27 Minuten

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Mia Lila

Mitglied
27 Minuten

Es dauert 27 Minuten, bis Sie diese Nachricht abgeschickt hat. Vier Sätze, in unter zwei Minuten geschrieben. Sie hat die Nachricht durchgelesen und sie so belassen, weil sie ehrlich ist, aber trotzdem hat es 27 Minuten gedauert, bis Sie sie endlich verschickt hat. Dann ist sie fort. Man kann die Sätze nicht mehr einfangen oder zurücknehmen. Worte, selbst geschriebene, können ihren Klang im Raum hinterlassen. Manchmal ein schöner Ton, manchmal ein unsicheres Gefühl. Hier ist es laut. Echo, Klänge und Gefühle von vier Sätzen schleudern umher, sodass Sie sich lieber unter der Bettdecke versteckt. Das Echo von Worten besteht aus Gedanken, Hoffnungen und Ängsten und davor kann man sich nicht einmal unter der Bettdecke verstecken.
Warum hat Sie die Nachricht bloß abgeschickt?
Was wird der Empfänger dieser kleinen Wahrheit darüber denken?
Und was wird er über Sie denken?
Hat Sie ihn damit vielleicht sogar vertrieben?
Hat er verstanden, worum es geht?
Begreift er, dass er ein kleines Stück Wahrheit erhalten hat?
Hat er Sie möglicherweise schon vergessen?
Wird er über die Nachricht lachen?
Was wird er antworten?
Wann wird er antworten? Minute für Minute.
Es rauscht in Ihren Ohren, während Sie wartet und immer wieder auf die Uhr sieht. Gewiss ist Ihre Unsicherheit völlig unbegründet. Wenn Sie seine Nachricht bekommt, werden sich endlich alle Fragen auflösen.
Zwei Minuten Unendlichkeit sind auszuhalten. Aber Sie wird weiter alleingelassen mit all den Geräuschen in ihrem Kopf.
Die Antwort - die einfachste Erlösung - bleibt aus.

Es dauert 27 Minuten, bis Sie diese Nachricht abgeschickt hat. Vier Sätze, in unter zwei Minuten geschrieben.
Es dauert nur wenige Sekunden, bis man die Nachricht gelesen hat. Während für einen Menschen nur ein kurzer Moment verstreicht, bedeutet für den anderen Menschen die selbe Zeitspanne eine Ewigkeit des Nachdenkens, Hinterfragens und Zweifelns.
Warten kann ein schreckliches Gefühl sein, ein Durchleben aller Möglichkeiten und Verluste.
Es dauert nicht einmal zwei Minuten, um jemanden davon zu befreien. Wenn man sich nicht einmal dafür die Zeit nimmt, wie kann man sich die Zeit für andere Wertschätzungen nehmen? Wie viele Freundschaften können zerbrechen in unter zwei Minuten? In einer Generation, in der rasante Entwicklung und Kommunikation in Höchstgeschwindigkeit dazu führen, dass das Leben immer schneller wird - wer nimmt sich Zeit für eine banale Nachricht, die mit so viel hintergründigen Gedanken gefüllt ist? Niemand.
All diese Gedanken durchqueren ihren Kopf. Er hat ihre Nachricht gelesen, das kann Sie sehen und es gibt tausend Gründe, warum er noch nicht geantwortet hat.
Und dann wird Sie endlich befreit. Der Klingelton lässt ihr Herz gefrieren und Sie hält die Luft an, während Sie die Nachricht öffnet.
Ein Smiley. Er hat ihr einen Smiley geschickt. Und einen Daumen nach oben.
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo Mia Lila,

du schreibst hier einen sehr knapp gehaltenen Text, der mit der Hochfrequenzkommunikation unserer Zeit ein Thema aufgreift über das es sich, wie ich finde, lohnt nachzudenken.
Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb, finde ich würde es dem Text guttun, wenn du noch an der ein oder anderen Ecke ein wenig nachschleifst, da mir einige Dinge aufgefallen sind und das ja ein Forum zur Textarbeit ist, ein paar kleine Anmerkungen von mir.

Zunächst allgemein zur Struktur des Textes: Dass du die Sender- und Empfängerperspektive einander in einem je eigenen Teil gegenüberstellst finde ich eine sinnvolle Idee, du solltest das dann allerdings auch konsequent umsetzen. Am deines zweiten Abschnitts wird die Perspektive wieder gewechselt hier würde ich nach "Niemand" einen Absatz machen, der klar macht, dass der Fokus wieder auf sie zurückkehrt.

Außerdem würde ich sehen, dass der Empfängerabschnitt aus dem Allgemeinen ins Einzelne versetzt wird. Du schreibst beispielsweise: "Es dauert nur Sekunden bis man die Nachricht gelesen hat" Hier würde ich das "man" durch ein "er" ersetzen. Ebenso im Satz danach statt "für einen Menschen" würde ich "ihn" schreiben, aus dem anderen Menschen würde dann "sie" und so weiter. So bekommt das Ganze eine persöhnliche Note, ohne dass deine Kritik an der Form moderner Kommunikation verloren geht.

Daneben ist mir im ersten Absatz noch eine Passage aufgefallen die ich als unrund empfunden habe:
"Man kann die Sätze nicht mehr einfangen oder zurücknehmen. Worte, selbst geschriebene, können ihren Klang im Raum hinterlassen. Manchmal ein schöner Ton, manchmal ein unsicheres Gefühl. Hier ist es laut. Echo, Klänge und Gefühle von vier Sätzen schleudern umher, sodass Sie sich lieber unter der Bettdecke versteckt."

Hier rufst du ein sprachliches Bild auf in dem du Nachrichten ein Klangbild zuordnest, allerdings setzt du das dann bei der Gegenüberstellung nicht um. Auf der einen Seite steht ein schöner Ton, auf der anderen ein unsicheres Gefühl. Beschreib doch vielleicht statt des unsicheren Gefühls einen dyssonanten Klang. Das "Hier ist es laut" solltest du meines Erachtens streichen oder umformulieren, da der Satz mit dem hier auf etwas Bezug nimmt, wobei aus dem vorher Geschriebenen nicht hervorgeht auf was es sich bezieht.


Ich hoffe die Anmerkungen sind hilfreich für dich!

Beste Grüße

Blumenberg
 

Mia Lila

Mitglied
27 Minuten

Es dauert 27 Minuten, bis Sie diese Nachricht abgeschickt hat. Vier Sätze, in unter zwei Minuten geschrieben. Sie hat die Nachricht durchgelesen und sie so belassen, weil sie ehrlich ist, aber trotzdem hat es 27 Minuten gedauert, bis Sie sie endlich verschickt hat. Dann ist sie fort. Man kann die Sätze nicht mehr einfangen oder zurücknehmen. Worte, selbst geschriebene, können ihren Klang im Raum hinterlassen. Manchmal ein schöner Ton, manchmal ein krächzender Schrei. Ihre Umgebung scheint Ihr zu laut. Echo, Klänge und Gefühle von vier Sätzen schleudern umher, sodass Sie sich lieber unter der Bettdecke versteckt. Das Echo von Worten besteht aus Gedanken, Hoffnungen und Ängsten und davor kann man sich nicht einmal unter der Bettdecke verstecken.
Warum hat Sie die Nachricht bloß abgeschickt?
Was wird der Empfänger dieser kleinen Wahrheit darüber denken?
Und was wird Er über Sie denken?
Hat Sie Ihn damit vielleicht sogar vertrieben?
Hat Er verstanden, worum es geht?
Begreift Er, dass er ein kleines Stück Wahrheit erhalten hat?
Hat Er Sie möglicherweise schon vergessen?
Wird Er über die Nachricht lachen?
Was wird Er antworten?
Wann wird Er antworten? Minute für Minute.
Es rauscht in Ihren Ohren, während Sie wartet und immer wieder auf die Uhr sieht. Gewiss ist Ihre Unsicherheit völlig unbegründet. Wenn Sie seine Nachricht bekommt, werden sich endlich alle Fragen auflösen.
Zwei Minuten Unendlichkeit sind auszuhalten. Aber Sie wird weiter alleingelassen mit all den Geräuschen in ihrem Kopf.
Die Antwort - die einfachste Erlösung - bleibt aus.

Es dauert 27 Minuten, bis Sie diese Nachricht abgeschickt hat. Vier Sätze, in unter zwei Minuten geschrieben.
Es dauert nur wenige Sekunden, bis Er die Nachricht gelesen hat. Während für Ihn nur ein kurzer Moment verstreicht, bedeutet für Sie die selbe Zeitspanne eine Ewigkeit des Nachdenkens, Hinterfragens und Zweifelns.
Warten kann ein schreckliches Gefühl sein, ein Durchleben aller Möglichkeiten und Verluste.
Es dauert nicht einmal zwei Minuten, um Sie davon zu befreien. Wenn Er sich nicht einmal dafür die Zeit nimmt, wie kann Er sich die Zeit für andere Wertschätzungen nehmen? Wie viele Freundschaften können zerbrechen in unter zwei Minuten? In einer Generation, in der rasante Entwicklung und Kommunikation in Höchstgeschwindigkeit dazu führen, dass das Leben immer schneller wird - wer nimmt sich Zeit für eine banale Nachricht, die mit so viel hintergründigen Gedanken gefüllt ist? Niemand.

All diese Gedanken durchqueren Ihren Kopf. Er hat ihre Nachricht gelesen, das kann Sie sehen und es gibt tausend Gründe, warum Er noch nicht geantwortet hat.
Und dann wird Sie endlich befreit. Der Klingelton lässt ihr Herz gefrieren und Sie hält die Luft an, während Sie die Nachricht öffnet.
Ein Smiley. Er hat ihr einen Smiley geschickt. Und einen Daumen nach oben.
 

Mia Lila

Mitglied
Lieber Blumenberg! Genau diese Art von Kritik ist wundervoll! Du hast mir sehr geholfen und ich hoffe, ich habe alles gut umgesetzt. Ich bin dir sehr dankbar!
 



 
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