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Monat: Oktober 2003

Die Kunst der Bestimmung

Die Kunst der Bestimmung

London 1678. Simon Chrysander, Professor in Upsalla, hätte eigentlich Pfarrer werden sollen, genau wie sein Vater. Doch er geht nicht mehr zur Kirche, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt zu sortieren. Stets ist er, mit der Lupe in der Hand, auf der Suche nach dem Ursprung der Natur, nach ihren Gesetzen und ihrem Sinn. Er sammelt Dinge, bestimmt und benennt sie.

In einem Hurenhaus macht Chrysander die Bekanntschaft der hochgewachsenen, bildschönen Lucy, die ihn über alle Maßen fasziniert. Die hübsche Rothaarige entpuppt sich als Lucius Lawes, Earl of Fearnall, der in der Gunst des Königs steht. Dieser üble Streich hat Folgen. Bei beiden Männern geraten die Gefühle durcheinander.

So soll es bei dieser einen Begegnung nicht bleiben. Der ehrenwerte Earl of Fearnell platzt in eine Sitzung der Royal Society im Gresham College, zurecht gemacht wie für eine weitere Theaterinszenierung, als stände er auf einer Bühne. Es gelingt mit Mühe und Not, den Anstand zu wahren, trotz des erstaunlichen Angebotes, welches der Earl macht. Er benennt Simon Chrysander zum Kurator der naturkundlichen Sammlung der Royal Society, stellt ihm unbegrenzte Geldmittel zur Verfügung, damit er nach Herzenslust ordnen kann. Und er stellt klar, dass er sich um den Fortgang des Projektes kümmern wird. Geschickt hat der Earl es eingefädelt, dass der Professor sich ihm zukünftig nicht entziehen kann.

Simon Chrysander und Lucius Lawes ziehen sich an wie ein Magnet und stoßen sich doch ab. Die Autorin packt Liebe, Leidenschaft, Sehnsucht, Hass, Verbitterung, Abscheu, Unverständnis und Selbstzerstörung in ein Buch, lässt den Leser am Wechselbad der Gefühle von Simon und Lucius teilhaben. Und es ist bitterer Ernst, kein Spiel. Chrysander versteht die Welt nicht mehr, versteht nicht, dass Gefühle sich nicht klassifizieren lassen, sich nicht in eine Norm pressen lassen, unklar und undurchschaubar sind. Er gesteht sich seine Liebe auch nicht ein, versteht es einfach nicht, bis Lucius zu wirklich drastischen Mitteln greift. Auch wenn das Blatt sich wendet, kann Lucius sich Chrysanders Liebe nicht sicher sein. Es ist klar, das beide sich ins Verderben stürzen und diese Geschichte niemals gut ausgehen kann.
Die Autorin schreibt mit viel Gefühl, aber trotzdem unparteiisch, ohne Ironie und doch zweideutig, vermittelt durch Schreiben Sprachlosigkeit. So kann man das Buch auch nicht einfach zuklappen und weglegen. Die Geschichte lässt nicht los, muss überdacht, analysiert und geordnet werden, soweit es eben geht.

Über die Autorin:
Christine Wunnicke lebt in München. Sie studierte in Berlin und Glasgow Linguistik, Altgermanistik und Psychologie. 2002 erhielt sie den Bayerischen Staatsförderungspreis für Literatur.

Rezension von Heike Rau

Christine Wunnicke
Die Kunst der Bestimmung
302 Seiten, gebunden
Kindler Verlag Berlin
ISBN: 3-463-40450-8

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