29 Cent das Leben

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Alpha

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29 Cent das Leben

Sie stieß sich den klebenden Stoff vom Leib. Der Atem raste und eine Hitze wandte sich auf ihren Innenschenkeln. Ihr Blick zuckte durch das Zimmer, doch beharrlich hingen die Fetzen in ihrem Kopf. Sie musste sich ficken. Anders würde sie den Alptraum nicht los, das wusste sie und spreizte ihre Beine.
Der helle Puls holte sie in die Wachheit zurück. Sie wusste nicht, wie spät es war. Früher Abend sagte das blasse Licht, das durch die Vorhänge spähte. Sie drehte sich träge zur Wand und zog die Beine an.
Aufstehen. Gehen. Es muss sich doch ein Sinn darin finden. Essen vielleicht. Aber nichts da. Trinken. Auch nichts da. Zigaretten, bestimmt bald leer. Früher Abend. Und die ganze Nacht noch. Ohne Essen, ja, möglich. Aber ohne ... Oder liegen bleiben. Einfach immer liegen bleiben. Ja, fühlt sich gut an. Aber wie lange noch. Und dann später, trinken müssen, rauchen müssen. Und nichts da und Supermarkt geschlossen. Reue, Schuld, Ärger. Nein, nicht schon wieder bereuen müssen. Nein. Aber liegen, nur noch ein bisschen. Nur noch ein bisschen.

Gelegen wie lange? Ein paar Minuten wirre Gedanken, oder schon geträumt? Zu spät? Der Supermarkt?
Sie setzte sich auf und suchte das ausdruckslose Gesicht des Weckers. Gut, kurz nach Sechs. Noch so früh. Aber noch Zeit. Sie stieg aus dem Bett und wühlte mit dem Fuß in den Haufen aus Wäsche, die den Boden bedeckten. Hose, ich brauch doch nur eine Hose. Und irgendwo müsste Geld ...
Der Club war voll, ein Gedränge von heißen Menschenleibern, die Musik schlecht. Aber sie ging ja nicht zum Tanzen weg. Fast nur Hässliche unterwegs. Tussis. Auf dem Klo jammern sie über ihr Make-up, das nicht hält und sie nur noch mehr schwitzen lässt. Tanzende Clowns, die spastisch herumzucken und sich dabei toll finden. Wackelnde Hüften, fette Titten, wollen alle nur geknallt werden. Manchmal ein geiler Arsch dabei. Und die schlechte Anmache. Sprach nicht mal richtig deutsch, aber volle Hose. Egal, fünf Bier waren’s wert. Immer nur lächeln und beim Reden mal aus Versehen an ihn heran schubsen lassen. Dabei mit den Lippen das Ohr streifen.
Richtig getippt. In jener Hose fand sie einen zerknüllten Schein. Sie zog sich an, kam am Spiegel vorbei, strich die zerwühlten Haare glatt. Roch mechanisch an den Achseln. Ja, was willst du erwarten, vom pennen und fingern wird’s nicht besser. Duschen wäre ja nett. Aber später vielleicht.
Türknallend und eine Plastiktüte in die Tasche gestopft ging sie aus dem Haus und schwang sich aufs Rad. Noch immer hallte ein Wimmern in ihrem Becken nach. Sie fuhr los. Hätte die Strecke auch laufen können, aber das wären acht Minuten zu viel gewesen. Mild begegnete ihr der Abend. Wenn auch hinter den Wolken versteckt spürte sie die Wärme der Sonne. Es war fast ein bisschen schön. Die Menschen schienen so beschäftigt. Fuhren von der Arbeit nach Hause, oder ins Fitnessstudio. Mussten für ihre Familie einkaufen, oder für eine Feier mit Freunden, oder auch nur für sich selbst. Frisches Obst, stilles Wasser und fettreduzierte Produkte.
Ziellos streifte sie zwischen den Regalen umher. Welchen Wein wusste sie. Es war immer der gleiche. Ein Liter Lieblicher mit Schraubverschluss, dazu billig. Wenn Menschen nur auch so praktisch wären. Doch nun machte sich ein Hunger bemerkbar und rüttelte unentwegt am Magen. Eine Tüte Chips kam ihr in den Sinn. Auch billig. Und man musste nichts kochen, um satt zu werden. Gesund war es auch nicht. Chips. Das war für Menschen ohne Disziplin, ohne Regeln für ein gesundes Leben, für maßlose Menschen. Für Dicke mit fettigen Gesichtern, gammelige Penner, arbeitslose Alkoholiker ... dicke Arbeitslose, gammelige Penner ... Leute, die nicht geliebt werden.
Chips waren passend zu Wein und Zigaretten.
Diesmal eine andere Kasse. Ist nur eine Flasche, aber trotzdem. Irgendwann wird’s auffällig. Könnte woanders einkaufen, nein, lohnt nicht. Alles weiter weg. Gibt ja viele Kassen hier, die Verkäuferrinnen sitzen ständig woanders. Außerdem merken die sich doch nicht ihre Kunden. Sind so viele hier jeden Tag. Nein, bestimmt nicht. Hätten dann besser zwei Flaschen sein sollen. Scheiß Geld.
Auf dem Weg zur Kasse kam sie an einem Stapel blauer Kisten vorbei. Allzweckmesser, Haargummis, Buntstifte, Wäscheklammern ... und alles für nicht mal 30 Cent. Sie schlenderte ein paar mal mit musternden Blicken um die Artikel herum, obwohl sie es schon wusste. Sie zog die Ärmel ihrer Jacke tiefer und ging zu Kasse.
 

jimmydean

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hallo alpha

ich mag deine geschichten grundsätzlich, vom Stil und inhaltlichem. Auch diese finde ich wieder sehr gelungen. Du zeichnest die zerstörerischen Momente eines Lebens und die Gedanken, die diese Momente begleiten. Ganz besonders die Gedanken, die solchen Momenten voran oder nachgehen. Ich mag deine Charaktäre. sie sind so zerbrechlich und trotzdem sehr stark, eben weil sie sich mit dem Krebs der Seele auseinandersetzen.Bin ganz angetan. Und du weisst scheinbar wovon du sprichst, klingt alles sehr autentisch. Der Ekel nach berührungen, den man wegzuwichsen versucht,und die traurige Geilheit, die zurückbleibt, wenn nur der Körper befriedigt ist und die Seele weiter hungert. Aber diesen Hunger kann man nicht wegwichsen, bloß was sonst tun. Und auch die Gedanken immer liegen bleiben zu wollen, der Trotz gegen die Gleichheit der Masse, und seine entgegnung, bewusst ungesunde dinge zu essen, um sich mit gescheiterten auf eine Stufe zu stellen. Der beginnende Alkoholiker, der angst hat an der kasse erkannt zu werden. Der nächste schritt ist, verschiedene Supermärkte aufzusuchen.
Nun, gefällt mir sehr gut, du weisst Bescheid und hast schneid.
gruß
jimmydean
 

Alpha

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Freut mich echt sehr, dass es (dir) gefällt. Muss aber hinzufügen, dass es erst eine der ersten wirklichen Kurzgeschichten ist, zu der ich mich durchgerungen habe. Alles andere war meist Kurzprosa, ziemlich lyrisch und/oder nahe an reinen Gedankenfrequenzen, aber für mich eben keine Kurzgeschichte. Wie gesagt, freut mich ...

grüßend, A
 



 
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