"Dort" - 3.Teil

Markus Veith

Mitglied
Das Wasser fließt. Langsam. Ganz, ganz langsam füllt sich die große. Letzte. Fünfundzwanzigste Schale. Auf den Knien knie ich. Ich knie auf den Knien am Rand des Brunnens. Das Gesicht gelehnt. Das Gesicht an die gefalteten Hände gelehnt. Zähle ich. Tropfen. Langsam, stetig und unaufhaltsam. Zähle ich einzelne Tropfen. Meine Augen. Zucken. Zucken jedem Tropfen hinterher. Zucken hinter jedem einzelnen Tropfen her. Den sie erhaschen können. Hinter jedem einzelnen Tropfen. Der in jeder einzelnen Sekunde tropft. Von den einzelnen Schalen tropft. In die einzelnen Schalen heruntertropft. Getropft ist. Tropfte. Tropft. Tropfen wird. Tropfen für Tropfen.
"Ich bin ein Fuchs in einem Regenland."
"Was sagt im Regenland ein Fuchs unterm Baum?"
"Ich bin ein Fuchs in einem Regenland."
"Sprich mit mir!"
"Was sagt im Regenland ein Fuchs unterm Baum?"
"Ich bin ein Fuchs in einem Regenland."

* * *

Seine Schritte hallen klackend in der Vorhalle hinter dem Schulportal.
Seine Schritte knirschen auf dem Sand und Staub vor dem Schulportal.
Seine Schritte verstummen auf den breiten Stufen vor dem Schulportal.
Der Müllsack rauscht auf die Steine herab und der Stock mit dem Nagel an der Spitze klackert daneben. Der Müllmann lüftet seine Mütze, zieht ein rotgepunktetes Tuch daraus hervor und betupft sich damit die hohe Stirn. Schnaufend läßt er sich auf eine Stufe nieder. Die Mütze legt er neben sich auf den Stein.
"Verdammt viele Räume da drin", schnauft er.
Niedergeschlagen gehe ich zu ihm hin und setze mich ebenso niedergeschlagen neben ihn.
"Ah. Na, wie geht es dir?" begrüßt er mich.
"Den Umständen entsprechend."
"Und was sprechen sie, die Umstände?"
"Ich begreife dies alles nicht", beginne ich spontan loszuplärren. "Was sollte ich noch hier? Eigentlich habe ich meine Aufgabe doch gelöst. Aber ich habe keine konkrete Antwort auf die Frage, die mir gestellt worden ist. Das macht mich ..." Ich suche nach einem passenden Adjektiv. "... ziemlich ... nervös."
"Wirkst aber gar nicht nervös."
"Bin ich aber ... Hast du mir was mitgebracht?" frage ich ihn ablenkend und lasse die Tränen wieder schnell versiegen. Der Müllmann lächelt mich an.
"Warst du denn auch artig?"
"Ich habe meine Aufgabe fast fertig."
"Und warum nur fast?"
"Ich habe doch noch Zeit", lüge ich zynisch und versuche ein Lächeln. Doch ich fürchte, es gelingt mir nur sehr verkrampft.
"Dann habe ich vielleicht genau das Richtige für dich", sagt er und greift in eine der vielen Taschen seiner grellorangenen Uniform. "Hier. Das habe ich in einem der Klassenräume gefunden. - Damit du weißt, was Zeit ist."
Es ist eine verschlossene Taschenuhr, so groß wie das Loch, das entsteht, wenn man die Kuppen von Daumen und Mittelfinger zusammendrückt. Sie scheint sehr alt zu sein. Ihr Silber hat Flecken. Sie baumelt an einer Kette am Finger des Müllmanns.
"Danke schön", sage ich artig und lasse den Deckel aufschnappen. Das Zifferblatt ist eines jener Zifferblätter, die keine Ziffern haben und doch Zifferblatt heißen. Die verschnörkelt geformten Zeiger hängen schlaff an ihrer Befestigung im Zentrum und pendeln hin und her, wenn man die Uhr bewegt. In der Innenseite des Deckels ist eine Gravur.
Für Dich
steht da.
"Für mich?" frage ich und der Müllmann nickt.
"Ja-a. Obwohl mich ja brennend interessieren würde, wer Dich war, dem sie vor dir mal geschenkt wurde."
"Aber sie ist ja kaputt", sage ich und halte ihm die Uhr mit den baumelnden Zeigern vor die Nase.
Da macht er ein überraschtes Gesicht.
"So? Findest du? Sieht gar nicht so aus."
Ich blinzle irritiert, doch mein Freund, der Müllmann, geht nicht weiter auf seine Äußerung ein. Er bedeckt seine hohe Stirn wieder mit seiner Mütze, steht auf, stemmt seine Fäuste in die Hüfte und donnert:
"Wie sieht das denn hier schon wieder aus?!" Er packt seinen Müllsack und seinen Piekser und marschiert schnurstracks auf die große Trauerweide zu. Den Abfalleimer, den ich ihm gefüllt habe, übersieht er vorerst.
Erst jetzt fällt mir auf, daß er recht hat: Während der Zeit seiner Abwesenheit sind viele der Weidenblätter welk geworden und jene, die bereits abgefallen sind, lassen sich von dem leisen Wind über den Schulplatz treiben. Einige von ihnen segeln wie kleine Schiffchen in der untersten Schale des Brunnens.
Der Brunnen. - Mein Herzschlag will beinahe stehenbleiben, als ich die Distanz zwischen Wasserstand und Brunnenrand sehe. Die Distanz ist kaum noch zu bemerken, so gering ist sie. Eine kurz auflodernde Panik ergreift mich und drückt kurz zu. Doch wird sie von einer sehr schwerfälligen Resignation einfach überwältigt und sorgsam zugedeckt.
Ich will dies alles nicht mehr sehen. Ich gehe einfach hinter meinem Freund her.
Am Stamm des großen Baumes angekommen, stellt der Müllmann seinen Sack ab und legt sein Werkzeug beiseite. Mit einiger Verwunderung beobachte ich durch die Lücken die der Zweigmantel um den Stamm herum bildet, was er dort treibt und bin sehr gespannt, was er nun vorhat.
Er entfernt sich wieder einige Meter von dem Baum. - Peilt peinlich genau den breiten Stamm an, nimmt etwas behäbigen Schrittes Anlauf und tritt mit aller ihm möglichen Wucht gegen den Stamm.
Eine grollende, brodelnde, knirschende Erschütterung geht durch den Baum und läßt ihn einige Sekunden fröstelnd zittern. Ein welkbrauner Rieselregen aus Weidenlaub rauscht hernieder und bedeckt den dichtbehangenen Boden unter der herabhängenden Krone. Schon ist der Baum wieder rein grün.
"So!" erklärt der Müllmann, wobei er tatkräftig in die Hände spuckt und nach seinem Werkzeug greift.
Ich schaue ihm zu, wie er mit seinem Piekser jedes Blatt einzeln aufpickt und in den blauen Plastikmüllsack stopft.
"Warum nimmst du keinen Besen?" frage ich.
"Gern", antwortet er. "Hast du einen?"
Ich muß zugeben, daß er recht hat.
"Ich helfe dir", sage ich.
Dabei mache ich einen Anfang mit einem welken Blatt, welches an einem traurig herabhängenden Zweig direkt vor meinen Augen hängt.
"Hoppla! Dies ist wohl drangeblieben." Ich zupfe es ab und betrachte es. Dann drücke ich zu.
"Ich geh' nach draußen - hier sind die Tropfen zu dick."
Ich glaube, meinen Ohren nicht trauen zu dürfen.
"Blöder Satz", höre ich weit entfernt den Müllmann sagen.
Ich rühre mich nicht. Kann es gar nicht.

* * *

Ich weiß nicht, wie lange ich dagestanden habe. Es müssen Stunden, doch können es nur Minuten gewesen sein, denn mit einem Male höre ich die Tropfen. Überlaute Tropfen, die wie die Schläge einer überdimensionalen Baßtrommel gegen meinen Kopf, meinen Magen, meine Ohren und Augen und eigentlich gegen alles an mir schlagen und hallen.
"Was ist jetzt?" fragt mich der Müllmann und winkt mir direkt vor meinen starren Augen zu. "Noch da?"
Gigantische Tropfen, wie sie kilometerweit von einer vollen Schale herab in eine andere volle Schale fallen. Sie übertönen die Stimme meines Freundes fast. Und jeder Tropfen kann jener sein, der die Schale zum Überlaufen bringt. "Ich denk', du willst mir helfen?"
Ich schaue ihn an.
"Ich kann nicht. Die Tropfen. Sie sind mir hier zu dick."
Ich glaube, ich drehe mich um.
Ich glaube, ich fange an zu laufen.
Ich glaube, ich stolpere über eine der Stufen.
Ich glaube, ich schlage der Länge nach hin.
"Ich schaffe es nicht!" schießt mir durch den Kopf. Ich greife nach einem Mörtelstein, den meine Finger berühren und schreibe mit ihm gehetzt meine Antwort in den Staub vor dem Portal. Es ist eine zitterige, grauweiße Schrift.

"ICH GEH' NACH DRAUSSEN. - HIER SIND DIE TROPFEN ZU DICK."

"Na ja, ich will diese Krakelei mal durchgehen lassen", höre ich hinter mir die bekannte Donnerstimme der Frau Pedell. "Nun geh schon rein."
Ohne mich umzudrehen, raffe ich mich auf.
Und gehe.
Durch das.
Portal.
* * *

Es ist kühl in der Halle. Der Atem zieht in Schwaden aus meinem offenen Mund. Die Halle ist riesig. Mächtige Säulen stemmen das Gewölbe über mir. Doch ist alles nur groß. Es sind keinerlei Verzierungen zu sehen. Alles ist weiß. Keine Farbe. Es sieht so aus, als sei alles vom Ursprung an jungfräulich weiß, steril ... und leer. Ich habe schon viele schmucklose Schulen und nüchterne Amtsgebäude gesehen, aber bei diesem Haus hat man sich nun wirklich gar keine Mühe gegeben worden, etwas zu verschönern.
In der ganzen Halle, so groß sie auch ist, befindet sich nur eine einzige Tür. Ganz versteckt in einer hinteren Ecke führt sie in die weiße Wand. Doch auch hier finde ich nichts, was sich auch nur den Hauch an Zierde anmerken läßt. Außer vielleicht das Pappschild, das mit Heftzwecken am weißen Holz befestigt ist und mich beordert, doch bitte anzuklopfen.
Ich tu ihm den Gefallen und sogleich klingt ein schnarrendes "Herein!" von drinnen.
Als ich die Tür öffne, merke ich, daß ich der Zugluft den Weg frei gemacht habe. Eine Staubböe wirbelt an mir vorbei nach draußen. Mit kräftiger Mühe ziehe ich die Tür hinter mir wieder zu.
Das Zimmer, in dem ich bin, ist offenbar ein Büro. Oder vielleicht besser: ein Lehrerzimmer. Es ist recht groß und die hintere Wand bildet ein schwarzer Stoffvorhang, der aus der Zimmerdecke zu hängen scheint und bis auf den Fußboden reicht.
"Hallo", begrüßt mich eine Stimme, die zu einem sehr eigentümlichen Herrn gehört. Ich wende mich um und entdecke ihn nun hinter seinem mit Büchern, Schriften und losen Blättern schwer belagerten Schreibtisch, verborgen wie ein Tier, das sich auf Tarnung versteht. Er kommt mir etwas dämlich lächelnd entgegen.
Ich habe das Bedürfnis, ihn als Professor zu bezeichnen. Er ist sehr klein und untersetzt. Sein sauber rasierter, weißer Bart gibt ihm einen intellektuellen Ausdruck. Auf den schmalen Schultern des feinen Tweed-Anzugs türmen sich harte Wachshäufchen wie die Schulterklappen eines Offiziers. Auch auf der Tweed-Weste, deren Knöpfe durch einen runden Bauch bedroht werden, sind weiße Wachstropfen erstarrt. Auf dem Kopf hat der Mann einen hohen Hut mit einer breiten, steifen Krempe, auf der über ein Dutzend brennende Kerzen stehen und sich bei jeder heftigeren Bewegung entwachsen. Ich frage mich, wie diese Kerzen die Zugluft hier vertragen, denn das Büro ist wirklich reichlich kühl und sehr gut belüftet.
"Ah, sind sie der Neue? Freut mich. Freut mich. Setzen sie sich. Setzen sie sich." Er lotst mich mit ein wenig Handleitung zu einem uralten Sessel, dessen Füllung wohl entweder in Pfeifen geraucht oder vom Winde verweht worden ist. Jedenfalls ist das runde Drücken der Federn an meinem Hintern der einzige Sitzkomfort. Mit einer ausschweifenden Geste läßt er sich selbst in einem gigantischen Bürosessel nieder, in dem er fast verschwindet.
"Willkommen am Ort unserer brillantesten Fehler. Womit kann ich dienen?"
"Ich will hier weg", sage ich.
"Aber warum denn. Du bist doch gerade erst hier. Du hast noch so viel vor dir."
"Ich weiß."
"Aber?"
"Aber ich will das, was ich noch vor mir habe, woanders noch vor mir haben."
Der Professor lehnt sich noch tiefer in seinem Sessel zurück.
"Verstehe", murmelt er durch seine aneinandergelegten Finger. "Du willst ... den Absprung."
"Ja. Genau." Ich fühle mich sofort verstanden.
"Du willst den Schritt nach vorn."
"Ja, ganz genau."
"Nach draußen." Er steht auf und geht um den Tisch herum.
"Richtig", euphoriere ich
"Den Kick. Das Andere."
"Genau. Genau!"
"Was von dir ist und was dir gehört, nur dir, allein dir, einzig und allein dir."
"Ja-ja. Ja!!"
"Und es ist dir völlig egal, was andere davon halten. Ob sie es dumm finden oder es verlachen. Das ist dir voll-kom-men egal! Du willst nach draußen!" kommt er mir immer lauter anfeuernd näher. Ich weiß nicht, ob es absichtlich geschieht, aber ich stimme rhythmisch mit ein.
"Ja! Ja! Ja!"
"Du willst dein Leben!"
"Ja!"
"Du willst endlich dein verdammtes Recht auf Leben!!"
"Ja!"
"Und du willst, daß sich dein Leben nach dir richtet!"
"Ja!"
"Und du weißt, daß du ein ICH bist!"
"Ja!"
"Sag es!!"
"Ich bin ein ICH."
"Wer ist ein ICH?"
"Ich bin ein ICH!!"
"Ich höre dich nicht!!"
"ICH bin ein ICH!"
"Wer ist ein verdammtes ICH?"
"ICH bin ein verdammtes ICH!"
"Ich habe gehört, daß dort irgendwo ein verdammtes verICHtes ICH ist!"
"Ja! Hier!"
"Wer spricht dort? Ich höre dich nicht! Wer bist du?!"
"ICH! ICH bin ein verdammtes, verICHtes ICH!!"
"LAUTER!!"
"ICH BIN EIN ICH!!!!"
Ich schnappe nach Luft. Die Stille, die plötzlich eintritt, ist nur eine Begleiterscheinung meines Atems. Die Hutkerzen knistern so leise, als sei es ihnen peinlich. In der geräumigen Vorhalle verabschiedet sich noch ein paar Mal ein Echo: "Ich ... ich ... ich ..."
Der Professor beugt sich so weit vor, daß seine wachsverschmierte Krempe mir auf den Haaransatz rutscht. Er sagt nichts. Er schaut mich bloß an. Irgendwann verzieht er sein Gesicht zu einem breiten Lächeln. Er neigt den Kopf zur Seite und ich verstehe aus der Geste, daß ich ihm folgen soll. Er hakt sich bei mir unter und stellt mich vor die große Vorhangwand. Dann läßt er mich los, stellt sich seitlich von mir in eine alberne Positur und schnalzt einmal kurz mit der Zunge.
Zwei Vorhanghälften gleiten lautlos zur Seite. Vor Schreck weiche ich einen Schritt zurück.
Der Raum, in dem ich bin, muß wohl an der Hinterseite des Schulgebäudes liegen, denn die hintere Wand fehlt völlig. Ein ausgefranster Rand aus Backsteinen, Holz und lockeren Mörtelbrocken rahmt die aufgerissene Sicht in den Hintergrund ein und gibt mir den Blick in jenes, mir nun altbekannte bunte Schillern frei.
Direkt vor mir, bisher von dem Stoff des Vorhangs verdeckt, steigen drei Stufen zu einem kleinen Podest empor. Ein langes Brett reckt sich weit über den abgebrochenen Rand hinaus. In das Schillern hinein.
Minutenlang bin ich vollkommen unfähig, meinen entsetzten Blick von dem bunten Schillern abzuwenden, obwohl ich es doch schon so lange vor Augen gehabt habe.
Ich spüre eine Berührung an meinem Arm. Der kleine Professor lächelt mich von unten an.
"Spring", sagt er nur.
Ich kann nicht reden. Die Zunge klebt wie trockener Kuchen an meinem Gaumen. Ich muß oft schlucken, bevor die Stimme endlich losrutscht.
"Aber ... das hätte ich doch die ganze Zeit über tun können."
Die dichten Augenbrauenbüschel des Mannes fliegen erstaunt in die Stirn.
"Nun, dann hättest du das die ganze Zeit über mal tun sollen", entgegnet er.
Mit größter Behutsamkeit, als betrete ich ein lebendes Wesen, steige ich die drei Stufen hoch und gehe ein paar Schritte über das Brett. Meine Beine zittern heftig. Ich spüre den Schwindel. Ich spüre den Schwindel wieder!
Das Schillern vor mir zieht sich erneut meilentief in einen unsichtbaren Abgrund herab. Ich kann ihn nicht sehen, aber ich spüre ihn. So intensiv. Meine Beine wabern wie Pudding, der nie steif wird. Sie sacken konsistenzlos zusammen. Meine Kiefer schmerzen. Mein Zorn auf mich selbst will irgendwas zerbeißen. Wut bewegt sich in mir wie eine schlüpfende Larve, die aus ihrem Ei heraus will.
"Ich kann das nicht", zische ich wütend durch die Zähne. Ein Schluchzen schwingt mit. "Ich schaffe das nicht."
"Okay", sagt der Professor, der hinter mir steht und es klingt so, als sei seine Stimme in meinem Kopf. "Das ist deine Entscheidung. Doch dann geh jetzt bitte wieder zurück zu deinen Kameraden. Geh und spiele ein wenig mit ihnen."
Die Finger meiner aufgestützten Hände krallen sich in das rauhe Material des Sprungbrettes. Meine Augen kneifen sich schmerzhaft zusammen und ich presse das Kinn so fest an die Brust, daß es mir den Atem raubt.
"Nein", ächze ich.
Neben mir bemitleidet mich ein Seufzen.
"Weißt du, ich habe nie kapiert, weshalb ein Vogel in eine Kamera passen sollte", sagt die Stimme des Professors.
Nur wenige Worte. Doch wirkten sie wie Medizin. Ich hocke und kralle mich immer noch fest. Die Worte dehnen sich warm aus. Wie eine Milchwolke im Kaffee. Und mit einem Male entspannt sich etwas. Mein Griff lockert sich. Erst ein wenig nur. Dann völlig. Mein Blick hebt sich aus der schlierigen Tränentraufe. Erst zögernd. Doch nun breitet er sich aus über das bunte Schillern vor mir. Und ich spüre den Sog. Spüre den weichen Kuß des Soges, wie er liebevoll aber auch fordernd an mir saugt.
Wieder sagt der Professor etwas:
"Wenn einem gemalten Einhorn die Koppel des Bildes zu klein ist ... Komma..." Ich weiß die Antwort:
"... Dann sprengt es wiehernd den Rahmen und sucht das Weite."
Ich stehe auf. Ich hole tief Luft. Ich beginne zu rennen. Das Brett federt unter mir. Die letzten Meter auf den Rand zu. Lange genüßliche Sätze.
Der letzte Sprung. Ich beende ihn auf beiden Füßen. Schwinge herunter. Federe empor. Stoße mich ab. Springe.
Ich falle, ohne zu stürzen.
Ich falle, ohne zu stürzen.
Ich falle, ohne zu stürzen.
Ich falle, ohne zu stürzen.
Ich falle, ohne zu stürzen.
Ich falle, ohne zu
Ich falle,
 



 
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