Auch einen Toten zu finden?
Wenn man furchtsam ist, in den eigenen Spiegel zu sehen, einen Vertrauten bitten, Spiegel zu sein.
Rechenschaft? Resümée? Ein Geburtstag, ein Lebenseinschnitt, -abschnitt, man sucht nach seinem Ort und Stand und Sein.
Inhaltlich frage ich mich, ob die Frage nach dem Ich mit einem "auch" erweitert werden sollte. Denn niemand ist mehr derselbe in der nächsten Stunde oder gar nach Jahren. Man entwickelt sich weiter, wird älter, reift auch.
Wohl aber hofft man, dass man etwas von dem, der man war, bewahrt, erhalten hat. Ein unbärdiges Kind, einen träumenden Jugendlichen, einen vorwärtsschreitenden, hoffnungtragenden ... Was auch immer. Gegen alle Lebenseinflüsse, Menschbegegnungen, beruflichen Forderungen, Verbiegungen.
Oder?
Für das Ende hofft Leser natürlich mit dem Ich, dass der/die Andere das unverhüllte und wertvolle, liebenswerte Ich hinter aller Tarnung findet. Und falls nicht, falls sich mehr gewandelt hat, als einem lieb ist, als man vor sich selbst vertreten kann - dann könnte nach der schonungslosen Offenheit und einer Hoffnungslosigkeit in der Folge ein Entschluss zur Veränderung stehen.
Ich finde das Gedicht dem Anlass entsprechend schlicht geschrieben. Das sagt mir zu!
Was mir nicht gefällt ist dies etwas kindliche "so ganz, ganz tief". Ich könnte mir vorstellen, dass auch ein einmaliges "tief" dem Leser öffnet, dass dieses besondere Gegenüber bis zum letzten Winkel, hinter die letzte Maske zu sehen vermag. Zum Beispiel:
Kannst du noch
In mich blicken
Tief bis hinter
Alle Masken
Und wenn ja
Was siehst du
Ist da noch der Mensch
Den du einst fandest
Irgendwie auch ein Text zum Totensonntag. Das Besehen, was einst war, vielleicht auch einen Toten finden?
Jongleur