Dichter Erdling
Mitglied
Immer hatte ich „die Ausländer“, „die Flüchtlinge“ und wie sie noch genannt werden, verteidigt, wenn in meinem Umfeld abfällig über diese Personengruppen gesprochen wurde.
In meiner Familie ist das recht oft der Fall, dass man mit Widerworten an eine universelle Menschlichkeit appellieren muss.
„Die Ausländer sind zu laut in der Nachbarschaft, sind unverschämt, halten nur die Hand auf, um staatliche Gelder, Sozialleistungen abzugreifen, sind einfach zu viele schon, sind gefährlich, dumm, schlecht…“ sagen sie in meiner Familie gern.
Ihr Hass und die Härte der Welt gehen gut ineinander auf.
Mit Seitenblick auf mich sprechen sie entweder gehemmter - oder sie schwingen ihre Reden dann besonders explizit in einer herausfordernden „Na, was sagst du jetzt?“-Manier.
Oder sie schieben noch ein paar rassistische Witze hintennach, wobei ich, zugegeben, über die harmloseren schon auch mitlache. Wirklich gilt es in meiner Familie fast als Herausforderung, mich auf diese Weise zum Lachen zu bringen. Wenn *jemand wie ich* über *so* einen Witz lacht, gilt er ihnen als besonders gelungen.
Alles in allem wissen sie aber, dass ich ihre menschenverachtenden Sprüche nicht gern höre.
Bislang galt: Wenn sie die gewissen Sätze absonderten und ich saß mit am Tisch, habe ich oft versucht, mit guten Worten dagegenzuhalten:
Nein, es gibt keine schlechtere Spezies Mensch. Wir hier sind nicht besser. Was uns alle eint, ist wichtiger und gewichtiger als das, was uns trennt.
Die Menschen im Unten – also auch wir - hadern miteinander, weil sie von allem zu wenig abgekommen, weil die Welt ungerecht ist und weil das Leben nicht überall lebbar ist. Niemand flüchtet gern. Die meisten möchten dort, wo sie geboren werden, friedlich und gut leben können – geht aber oft nicht. Wird auch bei uns immer schwieriger. Im Grunde sitzen wir alle im selben Boot und sollten uns gemeinsam gegen diese ungerechte Welt wehren…
So sprach ich oft. Sprach über Fluchtursachen, Kriege, globale Verteilungsgerechtigkeit und ein zutiefst irrelaufendes Weltsystem.
Und ich zählte Positives auf: Schau an, neulich habe ich mit nett mit ein paar Syrern unterhalten. Einem Ägypter. Der Nachbar mit dem fremdländischen Nachnamen trägt von sich aus der Oma die Einkäufe in den dritten Stock. Am Spielplatz sitzen die Kopftuchmamas und die barhäuptigen Mütter fröhlich nebeneinander und bauen Sandburgen mit ihren Kindern…
Will sagen: Sieh doch, es funktioniert das große Miteinander trotz aller Widrigkeiten.
Wir alle sind Eltern, die gern mit ihren Kindern spielen. Wir sind Menschen, die kommunizieren, die Zuwendung brauchen und hie und da ein bisschen plaudern, sich helfen.
Wir müssen uns darauf konzentrieren und die äußeren Widrigkeiten bekämpfen, nicht einander.
Vermutlich interessiert das den Leser nicht, aber die letzten Wochen waren sehr kräftezehrend für mich und die Meinen.
Ein Todesfall, das heißt: emotionales Grenzwandeln, Begräbnis organisieren, viel mit der Familie beisammensitzen, Wohnung ausräumen, Hinterlassenschaft regeln, Termine, Formulare, Telefonate.
Hinzu kommt, dass in der Welt da draußen auch schon wieder einiges passiert ist. Die Zeitungen sind grad voll mit „Messerangriff hier“ und Ausländer, Flüchtlinge als Täter, „Bösewichte“ eben.
Ich bin müde und habe der Welt nicht mehr viel entgegenzusetzen.
Schöne Worte und Zweckoptimismus reichen auch gar nicht mehr, um das irregelaufene Weltsystem auszugleichen.
Wenn ich am Familientisch widerspreche, haben sie nun haufenweise Fakten zur Hand, die ihre Weltsicht stützen und sogar in den Zeitungen stehen – und ich habe nur eine Utopie, die immer ferner scheint.
Schon vollends haben sich die Gesellschaften von der Idee verabschiedet, diese Welt könne eine gute, lebenswerte für alle sein.
Dass es systembedingt Armut und Elend in den verschiedenen Abstufungen gibt, nimmt man scheinbar nur noch hin und nur noch stellt man sich die Frage, ob man die Flüchtlinge, welche das System produziert, an der Grenze abfangen oder aufnehmen soll; ob man sich vielleicht nur die „Nützlichen“ rauspicken sollte, ob die Betroffenen eine Rettung überhaupt „verdient“ hätten oder ob die paar, die wir aufnehmen, überhaupt einen Unterschied machen angesichts der schieren Masse derer, die eine Flucht gar nicht erst schaffen.
Wohl bin ich nach wie vor überzeugt, dass meine Worte wahr sind:
Nein, es gibt keine schlechtere Spezies Mensch. Wir hier sind nicht besser. Was uns alle eint, ist wichtiger und gewichtiger als das, was uns trennt. Die Menschen im Unten hadern miteinander, weil sie von allem zu wenig abgekommen, weil die Welt ungerecht ist und das Leben nicht überall lebbar ist. Niemand flüchtet gern. Die meisten möchten dort, wo sie geboren werden, friedlich und gut leben können – geht aber oft nicht. Im Grunde sitzen wir alle im selben Boot und sollten uns gemeinsam gegen diese ungerechte Welt, die sukzessive ungerechter wird, wehren.
Aber ich weiß: Worte allein überzeugen nicht.
Als Worte stehen diese Wahrheiten verloren in der Welt herum und sehen sich umzingelt von anderen, ungünstigen Umständen und Begebenheiten, welche zu widersprechen scheinen.
In diesem Unten sammeln sich einfach schon zu viele Menschen auf zu engem Raum und rangeln miteinander um das Wenige, das zu wenig ist. Da ist gemeinhin kein Platz mehr für gute Gedanken. Man muss schauen, dass man selber nicht untergeht.
Die Welt ist zu ungerecht, die Umstände sind zu ungünstig geworden, als dass man sich mit ein bisschen Freundlichkeit und gutem Willen im Einzelfall darüber hinwegretten könnte.
Das gelebte Weltsystem fördert vor allem das aus den Menschen zutage: Hass und Härte.
Unter schlechten Umständen verhalten sich die Menschen schlecht: Das gilt für meine Familie wie für irgendwelche Messerstecher, Terroristen. Es ist Krieg auf allen Ebenen.
Also nein, ich habe nichts mehr gesagt, als wir alle am Samstag auf diesem Flohmarkt waren.
In diesem Festzelt, das noch von einem niederbayrischen Volksfest übrig war. Dort wurde allerlei verkauft. Bücher, Nippes, Bekleidung, Spielzeug, Möbel sogar. Im Zelt war es heiß und stickig, es wurde gefeilscht.
Vor dem Zelt saß man auf Bierbänken beisammen, aß Bratwürste oder Kuchen, trank Bier aus Maßkrügen (zu Erinnerung: Niederbayern) und zeigte sich gegenseitig die Schnäppchen, die man gemacht hatte.
Unweit von unserem Tisch saß eine Gruppe dunkelhäutiger Menschen, die sich angeregt und, ja, lautstark unterhielten. Ja, sie waren laut und sie waren viele. Worüber sie sprachen, ob sie Streit hatten oder nur lebhaft diskutierten, vermag ich nicht zu sagen. Ich verstand ihre Sprache nicht. Vermutlich ein afrikanischer Dialekt.
„So ein Gfrast“ ätzte jemand von meiner bayrischen Verwandtschaft.
„Wenn ich die schon sehe… gehören nicht hierher…kann man sich nicht mal mehr auf die Straße trauen…. dann stechen sie dich mit dem Messer ab…kriegen auch noch alles in den Arsch geschoben vom Staat…“ hörte ich die Leute von meinem Tisch lästern.
Ich habe nur noch den Kopf gesenkt.
Ja, mag sein, es gibt zu viele Geflüchtete, auch hier, in dieser bayrischen Kleinstadt, weil zu viele Menschen flüchten müssen, eh schon wissen, irregelaufenes Weltsystem, und die hiesigen Kapazitäten sind überlastet. Den Menschen, den Gesellschaften kann man nicht ewig weiter was aufbürden, kann man nicht alle in diesem Unten so eng zusammenpferchen, dann gibt es eben diese Konflikte und Disharmonie.
Die Menschen sind müde und ausgelaugt – und ich war es auch.
Zu viel Gerangel um das Flohmarktzeug im stickigen Zelt, zu wenig freie Tische hier draußen.
Zu müde, um matte Geschichten zu erzählen, die weismachen wollen, wir im Kleinen könnten uns schon irgendwie gut arrangieren, allen Widrigkeiten zum Trotz. Nur noch Widrigkeiten überall.
Ich habe an meiner Limo genuckelt und gehofft, dass die Afrikaner leiser würden oder sich zum Gehen entschließen, aber wollten sie nicht.
Ich glaube, sie haben die wütenden, abfälligen Blicke und Bemerkungen, die von unserem Tisch ausgingen, noch nicht mal registriert - so sehr mit sich selbst beschäftigt waren sie.
Wir sind dann gegangen.
Tags darauf, Geburtstagsfeier im Familienkreis.
Die Gäste sitzen in meiner Küche, in der nicht recht Platz ist für Viele, sodass man sich um den ausgezogenen Küchentisch relativ eng zusammendrängen muss. Wir sind keine Familie mit Vorzeigehäusern, die so großzügig gebaut sind, dass man ein eigenes Esszimmer hätte. Aber es gibt Torte mit Beeren-Mascarpone-Creme, die ich gebacken und auf den festlich gedeckten Tisch gestellt habe. Kaffee ist serviert.
„Ja, die Ausländer…“ muss jemand grad wieder anfangen.
„Die Ausländer verschmutzen alles“, „Die Ausländer trennen den Müll nicht“ „sind einfach unmöglich“, „dreckig“, „fies“ usw. macht ein anderer seinem Ärger Luft, gut hörbar vor allen Gästen.
Ich atme schwer ein, aber schon wieder nicht finde ich die Kraft für Widerworte.
Ich senke den Kopf und ich schaffe es nicht, mich vom Gesagten zu distanzieren, abzugrenzen. Ich will eigentlich nicht jemand sein, der an dieser Stelle schweigt, denn wer schweigt, stimmt zu.
Ich möchte gern ringsum signalisieren: Seht her, das kann man auch anders sehen. Ich sehe das anders. Ich bin nicht so, so muss man nicht sein. Es gibt keine schlechtere Spezies Mensch.
Aber geht irgendwie nicht.
Und das, obwohl Leute mit am Tisch sitzen, die mich noch nicht so gut kennen und vor denen ich mich erst noch profilieren müsste: Egal, sollen sie halt denken, ich wäre auch so.
Keine Kraft für Worte, die sowieso keine Kraft mehr haben.
Nicht schon wieder eine Diskussion anfangen.
Gab zuletzt auch eh schon so viel Diskussionen wegen jeder Kleinigkeit, wegen Organisatorischem, Kleinkram, nicht schon wieder streiten, denk ich mir.
Nippe an meiner Kaffeetasse und versuche, ein anderes Thema aufzumachen.
„Möchte jemand noch ein Stück Torte?“
Zu viel Hass und Härte in der Welt, um mich herum, dagegen komme ich nicht mehr an.
In meiner Familie ist das recht oft der Fall, dass man mit Widerworten an eine universelle Menschlichkeit appellieren muss.
„Die Ausländer sind zu laut in der Nachbarschaft, sind unverschämt, halten nur die Hand auf, um staatliche Gelder, Sozialleistungen abzugreifen, sind einfach zu viele schon, sind gefährlich, dumm, schlecht…“ sagen sie in meiner Familie gern.
Ihr Hass und die Härte der Welt gehen gut ineinander auf.
Mit Seitenblick auf mich sprechen sie entweder gehemmter - oder sie schwingen ihre Reden dann besonders explizit in einer herausfordernden „Na, was sagst du jetzt?“-Manier.
Oder sie schieben noch ein paar rassistische Witze hintennach, wobei ich, zugegeben, über die harmloseren schon auch mitlache. Wirklich gilt es in meiner Familie fast als Herausforderung, mich auf diese Weise zum Lachen zu bringen. Wenn *jemand wie ich* über *so* einen Witz lacht, gilt er ihnen als besonders gelungen.
Alles in allem wissen sie aber, dass ich ihre menschenverachtenden Sprüche nicht gern höre.
Bislang galt: Wenn sie die gewissen Sätze absonderten und ich saß mit am Tisch, habe ich oft versucht, mit guten Worten dagegenzuhalten:
Nein, es gibt keine schlechtere Spezies Mensch. Wir hier sind nicht besser. Was uns alle eint, ist wichtiger und gewichtiger als das, was uns trennt.
Die Menschen im Unten – also auch wir - hadern miteinander, weil sie von allem zu wenig abgekommen, weil die Welt ungerecht ist und weil das Leben nicht überall lebbar ist. Niemand flüchtet gern. Die meisten möchten dort, wo sie geboren werden, friedlich und gut leben können – geht aber oft nicht. Wird auch bei uns immer schwieriger. Im Grunde sitzen wir alle im selben Boot und sollten uns gemeinsam gegen diese ungerechte Welt wehren…
So sprach ich oft. Sprach über Fluchtursachen, Kriege, globale Verteilungsgerechtigkeit und ein zutiefst irrelaufendes Weltsystem.
Und ich zählte Positives auf: Schau an, neulich habe ich mit nett mit ein paar Syrern unterhalten. Einem Ägypter. Der Nachbar mit dem fremdländischen Nachnamen trägt von sich aus der Oma die Einkäufe in den dritten Stock. Am Spielplatz sitzen die Kopftuchmamas und die barhäuptigen Mütter fröhlich nebeneinander und bauen Sandburgen mit ihren Kindern…
Will sagen: Sieh doch, es funktioniert das große Miteinander trotz aller Widrigkeiten.
Wir alle sind Eltern, die gern mit ihren Kindern spielen. Wir sind Menschen, die kommunizieren, die Zuwendung brauchen und hie und da ein bisschen plaudern, sich helfen.
Wir müssen uns darauf konzentrieren und die äußeren Widrigkeiten bekämpfen, nicht einander.
Vermutlich interessiert das den Leser nicht, aber die letzten Wochen waren sehr kräftezehrend für mich und die Meinen.
Ein Todesfall, das heißt: emotionales Grenzwandeln, Begräbnis organisieren, viel mit der Familie beisammensitzen, Wohnung ausräumen, Hinterlassenschaft regeln, Termine, Formulare, Telefonate.
Hinzu kommt, dass in der Welt da draußen auch schon wieder einiges passiert ist. Die Zeitungen sind grad voll mit „Messerangriff hier“ und Ausländer, Flüchtlinge als Täter, „Bösewichte“ eben.
Ich bin müde und habe der Welt nicht mehr viel entgegenzusetzen.
Schöne Worte und Zweckoptimismus reichen auch gar nicht mehr, um das irregelaufene Weltsystem auszugleichen.
Wenn ich am Familientisch widerspreche, haben sie nun haufenweise Fakten zur Hand, die ihre Weltsicht stützen und sogar in den Zeitungen stehen – und ich habe nur eine Utopie, die immer ferner scheint.
Schon vollends haben sich die Gesellschaften von der Idee verabschiedet, diese Welt könne eine gute, lebenswerte für alle sein.
Dass es systembedingt Armut und Elend in den verschiedenen Abstufungen gibt, nimmt man scheinbar nur noch hin und nur noch stellt man sich die Frage, ob man die Flüchtlinge, welche das System produziert, an der Grenze abfangen oder aufnehmen soll; ob man sich vielleicht nur die „Nützlichen“ rauspicken sollte, ob die Betroffenen eine Rettung überhaupt „verdient“ hätten oder ob die paar, die wir aufnehmen, überhaupt einen Unterschied machen angesichts der schieren Masse derer, die eine Flucht gar nicht erst schaffen.
Wohl bin ich nach wie vor überzeugt, dass meine Worte wahr sind:
Nein, es gibt keine schlechtere Spezies Mensch. Wir hier sind nicht besser. Was uns alle eint, ist wichtiger und gewichtiger als das, was uns trennt. Die Menschen im Unten hadern miteinander, weil sie von allem zu wenig abgekommen, weil die Welt ungerecht ist und das Leben nicht überall lebbar ist. Niemand flüchtet gern. Die meisten möchten dort, wo sie geboren werden, friedlich und gut leben können – geht aber oft nicht. Im Grunde sitzen wir alle im selben Boot und sollten uns gemeinsam gegen diese ungerechte Welt, die sukzessive ungerechter wird, wehren.
Aber ich weiß: Worte allein überzeugen nicht.
Als Worte stehen diese Wahrheiten verloren in der Welt herum und sehen sich umzingelt von anderen, ungünstigen Umständen und Begebenheiten, welche zu widersprechen scheinen.
In diesem Unten sammeln sich einfach schon zu viele Menschen auf zu engem Raum und rangeln miteinander um das Wenige, das zu wenig ist. Da ist gemeinhin kein Platz mehr für gute Gedanken. Man muss schauen, dass man selber nicht untergeht.
Die Welt ist zu ungerecht, die Umstände sind zu ungünstig geworden, als dass man sich mit ein bisschen Freundlichkeit und gutem Willen im Einzelfall darüber hinwegretten könnte.
Das gelebte Weltsystem fördert vor allem das aus den Menschen zutage: Hass und Härte.
Unter schlechten Umständen verhalten sich die Menschen schlecht: Das gilt für meine Familie wie für irgendwelche Messerstecher, Terroristen. Es ist Krieg auf allen Ebenen.
Also nein, ich habe nichts mehr gesagt, als wir alle am Samstag auf diesem Flohmarkt waren.
In diesem Festzelt, das noch von einem niederbayrischen Volksfest übrig war. Dort wurde allerlei verkauft. Bücher, Nippes, Bekleidung, Spielzeug, Möbel sogar. Im Zelt war es heiß und stickig, es wurde gefeilscht.
Vor dem Zelt saß man auf Bierbänken beisammen, aß Bratwürste oder Kuchen, trank Bier aus Maßkrügen (zu Erinnerung: Niederbayern) und zeigte sich gegenseitig die Schnäppchen, die man gemacht hatte.
Unweit von unserem Tisch saß eine Gruppe dunkelhäutiger Menschen, die sich angeregt und, ja, lautstark unterhielten. Ja, sie waren laut und sie waren viele. Worüber sie sprachen, ob sie Streit hatten oder nur lebhaft diskutierten, vermag ich nicht zu sagen. Ich verstand ihre Sprache nicht. Vermutlich ein afrikanischer Dialekt.
„So ein Gfrast“ ätzte jemand von meiner bayrischen Verwandtschaft.
„Wenn ich die schon sehe… gehören nicht hierher…kann man sich nicht mal mehr auf die Straße trauen…. dann stechen sie dich mit dem Messer ab…kriegen auch noch alles in den Arsch geschoben vom Staat…“ hörte ich die Leute von meinem Tisch lästern.
Ich habe nur noch den Kopf gesenkt.
Ja, mag sein, es gibt zu viele Geflüchtete, auch hier, in dieser bayrischen Kleinstadt, weil zu viele Menschen flüchten müssen, eh schon wissen, irregelaufenes Weltsystem, und die hiesigen Kapazitäten sind überlastet. Den Menschen, den Gesellschaften kann man nicht ewig weiter was aufbürden, kann man nicht alle in diesem Unten so eng zusammenpferchen, dann gibt es eben diese Konflikte und Disharmonie.
Die Menschen sind müde und ausgelaugt – und ich war es auch.
Zu viel Gerangel um das Flohmarktzeug im stickigen Zelt, zu wenig freie Tische hier draußen.
Zu müde, um matte Geschichten zu erzählen, die weismachen wollen, wir im Kleinen könnten uns schon irgendwie gut arrangieren, allen Widrigkeiten zum Trotz. Nur noch Widrigkeiten überall.
Ich habe an meiner Limo genuckelt und gehofft, dass die Afrikaner leiser würden oder sich zum Gehen entschließen, aber wollten sie nicht.
Ich glaube, sie haben die wütenden, abfälligen Blicke und Bemerkungen, die von unserem Tisch ausgingen, noch nicht mal registriert - so sehr mit sich selbst beschäftigt waren sie.
Wir sind dann gegangen.
Tags darauf, Geburtstagsfeier im Familienkreis.
Die Gäste sitzen in meiner Küche, in der nicht recht Platz ist für Viele, sodass man sich um den ausgezogenen Küchentisch relativ eng zusammendrängen muss. Wir sind keine Familie mit Vorzeigehäusern, die so großzügig gebaut sind, dass man ein eigenes Esszimmer hätte. Aber es gibt Torte mit Beeren-Mascarpone-Creme, die ich gebacken und auf den festlich gedeckten Tisch gestellt habe. Kaffee ist serviert.
„Ja, die Ausländer…“ muss jemand grad wieder anfangen.
„Die Ausländer verschmutzen alles“, „Die Ausländer trennen den Müll nicht“ „sind einfach unmöglich“, „dreckig“, „fies“ usw. macht ein anderer seinem Ärger Luft, gut hörbar vor allen Gästen.
Ich atme schwer ein, aber schon wieder nicht finde ich die Kraft für Widerworte.
Ich senke den Kopf und ich schaffe es nicht, mich vom Gesagten zu distanzieren, abzugrenzen. Ich will eigentlich nicht jemand sein, der an dieser Stelle schweigt, denn wer schweigt, stimmt zu.
Ich möchte gern ringsum signalisieren: Seht her, das kann man auch anders sehen. Ich sehe das anders. Ich bin nicht so, so muss man nicht sein. Es gibt keine schlechtere Spezies Mensch.
Aber geht irgendwie nicht.
Und das, obwohl Leute mit am Tisch sitzen, die mich noch nicht so gut kennen und vor denen ich mich erst noch profilieren müsste: Egal, sollen sie halt denken, ich wäre auch so.
Keine Kraft für Worte, die sowieso keine Kraft mehr haben.
Nicht schon wieder eine Diskussion anfangen.
Gab zuletzt auch eh schon so viel Diskussionen wegen jeder Kleinigkeit, wegen Organisatorischem, Kleinkram, nicht schon wieder streiten, denk ich mir.
Nippe an meiner Kaffeetasse und versuche, ein anderes Thema aufzumachen.
„Möchte jemand noch ein Stück Torte?“
Zu viel Hass und Härte in der Welt, um mich herum, dagegen komme ich nicht mehr an.
03. 09. 2024