Rhondaly DaCosta
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120
Leise surrt der Motor vor sich hin. Gabi beobachtet aufmerksam den Tachometer. Dieser zeigt eine Geschwindigkeit von exakt 108 km/h an. Das ist gut. 108 sind 90% von der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h. Gabi setzt gerne einen Sicherheitspuffer bei der gewählten Geschwindigkeit.
Sie beugt sich in ihrem Sitz etwas nach vorne und schaut durch die Windschutzscheibe zum Himmel. Es ist keine Verkehrsdrohne zu sehen. Nun ist das Wetter heute auch sehr bedeckt. Daher kann sich das Sonnenlicht schlecht auf der metallischen Außenhaut eines Flugroboters widerspiegeln.
Natürlich kann es auch sein, dass sie eine aktive Drohne gar nicht entdecken kann. Seit kurzem werden in ausgewählten Regionen bereits die neuen Drohnenmodelle eingesetzt. Diese Geräte sind kaum größer als eine Stubenfliege. Daher sind sie mit dem menschlichen Auge am Himmel fast nicht auszumachen.
Im Netz wurden die neuen Drohen kürzlich beschrieben. Das linke Facettenauge beherbergt ein nano Messgerät mit integrierter Abstandskamera. Diese Einrichtung misst die Geschwindigkeit des Fahrzeuges und korreliert diese mit einer der Reflektorsäulen, die in regelmäßigen Abständen neben den Fahrbahnen angebracht sind. Das rechte Auge des Überwachungsgerätes nimmt dann den Kennzeichen-Code des Fahrzeuges auf und übermittelt diesen instant an ein Kontrollzentrum. Bei Überschreitung der Geschwindigkeit von 10% und mehr wird der persönliche web-Zugang des Fahrzeugführers sofort für einen gewissen Zeitraum gesperrt. Und das tut weh. Gabi kann sich gar nicht vorstellen, ohne ihren Netzzugang zu leben. Ein tiefer Schauder ergreift sie bei diesem Gedanken. Ihr Kinn und die Unterlippe beginnen leicht zu beben.
Gabi lässt sich in ihren Sitz zurücksinken. Aus den Augenwinkeln wirft sie einen verstohlenen Blick nach rechts zum Seitenfenster. Dann blickt sie zum linken Fenster, ohne den Kopf zur Seite zu bewegen. Darauf folgt ein kurzer Blick in den Rückspiegel.
Rasch öffnet sie den Deckel eines Kästchens, das auf einer altar-ähnlichen Erhöhung in der Mittelkonsole angebracht ist. Nervös ergreift sie ein Bild aus dem Kästchen. Es ist eine Fotografie, richtig auf Papier gedruckt. Das Foto zeigt ihren Vater neben einem Carrera, einem roten Carrera natürlich, Baujahr 2017. Mein Gott, denkt sie, wie schnell die Zeit vergeht. Mit zitternden Fingern legt sie das Bild wieder zurück. Sie wischt sich mit beiden Zeigefingern die Tränen aus den Augen.
Gabi kann beide Hände benutzen, um die Tränen wegzuwischen. Der Autodriver hat alle Fahrfunktionen übernommen. Er hat auch bei der Einfahrt auf die Autobahn die Überwachung der einprogrammierten Maximalgeschwindigkeit von 108 km/h eingeleitet. Gabi weiß dies natürlich. Trotzdem fühlt sie sich immer noch genötigt, aktiv die Einhaltung der Geschwindigkeit zu überprüfen.
Gabi hält ihr Gesicht näher an das Panel heran und sagt:“ Ankunftszeit“. Der Bordcomputer antwortet: „Zielort Hamburg, die Fahrzeit beträgt noch 4 Stunden und 37 Minuten. Weiterhin gute Fahrt!“ Gabi mag diese übertrieben freundliche Ansage nicht. Sie könnte die Stimme umprogrammieren. Aber dazu hat sie keine Lust mehr. Irgendwann hat sie es einfach aufgegeben, manche Dinge verändern zu wollen.
Sie gähnt. 3 Stunden plus, da ist genug Zeit für ein Nickerchen. Nach kurzer Zeit ist sie eingeschlafen. Im Traum sieht sie ein Banner mit einer Inschrift. Sie geht näher auf das Spruchband zu und liest den Satz: Das Fliegen ist schöner nur. Die Anordnung der Worte irritiert sie. Und der Spruch selbst ist ihr ein Rätsel.
Gabi wacht verstört auf. Erleichtert atmet sie aus. Es ist eben nur ein Traum.