Das ist der Prolog zu einer längeren Geschichte, an der ich gerade gerade schreibe. Da ich mal wissen wollte, was andere davon so halten und die Meinung meiner Mutter (ich bin 15 und da meine Freunde sich nicht für das Genre interessieren, bleibt nur meine Ma *g*) nicht gerade objektiv ist, dachte ich, ich poste es mal hier ^.^ Na dann viel Spaß beim Lesen, ich würde mich über (konstruktive) Kritik freuen!
Blut. Rot wie Blut schimmerte der Stein im kühlen Mondlicht, das die gleiche silbrige Farbe hatte, wie das Kreuz, in dem er eingefasst war. Es war ein Rubin, in der Form eines Herzens geschliffen, der in der Mitte eines handtellergroßen Kreuzes aus reinstem Silber prangte, das am Ende einer ebenfalls silbernen Kette baumelte. An jedem der vier Enden des Anhängers war ein blauer tropfenförmiger Stein eingelassen. Blau wie der Himmel an einem schönen Sommertag. Genau diese Farbe hatten die vier Blautopasse und vollendeten dieses kleine Kunstwerk.
Nur schwer konnte das Mädchen den Blick von der Kette in ihrer Hand abwenden. Ihr Gesicht war blass und schmal, ihre Lippen jedoch waren von einem blutigen rot und ihre Augen, die mal braun, mal blau , mal golden, je nach Lichteinfall, schienen, drückten unbändige Freude über das soeben erhaltene Geschenk aus.
„Drehe es mal um, Aglaia!“, wurde sie von einer männlichen Stimme neben ihr aufgefordert. Sie sah den Besitzer der Stimme an. Er mochte wohl um die 21 sein. Sein schwarzes fransiges Haar schien blau im fahlen Licht und sein blasses Gesicht drückte kindliche Freude und Neugier aus. Die braunen Augen waren auf Aglaias Gesicht fixiert, begierig darauf, ihre Reaktion zu erspähen. Erstaunt besah sich das Mädchen die Rückseite des Kreuzes. Einige Sekunden lang blieb es still, während sie ungläubig über die feine Gravur strich. Dann schloss sie die Hand um den Anhänger und fiel dem Mann um den Hals.
„Danke, Alexis!“
„Na ja, ich dachte mir, das wäre mal etwas anderes...“, gab dieser verlegen zurück. Aglaia schob sich ein in kleines Stückchen von ihm zurück und betrachtete das Gesicht ihres Freundes. Ihr Blick blieb an seiner linken Wange hängen. Kurz unter dem Auge zog sich eine etwa 3cm lange schmale Narbe nach unten. Zärtlich fuhr sie diese nach.
„Machst du mir die Kette um?“, fragte sie leise. Alexis nickte. Er nahm den Anhänger und öffnete den Verschluss. Dann hob er die bronzefarbenen Haare, die dem Mädchen bis zu den Schultern reichten, hoch und legte ihr das Geschenk um den Hals.
„Hörst du das auch?“ Langsam wandte Aglaia sich aus Alexis Umarmung und sah ihn fragend an. Doch dann hörte auch sie etwas. Die beiden saßen in einer sternklaren Vollmondnacht am Ufer eines Sees. Um sie herum war keine Menschenseele zu sehen, nur das eisige Schweigen des Waldes um den See umgab sie. Plötzlich vernahm Aglaia ein Knacken im Unterholz. Alarmiert blickten die beiden sich um. Alexis kniff seine Augen zusammen, um den Waldrand genau sehen zu können, was für einen normalen Menschen in dieser Dunkelheit nahezu unmöglich gewesen wäre. Gespannt leckte sich Aglaia den letzten Rest getrockneten Blutes von ihren Lippen. Sie lächelte in die Finsternis hinein und griff nach Alexis Hand. Als er sie näher zu sich heranzog, flüsterte sie: „Eigentlich haben wir ja heute schon gegessen, aber gegen einen kleinen Nachtisch hätte ich nichts einzuwenden, und du?“ Ihre weißen Zähne blitzten auf, als sie ihren Kopf leicht zur Seite wandte und zu Alexis hochschielte. „Na dann gute Jagd!“, zischte er zurück und blickte auf Aglaias Eckzähne, die etwas länger als die übrigen waren...
Wieder ein Geräusch. Alexis spannte sich an und trat ein paar Schritte nach vorne. „Aber lass mir auch noch etwas übrig!“, scherzte das Mädchen. Ein weiteres Knacken aus dem Wald, gefolgt von einem leisen unterdrückten Fluchen. Aglaia schnupperte. Sie konnte es riechen. Ein Mann, nicht mehr allzu weit von ihnen entfernt. Er schwitzte und roch nach Alkohol. Eine schmackhafte Mischung, dachte Aglaia und fuhr sich erneut, völlig in Gedanken versunken, mit der Zunge über die trockenen Lippen.
Gleich darauf tauchte eine gebeugte Gestalt aus der Dunkelheit auf, die sich hastig umsah und schließlich zu Aglaia und Alexis hinüberstarrte. Es war wirklich ein Mann. Er stand etwa 50m von ihnen entfernt. Der Mond warf sein gespenstisches Licht auf die Szene, brach sich auf der Glatze des Fremden und auf dem roten Herz des Kreuzes, das über Aglaias Brust hing. Ihr Gegenüber stieß einen lauten triumphierenden Schrei aus und rannte auf sie zu. Er war klein und leicht untersetzt. Aglaia konnte Alexis amüsiertes Grinsen sehen, als auch er das Schnaufen des Mannes hörte. Überall an seinem Körper schien er Silber zu tragen, wobei das riesige Holzkreuz auf seiner Brust auffiel und er stank sogar auf diese Entfernung schrecklich nach Knoblauch. Alexis verdrehte genervt die Augen. Menschen waren doch so dumm! Sie dachten immer noch, dass sie ihnen damit schaden könnten! Es war wahr, dass sie Knoblauch nicht mochten, aber anhaben konnte er ihnen nichts. „Ich habe plötzlich Durst, mein Schatz. Es wird Zeit, dass sich das ändert!“, raunte er seiner Freundin zu und lachte leise.
Kurz vor ihnen blieb der Mann stehen. Als Aglaia ihn sich näher betrachtete, blieb ihr Blick an seiner rechten Hand haften. Sie schluckte. Ihre Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Der Mann hielt einen mit Silber verkleideten Holzpfahl in der Hand. Ein zweiter steckte in seinem Gürtel.
„Habe ich euch gefunden, ihr Bestien! Aber ihr werdet nicht ungeschoren davonkommen, wie der von euch, der meine geliebte Frau Anna und meine Tochter Marga umgebracht hat! Ich mache euch den Gar aus!“, schrie er in die Nacht hinein, so furchteinflößend, wie nur möglich.
Alexis schüttete sich innerlich aus vor Lachen. Ja ja, diese abergläubischen Menschen in dieser Zeit! Silber! Natürlich hatte er den Familienschmuck geplündert, denn bekanntlicherweise, verbrannte Silber ja seinereins... Das war genauso wahr, wie diese Sache mit dem Knoblauch. Deswegen hatte er Aglaia ja auch eine SILBERkette geschenkt! Und das Kreuz da... Würde auch keinerlei Wirkung zeigen. Kreuze waren schöne Gegenstände... aber solange sie nicht gesegnet und mit irgendwelchen christlichen Sprüchen verziert waren, wären auch sie völlig nutzlos. Und selbst wenn es einen religiösen Hintergrund gehabt hätte, wäre der Erfolg nicht gerade groß gewesen. Denn so alt wie er, Alexis, war, machten ihm diese kleinen Spielereien schon lange nichts mehr aus; genauso wenig wie Aglaia.
Diese entspannte sich. Von dem dort ging keine Gefahr aus. Wahrscheinlich hatte dieser Bauerntölpel im Wirtshaus einen über den Durst getrunken und wollte sich jetzt als den großen Rächer aufspielen. Das Mädchen ließ ihren Blick genüsslich über den Hals des Mannes schweifen. Sie konnte seinen schnellen Herzschlag spüren und hörte regelrecht, wie das Blut in seinen Adern pulsierte. Schönes frisches, warmes Blut. Aber sicher nicht so lecker, wie das des Mädchens heute Nacht.
Sie war auf dem Weg zur Heilerin des Dorfes gewesen. So jung und hübsch... Sie hatte sich gewehrt und geschrien, was die ganze Angelegenheit nur noch reizvoller gemacht hatte. Sobald sie eine Wunde hatte, aus der sie blutete, war in Aglaia die Mordlust erwacht, begleitet von einem ungeheuren Blutdurst. Und Alexis war es nicht anders ergangen. Immerhin hatten sie sie nicht gleich getötet, sozusagen als Dankeschön dafür, dass sie sich so nett gewehrt hatte. Aber nein, sie wollte ja keine von ihnen werden, nicht, wie sie es nannte, mit dem Teufel im Bunde stehen. Na dann....
Aglaia wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Alexis ein rauhes Lachen ausstieß und auf den Mann zu trat. „Tut mir ja leid, Väterchen, aber auch wir müssen leben... und sei es auf Kosten von noch so unschuldigen kleinen Mädchen!“, spottete er und warf Aglaia einen schnellen Seitenblick zu. Sie erwiderte ihn, ihren Mund zu einem Schmunzeln verzogen. Sie kicherte.
Alexis stieß dem Jäger, wie er sich selbst bezeichnete, mit einem Fußtritt den Pflock aus der Hand, der nun auf den Boden fiel und auf Aglaia zu rollte, und war mit zwei Schritten bei ihm. Dieser schien völlig überrumpelt und riss die Augen vor Angst weit auf. Panisch tastete er nach seiner zweiten Waffe, doch als er diese in seinem Gürtel gefunden hatte, legte Alexis seine Hand auf seine. „Immer langsam mit den jungen Pferden!“, mahnte er und zeigte seine gefährlich langen Zähne. Aglaia klatschte begeistert in die Hände und bückte sich nach dem Holzpfahl. Alexis hatte derweil dem Mann den zweiten Pflock aus dem Gürtel gerissen und presste ihm den nun gegen die Brust, während er mit der linken Hand den Mann an der Haaren im Nacken festhielt, so dass dieser sich nicht mehr bewegen konnte. Alexis beugte sein Gesicht zum Hals des Jägers hinunter. „Ein bisschen Alkohol im Blut schmeckt lecker, musst du wissen!“
Aglaia lauschte. Sie hatte soeben ein Geräusch gehört und sah sich nun nach dem Verursacher um. Jetzt konnte sie es hören, einen zweiten menschlichen Pulsschlag - direkt hinter ihr! Sie drehte sich auf dem Absatz um und blickte einem zweiten Angreifer direkt ins Gesicht. Er war jünger und athletischer als der andere, und sein Gesicht war wutverzerrt. Keine Frage, dieser hier war weitaus gefährlicher. „Alexis!“, schrie Aglaia, „hier ist ein zweiter! Ich kümmere mich um ihn!“ Ihre Hand umklammerte die Waffe in ihrer Hand. Es war nicht lange her, dass sie das letzte Mal gekämpft hatte, aber sie war jedesmal aufgeregt.
Alexis hatte Aglaia gehört, sich jedoch nicht umgedreht. Er kannte sie lange und gut genug, um zu wissen, dass sie sich ihrer Haut selbst erwehren konnte, dafür hatte Nestor ausreichend gesorgt. Er würde sich jetzt erst auf diesen Unruhestifter konzentrieren. Der jedoch hatte den kurzen Augenblick Alexis Unaufmerksamkeit schlau genutzt und sich leicht aus dessen Griff befreit und riss sich nun mit einem Schrei los, wobei er mit der Faust nach Alexis‘ Hand mit dem Pfahl schlug. „Jetzt reichts!“ Alexis war aufgebracht. Er schlug dem Mann mit der Faust mitten ins Gesicht. Dieser taumelte, war jedoch noch so geistesgegenwärtig, dass er, bevor auf den Boden fiel, gegen Alexis‘ Schienbein stieß. Alexis heulte vor Wut auf. Töten. Jetzt wollte er nur noch töten. Er schleuderte den Pfahl zur Seite und stürzte sich auf den am Boden Liegenden.
Aglaia beobachtete ihren Gegner genau. Er hatte, soweit sie das beurteilen konnte, keine Waffe, außer dem Dolch, den er in der Hand hielt. Sie hörte das Geschrei hinter ihr. Alexis würde siegen, dessen war sie sich sicher. Sie stimmte ein, ja sie hatte Lust zu kämpfen, Lust auf frisches Blut... Ihr Angreifer zischte und kam auf sie zu. Mit einem Schritt zur Seite wich sie ihm aus und stellte ihm ein Bein. Er strauchelte, konnte aber das Gleichgewicht halten und drehte sich erneut zu ihr um. Der Dolch blitzte auf. Aglaia hob ihren rechten Fuß und kickte dem Mann mitten in seinen ungeschützten Magen. Dann stürzte sie auf ihn zu und schlug ihm das Messer aus der Hand. Er ächzte und sackte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seine Knie. Sie zog ihn mit der linken Hand langsam vom Boden hoch, in der rechten hielt sie noch immer den Pflock. „Komm schon! Sonst wird es langweilig!“
Alexis saß rittlings auf dem Jäger. Dieser keuchte schwerfällig und murmelte Gebete. Mit aller Kraft versuchte er sich zu befreien, doch Alexis lachte nur. Es war ein scheußliches Lachen, bei dem es dem Mann kalt den Rücken hinunterlief. Er hatte doch nur seine Familie rächen wollen und nun musste er einsehen, dass auch er getötet werden würde.
Alexis hatte beide Hände frei und überlegte womit er den Mann außer Gefecht setzten könne. In seiner Wut hatte er den Holzpfahl leichtsinnigerweise weggeschmissen. Er beugte sich zu seinem Opfer hinunter. Während er gierig die Halsschlagader betrachtete, griff er nach dem Holzkreuz, das um den Hals des Jägers hing. Es war zwar nicht spitz, aber Alexis hatte genug Kraft. Zeit zu trinken würde er hinterher noch haben, außerdem wollte er Aglaia helfen. Er riss das Kreuz von der Kette des Opfers los und hob seinen Arm. „Bitte...bitte nicht!“, wimmerte der Mann. Aber Alexis lachte nur schallend auf und rammte das Kreuz mit voller Wucht in das Herz des Jägers.
Aglaia hörte den schmerzhaften Aufschrei des ersten Angreifers hinter sich und das Lachen Alexis‘. Gut, er war unverletzt! Aglaia konzentrierte sich wieder auf ihren Kampf. Der Mann stand vor ihr, hatte seinen Dolch wieder aufgehoben und bedrohte sie nun damit. Sie seufzte. Dass Menschen immer so unvernünftig sein mussten! Sie rammte dem Mann ihren Ellenbogen in den Mangen und wich geschickt seiner Hand, in der er das Messer hielt, aus, als er versuchte sie zu erstechen. Sie hob ihren Arm, kniff jedoch die Augen zusammen, da sie das Mondlicht blendete und stieß mit dem Pflock zu.
Alexis richtete sich auf und drehte sich zu seiner Freundin um. Seine Vermutung, dass sie keine Schwierigkeiten hatte, war richtig gewesen. Langsam ging er auf die beiden Kämpfenden zu. Er sah, wie Aglaia den Mann in den Bauch stieß und schickte sich an, den Unterlegenen an den Schultern festzuhalten, bevor dieser zusammensacken und auf den Boden fallen würde, noch ehe ihn der Holzpfahl getroffen hätte. Doch er hatte nicht mit der Kraft des Mannes gerechnet, oder besser mit der Schwerkraft, denn der getroffene Angreifer wand sich aus Alexis‘ Griff und plumpste auf den Boden. Alexis stand Aglaia direkt gegenüber, die, die Augen geschlossen haltend, den Pflock direkt in seine Richtung stieß. Er wollte schreien...
Aglaia spürte, wie sich das Holz tief in weiches Fleisch bohrte und wie warmes Blut spritzte. Blut dessen Geruch sie kannte... das nicht menschlich war. Sie öffnete die Augen und starrte in die, in die sie schon so oft gesehen hatte.
Der Angreifer lag am Boden, war in sein eigenes Messer gefallen und Alexis fiel auf ihn. Aglaia schrie. Sie konnte nicht mehr aufhören.
Alexis spürte nur noch diesen stechenden heißen Schmerz in seiner Brust. Er brach zusammen. Sein letzter Blick galt seiner Freundin. Er wusste, dass es ein Versehen gewesen war. Ihre Augen drückten unfassbares Entsetzten aus und Angst. Er versuchte zu lächeln und ihr zu sagen, dass er sie liebte. Aber er war zu schwach, seine Sinne schwanden...
Auf dem Boden hatten sich drei große Blutlachen gebildete. Aglaia kniete in einer und weinte bitterlich. Krampfhaft hielt sie Alexis eiskalte Hand, zitterte am ganzen Körper. Sie streichelte fahrig über sein zu einer Maske erstarrtes Gesicht und sah mit ausdruckslosen Augen in das Dunkel. „Alexis... bitte, dass darfst du nicht tun! Lass mich nicht alleine! Mich und Nestor! Ich habe das nicht gewollt! Bitte mach doch die Augen auf... NEEEEEEEEEIN!!!!!“ Ihr einsamer Schrei zeriss die Luft.
Die Zeit verstrich und sie saß nur da und wimmerte.
Der Mond schien unbeeindruckt auf den Toten. Er lag zwischen zwei anderen Leichen. Neben ihm kauerte ein Mädchen. Ihre Schluchzer waren das einzige Geräusch in der kalten Nacht. „Ich liebe dich.“, flüsterte Aglaia ein letztes Mal und stand auf. Ihre Beine waren wackelig, sie strauchelte ein wenig, bemüht nicht hinzufallen. Sie wollte nur noch weg, weg von dem Ort, an dem sie ihren Geliebten getötet hatte. Sie spürte, wie sich der Verschluss der Kette um ihren Hals öffnete und das Kreuz in das Blut um Alexis Körper fiel.
Platsch.
Panisch bückte sie sich, suchte nach ihrem Geschenk. Rot überzog das Metall, verschluckte das Herz in der Mitte. Sie hatte es gefunden und hob es auf. Das getrocknete Blut in ihrer Hand, das auch ihr Kleid und Gesicht bedeckte, mischte sich mit dem auf dem Kreuz. Sie drehte das es um. Las die Inschrift. Immer und immer wieder:
Aglaia et Alexis. Unum signum amoris immortalis. (Octobris, 1650 A.D.)
Sie rannte.
Blut. Rot wie Blut schimmerte der Stein im kühlen Mondlicht, das die gleiche silbrige Farbe hatte, wie das Kreuz, in dem er eingefasst war. Es war ein Rubin, in der Form eines Herzens geschliffen, der in der Mitte eines handtellergroßen Kreuzes aus reinstem Silber prangte, das am Ende einer ebenfalls silbernen Kette baumelte. An jedem der vier Enden des Anhängers war ein blauer tropfenförmiger Stein eingelassen. Blau wie der Himmel an einem schönen Sommertag. Genau diese Farbe hatten die vier Blautopasse und vollendeten dieses kleine Kunstwerk.
Nur schwer konnte das Mädchen den Blick von der Kette in ihrer Hand abwenden. Ihr Gesicht war blass und schmal, ihre Lippen jedoch waren von einem blutigen rot und ihre Augen, die mal braun, mal blau , mal golden, je nach Lichteinfall, schienen, drückten unbändige Freude über das soeben erhaltene Geschenk aus.
„Drehe es mal um, Aglaia!“, wurde sie von einer männlichen Stimme neben ihr aufgefordert. Sie sah den Besitzer der Stimme an. Er mochte wohl um die 21 sein. Sein schwarzes fransiges Haar schien blau im fahlen Licht und sein blasses Gesicht drückte kindliche Freude und Neugier aus. Die braunen Augen waren auf Aglaias Gesicht fixiert, begierig darauf, ihre Reaktion zu erspähen. Erstaunt besah sich das Mädchen die Rückseite des Kreuzes. Einige Sekunden lang blieb es still, während sie ungläubig über die feine Gravur strich. Dann schloss sie die Hand um den Anhänger und fiel dem Mann um den Hals.
„Danke, Alexis!“
„Na ja, ich dachte mir, das wäre mal etwas anderes...“, gab dieser verlegen zurück. Aglaia schob sich ein in kleines Stückchen von ihm zurück und betrachtete das Gesicht ihres Freundes. Ihr Blick blieb an seiner linken Wange hängen. Kurz unter dem Auge zog sich eine etwa 3cm lange schmale Narbe nach unten. Zärtlich fuhr sie diese nach.
„Machst du mir die Kette um?“, fragte sie leise. Alexis nickte. Er nahm den Anhänger und öffnete den Verschluss. Dann hob er die bronzefarbenen Haare, die dem Mädchen bis zu den Schultern reichten, hoch und legte ihr das Geschenk um den Hals.
„Hörst du das auch?“ Langsam wandte Aglaia sich aus Alexis Umarmung und sah ihn fragend an. Doch dann hörte auch sie etwas. Die beiden saßen in einer sternklaren Vollmondnacht am Ufer eines Sees. Um sie herum war keine Menschenseele zu sehen, nur das eisige Schweigen des Waldes um den See umgab sie. Plötzlich vernahm Aglaia ein Knacken im Unterholz. Alarmiert blickten die beiden sich um. Alexis kniff seine Augen zusammen, um den Waldrand genau sehen zu können, was für einen normalen Menschen in dieser Dunkelheit nahezu unmöglich gewesen wäre. Gespannt leckte sich Aglaia den letzten Rest getrockneten Blutes von ihren Lippen. Sie lächelte in die Finsternis hinein und griff nach Alexis Hand. Als er sie näher zu sich heranzog, flüsterte sie: „Eigentlich haben wir ja heute schon gegessen, aber gegen einen kleinen Nachtisch hätte ich nichts einzuwenden, und du?“ Ihre weißen Zähne blitzten auf, als sie ihren Kopf leicht zur Seite wandte und zu Alexis hochschielte. „Na dann gute Jagd!“, zischte er zurück und blickte auf Aglaias Eckzähne, die etwas länger als die übrigen waren...
Wieder ein Geräusch. Alexis spannte sich an und trat ein paar Schritte nach vorne. „Aber lass mir auch noch etwas übrig!“, scherzte das Mädchen. Ein weiteres Knacken aus dem Wald, gefolgt von einem leisen unterdrückten Fluchen. Aglaia schnupperte. Sie konnte es riechen. Ein Mann, nicht mehr allzu weit von ihnen entfernt. Er schwitzte und roch nach Alkohol. Eine schmackhafte Mischung, dachte Aglaia und fuhr sich erneut, völlig in Gedanken versunken, mit der Zunge über die trockenen Lippen.
Gleich darauf tauchte eine gebeugte Gestalt aus der Dunkelheit auf, die sich hastig umsah und schließlich zu Aglaia und Alexis hinüberstarrte. Es war wirklich ein Mann. Er stand etwa 50m von ihnen entfernt. Der Mond warf sein gespenstisches Licht auf die Szene, brach sich auf der Glatze des Fremden und auf dem roten Herz des Kreuzes, das über Aglaias Brust hing. Ihr Gegenüber stieß einen lauten triumphierenden Schrei aus und rannte auf sie zu. Er war klein und leicht untersetzt. Aglaia konnte Alexis amüsiertes Grinsen sehen, als auch er das Schnaufen des Mannes hörte. Überall an seinem Körper schien er Silber zu tragen, wobei das riesige Holzkreuz auf seiner Brust auffiel und er stank sogar auf diese Entfernung schrecklich nach Knoblauch. Alexis verdrehte genervt die Augen. Menschen waren doch so dumm! Sie dachten immer noch, dass sie ihnen damit schaden könnten! Es war wahr, dass sie Knoblauch nicht mochten, aber anhaben konnte er ihnen nichts. „Ich habe plötzlich Durst, mein Schatz. Es wird Zeit, dass sich das ändert!“, raunte er seiner Freundin zu und lachte leise.
Kurz vor ihnen blieb der Mann stehen. Als Aglaia ihn sich näher betrachtete, blieb ihr Blick an seiner rechten Hand haften. Sie schluckte. Ihre Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Der Mann hielt einen mit Silber verkleideten Holzpfahl in der Hand. Ein zweiter steckte in seinem Gürtel.
„Habe ich euch gefunden, ihr Bestien! Aber ihr werdet nicht ungeschoren davonkommen, wie der von euch, der meine geliebte Frau Anna und meine Tochter Marga umgebracht hat! Ich mache euch den Gar aus!“, schrie er in die Nacht hinein, so furchteinflößend, wie nur möglich.
Alexis schüttete sich innerlich aus vor Lachen. Ja ja, diese abergläubischen Menschen in dieser Zeit! Silber! Natürlich hatte er den Familienschmuck geplündert, denn bekanntlicherweise, verbrannte Silber ja seinereins... Das war genauso wahr, wie diese Sache mit dem Knoblauch. Deswegen hatte er Aglaia ja auch eine SILBERkette geschenkt! Und das Kreuz da... Würde auch keinerlei Wirkung zeigen. Kreuze waren schöne Gegenstände... aber solange sie nicht gesegnet und mit irgendwelchen christlichen Sprüchen verziert waren, wären auch sie völlig nutzlos. Und selbst wenn es einen religiösen Hintergrund gehabt hätte, wäre der Erfolg nicht gerade groß gewesen. Denn so alt wie er, Alexis, war, machten ihm diese kleinen Spielereien schon lange nichts mehr aus; genauso wenig wie Aglaia.
Diese entspannte sich. Von dem dort ging keine Gefahr aus. Wahrscheinlich hatte dieser Bauerntölpel im Wirtshaus einen über den Durst getrunken und wollte sich jetzt als den großen Rächer aufspielen. Das Mädchen ließ ihren Blick genüsslich über den Hals des Mannes schweifen. Sie konnte seinen schnellen Herzschlag spüren und hörte regelrecht, wie das Blut in seinen Adern pulsierte. Schönes frisches, warmes Blut. Aber sicher nicht so lecker, wie das des Mädchens heute Nacht.
Sie war auf dem Weg zur Heilerin des Dorfes gewesen. So jung und hübsch... Sie hatte sich gewehrt und geschrien, was die ganze Angelegenheit nur noch reizvoller gemacht hatte. Sobald sie eine Wunde hatte, aus der sie blutete, war in Aglaia die Mordlust erwacht, begleitet von einem ungeheuren Blutdurst. Und Alexis war es nicht anders ergangen. Immerhin hatten sie sie nicht gleich getötet, sozusagen als Dankeschön dafür, dass sie sich so nett gewehrt hatte. Aber nein, sie wollte ja keine von ihnen werden, nicht, wie sie es nannte, mit dem Teufel im Bunde stehen. Na dann....
Aglaia wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Alexis ein rauhes Lachen ausstieß und auf den Mann zu trat. „Tut mir ja leid, Väterchen, aber auch wir müssen leben... und sei es auf Kosten von noch so unschuldigen kleinen Mädchen!“, spottete er und warf Aglaia einen schnellen Seitenblick zu. Sie erwiderte ihn, ihren Mund zu einem Schmunzeln verzogen. Sie kicherte.
Alexis stieß dem Jäger, wie er sich selbst bezeichnete, mit einem Fußtritt den Pflock aus der Hand, der nun auf den Boden fiel und auf Aglaia zu rollte, und war mit zwei Schritten bei ihm. Dieser schien völlig überrumpelt und riss die Augen vor Angst weit auf. Panisch tastete er nach seiner zweiten Waffe, doch als er diese in seinem Gürtel gefunden hatte, legte Alexis seine Hand auf seine. „Immer langsam mit den jungen Pferden!“, mahnte er und zeigte seine gefährlich langen Zähne. Aglaia klatschte begeistert in die Hände und bückte sich nach dem Holzpfahl. Alexis hatte derweil dem Mann den zweiten Pflock aus dem Gürtel gerissen und presste ihm den nun gegen die Brust, während er mit der linken Hand den Mann an der Haaren im Nacken festhielt, so dass dieser sich nicht mehr bewegen konnte. Alexis beugte sein Gesicht zum Hals des Jägers hinunter. „Ein bisschen Alkohol im Blut schmeckt lecker, musst du wissen!“
Aglaia lauschte. Sie hatte soeben ein Geräusch gehört und sah sich nun nach dem Verursacher um. Jetzt konnte sie es hören, einen zweiten menschlichen Pulsschlag - direkt hinter ihr! Sie drehte sich auf dem Absatz um und blickte einem zweiten Angreifer direkt ins Gesicht. Er war jünger und athletischer als der andere, und sein Gesicht war wutverzerrt. Keine Frage, dieser hier war weitaus gefährlicher. „Alexis!“, schrie Aglaia, „hier ist ein zweiter! Ich kümmere mich um ihn!“ Ihre Hand umklammerte die Waffe in ihrer Hand. Es war nicht lange her, dass sie das letzte Mal gekämpft hatte, aber sie war jedesmal aufgeregt.
Alexis hatte Aglaia gehört, sich jedoch nicht umgedreht. Er kannte sie lange und gut genug, um zu wissen, dass sie sich ihrer Haut selbst erwehren konnte, dafür hatte Nestor ausreichend gesorgt. Er würde sich jetzt erst auf diesen Unruhestifter konzentrieren. Der jedoch hatte den kurzen Augenblick Alexis Unaufmerksamkeit schlau genutzt und sich leicht aus dessen Griff befreit und riss sich nun mit einem Schrei los, wobei er mit der Faust nach Alexis‘ Hand mit dem Pfahl schlug. „Jetzt reichts!“ Alexis war aufgebracht. Er schlug dem Mann mit der Faust mitten ins Gesicht. Dieser taumelte, war jedoch noch so geistesgegenwärtig, dass er, bevor auf den Boden fiel, gegen Alexis‘ Schienbein stieß. Alexis heulte vor Wut auf. Töten. Jetzt wollte er nur noch töten. Er schleuderte den Pfahl zur Seite und stürzte sich auf den am Boden Liegenden.
Aglaia beobachtete ihren Gegner genau. Er hatte, soweit sie das beurteilen konnte, keine Waffe, außer dem Dolch, den er in der Hand hielt. Sie hörte das Geschrei hinter ihr. Alexis würde siegen, dessen war sie sich sicher. Sie stimmte ein, ja sie hatte Lust zu kämpfen, Lust auf frisches Blut... Ihr Angreifer zischte und kam auf sie zu. Mit einem Schritt zur Seite wich sie ihm aus und stellte ihm ein Bein. Er strauchelte, konnte aber das Gleichgewicht halten und drehte sich erneut zu ihr um. Der Dolch blitzte auf. Aglaia hob ihren rechten Fuß und kickte dem Mann mitten in seinen ungeschützten Magen. Dann stürzte sie auf ihn zu und schlug ihm das Messer aus der Hand. Er ächzte und sackte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seine Knie. Sie zog ihn mit der linken Hand langsam vom Boden hoch, in der rechten hielt sie noch immer den Pflock. „Komm schon! Sonst wird es langweilig!“
Alexis saß rittlings auf dem Jäger. Dieser keuchte schwerfällig und murmelte Gebete. Mit aller Kraft versuchte er sich zu befreien, doch Alexis lachte nur. Es war ein scheußliches Lachen, bei dem es dem Mann kalt den Rücken hinunterlief. Er hatte doch nur seine Familie rächen wollen und nun musste er einsehen, dass auch er getötet werden würde.
Alexis hatte beide Hände frei und überlegte womit er den Mann außer Gefecht setzten könne. In seiner Wut hatte er den Holzpfahl leichtsinnigerweise weggeschmissen. Er beugte sich zu seinem Opfer hinunter. Während er gierig die Halsschlagader betrachtete, griff er nach dem Holzkreuz, das um den Hals des Jägers hing. Es war zwar nicht spitz, aber Alexis hatte genug Kraft. Zeit zu trinken würde er hinterher noch haben, außerdem wollte er Aglaia helfen. Er riss das Kreuz von der Kette des Opfers los und hob seinen Arm. „Bitte...bitte nicht!“, wimmerte der Mann. Aber Alexis lachte nur schallend auf und rammte das Kreuz mit voller Wucht in das Herz des Jägers.
Aglaia hörte den schmerzhaften Aufschrei des ersten Angreifers hinter sich und das Lachen Alexis‘. Gut, er war unverletzt! Aglaia konzentrierte sich wieder auf ihren Kampf. Der Mann stand vor ihr, hatte seinen Dolch wieder aufgehoben und bedrohte sie nun damit. Sie seufzte. Dass Menschen immer so unvernünftig sein mussten! Sie rammte dem Mann ihren Ellenbogen in den Mangen und wich geschickt seiner Hand, in der er das Messer hielt, aus, als er versuchte sie zu erstechen. Sie hob ihren Arm, kniff jedoch die Augen zusammen, da sie das Mondlicht blendete und stieß mit dem Pflock zu.
Alexis richtete sich auf und drehte sich zu seiner Freundin um. Seine Vermutung, dass sie keine Schwierigkeiten hatte, war richtig gewesen. Langsam ging er auf die beiden Kämpfenden zu. Er sah, wie Aglaia den Mann in den Bauch stieß und schickte sich an, den Unterlegenen an den Schultern festzuhalten, bevor dieser zusammensacken und auf den Boden fallen würde, noch ehe ihn der Holzpfahl getroffen hätte. Doch er hatte nicht mit der Kraft des Mannes gerechnet, oder besser mit der Schwerkraft, denn der getroffene Angreifer wand sich aus Alexis‘ Griff und plumpste auf den Boden. Alexis stand Aglaia direkt gegenüber, die, die Augen geschlossen haltend, den Pflock direkt in seine Richtung stieß. Er wollte schreien...
Aglaia spürte, wie sich das Holz tief in weiches Fleisch bohrte und wie warmes Blut spritzte. Blut dessen Geruch sie kannte... das nicht menschlich war. Sie öffnete die Augen und starrte in die, in die sie schon so oft gesehen hatte.
Der Angreifer lag am Boden, war in sein eigenes Messer gefallen und Alexis fiel auf ihn. Aglaia schrie. Sie konnte nicht mehr aufhören.
Alexis spürte nur noch diesen stechenden heißen Schmerz in seiner Brust. Er brach zusammen. Sein letzter Blick galt seiner Freundin. Er wusste, dass es ein Versehen gewesen war. Ihre Augen drückten unfassbares Entsetzten aus und Angst. Er versuchte zu lächeln und ihr zu sagen, dass er sie liebte. Aber er war zu schwach, seine Sinne schwanden...
Auf dem Boden hatten sich drei große Blutlachen gebildete. Aglaia kniete in einer und weinte bitterlich. Krampfhaft hielt sie Alexis eiskalte Hand, zitterte am ganzen Körper. Sie streichelte fahrig über sein zu einer Maske erstarrtes Gesicht und sah mit ausdruckslosen Augen in das Dunkel. „Alexis... bitte, dass darfst du nicht tun! Lass mich nicht alleine! Mich und Nestor! Ich habe das nicht gewollt! Bitte mach doch die Augen auf... NEEEEEEEEEIN!!!!!“ Ihr einsamer Schrei zeriss die Luft.
Die Zeit verstrich und sie saß nur da und wimmerte.
Der Mond schien unbeeindruckt auf den Toten. Er lag zwischen zwei anderen Leichen. Neben ihm kauerte ein Mädchen. Ihre Schluchzer waren das einzige Geräusch in der kalten Nacht. „Ich liebe dich.“, flüsterte Aglaia ein letztes Mal und stand auf. Ihre Beine waren wackelig, sie strauchelte ein wenig, bemüht nicht hinzufallen. Sie wollte nur noch weg, weg von dem Ort, an dem sie ihren Geliebten getötet hatte. Sie spürte, wie sich der Verschluss der Kette um ihren Hals öffnete und das Kreuz in das Blut um Alexis Körper fiel.
Platsch.
Panisch bückte sie sich, suchte nach ihrem Geschenk. Rot überzog das Metall, verschluckte das Herz in der Mitte. Sie hatte es gefunden und hob es auf. Das getrocknete Blut in ihrer Hand, das auch ihr Kleid und Gesicht bedeckte, mischte sich mit dem auf dem Kreuz. Sie drehte das es um. Las die Inschrift. Immer und immer wieder:
Aglaia et Alexis. Unum signum amoris immortalis. (Octobris, 1650 A.D.)
Sie rannte.