"Max harter Weg": Ein Buch für Kinder ab 9

tommymouse

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Kapitel 1. :Die Entführung

Abgekämpft, aber froh, schlenderte der zehnjährige Max die Bachmannstraße entlang. Obwohl es nach der langen Frostperiode heute regnete und er damit zunächst einmal Schlittschuhlaufen vergessen konnte, war er hochzufrieden. Denn heute war alles prima gelaufen.

Er hatte zum ersten Mal in seinem vier Schuljahren auf der „Georg von Rauch-Schule“ eine Zwei bei einer Rechenarbeit bekommen. Seine Lehrerin Frau Vielzahl hatte nur noch gestaunt: \"Super, Max. Mach weiter so. Du bist der einzige in der Klasse, der die Aufgabe ‚756 geteilt durch 14’ richtig gelöst hat.\" Max war der gleichen Meinung. Für dieses Wissen war eine Zwei nur gerecht.

Aber weitaus stolzer war Max auf seine Spitzenleistung beim Fußballspiel gegen die großen Jungen aus der „5a“. Vor die Spiel hatten die noch angegeben wie der Mops im Haberstroh.

Doch das Spiel hatte seine Klasse, die „4b“ mit 4 : 1 gewonnen - nicht zuletzt dank seines Traumtores zum 1 : 0. Seinem Fallrückzieher vom 11-Meterpunkt in die rechte obere Ecke hatte der gegnerische Torwart Michael nur noch hinterher schauen können. Daraufhin war er von seinen Mitspielern und Klassenkameraden fast erdrückt worden.

Seine Mutter Waltraud würde zwar ärgerlich über das Fußballspiel sein, weil sie sich wegen des Regens und der Kälte um seine Gesundheit Sorgen machte. Aber er war sicher: In erster Linie würde sie sich über das Tor mit ihm freuen.

Nun stand er vor der Wohnungstür im vierten Stock der Wahnfriedstraße 15 und wunderte sich, dass er noch nicht das Abendessen roch, obwohl es schon viertel nach Sechs war. Seine Familie aß immer abends warm, weil seine Mutter als kaufmännische Assistentin arbeitete und erst gegen vier Uhr nach Hause kam.

Sie kochte sehr lecker und Max freute sich stets darauf, schon an der Türschwelle zu raten, was es heute geben würde. Doch jetzt schnupperte er nur den altvertrauten Geruch von Bohnerwachs, den die Hausmeisterin Frau Engelhard wie üblich viel zu freizügig im ganzen Treppenhaus verteilt hatte.

\"Macht nichts, vielleicht habe ich mich doch erkältet\", dachte Max, als er die Tür aufschloß.

Aber es war noch einiges mehr anders als sonst. Seine Mutter stand nicht wie gewöhnlich im Flur, um ihn zu begrüßen. Und sein Vater ‘Bernhardiner’ - in Wirklichkeit hieß er Bernhard - ‘Bernhardiner’ war nur sein Spitzname - brüllte nicht wie üblich quer durch die Wohnung: \"Hallo, mein Junge\".

Max lief sofort in das Fernsehzimmer, wo sein Vater normalerweise um diese Zeit in die Flimmerkiste guckte. Richtig: ‘Bernhardiner’ war da, aber - der Fernseher war aus! \"Was ist denn hier los\", wollte Max wissen, \"haben wir Stromausfall oder hast du Deine Brille verloren?\"

Normalerweise hätte Vater jetzt gelacht und zurückgescherzt, aber heute starrte er nur trübsinnig in die Gegend: \"Waltraud ist noch nicht da, und ich habe keine Ahnung, wo sie steckt. Jetzt ist es schon halb sieben, und sie ist immer noch nicht zu Hause. Das ist in elf Jahren Ehe noch nie passiert.\"

\"Vielleicht muß sie länger arbeiten, hast Du schon mal in der Firma angerufen?\", fragte Max.

\"Noch nicht, ich wollte erst warten, bis Du da bist\", erwiderte ‘Bernhardiner’. \"Aber jetzt probier ich` s mal.\"

Er hatte Glück, denn in der Firma meldete sich Herr Aasberger, Waltrauds Chef. Max lauschte voller Spannung den Gesprächsfetzen, die er von seinem Vater aufschnappen konnte. \"Frau Gundlach (das war ihr Nachname) ist schon um halb vier gegangen?.....Nein, sie kommt immer sofort nach der Arbeit nach Hause....Ich glaube nicht, dass sie noch irgendeine Freundin besucht hat, aber ich versuch mein Glück.....Vielen Dank, Herr Aasberger....Tschüß\".

\"Hast Du alles mitgekriegt?\" fragte ‘Bernhardiner’. \"Ja\", sagte Max. \"Dann ruf ich mal bei Waltrauds Freundinnen an\", erklärte Vater.

Aber sowohl die Damen von Waltrauds Kaffeekränzchen als auch Frau Meier und Frau Wohlgemuth hatten Max Mutter nicht gesehen.\"

Langsam machten sich Vater und Sohn ernsthafte Sorgen. Auf das Abendbrot konnten sie wohl einmal verzichten, nicht aber auf Waltraud. ‘Bernhardiner’ sah aus, als ob er jeden Moment zu weinen anfangen würde. Aber auch Max verspürte ein ganz mulmiges Gefühl im Magen. Was war bloß passiert? Er rannte wie ein Tiger in der Wohnung auf und ab, bis ihm plötzlich eine Idee kam: \"Laß uns zur Polizei gehen, die kann uns bestimmt weiterhelfen.\"

‘Bernhardiner’ fand den Vorschlag gut. Also machten sich die Beiden sofort auf den Weg zum für sie zuständigen Polizeirevier 15. Dort angekommen, trafen sie auf Wachtmeister Dimpfelmoser. Er fragte sie sofort nach ihren Namen, obwohl er doch Max aus der Schule vom Verkehrsunterricht her kennen musste. \"Er tut nur seine Pflicht\", raunte ‘Bernhardiner’ seinem Sohn zu. \"Da müssen Beamte sehr genau sein.\"

\"Na ja, vielleicht ist er noch sauer auf mich\", flüsterte Max. \"Neulich hat er mich ausgeschimpft, weil ich bei Rot über die Straße ging.\"

‘Bernhardiner’ gab jedenfalls ganz freundlich dem Wachtmeister die gewünschte Auskunft und erzählte den Grund ihres Kommens. Der Polizist entgegnete: \"Seit wann vermissen Sie ihre Frau?\"

\"Seit vier Stunden.\"

\"Das ist aber ein sehr kurzer Zeitraum. Haben Sie schon überall gesucht, beispielsweise in der Arbeit oder bei Freunden nachgefragt?\"

\"Ja. Sie ist um halb Vier von der Arbeit weg und danach hat sie niemand mehr gesehen. Wir haben uns überall umgehört.\"

\"Kann es sein, dass Ihre Frau noch beim Einkaufen ist oder spazieren geht?\"

\"Na hören Sie mal\", schnaubte ‘Bernhardiner’. \"Meine Frau würde uns immer Bescheid sagen, wenn sie später kommt. Sie weiß doch, wieviel Sorgen wir uns machen. Ich fürchte, irgendetwas Schlimmes ist passiert.\"

\"Sachte, sachte. Alle glauben gleich an eine Katastrophe und meistens ist es dann nur eine Belanglosigkeit. Aber ich nehme trotzdem mal Ihre Vermißtenanzeige zu Protokoll. Dann sehen wir weiter.\" Während dieser Sätze zog Wachtmeister Dimpfelmoser das Formblatt „QWC/15 – a“ aus der Schublade hervor. Dann füllte er es nach den Angaben der beiden Gundlachs aus.

Max und ‘Bernhardiner’ lasen am Schluss das Formblatt durch, ob der Sachverhalt auch richtig vom Wachtmeister zu Papier gebracht worden war. Das war der Fall. Darum unterschrieb ‘Bernhardiner’ das Protokoll.

Mit einem \"So, das wäre geschafft. Sie werden bald von uns hören\", verabschiedete der Polizist schließlich Vater und Sohn.

Max war ganz enttäuscht: \"Ich habe gehofft, er leitet wenigstens Fahndungsmaßnahmen nach Mutter ein. Aber er hat ja gar nichts getan.\"

\"Sei nicht sauer auf ihn, mein Sohn. Die Polizei hat unheimlich viel zu tun, die werden sich schon um Waltraud kümmern\", versuchte ‘Bernhardiner’ Max zu beruhigen.

Zu Hause angelangt, waren beide völlig kribbelig vor Aufregung und Angst. Einmal jagten sie hoch, als das Telefon klingelte. Leider meldete sich anstatt Waltraud nur Frau Meier, um sich nach Waltraud zu erkundigen.

Danach goß ‘Bernhardiner’ sein Bier aus Versehen in die Blumenvase statt in ein Glas und Max aß völlig abwesend ein Leberwurstbrot, obwohl er Leberwurst eigentlich überhaupt nicht mochte.

Da klingelte wieder das Telefon. Max war schneller als ‘Bernhardiner’ und hob den Hörer ab: \"Guten Tag, hier ist Max Gundlach.\"

\"Schlechten Tag, hä, hä, hier ist Xaver Eigensinn, Vorsitzender des ‚Vereines zur Förderung der Lieblosigkeit’. Wir haben gute Nachrichten für dich. Endlich bist du deine Mutter los. Falls du sie wider Erwarten doch zurückhaben willst, musst du bei uns Mitglied werden.\"

Max reagierte ganz verstört: \"Was ist los? Soll das heißen, Sie haben meine Mutter entführt? Warum? Wollen Sie Lösegeld? Was ist der ‚Verein der Lieblosigkeit’ für eine Organisation?\"

\"So viele doofe Fragen auf einen Haufen. Aber ich werde sie dir schön der Reihe nach beantworten, dass selbst du es kapierst. Ja, wir haben deine Mutter entführt, weil sie so lieb und nett ist. Wir fordern kein Lösegeld, denn wir hängen nicht an materiellen Dingen.

Wir fordern wie erwähnt nur eine Kleinigkeit, nämlich deinen Eintritt in unseren Verein. Dann lassen wir deine Mutter gerne frei, hä, hä.\"

\"Sie haben mir immer noch nicht erklärt, was der ‚Verein zur Förderung der Lieblosigkeit’ ist\", entgegnete Max.

Nun holte Xaver Eigensinn weit aus: \"Unser Verein hat sich den wesentlichen Dingen im Leben verschrieben: Wir huldigen also konkret dem Geld und der Macht. Beides kann man nur durch Lieblosigkeit erreichen. Denn Rücksichtsnahme oder Freundlichkeit zu den Mitmenschen hindern einen nur am Erreichen seiner Ziele. Alleine die Lieblosigkeit führt dorthin.

Nun haben wir bei dir gute Anlagen zum Erfolg entdeckt. Aber die Liebe deiner Mutter schadet dir auf deinem Weg. Darum haben wir sie entführt, damit du ohne ihre Liebe endlich von alleine nach Geld und Macht strebst, hä, hä.

Die nächsten Tage werden für dich schlimm, du wirst immer trauriger und verbitterter, bis du schließlich genug verbittert bist, um mit vollem Herzen bei uns Mitglied zu werden.“

„Muss ich wirklich in jedem Fall bei Ihnen Mitglied werden?“, wollte Max ganz erschüttert wissen.

„Ja. Es gibt nur eine einzige Ausnahme. Leider gebieten die Satzungen unseres Vereins, dich auf diese Ausnahme aufmerksam zu machen, wie du deine Mutter befreien kannst“, gab Xaver Eigensinn wenig begeistert zu.

„Dazu musst du die entscheidende Frage der Fragen beantworten. Diese wird dir Alma, die Frau der Weisheit stellen - vorausgesetzt, du findest sie, hä. hä. Denn sie lebt nicht auf der Erde, sondern auf dem Planeten Machtnix im Sternensystem Alpha Centauri.

Aber glaub mir. Du schaffst es sowieso nie, die weise Alma zu treffen. Also gib es gleich auf und werde bei uns Mitglied oder laß deine Mutter versauern. Los, entscheide dich!\"

Max antwortete jetzt wieder ganz ruhig: \"Ich suche die weise Alma. Denn bevor ich bei Euch Mitglied werde, laufe ich lieber zu Fuß zum Planeten ‚Machtnix’\"

\"Du blöder Hannes\", fluchte Xaver Eigensinn. \"Versuch es ruhig. Früher oder später kommst du eh bei uns angekrochen.“

„Oder auch nicht.“

„Doch, doch. Ganz bestimmt. Ich ruf in zwei Tagen wieder an, spätestens dann haben wir dich soweit. Für heute haben wir genug telefoniert.\" Damit legte er einfach auf.

‘Bernhardiner’ fragte ganz aufgeregt seinen Sohn, wer denn da gerade angerufen hatte. Als Max ihn darüber aufklärte, war er ganz entsetzt.

Er wußte nämlich, dass Alpha Centauri 4,3 Lichtjahre von der Erde entfernt war. Bisher hatte noch kein Mensch es jemals geschafft, überhaupt auch in die Nähe von diesem Stern zu gelangen. Das erzählte er auch Max.

‘Bernhardiner’ sorgte sich sehr um seinen Sohn, denn er hielt es schlicht für unmöglich, überhaupt nur in die Gegend von Alma zu kommen. Andererseits war ihm die Vorstellung unerträglich, Max müsse in den Verein zur Förderung der Lieblosigkeit eintreten. Denn er liebte sein Kind sehr und wollte es nicht an diese finstere Bande verlieren.

Er grübelte und grübelte. Ihm fiel aber kein Ausweg ein. Mit dieser traurigen Ungewissheit legte er sich zu Bett, konnte aber die ganze Nacht nicht schlafen.

Auch Max fand keine Ruhe und wälzte sich im Bett hin und her. Ihn beschäftigte vor allem Xaver Eigensinn und seine Organisation. Was für einen Haß musste dieser Mensch empfinden, um so brutal gegen die Liebe vorzugehen? Wie gemein musste dieser Mann sein, Waltraud zu quälen, nur weil sie lieb und nett war?

Schließlich dachte Max über seine eigene Zukunft nach. Die Worte seines Vaters über Alpha Centauri und dem Planeten Machtnix hatten ihn sehr, sehr nachdenklich gemacht. Nur ungern gestand er sich ein: \"Ich gebe mir ein Jahr Zeit, um die weise Alma zu finden. Sollte ich es bis dahin nicht schaffen, werde ich wohl oder übel dem ‚Verein zur Förderung der Lieblosigkeit’ beitreten müssen.\"

Auf jeden Fall wollte er Waltraud aus den Klauen von Herrn Eigensinn und Genossen befreien - koste es, was es wolle.
 



 
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