"Da müssen Sie unbedingt mal was machen..."

4,00 Stern(e) 6 Bewertungen

Marc Hecht

Mitglied
Da müssen Sie unbedingt mal was machen!

Ich gehe selten auf Parties, sehr selten - als Journalist ist das schwierig.
Die reine Lehre wäre: Man geht überhaupt nicht auf Parties, als Journalist. Gar nicht.
Es ist im Grunde immer das Gleiche: Man plaudert, lernt sich kennen - doch irgendwann kommt die Frage:
„Und was machen Sie so, ... beruflich?"
„Ich bin Journalist."
„Is wahr? ... Is ja doll!"
So geht’s los. Und dann folgen die Unanehmlichkeiten, auf Parties haben die Gäste immer gerade eine Story dabei, meist sogar eine Topstory.
Es sind dann Geschichten von Verwandten oder Bekannten, die gerade Ärger haben:
Willi, also das is’ mein Schwager, wissen Se, der will ne Kneipe aufmachen, zusammen mit zwei Kumpels.
„Verstehe."
"Ja, und nun sollen sie plötzlich noch einen Fahrradständer aufstellen, sonst kriegen sie keine Genehmigung! Einen Fahrradständer! Sowas muss man sich mal vorstellen!"
„Das gibt es doch gar nicht!", wird man höflich beisteuern und die Telefonnummer von Willi notieren.
"Ich sag`’ Willi gleich morgen Bescheid, dass Sie vorbeikommen... Scheiß-Bürokratie - werfen einem immer nur Knüppel zwischen die Beine... da müssen Sie unbedingt mal was machen..."!
Beliebt ist auf Parties auch das grundsätzliche Infragestellen, Auseinandernehmen und wieder Zusammensetzen des Journalisten-Berufes an sich. Auf den besseren Parties sozusagen, unter den studierten Leuten. Hier findet sich immer ein Dr. Dings:
Ich denke, ein Stück weit haben sich durch die Medien auch die Dimensionen verschoben...
Eifrige Zustimmung.
Der Journalismus ist doch gewissermaßen selbst zum - malt imaginäre Gänsefüßchen in die Luft - „Machtfaktor" geworden!
Noch mehr Zustimmung.
Die vierte Macht.... Exekutive, Legislative, Judikative, Journalismus - darüber sollten wir in der Tat alle mal ein Stück weit nachdenken!... und wie sich dies wiederum inhaltlich in die Gesellschaft transportiert...Grenzenlose Zustimmung.
Es folgen, meist auch in dieser Reihenfolge: Die internationalen Großkonzerne und der weltweite Terror, die Globalisierung und das Internet, die vielen Fernsehsender, die PISA-Studie, Gewalt an den Schulen und der Nahe Osten. Und an allem wäre imgrunde irgendwie der Journalismus schuld. Und Dr. Dings wird mit einer Conclusio aufwarten:
Nichtsdestotrotz - wir brauchen diese Macht. Checks and balances, wie die Amerikaner sagen. Dann müssen wir auch die schlimmen Auswüchse des Journalismus ertragen.
Alle ertragen. Tapfer und ernst. Gemeinsam. Ein Hauch von Hambacher Fest liegt über der Szene. Und dann wird - todsicher - die Frage an den Journalisten gestellt:
Oder was meinen Sie dazu?
"Ich?... Nagott.., das ist ein weites Feld..."
Vorwurfsvolle Blicke.
"...natürlich muss eine Zeitung irgendwo auch an die Auflage denken..."
Die Musik verstummt. Die Kinder werden rausgeschickt.
Und nur wenn man Glück hat, zählt am Ende die persönliche Nähe. Zwischen dem Journalisten und der Weltgemeinschaft, das Eis schmilzt, gerade noch rechtzeitig:
Naja, Sie machen ja auch nur Ihren Job.
Aber wer will das schon? Wer will schon aus- und wieder eingebürgert werden - auf einer einzigen Party?
 
T

Thys

Gast
Hallo Marc Hecht,

ziemlich realistisch Deine Geschichte. Was bei genauerem Lesen schön deutlich hervor kommt ist die Erkenntnis, dass sowohl die sogenannten normalen Leute als auch die studierten Leute in gleicher Weise Flachheiten von sich geben.
Die zweite Gruppe drückt sich dabei nur gewählter aus und plustert sich etwas mehr auf.

Gruß

Thys
 

Gorgonski

Mitglied
Hallo Marc

Jaja, der Fahrradständer und die große Politik.
Schöne Geschichte, die der Wahrheit sehr nahe kommt.

MfG; Rocco
 

Eve

Mitglied
Hallo Marc,

liest sich sehr amüsant ... bitter ist wohl, dass es tatsächlich so abläuft *g*

Viele Grüße,
Eve
 



 
Oben Unten