lange alleine.
Du beginnst zu schreiben,
wie ein Besessener.
Nicht du schreibst,
sondern es schreibt sich durch dich.
Ein Geist, der für eine kurze Zeit
die Erde betritt.

Und wehe du hörst auf zu schreiben.
Es wird dich nie loslassen,
bis in deine Träume.
So ist es mit der Wahrheit.
Auch wenn das Gedicht von deinem eigenen Tod berichtet,
machst du einfach weiter.

Wenn du nicht vollkommen erfasst,
gebissen, durchgekaut, geschluckt
und wieder ausgespuckt wurdest,
schmeiß das verdammte Papier weg.
Es ist nichts wert.
Keiner wird es lesen wollen.
Nicht einmal du selbst.
Die Wahrheit kennt keine Kompromisse.
Lyrik ist eine flüchtige Blüte,
die ihre volle Pracht äußerst selten zeigt.
Der Duft währt nicht lange
und die ersten Blätter fallen schnell.

Nun schau nicht so,
als ob du ein Gespenst vor dir hast!


Gib mir noch ein Schluck, Alter!
 
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Mitglied
Nicht du schreibst,
sondern es schreibt sich durch dich.
Ein Geist, der für eine kurze Zeit
die Erde betritt.
Ja, so ist das. Genau so.

Warum man dabei saufen muss, erschließt sich mir nicht so ganz. Und dass sich diese Erkenntnisse nur an einen doch (wie schon das Saufen sehr klischeehaften)"Alten" richten, hilft dem Text aus meiner Sicht auch nicht weiter.

Ohne diesen "Monolog von einem an all seiner Erkenntnis leidenden Säufer zum anderen"-Touch könnte der Text die Bedeutung entfalten, die ihm gebührte. So denke ich mir zuallererst "ach, DAS nun wieder".

Straffung täte dem Text m.M.n. auch gut. Und diese Zeilen hier

Der Whisky brennt in meiner Kehle
und würgt all die Erinnerungen hervor.
verorten die Motive des Dichters in diesem Text dann leider doch wieder nur beim Thema "Schreiben zur eigenen Vergangenheitsbewältigung". Das allein mag schon eine gängige Triebfeder sein, die aber als alleiniger Beweggrund so gut wie nie dazu führt, dass gute Dichtung entsteht (außer jemand hat das Glück und eine gehörige Portion Talent mit in die Wiege seines ach so harten Lebens gelegt bekommen).

Wirklich gut finde ich:

Ich warte in der Dunkelheit
bis die Stille beginnt zu sprechen.
Anfangs kaum merklich,
ein leises Flüstern,
vom Ticken der Zeit übertönt.
...


Die meisten Menschen sind keine Lyriker,
weil sie keine Geduld haben.
Die Stille ist ihr Feind.

Ich verweile in ihr,
...


Dann tropfen die Worte.
Es ist ein kurzer Sommerregen.
Die ersten dicken Tropfen fallen einsam.
Doch sie bleiben nicht lange alleine.
Du beginnst zu schreiben,
wie ein Besessener.
Nicht du schreibst,
sondern es schreibt sich durch dich.
Ein Geist, der für eine kurze Zeit
die Erde betritt.

...

Wenn du nicht vollkommen erfasst,
gebissen, durchgekaut, geschluckt
und wieder ausgespuckt wurdest,
schmeiß das verdammte Papier weg.
Es ist nichts wert.
Keiner wird es lesen wollen.
Nicht einmal du selbst.
Die Wahrheit kennt keine Kompromisse.
Lyrik ist eine flüchtige Blüte,
die ihre volle Pracht äußerst selten zeigt.
Der Duft währt nicht lange
und die ersten Blätter fallen schnell.

Also schon eine ganze Menge. :)

Wie gesagt - ich würde es von ein paar doch arg klischee-lastigen Zeilen befreien, damit es so richtig zu glänzen beginnen kann.

LG,
fee
 

revilo

Mitglied
Was genau bzw. warum, lieber revilo?

Oder ist es ingesamt von vorne bis hinten für dich so gelungen?
Ich frage, weil vermutlich nicht nur ich das gerne wüsste. ;)

LG,
fee
Es ist originell, sprachlich gekonnt, teilweise ein wenig zu lang....... aber das ist natürlich Geschmackssache........ es hat mich einfach angesprochen, weil es sich vom üblichen Lyriklametta abhebt.........LG
 

Anonym

Gast
Dank für deine Anregung.
Ich habe es etwas umgeschrieben.
Liebe Grüße
 

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Mitglied
Du empfindest also die "Her mit dem Alk, Alter"-Einschübe nicht als klischeehaft, Oliver?
Aber vielleicht ist das ja auch wieder ganz anders in der männlichen Kerle-Wahrnehmung. Schon möglich....
Lametta ist es aber definitiv nicht. Und zwar auf eine gute Art und Weise (bis auf erwähnte von mir als solche empfundene Klischees). Da geb ich dir schon recht.

Außerdem richtet der Text sich wohl auch in erster Linie an männliche Lyriker und beschreibt auch nur solche. Dann bin ich ohnehin die falsche Zielgruppe und außen vor. :cool:

LG!
 

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Mitglied
Dank für deine Anregung.
Ich habe es etwas umgeschrieben.
Ich finde, du hast zu rasch und zu viel gestrichen. Manches hätte man eher ändern können, anstatt es einfach wegzulassen.

Der Schluss kommt gut.
Aber jetzt hat es auch irgendwie an Dynamik verloren...ich weiß, das ist jetzt fies...alle "Wünsche erfüllt bekommen und doch mäkelt sie wieder".

Wie findest du selbst es denn jetzt? Was sagt die männliche Kerle-Stimme aus dem Off (aka revilo) dazu? Die hat doch den männlichen Blick auf den Text, den ich eben nicht habe. (und das meine ich ernst).

LG!
 

Anonym

Gast
Nach mehrmaligem Durchlesen gefiel es mir doch nicht mehr.
Der alte Zustand wäre für mich besser.
Aber trotzdem danke für deine Anregung :)
 

Anonym

Gast
Es ist einfach absolut unmöglich alle zufriedenzustellen.
 

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Mitglied
Nach mehrmaligem Durchlesen gefiel es mir doch nicht mehr.
Der alte Zustand wäre für mich besser.
Ja, den finde ich - trotz meiner Emfpindung eines Klischees - auch besser (das muss ja nicht gleichbedeutend sein mit "gefallen"). Wie gesagt - ist vielleicht auch deshalb so, weil es eben doch sehr explizit Männer-Lyrik ist, die bei mir als Frau anders ankommt. Das sollte man als Rezensent dann auch erkennen können und sein Urteil als umso persönlicher wahrnehmen und darstellen. Was ich hiermit mache.

Und zufriedenstellen musst du in erster Linie dich (vorausgesetzt, du stellst hohe Ansprüche an dich...so, wie es dein Text ja andeutet). Nimm meine Anmerkungen als weibliche Wahrnehmungs-Beschreibung. Vielleicht war ich ja nicht das richtige Zielpublikum. Alles gut also. ;)

LG!
 

Anonym

Gast
Besten Dank liebe fee.

Die Frage ist nicht, ob ich einen Tod sterben muss oder nicht.
Die Frage ist viel mehr, welchen Tod ich sterben möchte.
Ich muss eine Auswahl treffen.
 



 
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