museum

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Ich denke, der Bub schaut von außen ins Museum, auf dem Weg zum Bahnhof.

Sehr schön, Kristian Berger! Könnte fast ein Haiku sein. Mit wenigen Worten entfaltest du eine Fülle von Eindrücken.
 
Danke euch beiden fürs Lesen und Nachdenken!

Der Bub befindet sich im Jüdischen Museum vor einer Glasscheibe, hinter der die Koffer der Gasopfer gestapelt liegen. Es gibt noch andere Räume, die hinter Glasscheiben Brillen, Haare und Schuhe der Gemordeten aufbewahrt haben. Für das ahnungslose Kind bieten sich die großen Koffer zum 'Nachmalen' an. Es summt (vielleicht) ein Sommer/Wanderlied in sich hinein, weil es ans Verreisen denkt. O G?tt ...

Kristian
 

petrasmiles

Mitglied
Verstehe, im Jüdischen Museum war ich noch nicht, aber Du sprichst ja auch von Innenräumen.
Dieses Wort
hat mich glauben lassen, es ginge um Koffer, die das Kind hinter sich herzieht, ich dachte nicht an 'Nachmalen'.
Nun kann man sich fragen, ob ein Kind dorthin gehört, wenn es den Kontext nicht versteht.
Auf jeden Fall ist die Darstellung vom Inbegriff der 'Unschuld' in Kontrast zum Inbegriff der 'Schuld' 'reizvoll', aber ist das genug?
Liebe Grüße
Petra
 

fee_reloaded

Mitglied
Ich bin da gestern auch dran hängengeblieben, lieber Kristian,

und war beim "Nachziehen" auch für eine Weile auf der falschen Fährte (auch, wenn mir klar war, dass der Titel logischerweise einen wichtigen Hinweis gibt und ein Bub im Museum wohl keine Koffer hinter sich her zieht). Letztere Überlegung hat mich dann auch beschließen lassen, das Gedicht erst mal sacken zu lassen und noch ein paar Mal wiederzukommen, um es vielleicht doch noch zu entschlüsseln.

Tatsächlich dachte ich heute - nach einigem Grübeln über deinen Text vor dem Aufstehen - an das Immigration Museum auf Ellis Island oder die Gedenkstätte im ehemaligen KZ Mauthausen.

Ich bin da übrigens zwiegespalten, wenn es um das Thema geht, ob lyrische Texte stets und allen eine rasche Zugänglichkeit ermöglichen sollen. Ich kenne das schon auch, liebe Hera, wenn man sich ärgert, wenn einen ein Text quasi dumm vor der Tür stehen lässt, aber ich habe inzwischen erkannt, dass dieses Empfinden in vielen Fällen hausgemacht ist und in Wirklichkeit mit dem konkreten Text selbst gar nichts zu tun hat. Inzwischen bin ich älter (und anscheinend doch auch ein bisschen klüger und gelassener) geworden und unterscheide bewusst:
in Texte, die offensichtlich schlecht sind (dann liegt's nicht an mir, wenn sich nur wenig bis kein Sinn ergibt - und die fallen dann auch für mich in die Kategorie "dunkles Geschwurbel" oder kurz: "Hurz!"), und in Texte, die für mich persönlich als Leser einfach nicht passen - aus welchen Gründen auch immer (Bildungslücke meinerseits, andere Leseerwartung, andere Wertanschauungen, etc.,) .

Dann treffen sich der Text und seine Intention und meine Erwartungen und Erfahrungshorizonte eben nicht. Halb so wild.
Für jemand anderen passt der Text offensichtlich gut - aus welchen Gründen auch immer - und das kann mir doch letztlich egal sein. Wenn ich meiner eigenen Meinung vertraue, fasst mich das ja nicht an.

Zurück zum Text:

das "Nachziehen" würde ich ev. noch einmal überdenken, lieber Kristian.

Wäre "Nachfahren" eine Option?

Auf jeden Fall war ich wieder gut beschäftigt (ganz wertfrei gemeint).

Liebe Grüße,
fee
 
@petrasmiles , @SilberneDelfine , @fee_reloaded

Vielen Dank für die Rückmeldungen!

Das Bild eines Kindes, das Koffer hinter sich herzieht, zuvor aber eine Scheibe behaucht, kann ich nicht nachvollziehen.
Petras Argument einer (Un)Schuldfrage ist hochinteressant, aber leider nicht konsequent: Die Gegenüberstellung zweier Unschuldsebenen wäre richtig gewesen, die Schuldfrage der Shoa steht zwar im Raume, ist aber nicht textimmanent.

'Nachfahren', glaube ich, könnte zu noch mehr Missverständnissen führen.

Nein, Kinder sollen, ja müssen in solche Museen rein! Ist es nicht so, dass selbst wir Erwachsenen vor diesem Verbrechen nicht verstehen, wie das passieren konnte?!

@cecil
Danke Dir für den Besuch und die schöne Wertung!


Euch allen einen schönen Start in die Woche!

Kristian
 

petrasmiles

Mitglied
So hat jeder andere Bilder im Kopf und hält andere Dinge für nicht nachvollziehbar. Das finde ich immer heilsam und sollte davor bewahren, die eigene Sicht absolut zu setzen ;-)
Nein, Kinder sollen, ja müssen in solche Museen rein! Ist es nicht so, dass selbst wir Erwachsenen vor diesem Verbrechen nicht verstehen, wie das passieren konnte?!
Da bin ich entschieden anderer Meinung - finde sogar diesen Ansatz ziemlich egoistisch - sehe ihn auch bei den Umweltfragen - dass Kindern aufgebürdet wird, was wir selbst nicht hinbekommen. Für mich ist das eine Instrumentalisierung des Kindes für das gute Gewissen der Eltern. Ich meine nicht grundsätzlich keine Kinder, aber ein Kind, das an Scheiben von Ausstellungsvitrinen oder sonstiges haucht, hat keine Chance, etwas davon aufzunehmen, was es aufnehmen sollte.

Aber wie Du sagtest - das ist nicht textimmanent, sondern kommt erst durch Deinen Subtext ins Spiel.
Selbst, wenn man die Verwirrung um das 'Nachziehen' ignoriert, und das Bild als 'verstanden' unterstellt, bliebe das Bild der Unschuld eines Kindes mit einer eigenen Agenda, die mit dem Museum nicht korreliert, sondern einen Kontrast bildet.

Euch auch eine schöne Woche!

Liebe Grüße
Petra
 

Hera Klit

Mitglied
"Ist es nicht so, dass selbst wir Erwachsenen vor diesem Verbrechen nicht verstehen, wie das passieren konnte?!"

Ich denke, wir verstehen heute solche Verbrechen sehr gut und wir wissen auch, dass sie jederzeit wieder geschehen können.
 



 
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