neun namenlose lieder, 8: "die zarten die wilderen farben - der tanz" (Sonett)

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G

Gelöschtes Mitglied 24893

Gast
so viele artikel verbunden miteinander; taumelnd liegen sie hernieder
 

sufnus

Mitglied
Hi mondnein!

Das ist eine wirklich überwältigende, es flimmert vor meinen Augen, walzernde Sprachgewalt, die hier, Reisende hat das ganz großartig aufgespürt, in schillernden Artikelpartikeln auf den Leser herabregnet.

Letztlich bleibt mir da ein klares Einerseitsandererseits: Einerseits zücke ich, da gibts gar nix zu deuteln, die Begeisterungskarte ob dieses wunderbar gefügten, getanzten, Sinn-und-Sinnes-Taumels und, viel kleingedruckter, flechte ich die nicht kritisch gemeinte Anmerkung ein, dass Deine Zeilen zweifelsohne sehr aus der Zeit gefallen sind und im Hinblick auf literarische Würdigung zwischen allen Stühlen Platz nehmen.

Für betuliche Kalenderspruchlyrik (eine Gattung die dank Instapoetry und ähnlichen Formaten beachtlichen Auftrieb in der Publikumswahrnehmung erhalten hat - was kein (kein, kein, kein!) Allgemeinurteil über Instapoetry & Co. darstellt - also für eine Lyrik, die dem Denken und Fühlen ein lauwarmes Wellnessbad einlässt, für so eine Lyrik ist Dein Gedicht viel zu ambitioniert und schlicht übermotorisiert. Hier schreit der Autor sehr vernehmlich: Literarizität!

Gemäß Common-Sense unter literarischen Influenzern (Lektoren, Kritiker, meinungsstarke Autorenkollegen - und alles selbstredend auch in weiblicher Form) bedingt zeitgenössische Lyrik notwendigerweise den Anspruch der Distanz zu älteren Werken der klassischen Moderne oder gar der Poetologien, die vor dem 20. Jh. verortet sind. Man kann das mit guten Argumenten bedauern, aber es ist zunächst mal ein Fakt.
Das schreibe ich, weil Du ja auf der Leselupe darauf verwiesen hast, dass Du gerne einmal eine literarische Veröffentlichung in einem Format des "Betriebs" sehen würdest (so habe ich Dich zumindest verstanden).

Diese formale Vorgabe soll aber hier keinesfalls mein Maßstab sein. Ich genieße einfach Dein sprachmächtiges klanglich-rhythmisches Feuerwerk! :)

LG!

S.
 

mondnein

Mitglied
taumelnd liegen sie hernieder
Nicht schlecht, lieber Reisender,

wenn die Artikel - nicht nur die bestimmten (die, der), sondern auch die einzelnen Teile auf dem Laufband der Verszeilen nicht "hinab", also weg vom Leser, sondern "hernieder" taumeln, also "hernieder", zum Leser herab, der sich wahrscheinlich unten drunter befindet, wie unter einem Sturzregen.

grusz, hansz
 

mondnein

Mitglied
dass Deine Zeilen zweifelsohne sehr aus der Zeit gefallen sind
Herzlichen Dank, lieber Sufnus,

die Leselupe hat mit Dir einen guten Dichter und hoch herausragenden Kommentator gewonnen. Ich staune über die ganz neue Qualität der Anmerkungen, Besprechungen, Analysen usw., so Gutes habe ich schon lange nicht mehr in diesem Forum gelesen. Vor einigen Jahren lautete der Einwortkommentar (einer Dichterin, die sich vor Kurzem verabschiedet hat) unter einem surrealistischen Gedicht aus meiner Feder einfach nur "Dreck".

Aus der Zeit gefallen waren Sonette damals, vor über dreißig Jahren, als ich es schrieb, ganz gewiß. In der Gegenwart baut sich eine Art Schule mit bemerkenswert vielen Sonetten, ja ganzen Sonettenkränzen (!) auf, da steht Meister Walther schon nicht mehr alleine da. Ich selbst habe auch in meinem 22. Hundertliederbuch (ich bin jetzt mitten drin im 23.) sieben Sonette aus dem ersten Hundertliederbuch, dem "Neunstern", zu runden Sonettenkränzen geflochten. Und dabei die Form gesprengt: Beibehaltung der umarmenden Reime, unregelmäßige, aber symmetrische Kürzung der Verse, wilde Jagd durch surrealistische Disparitäten loser Assoziations-Verknüpfungen. Und landen im süßen Schoß der sieben gut naiv verständlichen Muttersonette aus dem Neunstern. Das erste Hundertliederbuch mit dem zweiundzwanzigsten, Ob man das vielleicht atavistisch-avangardistisch verkoppeln kann? Das frage ich mich zur Zeit.

Dieses alte namenlose Stück hier oben war ürsprünglich ein dreistrophiges Lied aus umarmenden Reimen, das ich für die "Festen Formen" in der Leselupe um die zwei Taubenverse des ersten Terzetts zum Sonett ergänzt habe. Eine Erneuerung, die es älter machte.
Heute würde ich diese beiden Verse wieder streichen, vor allem deshalb, weil sie das Antithesen-Gefüge der "Artikel" auf dem Laufband stören. Die Pointe bezieht sich ja auf die Ausgewogenheit der priamulisch aufgezählten Gegensatzpaare.
Aber das sähe in den handgedruckten Exemplaren des Siebensterns bzw. der "aleph null lailah wa lailah" etwas brutal aus, solche Balken und Schwärzungen schwerzüngiger Verse. So bleibts, wie es ist, in der Museumsvitrine aufgeschlagen liegen.

Den Siebenstern bzw. die "aleph null lailah wa lailah" werfe ich auch nicht mehr den Verlagen vor die Füße, weder den Frischfleisch suchenden Zeitschriften noch den publikumsorientierten Verlagen. Sondern allen. Wie man Perlen vor die Säue wirft und den Esel mit Rosen füttert. Der Verfasser-Esel der "Metamorphosen" des Apuleius wurde mit dieser Methode wieder zum Menschen entzaubert und verbüßte den Rest seines Lebens mit priesterlichem Dienst im Tempel der Magna Mater.

grusz, hansz
 
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sufnus

Mitglied
Hey mondnein,
vielen Dank für die Komplimente - das ehrt mich sehr - bin etwas um Worte verlegen (genießt diesen Moment, liebe Leser!)
... danke und zu Deinen anderen Überlegungen suche ich noch nach Gedanken und Gedankenverschriftlichungen.
LG!
S.
 
G

Gelöschtes Mitglied 24893

Gast
Nicht schlecht, lieber Reisender,

wenn die Artikel - nicht nur die bestimmten (die, der), sondern auch die einzelnen Teile auf dem Laufband der Verszeilen nicht "hinab", also weg vom Leser, sondern "hernieder" taumeln, also "hernieder", zum Leser herab, der sich wahrscheinlich unten drunter befindet, wie unter einem Sturzregen.

grusz, hansz
Ganz genau so, lieber Spatz. Es ist das Finale Deiner namenlosen Lieder-Reise. Danke für deine handwerkliche Post. Ich lese täglich als Unterstützung für mich darin.
 



 
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