08/15

T

Tabasco

Gast
08/15
Das feuchte Blut war noch frisch und kaum klebrig und lief mir von der Pulsader direkt in meinen Pullover hinein. Ich hielt den Arm hoch und das Blut lief mir somit unterhalb des Armes in die Achselhöhlen. Auf meinem Pullover sahen die durchgeweichten Stellen auf den ersten Blick aus wie riesige Schweißflecken. Das war ein durchaus unangenehmes Gefühl auf der Haut und vermittelte mir dennoch den wohltuenden Eindruck ein durchgeschwitzter harter Arbeiter aus der Stahlindustrie zu sein. Auf meinem Oberarm begann das Blut schon langsam hart zu werden und eine dicke Kruste zu bilden. Wenn ich all meine Oberarmmuskeln anspannte konnte ich merken, wie die rote Kruste von meiner trockenen haut blätterte. Ich senkte den Arm nach unten und schüttelte die Krümel hinaus. Wie Konfetti schwebten sie aus meinem Ärmel auf den Boden und landeten seicht. Das erinnerte Mich irgendwie an Bilder von Fallschirmspringern im Krieg, wie ich sie im Fernsehen gesehen hatte. Abgesehen von dem kleinen Unterschied, dass die meisten der Fallschirmspringer schon vor ihrer Landung vom Feind abgeschossen wurden, sah es fast genauso aus. Das Blut, das noch nicht verhärtet war lief also auch wieder meinen Arm hinunter und sorgte durch das kribbelnd kalte Gefühl auf meiner Haut für eine wahnsinns leckere Gänsehaut! Jedes einzelne Körperhaar spitzte sich nach oben zu und zog jeweils ein Zipfelchen Haut mit sich in die Höhe. Nie zuvor und nie wieder danach habe ich eine solch ästhetische Gänsehaut zu Gesicht bekommen. Sie war geradezu perfekt. Mir war als könnte ich sie riechen. Es war der Geruch von alten Büchern, die man aufklappt, daran riecht und weiß, dass man sie schon einmal gelesen hat. In diesem Moment dachte ich mir, wenn ich je ein Buch schreiben sollte, sollen die Menschen in hundert Jahren noch daran riechen können und sagen: "Ja das Buch kenne ich! Ein tolles Buch!" Dieser unwiderstehliche Geruch...
Man erkennt an ihm quasi sofort ob es sich um ein gutes oder schlechtes Buch handelt. Meine Gänsehaut roch natürlich nach einem gutem Buch, vielleicht sogar nach dem Besten, das ich je gelesen habe.
Ich kam dann auf die Idee meine Gänsehaut zu fotografieren. Ich lies es dann aber doch bleiben, weil man weder mit einem Fotoapparat noch mit der besten Kamera der Welt diesen Geruch mit aufnehmen könnte. Tiefe Depression überkam mich bei dem Gedanken diese Gänsehaut wahrscheinlich nie wieder zu sehen.
Ich hatte mich verliebt!
Verliebt in meine Gänsehaut. Das muss man sich mal vorstellen. Ich liebte sie über alles und verfluchte den Jenigen, der es versäumt hatte, ein Gerät zu erfinden mit dem man Gerüche aufnehmen kann! Dann fiel ich in Ohnmacht. Ich träumte nichts. Es war einfach nur alles schwarz. Keine Halluzinationen, keine Hirngespenster. Nichts. Als ich wieder zu mir kam stand der Regisseur neben mir und beugte sich über mich. " Was war denn bloß los, Junge? Was ist passiert? Sag schon! Sag bloß du kannst kein Blut sehen? Kannst du mir so was nicht früher sagen? Jetzt müssen wir diese ganze verfluchte Szene nochmal drehen! Verdammt nochmal! Immer nur Ärger mit den scheiß Statisten!"
Ich erinnere mich noch haargenau an das was er sagte, obwohl ich ihm überhaupt nicht richtig zugehört habe. Texte merken konnte ich mir schon immer gut. Trotzdem wollten die mir nie eine Sprechrolle geben. Weiß der Teufel warum...
Das erste woran ich dachte als ich wieder zu mir kam, war meine Gänsehaut. Sie war weg. Spurlos verschwunden. Ich hatte sie verloren. Wohl möglich für immer. Abermals überkam mich tiefste Depression.
Nach diesem Erlebnis habe mich die darauf folgenden drei Wochen nur damit beschäftigt die Situation noch einmal nachzustellen, in der Hoffnung sie komme wieder. Keine Reaktion. Ich wünschte ich wäre ihr nie begegnet. All diesem Kummer, diesem Schmerz hätte ich somit aus dem Weg gehen können...
Und das war sie.
Meine erste große Liebe, kennengelernt am Set zu irgendeinem bescheuertem Film, den sich wahrscheinlich kaum ein Schwein angeguckt hat.
Mit dem Schauspielern ist das so eine Sache. Solange ich denken kann, wollte ich nur einmal in meinem Leben in einem großen Film mitspielen. Nur ein einziges Mal! Eigentlich nur um anzugeben und meine ganz persönlichen fünfzehn Minuten des Ruhmes auszuleben. Dieser Wunsch hat sich nie erfüllt. Und das ist wahrscheinlich auch gut so. Denn sonst würde ich wahrscheinlich heute nicht hier sitzen und schreiben.
Korrekt!
Ich bin also Schriftsteller geworden. Ich hab mir gedacht:
Wenn schon kein großer Film, dann vielleicht ein großes Buch!



Tabasco 2000 ©



(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
Kommentare und Aufrufzähler beginnen wieder mit NULL.)
 



 
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