… leere Augen in dunkler Nacht

4,00 Stern(e) 1 Stimme
… leere Augen in dunkler Nacht
Der Mann in dem entgegenkommenden Wagen sieht aber komisch aus.
Als ob er leere Augenhöhlen gehabt hätte.
Er trug bestimmt eine von diesen modischen Sonnenbrillen, wie man sie jetzt in den amerikanischen Fernsehserien sieht.

Die Nebenstrecke ist gut ausgebaut. Karl kommt zügig voran.
Und schön ist es hier auch. Überall blühen Bäume, anmutig verteilt auf erdbraunen Hügeln.
Die Nebenstrecke war eine gute Wahl.
Summsummsumm ...

Dann kommt dies.
Da vorne steht ein Umleitungsschild.
Karl hält kurz an und überlegt. Auf der Autobahn gibt es einen Stau von bis zu zwanzig Kilometern, sagt der Verkehrsfunk. Auf dieser Straße hier ist er vielleicht fünf oder sechs Kilometer gefahren. Jetzt zurückzufahren, das bringt nichts.
Er biegt in den angezeigten Seitenweg ein.
Die Fahrbahn ist gut asphaltiert. Oh, da sieht er viele Birken. Karl mag Birken. Seine Lieblingsbäume wechseln sich ab mit zahlreichen Nadelbäumen. Mischwald – wie schön.
Links von der Straße fällt das Gelände nun steil ab. Aber Karl ist darüber nicht beunruhigt, denn die Strecke lässt sich weiterhin komfortabel fahren.

Moment mal. Ist das nicht der Typ, der ihm vorhin im Wagen begegnet ist?
Die Gestalt am Waldrand, sie hat die gleichen geisterhaften Augen. Sie ist jetzt in einen dunklen Mantel gehüllt, und eine Kapuze bedeckt den Kopf. Und Karl ist sich ganz sicher – das sind wieder diese leeren Augenhöhlen. Oder ist es doch eine Brille?
Der Wagen fährt nun an der Erscheinung vorbei.
Karl blickt in den Rückspiegel. Doch es ist niemand mehr zu sehen.
Hastig bedient er die Innenraumverriegelung. Nun ist ihm schon etwas wohler.
Musik. Musik ist immer gut für die Nerven.
Er erkennt das Lied. Es heißt „Only The Lonely“ und wird von Roy Orbison gesungen. Der Typ trug auch immer einen Sonnenbrille.

Plötzlich hört der Asphaltbezug abrupt auf.
Die Räder rollen nun auf knirschendem Sandkieselboden.
Jetzt ist es aber gut!
Karl schaut sich um. Umdrehen geht hier nicht, denn der Weg ist zu schmal.
Vielleicht gibt es bald einen Seitenweg, in dem er wenden kann.
Er hat jetzt die Nase voll von diesem Umweg.
Noch ein paar Meter vielleicht, hinter der nächsten Biegung, gibt es dort, bitte, bitte, eine Einmündung zum Wenden?

Da ist die nächste Kurve, endlich.
Aber das darf doch nicht wahr sein!
Da hat doch jemand zwei Granitblöcke direkt auf die Fahrbahn gestellt. Wie schnell kann man im Dunkeln dort hineinrauschen.
Auf einmal lösen sich seitlich der Blöcke rechts aus dem Wald zwei Gestalten, eingehüllt in dunkle Mäntel, die bis zu den Schuhen reichen, dazu bedrohlich wirkende Kapuzen.
Leere Augenhöhlen sind – auf ihn gerichtet.
Karl reißt den Kopf zurück.
Er will mit dem Wagen rückwärtsfahren, weg von diesem unheimlichen Ort.
Doch nun nähern sich noch mehrere der dunklen Gestalten, es werden immer mehr, von allen Seiten kommen sie auf den Wagen zu …

Es klopft an das Seitenfenster.
Erschreckt wacht Karl auf.
Es ist dunkel geworden.
Der Autobahnparkplatz hat sich merklich geleert.
Noch einmal, dieses Klopfen.
„Polizeikontrolle. Ihre Papiere, bitte“.
 



 
Oben Unten