Ciconia
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Aus 2013, überarbeitet
Alle Kinder sind gleich, denkt der kleine Paul, als er in die Schule kommt und sein Weltbild noch durch nichts getrübt ist. Sie sind alle gleich alt, etwa gleich groß, was soll es da für Unterschiede geben?
Nach einigen Wochen stutzt der kleine Paul zum ersten Mal. Behandelt der Lehrer auch alle Klassenkameraden gleich? Paul gewinnt den Eindruck, dass der Lehrer die nette blonde Sitznachbarin ein wenig bevorzugt, immer etwas freundlicher zu ihr ist und nicht so streng wie zu Paul. Weil sie so niedlich ist und stets höflich zu allen? Ihr Vater ist ja auch Lehrer, sagen seine Eltern. Der kleine Paul kommt ins Grübeln. Sein Vater ist nur ein einfacher Sachbearbeiter.
Er vergisst das Ganze bald wieder, aber tief in seinem kleinen Köpfchen hat sich ein Körnchen Gerechtigkeitssinn eingenistet.
In späteren Jahren wechseln die Netten: Mal blond, mal braun, mal männlich, mal weiblich, doch immer ist da einer, der in der Schule oder im Studium bevorzugt behandelt wird. Paul, auf dem Weg ins Erwachsenenalter, gewöhnt sich an diese Tatsache. Aber richtig findet er es nicht. Das Körnchen Gerechtigkeitssinn wächst sich aus. Er bekommt ein sehr feines Gespür für Ungerechtigkeiten.
Paul, nun schon richtig erwachsen, sucht sich einen Beruf. Er ist fleißig und zuverlässig. Manchmal allerdings, so scheint es ihm, reicht das nicht. Wie macht es der Kollege Meier nur, dass meistens dessen Entwürfe vom Chef übernommen werden? Meier ist zwar auch fleißig und zuverlässig, aber dann hört Paul, dass Meiers Vater ein Studienfreund des Chefs war. Paul versteht.
Über die Jahre wird Paul anfälliger gegen Ungerechtigkeiten, sein Gerechtigkeitssinn ausgeprägter. Immer gibt es jemanden, der klare Regeln verletzt und nicht dafür gerügt wird, immer ist da irgendwer, der sich rücksichtslos in den Vordergrund drängt und knallhart seine eigenen Vorteile ausnutzt, ohne Unrechtsbewusstsein, ohne Gewissensbisse. In zunehmendem Maße sieht er sich Seilschaften gegenüber, denen er nicht angehört und auch gar nicht angehören möchte, weil er Klüngelei zutiefst ablehnt. Er hat längst erkannt, dass ein Leben als Einzelkämpfer erhebliche Nachteile mit sich bringt.
Paul geht in Rente und widmet sich ganz entspannt neuen Hobbys. Es dauert nicht lange, bis ihn alles wieder einholt. In seinem Sportverein geht es nicht anders zu als früher am Arbeitsplatz. Bei Wettkämpfen werden Regeln gebrochen, Entscheidungen zugunsten eines Sportsfreunds getroffen, dessen Sohn mit der Tochter vom Schiedsrichter ... Paul resigniert. Und nimmt sich vor, endgültig zu akzeptieren, dass manche Menschen eben gleicher sind als andere.
Jeden Morgen schaut Paul nach wie vor gern in den Spiegel. Der Mann, den er dort erblickt, gefällt ihm. Er braucht sich nichts vorzuwerfen, hat ein sauberes Gewissen. Er empfindet keinerlei Verpflichtungen gegenüber anderen, weil er sich niemals abhängig gemacht hat und seinen Weg aufrecht allein gegangen ist.
Paul fühlt sich frei.
Alle Kinder sind gleich, denkt der kleine Paul, als er in die Schule kommt und sein Weltbild noch durch nichts getrübt ist. Sie sind alle gleich alt, etwa gleich groß, was soll es da für Unterschiede geben?
Nach einigen Wochen stutzt der kleine Paul zum ersten Mal. Behandelt der Lehrer auch alle Klassenkameraden gleich? Paul gewinnt den Eindruck, dass der Lehrer die nette blonde Sitznachbarin ein wenig bevorzugt, immer etwas freundlicher zu ihr ist und nicht so streng wie zu Paul. Weil sie so niedlich ist und stets höflich zu allen? Ihr Vater ist ja auch Lehrer, sagen seine Eltern. Der kleine Paul kommt ins Grübeln. Sein Vater ist nur ein einfacher Sachbearbeiter.
Er vergisst das Ganze bald wieder, aber tief in seinem kleinen Köpfchen hat sich ein Körnchen Gerechtigkeitssinn eingenistet.
In späteren Jahren wechseln die Netten: Mal blond, mal braun, mal männlich, mal weiblich, doch immer ist da einer, der in der Schule oder im Studium bevorzugt behandelt wird. Paul, auf dem Weg ins Erwachsenenalter, gewöhnt sich an diese Tatsache. Aber richtig findet er es nicht. Das Körnchen Gerechtigkeitssinn wächst sich aus. Er bekommt ein sehr feines Gespür für Ungerechtigkeiten.
Paul, nun schon richtig erwachsen, sucht sich einen Beruf. Er ist fleißig und zuverlässig. Manchmal allerdings, so scheint es ihm, reicht das nicht. Wie macht es der Kollege Meier nur, dass meistens dessen Entwürfe vom Chef übernommen werden? Meier ist zwar auch fleißig und zuverlässig, aber dann hört Paul, dass Meiers Vater ein Studienfreund des Chefs war. Paul versteht.
Über die Jahre wird Paul anfälliger gegen Ungerechtigkeiten, sein Gerechtigkeitssinn ausgeprägter. Immer gibt es jemanden, der klare Regeln verletzt und nicht dafür gerügt wird, immer ist da irgendwer, der sich rücksichtslos in den Vordergrund drängt und knallhart seine eigenen Vorteile ausnutzt, ohne Unrechtsbewusstsein, ohne Gewissensbisse. In zunehmendem Maße sieht er sich Seilschaften gegenüber, denen er nicht angehört und auch gar nicht angehören möchte, weil er Klüngelei zutiefst ablehnt. Er hat längst erkannt, dass ein Leben als Einzelkämpfer erhebliche Nachteile mit sich bringt.
Paul geht in Rente und widmet sich ganz entspannt neuen Hobbys. Es dauert nicht lange, bis ihn alles wieder einholt. In seinem Sportverein geht es nicht anders zu als früher am Arbeitsplatz. Bei Wettkämpfen werden Regeln gebrochen, Entscheidungen zugunsten eines Sportsfreunds getroffen, dessen Sohn mit der Tochter vom Schiedsrichter ... Paul resigniert. Und nimmt sich vor, endgültig zu akzeptieren, dass manche Menschen eben gleicher sind als andere.
Jeden Morgen schaut Paul nach wie vor gern in den Spiegel. Der Mann, den er dort erblickt, gefällt ihm. Er braucht sich nichts vorzuwerfen, hat ein sauberes Gewissen. Er empfindet keinerlei Verpflichtungen gegenüber anderen, weil er sich niemals abhängig gemacht hat und seinen Weg aufrecht allein gegangen ist.
Paul fühlt sich frei.