(F) Aglaia

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Charlene

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Das ist der Prolog zu einer längeren Geschichte, an der ich gerade gerade schreibe. Da ich mal wissen wollte, was andere davon so halten und die Meinung meiner Mutter (ich bin 15 und da meine Freunde sich nicht für das Genre interessieren, bleibt nur meine Ma *g*) nicht gerade objektiv ist, dachte ich, ich poste es mal hier ^.^ Na dann viel Spaß beim Lesen, ich würde mich über (konstruktive) Kritik freuen!


Blut. Rot wie Blut schimmerte der Stein im kühlen Mondlicht, das die gleiche silbrige Farbe hatte, wie das Kreuz, in dem er eingefasst war. Es war ein Rubin, in der Form eines Herzens geschliffen, der in der Mitte eines handtellergroßen Kreuzes aus reinstem Silber prangte, das am Ende einer ebenfalls silbernen Kette baumelte. An jedem der vier Enden des Anhängers war ein blauer tropfenförmiger Stein eingelassen. Blau wie der Himmel an einem schönen Sommertag. Genau diese Farbe hatten die vier Blautopasse und vollendeten dieses kleine Kunstwerk.
Nur schwer konnte das Mädchen den Blick von der Kette in ihrer Hand abwenden. Ihr Gesicht war blass und schmal, ihre Lippen jedoch waren von einem blutigen rot und ihre Augen, die mal braun, mal blau , mal golden, je nach Lichteinfall, schienen, drückten unbändige Freude über das soeben erhaltene Geschenk aus.
„Drehe es mal um, Aglaia!“, wurde sie von einer männlichen Stimme neben ihr aufgefordert. Sie sah den Besitzer der Stimme an. Er mochte wohl um die 21 sein. Sein schwarzes fransiges Haar schien blau im fahlen Licht und sein blasses Gesicht drückte kindliche Freude und Neugier aus. Die braunen Augen waren auf Aglaias Gesicht fixiert, begierig darauf, ihre Reaktion zu erspähen. Erstaunt besah sich das Mädchen die Rückseite des Kreuzes. Einige Sekunden lang blieb es still, während sie ungläubig über die feine Gravur strich. Dann schloss sie die Hand um den Anhänger und fiel dem Mann um den Hals.
„Danke, Alexis!“
„Na ja, ich dachte mir, das wäre mal etwas anderes...“, gab dieser verlegen zurück. Aglaia schob sich ein in kleines Stückchen von ihm zurück und betrachtete das Gesicht ihres Freundes. Ihr Blick blieb an seiner linken Wange hängen. Kurz unter dem Auge zog sich eine etwa 3cm lange schmale Narbe nach unten. Zärtlich fuhr sie diese nach.
„Machst du mir die Kette um?“, fragte sie leise. Alexis nickte. Er nahm den Anhänger und öffnete den Verschluss. Dann hob er die bronzefarbenen Haare, die dem Mädchen bis zu den Schultern reichten, hoch und legte ihr das Geschenk um den Hals.

„Hörst du das auch?“ Langsam wandte Aglaia sich aus Alexis Umarmung und sah ihn fragend an. Doch dann hörte auch sie etwas. Die beiden saßen in einer sternklaren Vollmondnacht am Ufer eines Sees. Um sie herum war keine Menschenseele zu sehen, nur das eisige Schweigen des Waldes um den See umgab sie. Plötzlich vernahm Aglaia ein Knacken im Unterholz. Alarmiert blickten die beiden sich um. Alexis kniff seine Augen zusammen, um den Waldrand genau sehen zu können, was für einen normalen Menschen in dieser Dunkelheit nahezu unmöglich gewesen wäre. Gespannt leckte sich Aglaia den letzten Rest getrockneten Blutes von ihren Lippen. Sie lächelte in die Finsternis hinein und griff nach Alexis Hand. Als er sie näher zu sich heranzog, flüsterte sie: „Eigentlich haben wir ja heute schon gegessen, aber gegen einen kleinen Nachtisch hätte ich nichts einzuwenden, und du?“ Ihre weißen Zähne blitzten auf, als sie ihren Kopf leicht zur Seite wandte und zu Alexis hochschielte. „Na dann gute Jagd!“, zischte er zurück und blickte auf Aglaias Eckzähne, die etwas länger als die übrigen waren...
Wieder ein Geräusch. Alexis spannte sich an und trat ein paar Schritte nach vorne. „Aber lass mir auch noch etwas übrig!“, scherzte das Mädchen. Ein weiteres Knacken aus dem Wald, gefolgt von einem leisen unterdrückten Fluchen. Aglaia schnupperte. Sie konnte es riechen. Ein Mann, nicht mehr allzu weit von ihnen entfernt. Er schwitzte und roch nach Alkohol. Eine schmackhafte Mischung, dachte Aglaia und fuhr sich erneut, völlig in Gedanken versunken, mit der Zunge über die trockenen Lippen.
Gleich darauf tauchte eine gebeugte Gestalt aus der Dunkelheit auf, die sich hastig umsah und schließlich zu Aglaia und Alexis hinüberstarrte. Es war wirklich ein Mann. Er stand etwa 50m von ihnen entfernt. Der Mond warf sein gespenstisches Licht auf die Szene, brach sich auf der Glatze des Fremden und auf dem roten Herz des Kreuzes, das über Aglaias Brust hing. Ihr Gegenüber stieß einen lauten triumphierenden Schrei aus und rannte auf sie zu. Er war klein und leicht untersetzt. Aglaia konnte Alexis amüsiertes Grinsen sehen, als auch er das Schnaufen des Mannes hörte. Überall an seinem Körper schien er Silber zu tragen, wobei das riesige Holzkreuz auf seiner Brust auffiel und er stank sogar auf diese Entfernung schrecklich nach Knoblauch. Alexis verdrehte genervt die Augen. Menschen waren doch so dumm! Sie dachten immer noch, dass sie ihnen damit schaden könnten! Es war wahr, dass sie Knoblauch nicht mochten, aber anhaben konnte er ihnen nichts. „Ich habe plötzlich Durst, mein Schatz. Es wird Zeit, dass sich das ändert!“, raunte er seiner Freundin zu und lachte leise.
Kurz vor ihnen blieb der Mann stehen. Als Aglaia ihn sich näher betrachtete, blieb ihr Blick an seiner rechten Hand haften. Sie schluckte. Ihre Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Der Mann hielt einen mit Silber verkleideten Holzpfahl in der Hand. Ein zweiter steckte in seinem Gürtel.
„Habe ich euch gefunden, ihr Bestien! Aber ihr werdet nicht ungeschoren davonkommen, wie der von euch, der meine geliebte Frau Anna und meine Tochter Marga umgebracht hat! Ich mache euch den Gar aus!“, schrie er in die Nacht hinein, so furchteinflößend, wie nur möglich.
Alexis schüttete sich innerlich aus vor Lachen. Ja ja, diese abergläubischen Menschen in dieser Zeit! Silber! Natürlich hatte er den Familienschmuck geplündert, denn bekanntlicherweise, verbrannte Silber ja seinereins... Das war genauso wahr, wie diese Sache mit dem Knoblauch. Deswegen hatte er Aglaia ja auch eine SILBERkette geschenkt! Und das Kreuz da... Würde auch keinerlei Wirkung zeigen. Kreuze waren schöne Gegenstände... aber solange sie nicht gesegnet und mit irgendwelchen christlichen Sprüchen verziert waren, wären auch sie völlig nutzlos. Und selbst wenn es einen religiösen Hintergrund gehabt hätte, wäre der Erfolg nicht gerade groß gewesen. Denn so alt wie er, Alexis, war, machten ihm diese kleinen Spielereien schon lange nichts mehr aus; genauso wenig wie Aglaia.
Diese entspannte sich. Von dem dort ging keine Gefahr aus. Wahrscheinlich hatte dieser Bauerntölpel im Wirtshaus einen über den Durst getrunken und wollte sich jetzt als den großen Rächer aufspielen. Das Mädchen ließ ihren Blick genüsslich über den Hals des Mannes schweifen. Sie konnte seinen schnellen Herzschlag spüren und hörte regelrecht, wie das Blut in seinen Adern pulsierte. Schönes frisches, warmes Blut. Aber sicher nicht so lecker, wie das des Mädchens heute Nacht.
Sie war auf dem Weg zur Heilerin des Dorfes gewesen. So jung und hübsch... Sie hatte sich gewehrt und geschrien, was die ganze Angelegenheit nur noch reizvoller gemacht hatte. Sobald sie eine Wunde hatte, aus der sie blutete, war in Aglaia die Mordlust erwacht, begleitet von einem ungeheuren Blutdurst. Und Alexis war es nicht anders ergangen. Immerhin hatten sie sie nicht gleich getötet, sozusagen als Dankeschön dafür, dass sie sich so nett gewehrt hatte. Aber nein, sie wollte ja keine von ihnen werden, nicht, wie sie es nannte, mit dem Teufel im Bunde stehen. Na dann....
Aglaia wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Alexis ein rauhes Lachen ausstieß und auf den Mann zu trat. „Tut mir ja leid, Väterchen, aber auch wir müssen leben... und sei es auf Kosten von noch so unschuldigen kleinen Mädchen!“, spottete er und warf Aglaia einen schnellen Seitenblick zu. Sie erwiderte ihn, ihren Mund zu einem Schmunzeln verzogen. Sie kicherte.

Alexis stieß dem Jäger, wie er sich selbst bezeichnete, mit einem Fußtritt den Pflock aus der Hand, der nun auf den Boden fiel und auf Aglaia zu rollte, und war mit zwei Schritten bei ihm. Dieser schien völlig überrumpelt und riss die Augen vor Angst weit auf. Panisch tastete er nach seiner zweiten Waffe, doch als er diese in seinem Gürtel gefunden hatte, legte Alexis seine Hand auf seine. „Immer langsam mit den jungen Pferden!“, mahnte er und zeigte seine gefährlich langen Zähne. Aglaia klatschte begeistert in die Hände und bückte sich nach dem Holzpfahl. Alexis hatte derweil dem Mann den zweiten Pflock aus dem Gürtel gerissen und presste ihm den nun gegen die Brust, während er mit der linken Hand den Mann an der Haaren im Nacken festhielt, so dass dieser sich nicht mehr bewegen konnte. Alexis beugte sein Gesicht zum Hals des Jägers hinunter. „Ein bisschen Alkohol im Blut schmeckt lecker, musst du wissen!“
Aglaia lauschte. Sie hatte soeben ein Geräusch gehört und sah sich nun nach dem Verursacher um. Jetzt konnte sie es hören, einen zweiten menschlichen Pulsschlag - direkt hinter ihr! Sie drehte sich auf dem Absatz um und blickte einem zweiten Angreifer direkt ins Gesicht. Er war jünger und athletischer als der andere, und sein Gesicht war wutverzerrt. Keine Frage, dieser hier war weitaus gefährlicher. „Alexis!“, schrie Aglaia, „hier ist ein zweiter! Ich kümmere mich um ihn!“ Ihre Hand umklammerte die Waffe in ihrer Hand. Es war nicht lange her, dass sie das letzte Mal gekämpft hatte, aber sie war jedesmal aufgeregt.
Alexis hatte Aglaia gehört, sich jedoch nicht umgedreht. Er kannte sie lange und gut genug, um zu wissen, dass sie sich ihrer Haut selbst erwehren konnte, dafür hatte Nestor ausreichend gesorgt. Er würde sich jetzt erst auf diesen Unruhestifter konzentrieren. Der jedoch hatte den kurzen Augenblick Alexis Unaufmerksamkeit schlau genutzt und sich leicht aus dessen Griff befreit und riss sich nun mit einem Schrei los, wobei er mit der Faust nach Alexis‘ Hand mit dem Pfahl schlug. „Jetzt reichts!“ Alexis war aufgebracht. Er schlug dem Mann mit der Faust mitten ins Gesicht. Dieser taumelte, war jedoch noch so geistesgegenwärtig, dass er, bevor auf den Boden fiel, gegen Alexis‘ Schienbein stieß. Alexis heulte vor Wut auf. Töten. Jetzt wollte er nur noch töten. Er schleuderte den Pfahl zur Seite und stürzte sich auf den am Boden Liegenden.
Aglaia beobachtete ihren Gegner genau. Er hatte, soweit sie das beurteilen konnte, keine Waffe, außer dem Dolch, den er in der Hand hielt. Sie hörte das Geschrei hinter ihr. Alexis würde siegen, dessen war sie sich sicher. Sie stimmte ein, ja sie hatte Lust zu kämpfen, Lust auf frisches Blut... Ihr Angreifer zischte und kam auf sie zu. Mit einem Schritt zur Seite wich sie ihm aus und stellte ihm ein Bein. Er strauchelte, konnte aber das Gleichgewicht halten und drehte sich erneut zu ihr um. Der Dolch blitzte auf. Aglaia hob ihren rechten Fuß und kickte dem Mann mitten in seinen ungeschützten Magen. Dann stürzte sie auf ihn zu und schlug ihm das Messer aus der Hand. Er ächzte und sackte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seine Knie. Sie zog ihn mit der linken Hand langsam vom Boden hoch, in der rechten hielt sie noch immer den Pflock. „Komm schon! Sonst wird es langweilig!“
Alexis saß rittlings auf dem Jäger. Dieser keuchte schwerfällig und murmelte Gebete. Mit aller Kraft versuchte er sich zu befreien, doch Alexis lachte nur. Es war ein scheußliches Lachen, bei dem es dem Mann kalt den Rücken hinunterlief. Er hatte doch nur seine Familie rächen wollen und nun musste er einsehen, dass auch er getötet werden würde.
Alexis hatte beide Hände frei und überlegte womit er den Mann außer Gefecht setzten könne. In seiner Wut hatte er den Holzpfahl leichtsinnigerweise weggeschmissen. Er beugte sich zu seinem Opfer hinunter. Während er gierig die Halsschlagader betrachtete, griff er nach dem Holzkreuz, das um den Hals des Jägers hing. Es war zwar nicht spitz, aber Alexis hatte genug Kraft. Zeit zu trinken würde er hinterher noch haben, außerdem wollte er Aglaia helfen. Er riss das Kreuz von der Kette des Opfers los und hob seinen Arm. „Bitte...bitte nicht!“, wimmerte der Mann. Aber Alexis lachte nur schallend auf und rammte das Kreuz mit voller Wucht in das Herz des Jägers.
Aglaia hörte den schmerzhaften Aufschrei des ersten Angreifers hinter sich und das Lachen Alexis‘. Gut, er war unverletzt! Aglaia konzentrierte sich wieder auf ihren Kampf. Der Mann stand vor ihr, hatte seinen Dolch wieder aufgehoben und bedrohte sie nun damit. Sie seufzte. Dass Menschen immer so unvernünftig sein mussten! Sie rammte dem Mann ihren Ellenbogen in den Mangen und wich geschickt seiner Hand, in der er das Messer hielt, aus, als er versuchte sie zu erstechen. Sie hob ihren Arm, kniff jedoch die Augen zusammen, da sie das Mondlicht blendete und stieß mit dem Pflock zu.
Alexis richtete sich auf und drehte sich zu seiner Freundin um. Seine Vermutung, dass sie keine Schwierigkeiten hatte, war richtig gewesen. Langsam ging er auf die beiden Kämpfenden zu. Er sah, wie Aglaia den Mann in den Bauch stieß und schickte sich an, den Unterlegenen an den Schultern festzuhalten, bevor dieser zusammensacken und auf den Boden fallen würde, noch ehe ihn der Holzpfahl getroffen hätte. Doch er hatte nicht mit der Kraft des Mannes gerechnet, oder besser mit der Schwerkraft, denn der getroffene Angreifer wand sich aus Alexis‘ Griff und plumpste auf den Boden. Alexis stand Aglaia direkt gegenüber, die, die Augen geschlossen haltend, den Pflock direkt in seine Richtung stieß. Er wollte schreien...
Aglaia spürte, wie sich das Holz tief in weiches Fleisch bohrte und wie warmes Blut spritzte. Blut dessen Geruch sie kannte... das nicht menschlich war. Sie öffnete die Augen und starrte in die, in die sie schon so oft gesehen hatte.
Der Angreifer lag am Boden, war in sein eigenes Messer gefallen und Alexis fiel auf ihn. Aglaia schrie. Sie konnte nicht mehr aufhören.
Alexis spürte nur noch diesen stechenden heißen Schmerz in seiner Brust. Er brach zusammen. Sein letzter Blick galt seiner Freundin. Er wusste, dass es ein Versehen gewesen war. Ihre Augen drückten unfassbares Entsetzten aus und Angst. Er versuchte zu lächeln und ihr zu sagen, dass er sie liebte. Aber er war zu schwach, seine Sinne schwanden...

Auf dem Boden hatten sich drei große Blutlachen gebildete. Aglaia kniete in einer und weinte bitterlich. Krampfhaft hielt sie Alexis eiskalte Hand, zitterte am ganzen Körper. Sie streichelte fahrig über sein zu einer Maske erstarrtes Gesicht und sah mit ausdruckslosen Augen in das Dunkel. „Alexis... bitte, dass darfst du nicht tun! Lass mich nicht alleine! Mich und Nestor! Ich habe das nicht gewollt! Bitte mach doch die Augen auf... NEEEEEEEEEIN!!!!!“ Ihr einsamer Schrei zeriss die Luft.
Die Zeit verstrich und sie saß nur da und wimmerte.
Der Mond schien unbeeindruckt auf den Toten. Er lag zwischen zwei anderen Leichen. Neben ihm kauerte ein Mädchen. Ihre Schluchzer waren das einzige Geräusch in der kalten Nacht. „Ich liebe dich.“, flüsterte Aglaia ein letztes Mal und stand auf. Ihre Beine waren wackelig, sie strauchelte ein wenig, bemüht nicht hinzufallen. Sie wollte nur noch weg, weg von dem Ort, an dem sie ihren Geliebten getötet hatte. Sie spürte, wie sich der Verschluss der Kette um ihren Hals öffnete und das Kreuz in das Blut um Alexis Körper fiel.
Platsch.
Panisch bückte sie sich, suchte nach ihrem Geschenk. Rot überzog das Metall, verschluckte das Herz in der Mitte. Sie hatte es gefunden und hob es auf. Das getrocknete Blut in ihrer Hand, das auch ihr Kleid und Gesicht bedeckte, mischte sich mit dem auf dem Kreuz. Sie drehte das es um. Las die Inschrift. Immer und immer wieder:

Aglaia et Alexis. Unum signum amoris immortalis. (Octobris, 1650 A.D.)

Sie rannte.
 

jon

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Teammitglied
Respekt, Respekt!

Ich mag zwar Kampf-Geschichten nicht besodners – weshalb ich hier wohl auch immer wieder ins "Rüberhuschen" abglitt beim Lesen, aber der Text scheint mir nach zweimal Überlesen stimmig und nicht unnötig mit (Selbstzweck-)Action beladen.
Der Stil jedenfalls überzeugt und selbst die Details, die noch zu ändern sind, schränken die Wirkung des Textes nicht wirklich ein.

Am wichtigsten scheint mir, den Anfang zu straffen. Im Moment liest er sich so, als würde das Schmuckstück gar nicht als Ganzes da sein, sondern sich irgendwie stückweise materialisieren. Wenn Aglaia z.B. weiß, dass es Blautopase sind, dann dürfen sie es auch in dem Moment sein, in dem Aglaia sie sieht. Oder: Erst ist es "nur" die SILBRIGE Farbe, dann stellt sich heraus, dass es echtes SILBER ist. Außerdem geht die Beschreibung immer ein bisschen im ZickZack und benutzt zu viele inhaltliche Wiederholungen – sie geht (inhaltlich) so: Roter Stein – silbriges Licht – silbriges Kreuz – Rubin (= roter Stein) – Herzform – Silberkreuz – Silberkette. Vier blaue Steine – TropfenForm – Himmelblau – vier Blautopase (=blaue Steine).


„Er mochte wohl um die 21 sein.“
* Erstens: „Um die zwanzig“ ist besser – wer kann schon wirklich unterscheiden, ob der Mann 20 oder 21 oder 19 ist! („um die 21“ ist wie: „Das Stück Wurst wiegt ungefähr 23, 56 Gramm.")
* Zweitens: Wer sagt: „Er mochte wohl so und so alt sein“? Noch ist nur Aglaia da und die WEIß, dass Alexis viel älter ist. Auch der (allwissende) Erzähler weiß es. Besser wäre etwas wie: "Er wirkte jung."

Wenn Aglaia UNGLÄUBIG auf die Gravur schaut, wäre nett zu erfahren, was daran so unglaubwürdig ist. (PS: Vorsicht mit Fremdsprachen! Auch wenn es {westdeutschen} {heutigen} Gymnasiasten unglaubwürdig erscheint: Nicht jeder kann Latein.)

" … eine etwa 3cm lange … "
* In (Prosa)Texten NIE Abkürzungen (wie cm, qm, d.h. oder etc.) – besonders Prosa wird so geschrieben, wie "man spricht". Man darf also „NASA“ schreiben, aber nicht „u. n. v. a." („und noch viele andere“). (Ausnahme: Es wir ein Text-Dokument "abgebildet".)
* In ProsaTexten "nie" Ziffern. Ausnahme: Die Zahl wird ausgeschrieben zu unübersichtlich (fünfhundertdreiundneunzigtausendachthundertfünfundvierzig) (Ausnahme: "Text-Dokument") Faustregel: Zahlen bis zwölf und alle "runden" Zahlen (20, 30, 40… 100, 200,…1000 etc.) IMMER, alle anderen, wenn es irgend vertretbar ist, in Buchstaben schreiben.

„…„Hörst du das auch?“ Langsam wandte Aglaia sich aus Alexis Umarmung und sah ihn fragend an. Doch dann hörte auch sie etwas. Die beiden saßen in einer sternklaren Vollmondnacht am Ufer eines Sees. Um sie herum war keine Menschenseele zu sehen, nur das eisige Schweigen des Waldes um den See umgab sie. Plötzlich vernahm Aglaia ein Knacken im Unterholz. Alarmiert blickten die beiden sich um.…"
Also das funktioniert nicht richtig: Hier wird die Erklärung, warum das Geräusch so auffällt, zu offensichtlich „nachgreicht“. Die Lesekette sieht so aus: "Horch!" – sie hört was – es ist still rundrum – kein Mensch – eisiges Schwiegen – PLÖTZLICH Knacken. Eigentlich knackt es doch erst und dann hört sie was – bei dir ist es genau umgekehrt und dazwischen ist auch noch (lesetechnisch recht lang) erklärt, wie still es ist. Besser: "Algaia schmiegte sich in Alexis Arme. Es war still um sie herum. Lautlos funkelten die Sterne über ihnen, spiegelten sich im See, von dem eine eisige Kühle aufzusteigen schien.
"Hörst du das auch?", fragte Alexis und lauschte.
Algaia löste sich aus seiner Umarmung. "Was?"
Ein Knacken im Unterholz ließ sie herumfahren…"

„ …etwa 50m … "
(siehe oben)

„…„Habe ich euch gefunden, ihr Bestien! Aber ihr werdet nicht ungeschoren davonkommen, wie der von euch, der meine geliebte Frau Anna und meine Tochter Marga umgebracht hat! Ich mache euch den Gar aus!“, schrie er in die Nacht hinein, so furchteinflößend, wie nur möglich.…"
* Der Mann ist aufgebracht – der schraubt bestimmt nicht solche Sätze. Besser: "Ihr werdet icht ungeschoren davonkommen, ihr nicht! Ihr werdet für den Tod meiner Frau und meiner Tochter bezahlen!" (Mehr braucht der Leser an der Stelle auch nicht zu wissen - dass er die beiden liebte, davon darf man angesichts dieser Wut getrost ausgehen, und wie sie hießen, ist {hier} unerheblich.)
* Es gibt keinen Gar, den man ausmachen könnte. Es heißt: „Jemandem den garaus machen.“
* "…so Furcht einflößend wie nur möglich…" suggierert, dass der Mann sich vorgenommen hat, so Furcht einflößend wie nur möglich zu schreien. Ich vermute aber, er ist einfach nur wütend.
* Wem will er Furcht einflößen? Vampiren? Glaubt der wirklich, die sind durch Schreien zu beeindrucken??

„… Das war genauso wahr, wie diese Sache mit dem Knoblauch. Deswegen hatte er Aglaia ja auch eine SILBERkette geschenkt! … “
* Hatte er es wirklich DESWEGEN getan? Sie schien die amüsante Anspielung aber nicht verstanden zu haben…
* In Prosatexten NIE in Versalien (Großbuchstaben), kursiv oder fett schreiben. Wenn der Text diese optische Hilfe braucht, dann ist was faul am Text.

„… Und selbst wenn es einen religiösen Hintergrund gehabt hätte, wäre der Erfolg nicht gerade groß gewesen. Denn so alt wie er, Alexis, war, machten ihm diese kleinen Spielereien schon lange nichts mehr aus …"
Ich kenn mich zwar nicht aus mit Vampiren, aber den Fantasy-Regeln zu folge wirkt ein Mittel gegen Vampire (oder jedwede andere Fantasy-Spezies) oder es wirkt nicht. Was nicht bedeutet, dass es radikal wirken muss – aber wenn es schwach wirkt, dann wirkt es höchstens bei diesem Vampir schwächer als bei jenem, beim selben Vampir aber wirkt es immer gleich kräftig/schwach. Vampire sind nämlich nicht nur einfach untot und unsterblich, sie sind auch "ewig" in (im Prinzip) ALL ihren Eigenschaften - das heißt, sowas wie Immunisierung gibt es nicht.

„…Alexis stieß dem Jäger, wie er sich selbst bezeichnete,…"
Wann hat er denn das getan?

„… „Alexis!“, schrie Aglaia, „hier ist ein zweiter! Ich kümmere mich um ihn!“ …"
Einen Schrei finde ich hier übertrieben. Zumal Aglaia nicht wirklich erschrocken war (höchtens überrascht) und auch nicht (im ersten Moment) nach Hilfe schrie. Ich glaube, es reicht, wenn sie es ruft.

" … Ihre Hand umklammerte die Waffe in ihrer Hand. … "
Hässliche Dopplung.

„… Der jedoch hatte den kurzen Augenblick Alexis Unaufmerksamkeit schlau genutzt und sich leicht aus dessen Griff befreit und riss sich nun mit einem Schrei los, … "
* Das ist etwas überzeichnet: Der Mann ist nicht mehr nüchtern – er hat wohl kaum schlau (also mit Plan) gehandelt. Und dass er sich befreit, reicht aus – er muss es nicht auch noch leicht tun. Auch der Schrei spricht weder für schlau (überlegt) noch für leicht – sondern eher wie ein plötzlicher verzweifelter Kraftakt.

Du wechselst oft den Erzähl-Standpunkt – das ist riskant und "entgleist" dann auch tatsächlich ins Nicht- Mehr-Organische an der Stelle, an dem pötzlich der Mann denkt: „Mit aller Kraft versuchte er sich zu befreien, doch Alexis lachte nur. Es war ein scheußliches Lachen, bei dem es dem Mann kalt den Rücken hinunterlief. Er hatte doch nur seine Familie rächen wollen und nun musste er einsehen, dass auch er getötet werden würde.“

„… Alexis hatte beide Hände frei und überlegte womit er den Mann außer Gefecht setzten könne.… "
Vorschlag auf die Schnelle: Erwürgen! Schließlich hat er beide Hände frei – ist doch ideal!

„…In seiner Wut hatte er den Holzpfahl leichtsinnigerweise weggeschmissen.…“
* Wenn man etwas in Wut tut, ist es meist leichtsinig.
* „Weggeworfen" klingt dem übrigen Text angemessener.

„… Es war zwar nicht spitz, aber Alexis hatte genug Kraft.…"
Was hat das Nicht-Spitz-Sein des Kreuzes mit Alexis' Kraft zu tun? Ich weiß: Es wird ein paar Sätze später erklärt, aber die Frage entsteht schon hier und lässt stolpern. (Ich würde den Satz ersatzlos streichen.)

„…Sie rammte dem Mann ihren Ellenbogen in den Mangen und wich geschickt seiner Hand, in der er das Messer hielt, aus, als er versuchte sie zu erstechen. Sie hob ihren Arm, kniff jedoch die Augen zusammen, da sie das Mondlicht blendete und stieß mit dem Pflock zu.…"
Hier schrauben die Sätze ein bisschen. Besser: „…Sie rammte dem Mann ihren Ellenbogen in den Mangen und wich geschickt seiner Hand, in der er das Messer hielt, aus. Sie hob den Pflock. Das Mondlicht blendete plötzlich, Aglaia schloss die Augen. Dann stieß sie zu.…"

„…Er sah, wie Aglaia den Mann in den Bauch stieß und schickte sich an, den Unterlegenen an den Schultern festzuhalten, bevor dieser zusammensacken und auf den Boden fallen würde, noch ehe ihn der Holzpfahl getroffen hätte. …"
Es schraubt ein wenig. Besser: „…Er sah, wie Aglaia den Mann in den Bauch stieß und schickte sich an, den Unterlegenen an den Schultern festzuhalten, bevor er in sich zusammensacken und so Aglaias Stoß entgehen würde. …"

„… Doch er hatte nicht mit der Kraft des Mannes gerechnet, oder besser mit der Schwerkraft, denn der getroffene Angreifer wand sich aus Alexis‘ Griff und plumpste auf den Boden.…“
Entweder er hat die Kraft unterschätzt, mit der das Opfer sich ihm entwandt, oder er hatte nicht mit der Schwerkraft gerechnet, die ihm den schlappen Körper entgleiten ließ.

„… Alexis stand Aglaia direkt gegenüber, die, die Augen geschlossen haltend, den Pflock direkt in seine Richtung stieß. Er wollte schreien...
Aglaia spürte, wie sich das Holz tief in weiches Fleisch bohrte und wie warmes Blut spritzte. Blut dessen Geruch sie kannte... das nicht menschlich war. Sie öffnete die Augen und starrte in die, in die sie schon so oft gesehen hatte.
Der Angreifer lag am Boden, war in sein eigenes Messer gefallen und Alexis fiel auf ihn. Aglaia schrie. Sie konnte nicht mehr aufhören.
Alexis spürte nur noch diesen stechenden heißen Schmerz in seiner Brust. Er brach zusammen. Sein letzter Blick galt seiner Freundin. Er wusste, dass es ein Versehen gewesen war. Ihre Augen drückten unfassbares Entsetzten aus und Angst. Er versuchte zu lächeln und ihr zu sagen, dass er sie liebte. Aber er war zu schwach, seine Sinne schwanden…"
Diese Lese-Reihung ist ungünstig: Erst schreit Aglaia und dann stirbt Alexis. Außerdem wissen wir selbst, dass es ein Versehen war und dass er sie liebte – das muss nicht gesagt werden, die Tragik greift auch so. Besser (?): „ Alexis stand Aglaia direkt gegenüber. Sie hielt die Augen noch immer geschlossen, hatte den Pflock erhoben, stieß zu. Er wollte schreien, spürte diesen stechenden heißen Schmerz in seiner Brust, sah Aglaia die Augen öffnen und erstarren. Dann brach er zusammen.
Aglaia spürte, wie sich das Holz tief in weiches Fleisch bohrte und wie warmes Blut spritzte. Blut dessen Geruch sie kannte. Das nicht menschlich war. Sie öffnete die Augen, sah Alexis, sah den Angreifer in sein eigens Messer gefallen und wie Alexis über im zusammenbrach. Da erst begriff sie. Und Aglaia schrie."

„ …Aglaia … weinte bitterlich.…"
Autsch! So ein kitschiges Wort in einem so tollen Text!
Ich würde ohnehin mit dem schon getanen Schrei Aglaias für den Moment enden. Man kann dann mit einem „Später" wieder einsteigen, etwa so: "Später, Aglaia hatte jedes Zeitgefühl verloren, drang ein Geruch in ihr Bewusstsein. Der Geruch kalten Blutes. In dem sie kniete. Es schimmerte im Licht des kalten Mondes und rahmte Alexis' Körper, rahmte sein bleiches Gesicht. „Ich liebe dich.“, flüsterte Aglaia ein letztes Mal und stand auf. …"

Uff! Das war lang! Aber dafür hab ich auch so ziemlich alles rausgepuhlt, was überhaupt zu bemerken war (, bis auf ein paar ganz wenige Rechtschreibdetails). Summa summarum: Ein sehr guter Text, der mit ein paar Handgriffen zu perfektionieren sein dürfte.
 

Charlene

Mitglied
Danke für die Kommentare und Kritik! Ich werde mir den Text noch einmal vornehmen und schauen, was ich verbessern kann. ^.^

Charlene
 
Ich mag diesen sehr natürlichen, "ungestelzten" Stil... wer ihn so selbstverständlich beherrscht wie du kann sich glücklich schätzen. Natürlich hat deine Geschichte noch einige Fehler, aber das hat jede, aber auch wirklich jede andere auch (egal, wieviele Lektoren sich daran vergehen mögen). Ich nehme darüber hinaus auch einfach mal an, dass du Fan von "Buffy" bist...? ;)
Wie auch immer: Bewahre dir deinen Stil! Lese dir die Anregungen und Anmerkungen durch, aber nimm dir nicht jede zu Herzen, denn wichtig ist, dass deine Schreibweise nicht von anderen normiert wird, sondern du dein eigenes Ding findest. Sei stur und dickköpfig, wenn du meinst, es müsste sein (wobei dir auch durchaus gestattet sei, die Grenzen der Obejktivität bisweilen zu deinen Gunsten auszulegen). Sprache ist immer Wandel, Geschichten sind immer Fantasie, Schreiben ist immer auch Erfahrungssache.
 



 
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