Ciconia
Mitglied
Die März-Sonne taucht den Vestfjord am späten Nachmittag in ein intensives Gold-orange. Ein Grad plus zeigt das Außenthermometer, als die Reisende nach dem Ablegen in Svolvaer an Deck geht, durch den eisigen Wind gefühlt weit unter Null. Unter sternenklarem Himmel gleitet das Postschiff fast lautlos durch den Raftsund. Gute Wetterbedingungen für Nordlicht. Die Sehnsucht nach aurora borealis – ein Grund von vielen, zum wiederholten Mal auf diese Reise zu gehen.
Ein wenig muss sie Slalom laufen, denn im hinteren, dunkleren Bereich des Oberdecks haben sich bis zur Unkenntlichkeit vermummte Fotoprofis mit ihren Stativen verteilt. Sie hegt wenig Hoffnung, mit ihrer kleinen Kamera jemals ein gutes Nordlichtfoto zu schießen. Man kann auch mit dem Herzen fotografieren.
Das Deck füllt sich, die ersten Blitzlichter flackern auf, begleitet vom genervten Raunen derjenigen, die es besser wissen. Die zerklüfteten Felswände rechts und links des Sundes, teilweise bis zu tausend Meter hoch, scheinen an einigen Stellen bedrohlich nah. „Vinden blåser søte ord“, die Inschrift am Kai von Sortland, will ihr nicht aus dem Kopf; in ihren Ohren klingt der Wind mancherorts geradezu melodisch.
Was da in diffusen Schleiern über den Bergmassiven wabert, könnten erste Nordlichtfetzen sein, wahrscheinlicher aber sind es leichte Schneeverwehungen. Die Kälte kriecht trotz der vielschichtigen Bekleidung langsam in den Körper hinein, der garstige Wind piekst feine Nadelstiche ins Gesicht. Die Reisende bewegt sich achtsam zwischen den aufgestellten Kameras, und dabei bleibt doch das Wichtigste, ständig mit den Augen den Himmel abzusuchen, ob sich irgendwo ein grünes Wölkchen bildet. Eine Weile steht sie regungslos an der Reling, blendet das Geplauder Mitreisender aus und möchte am liebsten ganz allein sein mit der Natur und dieser atemberaubenden Kulisse.
Später kündigt eine Lautsprecherstimme den Trollfjord an, einen Seitenarm des Raftsunds. Leider sei eine Einfahrt wegen drohender Lawinengefahr so früh im Jahr nicht möglich, heißt es. Mit riesigen Scheinwerfern wird von der Mündung aus in den engen, dunklen Fjord hineingeleuchtet, gespenstische, schaurig-schöne Minuten, in denen rundherum endlich andächtige Stille herrscht. Kaum auszuhalten, wenn in diesem Moment auch noch der Himmel mitspielte.
Zum Aufwärmen gibt es nun warmen Trollschnaps. Das Getränk bringt augenblicklich wohlige Wärme in ihren ausgekühlten Körper. Sie ist nicht enttäuscht, dass es außer leichten Schleiern bisher nichts Aufregendes zu sehen gab. Es liegen ja noch mehrere Nächte nördlich des Polarkreises vor ihr. Deshalb kehrt sie bald nach Mitternacht in die warme Kabine zurück.
Lange kann sie nicht geschlafen haben, als sie von einer Durchsage geweckt wird. Niemals würde sie den Lautsprecher nachts ausstellen – sie könnte etwas verpassen! Sie versteht nicht viel Norwegisch, aber als sie „nordlys“ hört, ist sie mit einem Satz am Fenster. Die folgende englische und deutsche Durchsage braucht sie nicht.
Ein senkrechter Streifen relativ kräftigen Grüns ist backbord voraus zu sehen, verflüchtigt sich allerdings innerhalb kürzester Zeit. Sie kann ihr Glück kaum fassen, atemlos wartet sie auf mehr, ringt mit sich, ob sie sich noch einmal in die volle Montur kleiden und hinausgehen soll – und fällt dann nach einer Viertelstunde vergebener Anspannung erschöpft zurück in die Koje. Der Tag war lang, der Kopf dreht sich voller überwältigender Eindrücke; sie wünscht sich nichts mehr, als bald zufrieden einzuschlafen.
Weitere drei Tage hält das schöne Wetter an, trotzdem von Nordlicht keine Spur. Dann ist der Wendepunkt Kirkenes erreicht. Auf der südgehenden Route folgen zwei Tage und Nächte mit Regen und Schnee in ständigem Wechsel.
Und wieder Svolvaer am Abend. Beim Rundgang durch ihr Lieblingsstädtchen auf den Lofoten hagelt es erbsengroße Körner. Sie begräbt die Hoffnung, noch einmal Grün am Himmel zu sehen, und kuschelt sich sehr früh in die warme Koje.
Aber dann wird sie mitten in der Nacht geweckt. „Nordlys!“ Diesmal schlüpft sie eilig in die bereitgelegten Sachen. Als sie aufgeregt am Bug des Schiffes auf dem geschützten Umlaufdeck ankommt, hat sich schon ein kleines Grüppchen Nordlichtjäger eingefunden. Die Atmosphäre auf dem offenen Meer ist eine andere als neulich im Raftsund. Der Vestfjord ist sehr bewegt, das kräftige Klatschen der Wogen an den Schiffsbug bleibt lange Zeit das einzige Geräusch in dieser mittlerweile sternenklaren Nacht. Immer mehr dick verpackte Gestalten nähern sich leise und schauen erwartungsvoll in das Dunkel.
Tatsächlich zeigen sich vereinzelte Schleier am Himmel, nicht direkt grün, aber auch nicht ganz blass. Sie flirren unvermittelt aus verschiedenen Richtungen, verschwinden meist genauso schnell wieder wie sie aufgetaucht sind. Die Reisende verharrt zunächst minutenlang mucksmäuschenstill, als dürfe man dieses Schauspiel nicht gefährden. Einige Male versucht die mit klammen Fingern die Schleier einzufangen. Doch diese treiben ihr eigenes Spiel, sind viel zu flüchtig für einen Laienfotografen.
Dies könnte die letzte Nacht der Reise mit Chancen auf Nordlicht sein, am Morgen wird das Schiff schon wieder den Polarkreis überqueren. Sie steht noch lange an der Reling und starrt auf das unruhige dunkle Meer, mit sich selbst allein und dennoch nicht einsam. Sie spürt, dass der Kopf so frei ist wie selten, der Alltag unendlich fern. Momente, die keine Kamera der Welt jemals einfangen kann.
Ein wenig muss sie Slalom laufen, denn im hinteren, dunkleren Bereich des Oberdecks haben sich bis zur Unkenntlichkeit vermummte Fotoprofis mit ihren Stativen verteilt. Sie hegt wenig Hoffnung, mit ihrer kleinen Kamera jemals ein gutes Nordlichtfoto zu schießen. Man kann auch mit dem Herzen fotografieren.
Das Deck füllt sich, die ersten Blitzlichter flackern auf, begleitet vom genervten Raunen derjenigen, die es besser wissen. Die zerklüfteten Felswände rechts und links des Sundes, teilweise bis zu tausend Meter hoch, scheinen an einigen Stellen bedrohlich nah. „Vinden blåser søte ord“, die Inschrift am Kai von Sortland, will ihr nicht aus dem Kopf; in ihren Ohren klingt der Wind mancherorts geradezu melodisch.
Was da in diffusen Schleiern über den Bergmassiven wabert, könnten erste Nordlichtfetzen sein, wahrscheinlicher aber sind es leichte Schneeverwehungen. Die Kälte kriecht trotz der vielschichtigen Bekleidung langsam in den Körper hinein, der garstige Wind piekst feine Nadelstiche ins Gesicht. Die Reisende bewegt sich achtsam zwischen den aufgestellten Kameras, und dabei bleibt doch das Wichtigste, ständig mit den Augen den Himmel abzusuchen, ob sich irgendwo ein grünes Wölkchen bildet. Eine Weile steht sie regungslos an der Reling, blendet das Geplauder Mitreisender aus und möchte am liebsten ganz allein sein mit der Natur und dieser atemberaubenden Kulisse.
Später kündigt eine Lautsprecherstimme den Trollfjord an, einen Seitenarm des Raftsunds. Leider sei eine Einfahrt wegen drohender Lawinengefahr so früh im Jahr nicht möglich, heißt es. Mit riesigen Scheinwerfern wird von der Mündung aus in den engen, dunklen Fjord hineingeleuchtet, gespenstische, schaurig-schöne Minuten, in denen rundherum endlich andächtige Stille herrscht. Kaum auszuhalten, wenn in diesem Moment auch noch der Himmel mitspielte.
Zum Aufwärmen gibt es nun warmen Trollschnaps. Das Getränk bringt augenblicklich wohlige Wärme in ihren ausgekühlten Körper. Sie ist nicht enttäuscht, dass es außer leichten Schleiern bisher nichts Aufregendes zu sehen gab. Es liegen ja noch mehrere Nächte nördlich des Polarkreises vor ihr. Deshalb kehrt sie bald nach Mitternacht in die warme Kabine zurück.
Lange kann sie nicht geschlafen haben, als sie von einer Durchsage geweckt wird. Niemals würde sie den Lautsprecher nachts ausstellen – sie könnte etwas verpassen! Sie versteht nicht viel Norwegisch, aber als sie „nordlys“ hört, ist sie mit einem Satz am Fenster. Die folgende englische und deutsche Durchsage braucht sie nicht.
Ein senkrechter Streifen relativ kräftigen Grüns ist backbord voraus zu sehen, verflüchtigt sich allerdings innerhalb kürzester Zeit. Sie kann ihr Glück kaum fassen, atemlos wartet sie auf mehr, ringt mit sich, ob sie sich noch einmal in die volle Montur kleiden und hinausgehen soll – und fällt dann nach einer Viertelstunde vergebener Anspannung erschöpft zurück in die Koje. Der Tag war lang, der Kopf dreht sich voller überwältigender Eindrücke; sie wünscht sich nichts mehr, als bald zufrieden einzuschlafen.
Weitere drei Tage hält das schöne Wetter an, trotzdem von Nordlicht keine Spur. Dann ist der Wendepunkt Kirkenes erreicht. Auf der südgehenden Route folgen zwei Tage und Nächte mit Regen und Schnee in ständigem Wechsel.
Und wieder Svolvaer am Abend. Beim Rundgang durch ihr Lieblingsstädtchen auf den Lofoten hagelt es erbsengroße Körner. Sie begräbt die Hoffnung, noch einmal Grün am Himmel zu sehen, und kuschelt sich sehr früh in die warme Koje.
Aber dann wird sie mitten in der Nacht geweckt. „Nordlys!“ Diesmal schlüpft sie eilig in die bereitgelegten Sachen. Als sie aufgeregt am Bug des Schiffes auf dem geschützten Umlaufdeck ankommt, hat sich schon ein kleines Grüppchen Nordlichtjäger eingefunden. Die Atmosphäre auf dem offenen Meer ist eine andere als neulich im Raftsund. Der Vestfjord ist sehr bewegt, das kräftige Klatschen der Wogen an den Schiffsbug bleibt lange Zeit das einzige Geräusch in dieser mittlerweile sternenklaren Nacht. Immer mehr dick verpackte Gestalten nähern sich leise und schauen erwartungsvoll in das Dunkel.
Tatsächlich zeigen sich vereinzelte Schleier am Himmel, nicht direkt grün, aber auch nicht ganz blass. Sie flirren unvermittelt aus verschiedenen Richtungen, verschwinden meist genauso schnell wieder wie sie aufgetaucht sind. Die Reisende verharrt zunächst minutenlang mucksmäuschenstill, als dürfe man dieses Schauspiel nicht gefährden. Einige Male versucht die mit klammen Fingern die Schleier einzufangen. Doch diese treiben ihr eigenes Spiel, sind viel zu flüchtig für einen Laienfotografen.
Dies könnte die letzte Nacht der Reise mit Chancen auf Nordlicht sein, am Morgen wird das Schiff schon wieder den Polarkreis überqueren. Sie steht noch lange an der Reling und starrt auf das unruhige dunkle Meer, mit sich selbst allein und dennoch nicht einsam. Sie spürt, dass der Kopf so frei ist wie selten, der Alltag unendlich fern. Momente, die keine Kamera der Welt jemals einfangen kann.